News - 20.07.07 10:58
Lachs, Plastik und Sperrholz - auf was man alles wetten kann
Der moderne Anleger kann in nahezu alles investieren. Der Erfindungsreichtum der Finanzbranche kennt keine Grenzen. Doch nur wenige Ideen zünden. Warum zum Beispiel scheiterte zum Beispiel ein Future auf Truthähne?
Selbst eine Legende wie Richard Sandor kann falsch liegen. Anfang der 90er Jahre war der Vorstandschef der Klimabörse CCX fest davon überzeugt, dass Terminkontrakte zur Absicherung von Katastrophenrisiken ein Verkaufsschlager sein müssten. Doch weit gefehlt, der Future am Chicago Board of Trade (CBoT) scheiterte. "Die Börse war nicht richtig fokussiert, es gab keine Kursmakler, es gab zu wenig Geld", sagt Sandor, der seit knapp vierzig Jahren in der Futuresindustrie unterwegs ist und als Pionier der Branche gilt.
Ob Wetterrisiken, Schweinehälften oder Orangensaftkonzentrat, ob indische Rupien, Lachs oder Aktienmarktindizes - auf nahezu alles Vorstellbare können Investoren heute an den Terminmärkten wetten. Börsen wie die Chicago Mercantile Exchange (CME), das CBoT, die New York Mercantile Exchange (Nymex) oder die Eurex leben davon, dass ihnen neue Ideen einfallen. Der weltweite Umsatz bei Derivaten beträgt rund 500.000 Mrd. $, das Handelsvolumen wächst jährlich um 30 Prozent. Die vier größten Handelsplätze haben allein in den vergangenen vier Jahren 300 neue Derivatkontrakte auf den Markt gebracht. Dank der fortschreitenden Elektronisierung sinken die Margen der Börsen - und die Suche nach erfolgreichen Produkten wird zum Überlebenskampf.
Ein bisschen Gefühl und harte Fakten
Doch was zeichnet einen erfolgreichen Future aus? Michael Overlander, Managing Director beim Metallhändler Sucden und seit Anfang der 70-er Jahre im Terminmarktgeschäft, spricht von dem bestimmten Gefühl, das ein Kontrakt auslösen muss: "Er muss den Nerv der Händler treffen", sagt Overlander. "Warum gibt es keinen erfolgreichen Apfel-Kontrakt, dafür aber einen liquiden Orangensaft-Future? Das lässt sich wissenschaftlich nur schwer begründen." An Apfel, Shrimps und Truthähne versuchten sich die Börsen vor Jahrzehnten. Ohne nachhaltigen Erfolg.
Sandor beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dieser Frage nach der Essenz des erfolgreichen Futures. Er nennt mehrere Grundbedingungen: Gesunder Wettbewerb im Markt, Preisschwankungen, Homogenität der Ware, ein liquider Spotmarkt wegen der Lieferkonditionen und für die Branche geeignete Kontraktdetails. "Häufig gibt es dann eine Nachfrage nach einem Future, wenn sich in der Wirtschaft strukturell etwas ändert", sagt Sandor, der für die Chicagoer Terminbörsen Dauerbrenner wie den Future auf Staatsanleihen entwickelt hat.
Von Dutch-East-India-Company-Aktien bis Mortgage Backed Securities
Das erste Beispiel, das Sandor untersucht hat, reicht weit in die Vergangenheit zurück. Genau gesagt bis 1602. Damals florierte die Seeschifffahrt. Und die Handelsgesellschaft Dutch East India Company sah sich mit großem Kapitalbedarf konfrontiert, um die Schiffe ausrüsten zu können. Die Idee der Amsterdamer Kaufleute ist so einfach wie genial: Sie gaben Anteilsscheine an ihrem Unternehmen aus, die übertragen werden konnten und handelbar waren. Die Aktie war geboren. Schrittweise wurden neue Finanzinstrumente eingeführt - Forwards, Futures, Optionen. Die Entwicklung gipfelte in der Gründung der Amsterdam Stock Exchange im Jahr 1876.
Was in den Niederlanden die Aktien, sind in den USA Agrarrohstoffe. Durch die so genannten Corn Laws in Großbritannien und den russischen Krimkrieg 1854 bis 1856 wurden die Weizenimporte in die Vereinigten Staaten beeinträchtigt - das zwang zu eigener Produktion. Zuerst wurden Weizensäcke gehandelt, dann Lagerscheine. Und 1865 legte das CBoT den ersten Future auf.
