Seite 30/ Süddeutsche Zeitung Nr. 194 vom Donnerstag, den 24.08.2000
Ärger mit der Handelsplattform Xetra
Banken täuschen Anleger mit unrealistischen Kursen
Deutsche Börse erteilt Abmahnungen wegen Missbrauchs des Betreuersystems / Experten sprechen von „gängiger Praxis“ / Von Robert Jacobi (editiert)
München – Zwei Banken haben das Betreuersystem der Handelsplattform Xetra offenbar missbraucht und Anleger massiv getäuscht. Die
Computerprogramme der Institute stellten unrealistische Kurse und erweckten den falschen Eindruck hoher Liquidität für einzelne Werte. Experten
bezeichnen dies als „gängige Praxis“.
Die Deutsche Börse hat Abmahnungen wegen Missbrauchs gegen beide Banken ausgesprochen, ohne die Namen der Institute zu nennen.
Vertreter der Handelsüberwachung hatten die Täuschungsmanöver aufgedeckt. Nach ihren Angaben führt diese Praxis das Betreuersystem „ad
absurdum“. Einige Banken benutzen demnach das System, um vordergründig mit einer erfolgreichen Betreuertätigkeit zu werben. Dabei kamen sie
aber den vorgesehenen Aufgaben nicht nach.
Die Börse hatte die so genannten Designated Sponsors eingeführt, um auch Privatanleger mit dem Argument in das Xetra-System zu locken, dass
die Betreuer bei kleinen Werten stets Kurse stellten und für Liquidität sorgten. Kaum ein Anleger bleibe nunmehr auf seinen Aktien sitzen, wenn er
sie verkaufen wolle, verkündete die Börse seinerzeit. Am Neuen Markt dürfen sogar nur Unternehmen notieren, die einen Betreuer nachweisen.
Die Banken kassieren Gebühren von den betreuten Firmen. Um den Profit zu steigern, überlassen sie die Betreuung häufig speziellen Computern
(Quote Machines), die von den abgemahnten Firmen unzulässig programmiert wurden. Ein Beispiel veranschaulicht den Ablauf des Missbrauchs,
der den Anlegern unfaire Kurse aufzwingt. Für eine bestimmte Aktie liegen im Orderbuch des Computersystem Xetra Kaufaufträge mit einem Limit
bis zu 95 Euro vor, da die Anleger keinesfalls teurer kaufen wollen. Es gibt aber keinen Marktteilnehmer, der seine Anteile für unter 100 Euro
verkaufen würde. Ein Geschäft kommt wegen der Preisdifferenz nicht zustande. In dieser Situation sollte der Betreuer aktiv werden und selbst als
Handelspartner auftreten, damit die Aktie liquide bleibt und nicht auf einem Kurs verharrt.
Die Banken, die als Betreuer tätig sind, wollen aber oftmals kein Risiko eingehen und sich nicht über das System ein Geschäft aufzwingen lassen.
Folglich programmieren sie die Quote Machines, die ihr jeweiliges Kursangebot errechnen, derart, dass der gestellte Verkaufskurs automatisch
unter dem angegebenen Limit liegt. Im Beispiel würde der vom Betreuer gebotene Verkaufskurs auf 94 Euro und der Kaufkurs auf 101 Euro
springen. So vermeidet die Bank, selbst Aktien kaufen oder verkaufen zu müssen. Erhöht der Anleger das Limit auf 96 Euro, da er dringend kaufen
will, springt der Kurs des Betreuers auf 95 Euro.
Diese Prozedur wiederholt sich, so dass die Order des Anlegers immer wieder abprallt, auch wenn dieser das Limit heraufsetzt. Erst wenn die
Preisspanne sich angleicht und die ersten Anleger dann doch zu 100 Euro kaufen wollen, kommt ein Geschäft zustande. Allerdings ist nicht mehr
die betreuende Bank der Handelspartner, sondern der Anleger, der schon zuvor seine Aktien für 100 Euro zum Verkauf angeboten hatte.
Die Betreuer erfüllen damit nur scheinbar ihre Aufgabe: Die Preisspanne gleicht sich an, und die häufigen Kursbewegungen deuten auf eine hohe
Liquidität hin. Die Banken erhalten folglich ein gutes Rating für ihre Betreuertätigkeit (Kasten), obwohl sie massiv manipuliert und den Wert selbst
überhaupt nicht gehandelt haben.
Investoren verlieren Geld
Die Anleger sind wiederum die Leidtragenden dieser Praxis: Der Kurs wird künstlich in kleinen Schritten nach oben getrieben. Wenn die Bank ihre
Betreueraufgabe tatsächlich wahrgenommen hätte, wäre der Kaufpreis weit günstiger ausgefallen. Zudem denkt der Anleger, er würde in einen
liquiden Wert investieren. Da diese Werte aufgrund eines geringen Risikos bei einem späteren Verkauf meist zu besseren Preisen gehandelt werden
als illiquide Werte, hat der Anleger in doppelter Hinsicht das Nachsehen.
