Die Leser haben entschieden: Herbert Hainer ist der Unternehmer des Jahres. Im EURO-Interview spricht der Chef des Sportartikel-Herstellers Adidas-Salomon über seine Erfolgsstrategie, die Rivalität mit Puma und die Produktoffensive zur Fußball-WM 2006 in Deutschland.
von Sven Parplies Der Schnauzbart ist ab. Nach 30 Jahren setzte Herbert Hainer die Rasierklinge an und trennte sich von seinem Markenzeichen. "Meine Kinder hatten mich aufgezogen, der Bart sei nicht mehr zeitgemäß", erzählt der Chef von Adidas-Salomon. Der neue Look des Vorstandsvorsitzenden soll nicht die letzte Überraschung aus dem Hause Adidas sein.
Europas größter Sportartikel-Hersteller bereitet sich auf das wichtigste Ereignis der Konzerngeschichte vor - die Produktoffensive zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. "Das Turnier ist eine historisch einmalige Chance für uns", sagt Hainer. Mehr als eine Milliarde Euro will Adidas im WM-Jahr allein mit Fußballprodukten umsetzen. Das wäre ein neuer Rekord in der Firmengeschichte. Mal wieder. Bestmarken sind für Adidas-Aktionäre fast schon Routine geworden.
Das Comeback eines Klassikers: Nach einer Serie strategischer Fehler in den 80er Jahren hatte Adidas die Führungsrolle auf dem Weltmarkt an den US-Rivalen Nike verloren. Wegen geringer Marktkapitalisierung drohte zur Jahrtausendwende sogar der Rausschmiß aus dem DAX. In der Krise besann sich Adidas auf alte Tugenden. "Jedes Jahr mindestens eine echte Innovation" fordert heute Konzern-Chef Hainer, der das angestaubte Markenimage aufpoliert hat. Mit neuen Produkten, mit Werbeträgern wie David Beckham und Designern wie Yamamoto oder Stella McCartney. Den aktuellen Retro-Trend, der die Mode der 80er Jahre neu entdeckt, heizt Adidas durch spezielle Läden in den Szenevierteln der Großstädte an.
Doch auch unter Hainer läuft noch nicht alles rund. Die Wintersportsparte Salomon schwächelt. Und in den USA hatte Adidas den lukrativen Markt für hochpreisige Sportschuhe, eine Domäne von Nike, falsch eingeschätzt und kämpft jetzt um den Turnaround. Bitter auch: Ausgerechnet der einzige deutsche Sportstar in Übersee, Basketballprofi Dirk Nowitzki, spielt in Nike-Schuhen. Das starke Geschäft in Europa, vor allem mit Fußballprodukten und Lifestyle-Artikeln, überlagert die Sorgen. Seit Hainer im März 2001 den Vorstandsvorsitz übernommen hat, zählte die Adidas-Aktie auf Jahressicht drei Mal zum Top-Trio im DAX. Allein im vergangenen Jahr legte der Kurs über 30 Prozent zu. "Adidas ist ein außerordentlich gut geführtes Unternehmen mit attraktivem Wachstumspotential", lobt die Investmentbank Morgan Stanley. Die EURO-Leser sehen es ähnlich: Sie wählten Herbert Hainer zum Unternehmer des Jahres 2004. Er ist damit Nachfolger von Continental-Chef Manfred Wennemer und BMW-Lenker Helmut Panke, die in den beiden Vorjahren mit dem "Goldenen Bullen" ausgezeichnet wurden.
Die Erfolgsstory von Adidas ist auch ein Muntermacher für Deutschland. Denn der Sportartikel-Hersteller aus der fränkischen Provinz beweist: Mit Ideen, mutigen Entscheidungen und engagierten Mitarbeitern können deutsche Unternehmen auch in wirtschaftlich schweren Zeiten wachsen und neue Arbeitsplätze in der Heimat schaffen. "Deutschland muß sich endlich wieder auf seine Stärken besinnen", fordert der Unternehmer des Jahres im Gespräch mit EURO.
Euro: Herr Hainer, Sie sind jetzt seit fast vier Jahren an der Spitze von Adidas-Salomon. Der Aktienkurs hat seitdem 75 Prozent zugelegt. Verraten Sie uns Ihre Erfolgsstrategie?
Hainer: Als ich im Jahr 2000 als stellvertretender Vorstandsvorsitzender anfing, haben wir eine klare Strategie erarbeitet: Wir wollten auf der einen Seite die Kosten in den Griff kriegen, auf der anderen Seite Wachstumsfelder schaffen und unsere Hauptmarken Adidas, TaylorMade und Salomon nach vorne tragen.
