Alles immer noch so bullish?
von Jochen Steffens
Ich hatte es befürchtet, kaum im Urlaub, hörte die gleichförmige Langeweile an den Börsen auf. Schockierende Nachrichten aus den USA, ein explodierender Ölpreis, fallende Märkte. Es kommt unweigerlich die alte Weisheit in den Sinn: "Wer den Kreis der Börse betritt, wird in steter Unruhe gehalten."
Besonders die unvorstellbaren Nachrichten aus den USA, die unbegreiflichen Bilder, die wieder einmal über unsere Fernseher flimmern, erinnern an den Tsunami, an die Flutkatastrophen hierzulande, an die vielen anderen Naturkatastrophen und lassen nur einen Schluss zu: Das ist erst der Anfang. Die Natur findet in jedem Ungleichgewicht wieder zur Mitte und beginnt offenbar, das Ungleichgewicht Mensch "anzugreifen".
Tiefgreifende Folgen für das soziale Gefüge in den USA?
Ich bin mir allerdings sicher, dass die Katastrophe in den USA in vielen Bereichen viel tiefgreifendere Folgen haben wird, als wir jetzt schon absehen können. Denn in New Orleans hat sich gezeigt, auf welch tönernen Füßen unsere ach so zivilisierte Gesellschaft steht, bzw. wie sehr nach und nach die Grundlagen unserer Zivilisation ausgehöhlt wurden und werden. Dass so eine Katastrophe dazu führen kann, dass auf dem Boden der USA über so lange Zeit Anarchie und Chaos herrschte, wie wir es sonst nur aus den Krisenregionen dieser Erde kennen, mit marodierenden Banden, Gewaltexzessen und Verwahrlosung der niedrigsten sozialen Moralvorstellungen, ist das eigentlich unfassbare an dieser Katastrophe. Dies sollte uns eine große Warnung sein.
Es wird dabei von Jahr zu Jahr offensichtlicher: Wir müssen uns mehr und mehr auf Naturkatastrophen einstellen, die ein Ausmaß annehmen können, welches jedwede zivilisierte Struktur zumindest für gewisse Zeit untergraben kann. Glauben Sie nicht, das könne nur in den USA passieren.
Darüber hinaus verdeutlichen die Vorfälle in den USA, was passiert, wenn eine Gesellschaft von unten erodiert – die zeitweise apokalyptisch anmutenden Nachrichten sind meines Erachtens Folge jahre- oder sogar jahrzehntelanger sozialer Fehlentscheidungen.
Auch wenn im Moment kaum absehbar ist, wie weit und tiefgreifend diese Ereignisse die gesellschaftlichen Strukturen in den USA beeinträchtigen werden, so gehe ich davon aus, dass sich nach New Orleans vieles ändern wird. Vielleicht nicht so offensichtlich, wie nach dem 11. September, aber eventuell nachhaltiger. Ich hoffe dabei, dass diese Veränderungen nicht zu weiterer Instabilität, sondern zu einer neuen Stabilität führen wird und den Focus der US-Bürger etwas von dem aktuellen Sicherheitswahn ablenkt. In jeder Krise steckt auch eine Chance.
Welche Auswirkung hat diese Katastrophe auf die Börsen?
Kommen wir damit zu den Auswirkungen dieser Katastrophe auf die Börsen. Und hier zeigt die Börse wieder einmal ihre auf den ersten Blick pervertierte Sichtweise. Ich vermute mal (unter Vorbehalt, ich habe in den letzten zwei Wochen keine Analystenkommentare gelesen), dass viele diese Katastrophe als bearish eingestuft haben. Schließlich soll die Katastrophe das US-Wirtschaftswachstum in diesem Jahr um bis zu 0,5 Prozentpunkte belasten.
Ich sehe es, wie gewohnt, etwas anders: Denn was erleben wir im Moment? Selbst diese unglaubliche Naturkatastrophe, auch der hohe Ölpreis, kann die Börsen nicht ins Straucheln bringen! Der Anschlag in London, steigende Zinsen in den USA, sich deutlich verschlechternde Wirtschaftsdaten, nun diese Hurrikan-Katastrophe und was macht die Börse?
Sie reagiert nicht, sondern steigt sogar noch an. Die Frage, die sich dem geneigten Beobachter stellt, ist: Was muss denn noch alles passieren, damit sie "endlich nachgibt"?
Es gibt so gesehen nur eine einzige Erklärung: Die Börse ist bullish ohne Ende, da sie all diese Katastrophen fast ohne mit der Wimper zu zucken wegstecken kann.
