KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
"Jeden Tag strammstehen?"
Neutralität in der Wortwahl gilt als heimliche Distanzierung, Skepsis als Charakterschwäche: Die Terroranschläge und der Krieg in Afghanistan haben die US-Medien verändert - konservative Scharfmacher machen Jagd auf jeden, der nicht vorbehaltlos zur Fahne steht.
Jeden Abend, ziemlich genau um 18.30 Uhr, ist es Zeit für die tägliche Presseschau auf dem Nachrichtensender Fox News. Dann blickt Moderator Brit Hume noch ernster als sonst in die Kamera, und aus dem Studio wird eine Art Fernsehkriegsgericht, vor dem sich alle verantworten müssen, denen es nach Meinung des Fox-Anchorman an patriotischer Gesinnung mangelt.
Meist begnügt sich Hume damit, die Beweismittel, die seine Redaktion tagsüber gesammelt hat, bildschirmfüllend einzublenden und in anklagendem Ton zu verlesen. Dass er gern auch mal blank zieht, bewies der Fox-Moderator wieder am Montag vergangener Woche.
Auf die Sekunde genau rechnete er den Konkurrenzsendern vor, wie häufig sie in ihrer Hauptnachrichtensendung Bilder von afghanischen Kriegsopfern gezeigt hatten. "ABC: 15 Minuten und 44 Sekunden", verkündete Hume mit Grabesstimme, "NBC: 8 Minuten und 8 Sekunden, CBS: 4 Minuten und 2 Sekunden". Jede Sekunde sei dabei Beleg für "mangelhaftes journalistisches Urteilsvermögen", lautete das anschließende Verdikt einer Journalistenrunde, die Hume um eine Bewertung bat: "Tote und Verwundete in der Zivilbevölkerung haben grundsätzlich keinen Nachrichtenwert."
Der "Brit Hume Report", eine der populärsten Sendungen des zum Medienreich von Rupert Murdoch gehörenden Fox News Channel, markiert den vorläufigen Höhepunkt einer Debatte über die Frage, wie patriotisch die Presse in Kriegszeiten sein darf oder muss. Nicht nur der Afghanistan-Feldzug und die zweifelhaften Erfolgsmeldungen der Militärs beschäftigen die US-Medien, die Kriegsberichterstattung selbst wird zum Thema.
Dass Unparteilichkeit beim Sammeln und Bewerten von Fakten zu den Grundregeln eines guten Journalismus gehört, ist längst nicht mehr unumstritten. Hingebungsvoll diskutieren Medienkritiker und Publizisten, wie viel Regierungskritik opportun ist und welchen Raum man der Selbstdarstellung der feindlichen Taliban einräumen darf, wozu dann eben auch die Bilder weinender Mütter, bandagierter Kinder und zerstörter Häuser zählen.
Besorgt registrieren Medienexperten eine eigentümliche Umwertung journalistischer Standards, auf deren strikte Einhaltung gerade die amerikanische Presse bislang so stolz war. "Man muss derzeit sehr vorsichtig sein, wie man sich als Journalist äußert, weil jeder alles in alles hineininterpretiert", sagt Robert Lichter, Präsident des "Center for Media and Public Affairs" in Washington. "Wir bewegen uns auf schwankendem Grund."
Neutralität in der Wortwahl gilt plötzlich als heimliche Distanzierung von den amerikanischen Kriegszielen, Skepsis als Charakterschwäche. "America first, journalist second" lautet das Motto, das die Vertreter des neuen Patriotismus ausgeben. Nicht Nachdenklichkeit ist gefragt, sondern das flammende Bekenntnis.
"Wenn mich der Präsident zur Pflicht ruft, stehe ich bereit", verkündete Dan Rather, eines der bekanntesten Fernsehgesichter des Landes, nach den Terroranschlägen auf New York und Washington und erwies sich damit als Trendsetter. Als eine "Mission" versteht der CNBC-Moderator Geraldo Rivera, auch er ein Star der Branche, neuerdings seinen Job.
Weil er dem "Bedürfnis nach Rache" auf seinem Stuhl bei dem Finanzsender nicht genügend nachkommen konnte, kündigte Rivera seinen 6-Millionen-Dollar-Vertrag, um vom 19. November an für Fox News direkt aus Afghanistan zu berichten - eine Entscheidung, die ihm viel Publizität und Schulterklopfen einbrachte. Die CNN-Reporterin Christiane Amanpour hingegen, gerade in Europa von vielen wegen ihres unaufgeregten Stils geschätzt, muss sich in der "New York Post", einer der großen Boulevardzeitungen der USA, als "Kriegs-Schlampe" beschimpfen lassen.