Hypothekenbesicherte Derivate, die momentan wegen der Schieflage zweier Hedge-Fonds der US-Investmentbank Bear Stearns die Schlagzeilen beherrschen, finden ihren Ursprung in den 70-er Jahren. "Damals übertraf die Nachfrage nach Immobilien das Angebot. Neue Finanzierungsquellen wurden gesucht", sagt Sandor. Die Idee: Hypothekenfinanzierer poolen die Darlehen, verbriefen sie und leiten sie an Investoren weiter. Das Grundkonzept der Mortgage Backed Securities war entdeckt. 1975 legte das CBoT den ersten Future auf. Ginnie Mae genannt, der Spitznahmen für die Government National Mortgage Association.
Windeln und Kohlekumpel
Eine andere Idee war ganz naheliegend, scheiterte aber beim ersten Anlauf. Die Chemiebranche ist gemessen an der gesamten Wertschöpfung die fünftgrößte der Welt. Die Plastikpreise sind seit 2003 gestiegen und schwanken stark. Millionen Tonnen von Polyethylen und Polypropylen werden jährlich verarbeitet. In jeder Windel, in jeder Verpackung ist Plastik irgendwo verarbeitet. Und trotzdem sind die 2005 an der London Metal Exchange (LME) gestarteten Plastikkontrakte kein Erfolg. "Das Design der Kontrakte war unlogisch", sagt David Paul, bei Barclays Capital für Chemieerzeugnisse und Plastik zuständig. Die LME hatte sich für zwei globale Kontrakte entschieden. Doch einen globalen Preis gibt es nicht. Die Branche ist regional. Da Plastik in Europa und den USA unterschiedlich hergestellt wird - in den USA mit Erdgas, in Europa mit Naphta - weichen die Preise deutlich voneinander ab. Und wer braucht einen Future, der irgendeinen Preis dazwischen abbildet? Niemand. Erst 2007 reagierte die LME. Und führte regionale Kontrakte für Europa, die USA und Asien ein.
Die Leipziger Strombörse European Energy Exchange (EEX) ist auch nicht gerade erfolgsverwöhnt. Neben Strom geht nicht viel zusammen. Der 2006 eingeführte Kohle-Kontrakt kommt nicht recht vom Fleck. Das liegt zum einen an der Branchenstruktur. Mehrere große Unternehmen dominieren den Markt, Ausfallrisiken gibt es keine. "Die Verträge werden immer noch in den Hinterzimmern ausgehandelt", sagt Maik Neubauer, Chief Operating Officer der EEX. Das ist nicht der einzige Grund. Der Future basiert auf einem Preisindex, der nach Ansicht vieler Experten nicht verlässlich ist, und wird mit einer Barzahlung beglichen. Ein Fehler, findet ein Branchenkenner: "Das war der falsche Ansatz. Man fängt damit nicht an. Es hätte einer physischen Lieferung bedurft." Seither dümpelt der Kontrakt vor sich hin, die Umsätze werden nur über die Abwicklung von außerbörslichen Transaktionen erzielt.
Wie es besser geht, bewies das CBoT in den 60er Jahren. Mit Sperrholz. Das Erfolgsgeheimnis: Enge Absprache mit der Industrie und den Mitgliedsfirmen, eine Entwicklungszeit von 17 Monaten und ein fähiger Absolvent der Forstwirtschaft. Der fand im Laufe der Diskussionen mit der Holzbranche heraus, dass es beim Handel Unterschiede zwischen dem eigentlichen Gewicht der Lieferung und den gebräuchlichen Maßen gab - eine versteckte Marge für den Händler. Daraufhin wurde die Preisbildung leicht verändert und die Marge mit einkalkuliert. "Die Börsenmitglieder sind der Resonanzboden für die Entwickler eines Futures. Sie können so Schwächen erkennen, die professionelle Händler sonst ausnutzen könnten", sagt Sandor.
Die Zukunft - Futures auf Wasser und bedrohten Lebensformen
Sandor hat mit seinem Emissionsrechtehandel einen Treffer gelandet. Die CCX hat den freiwilligen Handel von Verschmutzungsrechten in den USA etabliert. Ganz ohne die Unterstützung der Regierung, die das Kioto-Abkommen zum Klimaschutz nicht ratifiziert hat. Die Umwelt hat es Sandor angetan. Er denkt über weitere Futures auf diesem Gebiet nach: Kontrakte auf Wasser und vom Aussterben bedrohte Lebensformen. Seit mehreren Jahren arbeitet er an einem Konzept. Erfolgsgarantien gibt es trotzdem nicht. Sandors Credo ist simpel: "Am Ende muss man Glück haben."