Aber wird diese bullishe Entwicklung auch nachhaltig sein?
Ganz einfach: Börse spielt Zukunft und zwar "wirtschaftliche" Zukunft. Sie können davon ausgehen, dass der Wiederaufbau New Orleans in den nächsten 4-8 Jahre zu einem unglaublichen Boom in der Region führen wird. Schätzungsweise wird sich das schon im nächsten Jahr mit einem Plus von 0,2 Prozentpunkte auf das gesamte US-Wirtschaftswachstum positiv auswirken. Aus diesem Grund wird die Naturkatastrophe in den USA aktuell, wie nahezu alle Katastrophen, von der Börse gekauft.
Sie können der Börse natürlich jetzt ein "menschenverachtendes" Verhalten vorwerfen, angesichts solcher Tragödien an Profit und steigende Kurse zu denken. Andererseits müssen wir froh sein, dass die Börse hier nicht emotional, menschlich reagiert. Denn es würde niemandem etwas bringen, auch den vielen Betroffenen nicht, wenn die Börsen nun stark einbrechen würden. Sinnvoller ist es, dass nun Geld in die Börsen fließt, damit die US-Unternehmen sich auf Investitionen (in dieser Region), Einstellung von Arbeitnehmern etc. konzentrieren und Ressourcen zur Verfügung stellen können, statt sich mit den eigenen Kursverlusten zu beschäftigen. Würde eine solche Katastrophe das Land in eine tiefe Rezession stürzen, dann würde eine nachhaltige Hilfe für die Betroffenen, der Wiederaufbau, die Schaffung neuer Jobs und einer neuen Infrastruktur etc nur erschwert werden. So unmenschlich die Börse auf den ersten Blick auch manchmal mit ihren Reaktionen erscheinen mag, so sinnvoll und funktional kann die Gier auf den zweiten Blick sein.
Doch, ich habe nicht umsonst ein Fragezeichen hinter der ersten Überschrift gemacht: Obwohl all das, was aktuell passiert, sehr bullish ist, obwohl die Märkte anzeigen, dass das Wirtschaftswachstum weltweit offenbar sehr stark ist, so stark, dass die Märkte damit rechnen, es könne auch den Ölpreis verkraften, ist dieser Ölpreis eine der wenigen Gefahren, die ich sehe. Und mein "Gefühl" sagt mir, dass die Weltwirtschaft bei einem Ölpreis von über 70 Dollar anfängt zu "quietschen". Ich sagte es bereits, der Ölpreis wird austesten, was die Wirtschaft noch verkraften kann, wird austesten, wann die Wirtschaft reagiert – offenbar ist bei 70 Dollar eine dieser Grenzen erreicht.
Ein weiter steigender bzw. stabil bleibender Ölpreis kann die weltweiten Märkte abwürgen. Das ist keine Frage. Eine weltweite Energiekrise kann zu einer weltweiten Rezession führen, auch hier besteht kein Zweifel. Noch ist es jedoch zu früh, darauf zu spekulieren, denn noch zeigen die Märkte keine entsprechenden Reaktionen.
Zudem gehe ich davon aus, dass die Fed auf diese US-Katastrophe reagieren wird. Es ist nicht auszuschließen, dass die Fed ihrer Gewohnheit nach bei Katastrophen dem Markt aus oben genannten Gründen "Geld" zur Verfügung stellt, um ein Abrutschen in eine Rezession zu verhindern. Mit anderen Worten, es kann gut sein, dass die Fed weitere Zinserhöhungen aussetzt oder sogar die Zinsen senken wird. Zumindest wird diese Annahme von den Marktteilnehmern so lange gespielt, bis Tatsachen diese Vermutung aushebeln oder stützen. Das zeigt sich übrigens schon deutlich am Dollarkurs, der bereits wesentlich schwächer notiert und beginnt, einen neuen Abwärtstrend auszubilden.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Wir sind immer noch im Bullenmodus. Der Ölpreis bleibt nach wie vor der nicht zu kalkulierende Faktor. Noch sieht es aber ganz gut für die Märkte aus.
