Aktien sind gemessen am Fed-Modell im Vergleich zu Anleihen günstig
Fed-Modell signalisiert Unterbewertung / "Kein Kaufsignal" / Zu hohe Gewinnerwartungen
ruh. FRANKFURT, 22. November. Aktien sind derzeit günstig bewertet. Dieser Schluß drängt sich zumindest auf bei einem Vergleich der Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) der Dividendentitel mit den Renditen, die mit Staatsanleihen zu erzielen sind. Marktstrategen der Banken errechnen für den Dax eine relative Unterbewertung von bis zu 50 Prozent. So ergeben die Analystenschätzungen der Unternehmensgewinne auf Basis der kommenden zwölf Monate ein Dax-KGV von knapp 15. Zehnjährige deutsche Staatsanleihen rentieren dagegen mit 4,50 Prozent. Das entspricht einem Kurs-Rendite-Verhältnis von 22. Der Vergleich ist aufschlußreich, weil Aktien- und Renten-Märkte um das knappe Geld der Anleger konkurrieren. Die Bewertungen sollten sich also - so die Theorie - annähern. Doch selbst starke Abweichungen können lange andauern, heißt es in einer Studie der Deutschen Bank.
Grundlage solcher Analysen ist das sogenannte Fed-Modell. Es geht davon aus, daß Veränderungen des Zinsniveaus die Renditeerwartungen der Aktieninvestoren beeinflussen. Bei steigenden Anleiherenditen wollen sie demnach bei den Unternehmen wachsende Erträge sehen, oder sie sind bei stagnierenden Gewinnen nur dann bereit zu kaufen, wenn der Preis der Dividendentitel fällt. Auf Basis dieser Betrachtung hat der amerikanische Notenbank-Präsident Alan Greenspan in den späten neunziger Jahren erstmals vor "irrationalem Überschwang" (irrational exuberance) der Aktienmärkte gewarnt. Damals war die KGV-Bewertung der Aktien zeitweise 70 Prozent höher als die Bewertung der Anleihen.
Inzwischen signalisiert das Fed-Modell eher eine "irrationale Untertreibung". Die Deutsche Bank hat für europäische Aktien eine relative Unterbewertung von rund 40 Prozent errechnet. Das sei der höchste Wert seit 1988. Daraus könne allerdings nicht abgeleitet werden, daß das Aufwärtspotential der Aktienkurse ebenso groß ist, sagt Bernd Meyer, Autor der Studie. Die Gewinnschätzungen der Analysten seien vermutlich (um 20 Prozent) zu optimistisch, und zudem sei es gut möglich, daß die Anleiherenditen wieder auf 5 Prozent steigen werden. Doch selbst wenn diese Faktoren berücksichtigt würden, betrage die Unterbewertung der Aktien im Vergleich zu Anleihen immer noch 15 bis 20 Prozent.
"Ein klares Kaufsignal und ein Indiz für eine baldige Trendwende ist das zwar nicht", sagt Christoph Hott, Leiter der Anlagestrategie bei der Privatbank Sal. Oppenheim. "Aber es ist zumindest eine Warnlampe: Wir befinden uns in einer extremen Phase." Auch Hott rät allerdings, die Gewinnschätzungen der Analysten, mit großer Vorsicht zu genießen. Ihre Arbeit sei hilfreich, die Prognosen seien aber ein nachlaufender Indikator. Die meisten Analysten paßten sich mit ihren Schätzungen der Kursentwicklung mit einer Verspätung von drei bis sechs Monaten an.