Von Tobias Bayer (Frankfurt)
Quelle: Financial Times Deutschland
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Lachs, Plastik und Sperrholz - auf was man alles wetten kann
Der moderne Anleger kann in nahezu alles investieren. Der Erfindungsreichtum der Finanzbranche kennt keine Grenzen. Doch nur wenige Ideen zünden. Warum zum Beispiel scheiterte zum Beispiel ein Future auf Truthähne?
Selbst eine Legende wie Richard Sandor kann falsch liegen. Anfang der 90er Jahre war der Vorstandschef der Klimabörse CCX fest davon überzeugt, dass Terminkontrakte zur Absicherung von Katastrophenrisiken ein Verkaufsschlager sein müssten. Doch weit gefehlt, der Future am Chicago Board of Trade (CBoT) scheiterte. "Die Börse war nicht richtig fokussiert, es gab keine Kursmakler, es gab zu wenig Geld", sagt Sandor, der seit knapp vierzig Jahren in der Futuresindustrie unterwegs ist und als Pionier der Branche gilt.
Ob Wetterrisiken, Schweinehälften oder Orangensaftkonzentrat, ob indische Rupien, Lachs oder Aktienmarktindizes - auf nahezu alles Vorstellbare können Investoren heute an den Terminmärkten wetten. Börsen wie die Chicago Mercantile Exchange (CME), das CBoT, die New York Mercantile Exchange (Nymex) oder die Eurex leben davon, dass ihnen neue Ideen einfallen. Der weltweite Umsatz bei Derivaten beträgt rund 500.000 Mrd. $, das Handelsvolumen wächst jährlich um 30 Prozent. Die vier größten Handelsplätze haben allein in den vergangenen vier Jahren 300 neue Derivatkontrakte auf den Markt gebracht. Dank der fortschreitenden Elektronisierung sinken die Margen der Börsen - und die Suche nach erfolgreichen Produkten wird zum Überlebenskampf.
Ein bisschen Gefühl und harte Fakten
Doch was zeichnet einen erfolgreichen Future aus? Michael Overlander, Managing Director beim Metallhändler Sucden und seit Anfang der 70-er Jahre im Terminmarktgeschäft, spricht von dem bestimmten Gefühl, das ein Kontrakt auslösen muss: "Er muss den Nerv der Händler treffen", sagt Overlander. "Warum gibt es keinen erfolgreichen Apfel-Kontrakt, dafür aber einen liquiden Orangensaft-Future? Das lässt sich wissenschaftlich nur schwer begründen." An Apfel, Shrimps und Truthähne versuchten sich die Börsen vor Jahrzehnten. Ohne nachhaltigen Erfolg.
Sandor beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dieser Frage nach der Essenz des erfolgreichen Futures. Er nennt mehrere Grundbedingungen: Gesunder Wettbewerb im Markt, Preisschwankungen, Homogenität der Ware, ein liquider Spotmarkt wegen der Lieferkonditionen und für die Branche geeignete Kontraktdetails. "Häufig gibt es dann eine Nachfrage nach einem Future, wenn sich in der Wirtschaft strukturell etwas ändert", sagt Sandor, der für die Chicagoer Terminbörsen Dauerbrenner wie den Future auf Staatsanleihen entwickelt hat.
Von Dutch-East-India-Company-Aktien bis Mortgage Backed Securities
Das erste Beispiel, das Sandor untersucht hat, reicht weit in die Vergangenheit zurück. Genau gesagt bis 1602. Damals florierte die Seeschifffahrt. Und die Handelsgesellschaft Dutch East India Company sah sich mit großem Kapitalbedarf konfrontiert, um die Schiffe ausrüsten zu können. Die Idee der Amsterdamer Kaufleute ist so einfach wie genial: Sie gaben Anteilsscheine an ihrem Unternehmen aus, die übertragen werden konnten und handelbar waren. Die Aktie war geboren. Schrittweise wurden neue Finanzinstrumente eingeführt - Forwards, Futures, Optionen. Die Entwicklung gipfelte in der Gründung der Amsterdam Stock Exchange im Jahr 1876.
Was in den Niederlanden die Aktien, sind in den USA Agrarrohstoffe. Durch die so genannten Corn Laws in Großbritannien und den russischen Krimkrieg 1854 bis 1856 wurden die Weizenimporte in die Vereinigten Staaten beeinträchtigt - das zwang zu eigener Produktion. Zuerst wurden Weizensäcke gehandelt, dann Lagerscheine. Und 1865 legte das CBoT den ersten Future auf.