Ganz kurz noch zu dem Kanzlerduell
Schröder hat wie erwartet punkten können, Merkel hat wie erwartet die Erwartungen übertreffen können (diese seltsame Konstruktion kennen wir Börsianer von den Konjunkturdaten). Im Ganzen würde ich dieses Medienspektakel überwiegend als ein "Non Event" werten.
von Jochen Steffens
Ich hatte es befürchtet, kaum im Urlaub, hörte die gleichförmige Langeweile an den Börsen auf. Schockierende Nachrichten aus den USA, ein explodierender Ölpreis, fallende Märkte. Es kommt unweigerlich die alte Weisheit in den Sinn: "Wer den Kreis der Börse betritt, wird in steter Unruhe gehalten."
Besonders die unvorstellbaren Nachrichten aus den USA, die unbegreiflichen Bilder, die wieder einmal über unsere Fernseher flimmern, erinnern an den Tsunami, an die Flutkatastrophen hierzulande, an die vielen anderen Naturkatastrophen und lassen nur einen Schluss zu: Das ist erst der Anfang. Die Natur findet in jedem Ungleichgewicht wieder zur Mitte und beginnt offenbar, das Ungleichgewicht Mensch "anzugreifen".
Tiefgreifende Folgen für das soziale Gefüge in den USA?
Ich bin mir allerdings sicher, dass die Katastrophe in den USA in vielen Bereichen viel tiefgreifendere Folgen haben wird, als wir jetzt schon absehen können. Denn in New Orleans hat sich gezeigt, auf welch tönernen Füßen unsere ach so zivilisierte Gesellschaft steht, bzw. wie sehr nach und nach die Grundlagen unserer Zivilisation ausgehöhlt wurden und werden. Dass so eine Katastrophe dazu führen kann, dass auf dem Boden der USA über so lange Zeit Anarchie und Chaos herrschte, wie wir es sonst nur aus den Krisenregionen dieser Erde kennen, mit marodierenden Banden, Gewaltexzessen und Verwahrlosung der niedrigsten sozialen Moralvorstellungen, ist das eigentlich unfassbare an dieser Katastrophe. Dies sollte uns eine große Warnung sein.
Es wird dabei von Jahr zu Jahr offensichtlicher: Wir müssen uns mehr und mehr auf Naturkatastrophen einstellen, die ein Ausmaß annehmen können, welches jedwede zivilisierte Struktur zumindest für gewisse Zeit untergraben kann. Glauben Sie nicht, das könne nur in den USA passieren.
Darüber hinaus verdeutlichen die Vorfälle in den USA, was passiert, wenn eine Gesellschaft von unten erodiert – die zeitweise apokalyptisch anmutenden Nachrichten sind meines Erachtens Folge jahre- oder sogar jahrzehntelanger sozialer Fehlentscheidungen.
Auch wenn im Moment kaum absehbar ist, wie weit und tiefgreifend diese Ereignisse die gesellschaftlichen Strukturen in den USA beeinträchtigen werden, so gehe ich davon aus, dass sich nach New Orleans vieles ändern wird. Vielleicht nicht so offensichtlich, wie nach dem 11. September, aber eventuell nachhaltiger. Ich hoffe dabei, dass diese Veränderungen nicht zu weiterer Instabilität, sondern zu einer neuen Stabilität führen wird und den Focus der US-Bürger etwas von dem aktuellen Sicherheitswahn ablenkt. In jeder Krise steckt auch eine Chance.
Welche Auswirkung hat diese Katastrophe auf die Börsen?
Kommen wir damit zu den Auswirkungen dieser Katastrophe auf die Börsen. Und hier zeigt die Börse wieder einmal ihre auf den ersten Blick pervertierte Sichtweise. Ich vermute mal (unter Vorbehalt, ich habe in den letzten zwei Wochen keine Analystenkommentare gelesen), dass viele diese Katastrophe als bearish eingestuft haben. Schließlich soll die Katastrophe das US-Wirtschaftswachstum in diesem Jahr um bis zu 0,5 Prozentpunkte belasten.
Ich sehe es, wie gewohnt, etwas anders: Denn was erleben wir im Moment? Selbst diese unglaubliche Naturkatastrophe, auch der hohe Ölpreis, kann die Börsen nicht ins Straucheln bringen! Der Anschlag in London, steigende Zinsen in den USA, sich deutlich verschlechternde Wirtschaftsdaten, nun diese Hurrikan-Katastrophe und was macht die Börse?
Sie reagiert nicht, sondern steigt sogar noch an. Die Frage, die sich dem geneigten Beobachter stellt, ist: Was muss denn noch alles passieren, damit sie "endlich nachgibt"?
Es gibt so gesehen nur eine einzige Erklärung: Die Börse ist bullish ohne Ende, da sie all diese Katastrophen fast ohne mit der Wimper zu zucken wegstecken kann.