Das Fed-Modell hat dennoch einen - wenn auch begrenzten - Aussagewert. So haben die Strategen der Deutschen Bank für die vergangenen 20 Jahre eine signifikante Korrelation zwischen der Höhe der Unter- oder Überbewertung der Aktienmärkte und der folgenden Kursentwicklung nachgewiesen: Wenn in der Vergangenheit die Aktienmärkte, gemessen am Fed-Modell, unterbewertet waren, gab es in der Mehrzahl der Fälle in den folgenden drei Monaten Kursgewinne.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.11.2002, Nr. 273 / Seite 21
Fed-Modell signalisiert Unterbewertung / "Kein Kaufsignal" / Zu hohe Gewinnerwartungen
ruh. FRANKFURT, 22. November. Aktien sind derzeit günstig bewertet. Dieser Schluß drängt sich zumindest auf bei einem Vergleich der Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) der Dividendentitel mit den Renditen, die mit Staatsanleihen zu erzielen sind. Marktstrategen der Banken errechnen für den Dax eine relative Unterbewertung von bis zu 50 Prozent. So ergeben die Analystenschätzungen der Unternehmensgewinne auf Basis der kommenden zwölf Monate ein Dax-KGV von knapp 15. Zehnjährige deutsche Staatsanleihen rentieren dagegen mit 4,50 Prozent. Das entspricht einem Kurs-Rendite-Verhältnis von 22. Der Vergleich ist aufschlußreich, weil Aktien- und Renten-Märkte um das knappe Geld der Anleger konkurrieren. Die Bewertungen sollten sich also - so die Theorie - annähern. Doch selbst starke Abweichungen können lange andauern, heißt es in einer Studie der Deutschen Bank.
Grundlage solcher Analysen ist das sogenannte Fed-Modell. Es geht davon aus, daß Veränderungen des Zinsniveaus die Renditeerwartungen der Aktieninvestoren beeinflussen. Bei steigenden Anleiherenditen wollen sie demnach bei den Unternehmen wachsende Erträge sehen, oder sie sind bei stagnierenden Gewinnen nur dann bereit zu kaufen, wenn der Preis der Dividendentitel fällt. Auf Basis dieser Betrachtung hat der amerikanische Notenbank-Präsident Alan Greenspan in den späten neunziger Jahren erstmals vor "irrationalem Überschwang" (irrational exuberance) der Aktienmärkte gewarnt. Damals war die KGV-Bewertung der Aktien zeitweise 70 Prozent höher als die Bewertung der Anleihen.
Inzwischen signalisiert das Fed-Modell eher eine "irrationale Untertreibung". Die Deutsche Bank hat für europäische Aktien eine relative Unterbewertung von rund 40 Prozent errechnet. Das sei der höchste Wert seit 1988. Daraus könne allerdings nicht abgeleitet werden, daß das Aufwärtspotential der Aktienkurse ebenso groß ist, sagt Bernd Meyer, Autor der Studie. Die Gewinnschätzungen der Analysten seien vermutlich (um 20 Prozent) zu optimistisch, und zudem sei es gut möglich, daß die Anleiherenditen wieder auf 5 Prozent steigen werden. Doch selbst wenn diese Faktoren berücksichtigt würden, betrage die Unterbewertung der Aktien im Vergleich zu Anleihen immer noch 15 bis 20 Prozent.
"Ein klares Kaufsignal und ein Indiz für eine baldige Trendwende ist das zwar nicht", sagt Christoph Hott, Leiter der Anlagestrategie bei der Privatbank Sal. Oppenheim. "Aber es ist zumindest eine Warnlampe: Wir befinden uns in einer extremen Phase." Auch Hott rät allerdings, die Gewinnschätzungen der Analysten, mit großer Vorsicht zu genießen. Ihre Arbeit sei hilfreich, die Prognosen seien aber ein nachlaufender Indikator. Die meisten Analysten paßten sich mit ihren Schätzungen der Kursentwicklung mit einer Verspätung von drei bis sechs Monaten an.
Das Fed-Modell hat dennoch einen - wenn auch begrenzten - Aussagewert. So haben die Strategen der Deutschen Bank für die vergangenen 20 Jahre eine signifikante Korrelation zwischen der Höhe der Unter- oder Überbewertung der Aktienmärkte und der folgenden Kursentwicklung nachgewiesen: Wenn in der Vergangenheit die Aktienmärkte, gemessen am Fed-Modell, unterbewertet waren, gab es in der Mehrzahl der Fälle in den folgenden drei Monaten Kursgewinne.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.11.2002, Nr. 273 / Seite 21