Aktien-Strategen üben Bescheidenheit

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mothy:

Aktien-Strategen üben Bescheidenheit

 
21.12.01 13:32
Aus der FTD vom 21.12.2001  
Aktien-Strategen üben Bescheidenheit

Die Finanzmärkte setzen voll auf die Konjunktur in den USA. Nach langer Baisse zeichnen sich für Aktien teils gute, teils mäßige Chancen ab.

Nach zwei enttäuschenden Jahren machen die Strategen führender Investmenthäuser den Aktienanlegern Mut. Hauptgrund für ihren Optimismus: Die Konjunkturerholung in den USA, die sie für die zweite Hälfte 2002 erwarten. Allerdings bedeutet diese Prognose nicht automatisch, dass mit einer Anlage in Aktien am Jahresende ein dickes Plus auf der Portfolioabrechnung steht. Analysten und Strategen sprechen eher von einem "verhaltenen Optimismus". Joachim Fels, Volkswirt für Europa bei Morgan Stanley, warnt: Von der Erwartung, die Aktienmärkte könnten wie in den späten 90er Jahren regelmäßig zweistellige prozentuale Gewinnsteigerungen im Jahr erreichen, müssten sich die Anleger verabschieden.

 

Konjukturzyklus bestimmt Investments


Für 2002 Jahr erwartet Richard Turnill, Leiter Asset Allocation bei Merrill Lynch Investment Managers, dass Aktien auf Grund ihrer derzeit relativen Bewertung zu Bonds den Investoren erstmals seit zwei Jahren wieder eine bessere Rendite einbringen werden. "Über die nächsten fünf Jahre wird die Aktienrendite mit real bis zu 9 Prozent gegenüber Bonds sechs Prozentpunkte mehr Gewinn einbringen." Auch Fels von Morgan Stanley erwartet einen guten Start am Aktienmarkt: Gemessen am MSCI-Index könne die Aufwärtsentwicklung in den ersten Monaten 2002 bis zu 15 Prozent erreichen. Der MSCI-World-Index hat dieses Jahr 18,4 Prozent verloren.



Ursachen der Erholung


Auf Grund der erwarteten Konjunkturerholung werden nach einem Jahr der defensiven Werte vor allem traditionelle Zykliker gefragt sein. Dazu zählen Produzenten von Grundstoffen wie Stahl und Papier sowie Industrieunternehmen. Merrill Lynch schätzt, dass die US-Konjunktur 2002 im Durchschnitt um 0,9 Prozent expandieren wird. In der zweiten Jahreshälfte werde die Rate bei 5 Prozent liegen. Für die Euro-Zone erwartet das Brokerhaus ein Wachstum von 1 Prozent, in Japan eine Kontraktion um 1,5 Prozent.


Geht es mit der Konjunktur in den USA und Europa wieder aufwärts, dürften auch die Unternehmensgewinne wieder steigen. Die fehlende Preismacht der Unternehmen wird laut Turnill das Aufwärtspotenzial am Aktienmarkt jedoch begrenzen.


Für 2002 erwarten die Experten von Citigroup ein Gewinnwachstum je Aktie von 4,7 Prozent für die US-Unternehmen, von 8,6 Prozent für Europa und von 11,8 Prozent für die Euro-Zone. In Japan sagen sie stagnierende Unternehmensgewinne voraus. Allerdings hat dieses Jahr gezeigt, wie wenig verlässlich diese Prognosen sind. Anfang 2001 seien die Experten noch von einem Wachstum der US-Unternehmensgewinne von 10 Prozent ausgegangen, sagt Turnill. Tatsächlich sind sie aber um knapp 20 Prozent gesunken.



Keine Prognose ohne warnende Werte


Wohlwissend, dass ihre Prognosen nicht immer zutreffen, sichern sich die Strategen mit warnenden Worten ab. Turnill dazu: "Das größte Risiko ist, dass ein Ereignis eintritt, das wir einfach nicht vorhersagen können." Zu so einem Ereignis könnten sich die Nahostkrise, die Quasi-Zahlungsunfähigkeit Argentiniens sowie Kriege im Gefolge der Terroranschläge vom 11. September entwickeln. Bisher hat die Schieflage von Argentinien andere Schwellenländer nicht angesteckt. Die Gefahr besteht aber weiterhin.


David Bowers von Merrill Lynch hält die Konjunkturerholung in den USA zwar für wahrscheinlich, ist sich aber hinsichtlich ihres Ausmaßes unsicher. "Es besteht das Risiko, dass weder der US-Verbraucher noch die Investitionstätigkeit derzeit in der Verfassung sind, die Lokomotive für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstums zu sein", schreibt der leitende Investmentstratege der Bank.


Die steigende Arbeitslosigkeit werde die Kaufkraft der Verbraucher ebenfalls schwächen, warnt Bowers. Massenentlassungen sorgten dafür, dass die Arbeitslosigkeit im Dezember den höchsten Stand seit 1995 erreichte. Der besondere Charakter der Rezession 2001 mache Vorhersagen schwierig, sagt Fred Breimyer. "Die letzte investitionsseitige Rezession hat im 19. Jahrhundert stattgefunden", fügt der Chef-Volkswirt von State Street hinzu.