Ein finanziell weit größerer Verlust entsteht Anlegern, die ihre Papiere in einer der mehrmals täglich auf Xetra abgehaltenen Auktionen verkaufen
wollen. Bei kleinen Werten bleibt das Orderbuch gelegentlich vor der Auktion leer, weshalb der Betreuer eine bestimmte Kursspanne stellt,
beispielsweise 45 Euro zu 50 Euro. Der Anleger verlässt sich möglicherweise auf diese Spanne und gibt seinen Auftrag ohne Limit ab. Der Betreuer
registriert diese Order und senkt den Ankaufskurs auf 40 Euro.
Da die Transaktion erst zum Ende der Auktion abgewickelt wird, kann der Betreuer den Ankaufpreis schrittweise weiter herabsetzen. Auf diese
Weise kann sich der Ankaufskurs im Beispiel künstlich auf 35 Euro reduzieren. Jetzt wird die betreuende Bank aktiv, um ein Schnäppchen zu
machen. Der Anleger erhält nur 35 Euro je Aktie, obwohl er einen weit höheren Ertrag erwartet hatte.
Anlegerschützer sehen dadurch die häufig wiederholte Mahnung bestätigt, niemals Wertpapierorders ohne Limits abzugeben. Allerdings bleibt auch
bei limitierten Orders ein gewisser Spielraum für den Missbrauch, da die Anleger die genauen Marktbewegungen bei der Setzung des Limits nicht
kennen.
„Diese Kursmanipulation ist täglich feststellbar“, sagte ein führender Kursmakler im Gespräch mit der SZ. Auch bekannte Geschäftsbanken
betrieben diesen Missbrauch, um Geld zu sparen. Die Emittenten der Wertpapiere zahlten den Banken für die Bertreuertätigkeit rund 50 000 DM im
Jahr. Eine intensive Betreuung, die nicht von einem Computer, sondern von einem aufmerksamen Händler ausgeführt werde, koste dagegen schnell
über 100 000 DM. „Das Betreuersystem funktioniert nicht und schädigt den Markt“, urteilte der Makler.
© Süddeutsche Zeitung GmbH / SV online GmbH
www.sueddeutsche.de/aktuell/...me=967125023&id=967060001.94807
Ärger mit der Handelsplattform Xetra
Banken täuschen Anleger mit unrealistischen Kursen
Deutsche Börse erteilt Abmahnungen wegen Missbrauchs des Betreuersystems / Experten sprechen von „gängiger Praxis“ / Von Robert Jacobi (editiert)
München – Zwei Banken haben das Betreuersystem der Handelsplattform Xetra offenbar missbraucht und Anleger massiv getäuscht. Die
Computerprogramme der Institute stellten unrealistische Kurse und erweckten den falschen Eindruck hoher Liquidität für einzelne Werte. Experten
bezeichnen dies als „gängige Praxis“.
Die Deutsche Börse hat Abmahnungen wegen Missbrauchs gegen beide Banken ausgesprochen, ohne die Namen der Institute zu nennen.
Vertreter der Handelsüberwachung hatten die Täuschungsmanöver aufgedeckt. Nach ihren Angaben führt diese Praxis das Betreuersystem „ad
absurdum“. Einige Banken benutzen demnach das System, um vordergründig mit einer erfolgreichen Betreuertätigkeit zu werben. Dabei kamen sie
aber den vorgesehenen Aufgaben nicht nach.
Die Börse hatte die so genannten Designated Sponsors eingeführt, um auch Privatanleger mit dem Argument in das Xetra-System zu locken, dass
die Betreuer bei kleinen Werten stets Kurse stellten und für Liquidität sorgten. Kaum ein Anleger bleibe nunmehr auf seinen Aktien sitzen, wenn er
sie verkaufen wolle, verkündete die Börse seinerzeit. Am Neuen Markt dürfen sogar nur Unternehmen notieren, die einen Betreuer nachweisen.
Die Banken kassieren Gebühren von den betreuten Firmen. Um den Profit zu steigern, überlassen sie die Betreuung häufig speziellen Computern
(Quote Machines), die von den abgemahnten Firmen unzulässig programmiert wurden. Ein Beispiel veranschaulicht den Ablauf des Missbrauchs,
der den Anlegern unfaire Kurse aufzwingt. Für eine bestimmte Aktie liegen im Orderbuch des Computersystem Xetra Kaufaufträge mit einem Limit
bis zu 95 Euro vor, da die Anleger keinesfalls teurer kaufen wollen. Es gibt aber keinen Marktteilnehmer, der seine Anteile für unter 100 Euro
verkaufen würde. Ein Geschäft kommt wegen der Preisdifferenz nicht zustande. In dieser Situation sollte der Betreuer aktiv werden und selbst als
Handelspartner auftreten, damit die Aktie liquide bleibt und nicht auf einem Kurs verharrt.