Welche eigentümlichen Formen die neue Patriotismusdebatte mitunter annimmt, zeigt die kurz aufgeflackerte Diskussion, wie man redeunwilligen Terroristen Geständnisse abpressen könne. "Zeit, über die Folter nachzudenken", überschrieb das amerikanische Nachrichtenmagazin "Newsweek" in seiner Ausgabe vom 5. November einen Artikel des Kolumnisten Jonathan Alter. Kaum hatte "Newsweek" den Artikel veröffentlicht, nahmen das National Public Radio und natürlich Fox News das Thema auf, um es in Expertenrunden hin- und herzuwenden.
Dass die Hardliner bislang den Ton angeben, liegt weniger an der Kraft ihrer Argumente, sondern eher an der Aggressivität, mit der sie diese vortragen. Es sind vor allem konservative Journalisten, die unnachsichtig jeden mit Kritik und Häme überziehen, der es an der rechten Begeisterung für "Amerikas neuen Krieg" fehlen lässt: allen voran der einflussreiche Radiomoderator Rush Limbaugh oder die Redakteure der Murdoch-Medien. Unterstützt werden die journalistischen Wachhunde von dem in Louisiana ansässigen Media Research Center, das rund um die Uhr die Programme aller großen Fernsehkanäle auf Verdächtiges auswerten lässt.
Manchmal reicht schon eine unvorsichtige Formulierung oder eine als unangemessen empfundene Bemerkung, um vom Nachrichtenjäger zum Gejagten zu werden. Den Journalisten Tom Gutting, Redakteur bei der "Texas City Sun", kostete ein Kommentar den Job, in dem er Präsident George W. Bush kritisiert hatte, weil der nach den Anschlägen vom 11. September nicht gleich nach Washington zurückgekehrt war.
Der Talkshow-Moderator Bill Maher provozierte einen Sturm der Entrüstung, als er in seiner Sendung "Politically Incorrect" laut überlegte, was nun feiger sei: eine Cruise Missile aus sicherer Entfernung abzuschießen oder ein Flugzeug zu besteigen, um es in ein Hochhaus zu lenken. Ari Fleischer, Sprecher des Weißen Hauses, ermahnte die Amerikaner daraufhin, dass sie "aufpassen sollten, was sie sagen".
David Westin, Nachrichtenchef des zum Disney-Konzern gehörenden Fernsehsenders ABC, sah sich vor wenigen Tagen zu einer wortreichen Entschuldigung genötigt, weil er bei einem Vortrag vor Studenten der Columbia-Universität allzu kühl auf strikte Objektivität als wichtigstes journalistisches Prinzip verwiesen hatte.
Westin hatte auf die Frage, ob er das Pentagon für ein "legitimes Ziel von Terroristen" halte, geantwortet: "Als Journalist kann ich nur sagen, dass es in unserem Job nicht darum geht, Position zu beziehen. Ich bin aufgefordert herauszufinden, was ist und was nicht, und nicht, was sein sollte." Eine "Entgleisung" nannte Westin wenig später auf Druck seiner Vorgesetzten diese Äußerung; das journalistische Prinzip, das er erläutert hatte, bezeichnete er nun, angesichts der "kriminellen, durch nichts zu rechtfertigenden Attacke auf das Pentagon" als "akademisch".
Bei manchen mag es auch die Lust an der Provokation sein, die ihn jetzt den Superpatrioten herauskehren lässt. Das Mediengeschäft verlangt ständig nach neuen Bildern und Themen. Wo diese ausbleiben, sorgen eben die Journalisten selbst für Höhepunkte. Irritierend ist nur, dass die Provokation in lediglich eine Richtung geduldet wird.
Manche Journalisten fühlen sich bereits an die unselige McCarthy-Zeit erinnert, in der selbst ernannte Saubermänner überall in der Medien- und Unterhaltungsindustrie "unamerikanische Umtriebe" witterten. "Ein Fehltritt, und schon hast du diese Jungs von der Patriotismuspolizei im Nacken, die dich zur Strecke bringen wollen", klagt Erik Sorenson, Chef des Nachrichtenkanals MSNBC. "Die Fakten auf die Reihe zu bekommen ist bei diesem Krieg schwer genug. Ich will mich nicht noch fragen müssen, ob ich ordentlich salutiert habe. Soll ich jetzt jeden Tag strammstehen?"
Auch wenn die Verantwortlichen bei den großen TV-Stationen beteuern, die Kritik von rechts habe keinen Einfluss auf ihre Berichterstattung - intern steuern sie längst um. Vorletzte Woche forderte CNN-Chef Walter Isaacson seine Korrespondenten in einem Memo auf, jeden Anschein zu vermeiden, dass der Sender den amerikanischen Militäreinsatz in Frage stelle.