Aber wird diese bullishe Entwicklung auch nachhaltig sein?
Ganz einfach: Börse spielt Zukunft und zwar "wirtschaftliche" Zukunft. Sie können davon ausgehen, dass der Wiederaufbau New Orleans in den nächsten 4-8 Jahre zu einem unglaublichen Boom in der Region führen wird. Schätzungsweise wird sich das schon im nächsten Jahr mit einem Plus von 0,2 Prozentpunkte auf das gesamte US-Wirtschaftswachstum positiv auswirken. Aus diesem Grund wird die Naturkatastrophe in den USA aktuell, wie nahezu alle Katastrophen, von der Börse gekauft.
Sie können der Börse natürlich jetzt ein "menschenverachtendes" Verhalten vorwerfen, angesichts solcher Tragödien an Profit und steigende Kurse zu denken. Andererseits müssen wir froh sein, dass die Börse hier nicht emotional, menschlich reagiert. Denn es würde niemandem etwas bringen, auch den vielen Betroffenen nicht, wenn die Börsen nun stark einbrechen würden. Sinnvoller ist es, dass nun Geld in die Börsen fließt, damit die US-Unternehmen sich auf Investitionen (in dieser Region), Einstellung von Arbeitnehmern etc. konzentrieren und Ressourcen zur Verfügung stellen können, statt sich mit den eigenen Kursverlusten zu beschäftigen. Würde eine solche Katastrophe das Land in eine tiefe Rezession stürzen, dann würde eine nachhaltige Hilfe für die Betroffenen, der Wiederaufbau, die Schaffung neuer Jobs und einer neuen Infrastruktur etc nur erschwert werden. So unmenschlich die Börse auf den ersten Blick auch manchmal mit ihren Reaktionen erscheinen mag, so sinnvoll und funktional kann die Gier auf den zweiten Blick sein.
Doch, ich habe nicht umsonst ein Fragezeichen hinter der ersten Überschrift gemacht: Obwohl all das, was aktuell passiert, sehr bullish ist, obwohl die Märkte anzeigen, dass das Wirtschaftswachstum weltweit offenbar sehr stark ist, so stark, dass die Märkte damit rechnen, es könne auch den Ölpreis verkraften, ist dieser Ölpreis eine der wenigen Gefahren, die ich sehe. Und mein "Gefühl" sagt mir, dass die Weltwirtschaft bei einem Ölpreis von über 70 Dollar anfängt zu "quietschen". Ich sagte es bereits, der Ölpreis wird austesten, was die Wirtschaft noch verkraften kann, wird austesten, wann die Wirtschaft reagiert – offenbar ist bei 70 Dollar eine dieser Grenzen erreicht.
Ein weiter steigender bzw. stabil bleibender Ölpreis kann die weltweiten Märkte abwürgen. Das ist keine Frage. Eine weltweite Energiekrise kann zu einer weltweiten Rezession führen, auch hier besteht kein Zweifel. Noch ist es jedoch zu früh, darauf zu spekulieren, denn noch zeigen die Märkte keine entsprechenden Reaktionen.
Zudem gehe ich davon aus, dass die Fed auf diese US-Katastrophe reagieren wird. Es ist nicht auszuschließen, dass die Fed ihrer Gewohnheit nach bei Katastrophen dem Markt aus oben genannten Gründen "Geld" zur Verfügung stellt, um ein Abrutschen in eine Rezession zu verhindern. Mit anderen Worten, es kann gut sein, dass die Fed weitere Zinserhöhungen aussetzt oder sogar die Zinsen senken wird. Zumindest wird diese Annahme von den Marktteilnehmern so lange gespielt, bis Tatsachen diese Vermutung aushebeln oder stützen. Das zeigt sich übrigens schon deutlich am Dollarkurs, der bereits wesentlich schwächer notiert und beginnt, einen neuen Abwärtstrend auszubilden.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Wir sind immer noch im Bullenmodus. Der Ölpreis bleibt nach wie vor der nicht zu kalkulierende Faktor. Noch sieht es aber ganz gut für die Märkte aus.
Ganz kurz noch zu dem Kanzlerduell
Schröder hat wie erwartet punkten können, Merkel hat wie erwartet die Erwartungen übertreffen können (diese seltsame Konstruktion kennen wir Börsianer von den Konjunkturdaten). Im Ganzen würde ich dieses Medienspektakel überwiegend als ein "Non Event" werten.