Finanzmärkte stellen sich taub


Die Finanzmärkte wollen diese Warnungen derzeit nicht hören. In den vergangenen Wochen haben sowohl Renten als auch Aktien die erwartete Konjunkturerholung zu stark vorweggenommen. Seit den Tiefständen vom 21. September haben der Dax und der S&P 500 große Teile ihrer Jahresverluste wieder wettgemacht.


Bei den Renten hat der US-Bondmarkt das Geschehen bestimmt. "Es gibt nur noch einen einzigen globalen Bondmarkt", sagt Jan Loeys, Global Fixed Income Strategist bei JP Morgan. Den Tiefpunkt erreichten die Renditen Anfang November, als die Furcht vor einer tiefen Rezession in den USA und die Nachwehen der Terroranschläge die Investoren in den sicheren Hafen der Rentenmärkte trieben. Seither hat sich das Bild jedoch gewandelt, die Renditen zehnjähriger Papiere sind regelrecht explodiert und befinden sich jetzt in den USA und der Euro-Zone etwa auf dem Niveau vom Jahresbeginn. Kurzläufer rentieren allerdings noch deutlich darunter.


Unter regionalen Aspekten wird die Euro-Zone im kommenden Jahr klar vor den USA favorisiert, ganz im Gegensatz zu 2001. Vor allem die in den ersten Monaten erwarteten Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank sprechen für eine "Outperformance" der Renten diesseits des Atlantiks. Auch dürfte sich die Konjunktur in Europa weniger schnell erholen als in den USA.



Der Hit 2002: Coporate Bonds


Wie viele andere Investmentbanken auch sieht Merrill Lynch im Markt für Unternehmensanleihen ein großes Gewinnpotenzial. Angesichts der Konjunkturerholung und der Suche der Anleger nach höheren Renditen versprechen "corporate bonds" die Gewinner des Jahres 2002 zu werden. "Obwohl Aktien im Vergleich zu Staatsanleihen sich ihrem 15-Jahres-Tief nähern, sind sie gegenüber Unternehmensanleihen nicht billig", sagte Albert Edwards, globaler Aktienstratege bei Dresdner Kleinwort Wasserstein. "Käufer von Corporate Bonds haben im Vergleich zu Aktienanlegern eine viel höhere Risikoprämie dafür verlangt, dass sie in in einen zyklischen Vermögenswert investieren. Wieso sollte man sich dann nicht für ein Unternehmensinvestment entscheiden, bei dem man für das Risiko bezahlt wird - sprich für Corporate Bonds?"


Im neuen Jahr werden sich die zwei Hauptimpulsgeber für die Anleihemärkte in ihrer Wirkung etwas entgegenstehen. So könnte die US-Notenbank Fed angesichts der Konjunkturbeschleunigung die Zinsen zum Jahresende wieder erhöhen."Im Laufe des nächsten Jahres werden die Zinsen wieder nach oben gehen", sagt James Quigley, Rentenexperte bei Merrill Lynch. "Aber bis zum dritten Quartal werden sie auf einem niedrigen Niveau bleiben."



Positive Preisentwicklung


Positiv dürfte dagegen die Preisentwicklung wirken. Fast alle großen Banken erwarten, dass auch angesichts des niedrigen Ölpreises die moderat bleibende Inflation insbesondere längere Laufzeiten unterstützen wird. Ian Harwood, Volkswirt bei Dresdner Kleinwort Wasserstein, sagt für nächstes Jahr einen durchschnittlichen Ölpreis von 19 $ je Barrel (ein Barrel entspricht 159 Litern) und für das Jahr 2003 von 17 $ voraus.


Zum Vergleich: Anfang Februar diesen Jahres hatte der Spotpreis für ein Barrel Nordsee-Öl der Sorte Brent noch mehr als 30 $ gekostet. Jetzt werden rund 18 $ gezahlt.


Am Devisenmarkt konzentriert sich das Interesse auf den fortgesetzten Absturz des Yen - darin sind sich die Experten weitgehend einig. Der weitere Werdegang des Euro dürfte dagegen weniger spektakulär ausfallen. "Es sind keine Euro-Bullen mehr übrig geblieben", sagte der Devisenstratege einer Londoner Investmentbank. Investmenthäuser wie die Deutsche Bank, JP Morgan oder auch die Citibank in London prognostizieren für das Jahresende 2002 Euro-Kurse zwischen 96 US-Cent und der Parität. Damit würde die Währung knapp über dem Niveau von Anfang 2001 liegen, aber klar höher als die aktuellen Kurse von knapp über 90 US-Cent. Einzig Dresdner Kleinwort Wasserstein ist pessimistisch und rechnet damit, dass sich der Euro abschwächt und am Jahresende nur noch bei 82 US-Cent notiert.


Der Yen schwächte sich in den vergangenen Monaten bereits kräftig ab. Ein Dollar kostete zu Jahresbeginn noch etwas weniger als 114 Yen, jetzt müssen rund 128 Yen bezahlt werden. Und diese Entwicklung wird sich nach einhelliger Meinung der Experten auch 2002 fortsetzen. Notierungen nahe an oder sogar über 130 Yen werden als sehr wahrscheinlich angesehen. Dabei sind es vor allem strukturelle Probleme, die für den katastrophalen Zustand der japanischen Konjunktur und damit auch für die Kursverluste verantwortlich gemacht werden. Die Regierung hat bereits des öfteren signalisiert, dass sie einen deutlich schwächeren Yen nicht mehr ablehnen würde. Und selbst die USA scheinen sich damit anfreunden zu können.

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