Der Anweisung aus dem CNN-Hauptquartier, sich "nicht zu sehr auf die Opfer und das Elend in Afghanistan zu konzentrieren", folgte eine Sprachregelung des für "journalistische Standards und Regeln" zuständigen Redaktionsmanagers Richard Davis. "Die amerikanische Militäraktion ist eine Antwort auf den Terroranschlag, der 5000 unschuldige Menschen in den USA getötet hat", lautete einer der Vorschläge für künftige Abmoderationen von Korrespondentenberichten. Oder alternativ: "Das Pentagon hat stets betont, dass es die Zahl der Opfer in der Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten versucht."
Welche Rücksicht die Nachrichtenkanäle auf die gewandelte Stimmung im Lande nehmen, zeigt auch die prompte Einwilligung, Videos der Terrororganisation al-Qaida nur noch nach "sorgfältiger Bearbeitung" zu senden - so wie es die Sicherheitsberaterin des Präsidenten, Condoleezza Rice, Mitte Oktober erbeten hatte.
Die Sender kommen der Bitte um Selbstzensur inzwischen ziemlich gründlich nach: Von der jüngsten Bin-Laden-Rede, die am vorletzten Wochenende fast überall auf der Welt wenigstens in Auszügen zu sehen war, übertrugen die meisten US-Stationen nur ein Standbild. Ein Video, das am vergangenen Mittwoch auftauchte und angeblich einige Söhne Bin Ladens zeigte, strahlten die Networks in einer auf wenige Sekunden zusammengeschnittenen Fassung aus. Fox News brachte gar nichts. "Im Gegensatz zu anderen sind wir nicht dazu da, um Propaganda für die Taliban zu betreiben", erklärte eine Sprecherin des Senders.
Die Networks treibt bei der strengen Bildauswahl weniger die Sorge, feindlicher Propaganda aufzusitzen. Es ist die Angst, im Kampf um die Gunst der Zuschauer zu unterliegen. Tatsächlich geht es bei der Patriotismusdebatte nicht nur um Meinungsführerschaft und die rechte Gesinnung, es geht in erster Linie um Quoten und Marktmacht.
Anders als etwa die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland oder die BBC, die in Amerika ebenfalls über Kabel zu empfangen ist, finanzieren sich die amerikanischen Nachrichtenkanäle allein über Werbeeinnahmen, und die Finanzlage ist angespannt. Rund 320 Millionen Dollar haben die Fernsehstationen allein in den ersten drei Tagen nach den Anschlägen vom 11. September an Werbegeldern eingebüßt. Gleichzeitig lässt die Berichterstattung aus dem Kriegsgebiet die Kosten nach oben schnellen.
Nimmt man die Leser- und Zuschauerpost als Gradmesser für die Befindlichkeit des Publikums, dann ist das Ergebnis eindeutig: Nur eine Minderheit beklagt, schlecht informiert zu sein. Was die Leute aufbringt, sind Artikel und Sendungen, die nach ihrer Meinung das Ansehen oder die Sicherheit der US-Soldaten gefährden. Bei jüngsten Umfragen von Meinungsforschern gaben 60 Prozent der Befragten an, dass die Streitkräfte und nicht etwa die Medien entscheiden sollten, welche Informationen zum Kriegseinsatz veröffentlicht werden. 84 Prozent der Amerikaner befürworten eine stärkere Selbstzensur und wünschen, dass mehr Beiträge "gefiltert" werden sollten.
Auch die Printmedien tragen der Empfindlichkeit ihres Publikums inzwischen Rechnung. In übersichtlichen Schaubildern präsentierten viele Zeitungen in der vergangenen Woche die Waffen der amerikanischen Streitkräfte. Eine ausführliche Beschreibung, welche verheerenden Wirkungen etwa die gefürchteten Cluster-Bomben bei der Detonation anrichten, blieb den Lesern bisher erspart.
Selbst die führenden Tageszeitungen des Landes, die "New York Times" etwa oder die "Washington Post", halten sich inzwischen mit Kritik am Präsidenten erkennbar zurück. Die Veröffentlichung einer gemeinsam betriebenen Nachzählung der umstrittenen Präsidentenwahl in Florida, die Aufschluss darüber gegeben hätte, ob Bush die Wahl wirklich gewonnen hat, wurde auf "unbestimmte Zeit" verschoben, wie es in einer kurzen Notiz in der "New York Times" hieß.
Das Ergebnis, das eigentlich schon Mitte September bekannt gegeben werden sollte, sei nun "irrelevant", erklärte die Zeitung.
Quelle: spiegel.de
JAN FLEISCHHAUER