Frank Wiebe, Handelsblatt
An Gerüchten über den strategischen Kurs der Allianz gibt es keinen Mangel. Die wahrscheinlichste Variante ist aber, dass der Konzern bei Vorlage seiner Zahlen am Donnerstag im wesentlichen die bisherige Linie bestätigen wird. Das würde bedeuten: weitere Sanierung der Dresdner Bank, aber keine radikale Lösung.
DÜSSELDORF. Geht oder geht er nicht? Die Gerüchte, die Tage von Bernd Fahrholz an der Spitze der Dresdner Bank seien gezählt, gibt es schon länger. Ein Abgang des umtriebigen, hin und wieder aber auch schöngeistig wirkenden Professors wäre keine Überraschung, ist aber in näherer Zukunft nicht abzusehen.
An Gerüchten hat die Allianz keinen Mangel – und meistens sind sie negativ. Die Aktie des Konzerns, der am Donnerstag seine Geschäftszahlen für das Jahr 2002 bekannt gibt, war gestern wieder stark unter Druck. Die Anleger fürchten eine böse Überraschung. Dazu kommen die schlechten Zahlen der Tochter AGF, außerdem zieht seit Wochen die Angst vor einer Kapitalerhöhung den Kurs nach unten. Dabei diskutieren Analysten auch Alternativen zur Ausgabe von Aktien, zum Beispiel die Ausgabe einer Wandelanleihe; möglich wäre auch ein Verkauf der Beteiligung an Beiersdorf, um die Kapitaldecke zu stärken.
Wird die Allianz einen Strategiewechsel verkünden, um aus dem Tief zu kommen? Die Erwartungen der Experten sind unterschiedlich. Carsten Zielke von der WestLB geht davon aus, dass sich das Profil der Dresdner Bank ändern wird. „Man wird sich in erster Linie auf das Privatkundengeschäft konzentrieren“, vermutet er. Bob Yates von Fox-Pitt, Kelton sagt dagegen: „Ich erwarte keinen strategischen Schwenk, allenfalls kleinere Korrekturen an der bisherigen Linie.“ Das würde bedeuten: Die Dresdner Bank fühlt sich weiterhin auch für Geschäftskunden zuständig. Die Sanierung wird mit noch mehr Druck fortgesetzt, aber die Bank bleibt eine ganze Bank.
Die erste Variante hätte durchaus ihre Logik. Die Allianz hat vor dem Erwerb der Dresdner Bank vor knapp zwei Jahren betont, sie wolle nicht ins Bankgeschäft einsteigen, und sich als Versicherungs- und Vermögensverwaltungskonzern definiert. Eine Bank sei allenfalls als Vertriebskanal interessant, hieß es. Mit einer Konzentration auf das Privatkundengeschäft und einer weit gehenden Nutzung der Bank als Absatzkanal würde der Münchener Versicherungskonzern an diese Linie wieder anknüpfen. Die Tatsache, dass der künftige Allianz-Chef Michael Diekmann seine Wurzeln im Versicherungsgeschäft hat, insbesondere im Vertrieb, unterstützt ebenfalls diese Version. Die Allianz wäre damit ähnlich positioniert wie ihre große Konkurrentin, die Axa in Frankreich.
Wahrscheinlicher ist aber die zweite, weniger spektakuläre Variante. Für sie stehen eher ING, Fortis und die kleinere KBC in den Niederlanden und in Belgien als Vorbilder zur Verfügung. Auch bei diesen Konzernen gibt es einen starken Schwerpunkt im Privatkundengeschäft, aber das Bankgeschäft ist in seiner gesamten Palette durchaus noch vorhanden. Weil die Talfahrt an den Börsen die Allianz stärker getroffen hat als die Konkurrenten in Benelux, liegt der deutsche Konzern bei der Marktkapitalisierung mit rund 16 Mrd. Euro heute weit hinter ING, etwa auf gleicher Höhe wie Fortis und nur doppelt so hoch wie KBC.
Im Privatkundengeschäft könnte die Konsumentenfinanzierung eine wachsende Bedeutung gewinnen, die nach dem Ende des Börsenbooms auch bei anderen Finanzdienstleistern mehr in den Mittelpunkt rückt. Das Firmenkundengeschäft würde unter strikter Risikokontrolle weiterlaufen und das Geschäft mit betrieblicher Altersvorsorge – einen der großen Wachstumsmärkte – unterstützen. Allerdings bliebe für die Sanierer noch viel zu tun: Der Bereich der großen Geschäftskunden („Corporates & Markets“) wies in den ersten neun Monaten 2002 nach Steuern einen Verlust von 1,2 Mrd. Euro aus. Der Sektor „Private Kunden & Geschäftskunden“ innerhalb der Banksparte lag dagegen nur mit 117 Millionen im roten Bereich. Insgesamt wies der Allianz-Konzern per Ende September 2002 ein Minus von rund einer Milliarde vor Steuern aus, wobei die Sachversicherung mit rund sechs Milliarden Ertrag die Hauptstütze war.
Für das Gesamtjahr 2002 erwarten die meisten Experten die Bekanntgabe eines Rekordverlustes. Yates von Fox-Pitt, Kelton wäre von einem Verlust in Höhe von rund 1,5 Mrd. Euro nach Steuern für das Jahr 2002 „nicht überrascht“. Zielke schätzt das operative Minus auf rund 1,3 Mrd. Euro. Weil bei den genauen Zahlen Abschreibungen und Wertberichtigungen eine Rolle spielen, gibt es große Unterschiede in den Schätzungen. Nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters unter 17 Banken liegen die Schätzungen für den Vorsteuergewinn im Mittel bei minus 1,3 Mrd. Euro, wobei aber die Spannbreite von minus 0,7 Mrd. bis minus 3,3 Mrd. Euro reicht. Wertberichtigungen bei Firmenkunden und im Aktienbestand schlagen negativ zu Buche. Dagegen stehen allerdings Vertriebserfolge – die Allianz Lebensversicherung gewinnt Marktanteile, und die großen Rentenfonds der US-Tochter Pimco haben inzwischen Kultstatus erreicht.
HANDELSBLATT, Dienstag, 18. März 2003, 08:05 Uhr