Hypothekenbesicherte Derivate, die momentan wegen der Schieflage zweier Hedge-Fonds der US-Investmentbank Bear Stearns die Schlagzeilen beherrschen, finden ihren Ursprung in den 70-er Jahren. "Damals übertraf die Nachfrage nach Immobilien das Angebot. Neue Finanzierungsquellen wurden gesucht", sagt Sandor. Die Idee: Hypothekenfinanzierer poolen die Darlehen, verbriefen sie und leiten sie an Investoren weiter. Das Grundkonzept der Mortgage Backed Securities war entdeckt. 1975 legte das CBoT den ersten Future auf. Ginnie Mae genannt, der Spitznahmen für die Government National Mortgage Association.
Windeln und Kohlekumpel
Eine andere Idee war ganz naheliegend, scheiterte aber beim ersten Anlauf. Die Chemiebranche ist gemessen an der gesamten Wertschöpfung die fünftgrößte der Welt. Die Plastikpreise sind seit 2003 gestiegen und schwanken stark. Millionen Tonnen von Polyethylen und Polypropylen werden jährlich verarbeitet. In jeder Windel, in jeder Verpackung ist Plastik irgendwo verarbeitet. Und trotzdem sind die 2005 an der London Metal Exchange (LME) gestarteten Plastikkontrakte kein Erfolg. "Das Design der Kontrakte war unlogisch", sagt David Paul, bei Barclays Capital für Chemieerzeugnisse und Plastik zuständig. Die LME hatte sich für zwei globale Kontrakte entschieden. Doch einen globalen Preis gibt es nicht. Die Branche ist regional. Da Plastik in Europa und den USA unterschiedlich hergestellt wird - in den USA mit Erdgas, in Europa mit Naphta - weichen die Preise deutlich voneinander ab. Und wer braucht einen Future, der irgendeinen Preis dazwischen abbildet? Niemand. Erst 2007 reagierte die LME. Und führte regionale Kontrakte für Europa, die USA und Asien ein.
Die Leipziger Strombörse European Energy Exchange (EEX) ist auch nicht gerade erfolgsverwöhnt. Neben Strom geht nicht viel zusammen. Der 2006 eingeführte Kohle-Kontrakt kommt nicht recht vom Fleck. Das liegt zum einen an der Branchenstruktur. Mehrere große Unternehmen dominieren den Markt, Ausfallrisiken gibt es keine. "Die Verträge werden immer noch in den Hinterzimmern ausgehandelt", sagt Maik Neubauer, Chief Operating Officer der EEX. Das ist nicht der einzige Grund. Der Future basiert auf einem Preisindex, der nach Ansicht vieler Experten nicht verlässlich ist, und wird mit einer Barzahlung beglichen. Ein Fehler, findet ein Branchenkenner: "Das war der falsche Ansatz. Man fängt damit nicht an. Es hätte einer physischen Lieferung bedurft." Seither dümpelt der Kontrakt vor sich hin, die Umsätze werden nur über die Abwicklung von außerbörslichen Transaktionen erzielt.
Wie es besser geht, bewies das CBoT in den 60er Jahren. Mit Sperrholz. Das Erfolgsgeheimnis: Enge Absprache mit der Industrie und den Mitgliedsfirmen, eine Entwicklungszeit von 17 Monaten und ein fähiger Absolvent der Forstwirtschaft. Der fand im Laufe der Diskussionen mit der Holzbranche heraus, dass es beim Handel Unterschiede zwischen dem eigentlichen Gewicht der Lieferung und den gebräuchlichen Maßen gab - eine versteckte Marge für den Händler. Daraufhin wurde die Preisbildung leicht verändert und die Marge mit einkalkuliert. "Die Börsenmitglieder sind der Resonanzboden für die Entwickler eines Futures. Sie können so Schwächen erkennen, die professionelle Händler sonst ausnutzen könnten", sagt Sandor.
Die Zukunft - Futures auf Wasser und bedrohten Lebensformen
Sandor hat mit seinem Emissionsrechtehandel einen Treffer gelandet. Die CCX hat den freiwilligen Handel von Verschmutzungsrechten in den USA etabliert. Ganz ohne die Unterstützung der Regierung, die das Kioto-Abkommen zum Klimaschutz nicht ratifiziert hat. Die Umwelt hat es Sandor angetan. Er denkt über weitere Futures auf diesem Gebiet nach: Kontrakte auf Wasser und vom Aussterben bedrohte Lebensformen. Seit mehreren Jahren arbeitet er an einem Konzept. Erfolgsgarantien gibt es trotzdem nicht. Sandors Credo ist simpel: "Am Ende muss man Glück haben."
Von Tobias Bayer (Frankfurt)
Quelle: Financial Times Deutschland
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