Die Banken, die als Betreuer tätig sind, wollen aber oftmals kein Risiko eingehen und sich nicht über das System ein Geschäft aufzwingen lassen.
Folglich programmieren sie die Quote Machines, die ihr jeweiliges Kursangebot errechnen, derart, dass der gestellte Verkaufskurs automatisch
unter dem angegebenen Limit liegt. Im Beispiel würde der vom Betreuer gebotene Verkaufskurs auf 94 Euro und der Kaufkurs auf 101 Euro
springen. So vermeidet die Bank, selbst Aktien kaufen oder verkaufen zu müssen. Erhöht der Anleger das Limit auf 96 Euro, da er dringend kaufen
will, springt der Kurs des Betreuers auf 95 Euro.
Diese Prozedur wiederholt sich, so dass die Order des Anlegers immer wieder abprallt, auch wenn dieser das Limit heraufsetzt. Erst wenn die
Preisspanne sich angleicht und die ersten Anleger dann doch zu 100 Euro kaufen wollen, kommt ein Geschäft zustande. Allerdings ist nicht mehr
die betreuende Bank der Handelspartner, sondern der Anleger, der schon zuvor seine Aktien für 100 Euro zum Verkauf angeboten hatte.
Die Betreuer erfüllen damit nur scheinbar ihre Aufgabe: Die Preisspanne gleicht sich an, und die häufigen Kursbewegungen deuten auf eine hohe
Liquidität hin. Die Banken erhalten folglich ein gutes Rating für ihre Betreuertätigkeit (Kasten), obwohl sie massiv manipuliert und den Wert selbst
überhaupt nicht gehandelt haben.
Investoren verlieren Geld
Die Anleger sind wiederum die Leidtragenden dieser Praxis: Der Kurs wird künstlich in kleinen Schritten nach oben getrieben. Wenn die Bank ihre
Betreueraufgabe tatsächlich wahrgenommen hätte, wäre der Kaufpreis weit günstiger ausgefallen. Zudem denkt der Anleger, er würde in einen
liquiden Wert investieren. Da diese Werte aufgrund eines geringen Risikos bei einem späteren Verkauf meist zu besseren Preisen gehandelt werden
als illiquide Werte, hat der Anleger in doppelter Hinsicht das Nachsehen.
Ein finanziell weit größerer Verlust entsteht Anlegern, die ihre Papiere in einer der mehrmals täglich auf Xetra abgehaltenen Auktionen verkaufen
wollen. Bei kleinen Werten bleibt das Orderbuch gelegentlich vor der Auktion leer, weshalb der Betreuer eine bestimmte Kursspanne stellt,
beispielsweise 45 Euro zu 50 Euro. Der Anleger verlässt sich möglicherweise auf diese Spanne und gibt seinen Auftrag ohne Limit ab. Der Betreuer
registriert diese Order und senkt den Ankaufskurs auf 40 Euro.
Da die Transaktion erst zum Ende der Auktion abgewickelt wird, kann der Betreuer den Ankaufpreis schrittweise weiter herabsetzen. Auf diese
Weise kann sich der Ankaufskurs im Beispiel künstlich auf 35 Euro reduzieren. Jetzt wird die betreuende Bank aktiv, um ein Schnäppchen zu
machen. Der Anleger erhält nur 35 Euro je Aktie, obwohl er einen weit höheren Ertrag erwartet hatte.
Anlegerschützer sehen dadurch die häufig wiederholte Mahnung bestätigt, niemals Wertpapierorders ohne Limits abzugeben. Allerdings bleibt auch
bei limitierten Orders ein gewisser Spielraum für den Missbrauch, da die Anleger die genauen Marktbewegungen bei der Setzung des Limits nicht
kennen.
„Diese Kursmanipulation ist täglich feststellbar“, sagte ein führender Kursmakler im Gespräch mit der SZ. Auch bekannte Geschäftsbanken
betrieben diesen Missbrauch, um Geld zu sparen. Die Emittenten der Wertpapiere zahlten den Banken für die Bertreuertätigkeit rund 50 000 DM im
Jahr. Eine intensive Betreuung, die nicht von einem Computer, sondern von einem aufmerksamen Händler ausgeführt werde, koste dagegen schnell
über 100 000 DM. „Das Betreuersystem funktioniert nicht und schädigt den Markt“, urteilte der Makler.
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