Euro: Worauf kommt es an?
Hainer: Wir müssen jedes Jahr mindestens eine echte Innovation auf den Markt bringen. Innovation trägt das Image einer Marke. Wir haben im November einen Basketballschuh, den T-Mac Hug, auf den Markt gebracht, der ein komplett neues Schnürsystem hat, das wir aus der Skischuh-Technologie übernommen haben. Die nächste bahnbrechende Innovation wird der Adidas One sein, der erste intelligente Laufschuh. Er hat einen Computerchip, der die Dämpfung automatisch dem Bodenbelag anpaßt.
Euro: Kritiker sagen, Adidas profitiere einfach nur davon, daß Ihr Rivale Puma Sportbekleidung als Lifestyle-Produkte populär gemacht hat.
Hainer: Das ist entweder ketzerisch oder zu kurz gedacht. Wir haben in vielen anderen Bereichen sehr große Erfolge erzielt. Nehmen Sie Fußball: Im Jahr 2004 haben wir in diesem Bereich den höchsten Umsatz der Firmengeschichte erzielt. Wir haben über eine Million Paar des Predator-Schuhs verkauft. Wir haben mit der Golfsparte TaylorMade unseren Umsatz in vier Jahren von 300 auf knapp 700 Millionen Dollar gesteigert. Das hat wenig mit Lifestyle zu tun.
Euro: Jeder Vorstands-Chef setzt eigene Akzente. Wofür steht Herbert Hainer bei Adidas-Salomon?
Hainer: Schnelligkeit, Gradlinigkeit, Offenheit. Wir haben im Unternehmen zwei Führungsebenen rausgenommen, um schneller Entscheidungen treffen zu können. Wir sind im internen Umgang offener und direkter. Deshalb können wir neue Produkte schneller auf den Markt bringen. Jeder im Unternehmen weiß, was ich erwarte. Wenn es Probleme gibt, werden diese deutlich angesprochen. Das kann ungemütlich werden, aber nur so können wir unsere Ziel erreichen.
Euro: Adidas hat in den 80er Jahren wichtige Trends verschlafen und deshalb die Marktführerschaft an Nike verloren. Wie verhindern Sie, daß sich das wiederholt?
Hainer: Eine hundertprozentige Garantie wird es nie geben. Ich denke aber, daß wir heute wesentlich breiter aufgestellt sind. Wir haben ein Portfolio an Marken, mit denen wir zwölf Monate im Jahr die Chance haben, innovative Produkte zu verkaufen. Wir haben unsere Abteilung für Forschung und Entwicklung personell um mehr als 100 Prozent aufgestockt. Wir haben Designbüros in Tokio, London, Paris, New York - überall dort, wo Trends gemacht werden.
Euro: Welche Trends sollen Adidas weiter nach vorne bringen?
Hainer: Fußball wird ein Riesenmarkt bleiben. Unser Glück ist, daß wir die Fußball-WM vor der Haustür haben. Wir werden 2006 im Fußball mit Sicherheit über eine Milliarde Euro Umsatz erreichen. Auch der gesamte Fitneßbereich wird ein großes Thema bleiben. Immer mehr Leute achten auf ihren Körper, das kommt der Sportartikel-Branche sehr entgegen. Und auch bei Frauen haben haben wir noch Wachstumspotential.
Euro: Die Fußball-WM 2006 wird nicht nur für Adidas ein Riesenereignis. Kann ein großes Sportereignis die Wirtschaft in Deutschland in Schwung bringen?
Hainer: Davon bin ich absolut überzeugt. Im WM-Jahr werden wir auf jeden Fall einen Schub verzeichnen, allein schon wegen der vielen ausländischen Touristen. Ich glaube aber, daß die Weltmeisterschaft Deutschland insgesamt einen Ruck geben wird. Daß wir endlich aus der Lethargie herauskommen. Daß wir uns wieder auf die eigenen Stärken besinnen. Ich komme viel herum in der Welt und kann sagen: Wir werden ausnahmslos überall deutlich positiver beurteilt, als wir uns selbst sehen. Wir Deutschen haben einen sehr ausgeprägten Hang zur Selbstkritik.
Euro: ...die in etlichen Punkten berechtigt ist. Sonst hätte Adidas nicht große Teile der Produktion ins Ausland verlagert.
Hainer: Das ist nur eine Seite der Medaille. Die Köpfe, die sich alles ausdenken, was wir in Asien produzieren, sitzen in unserer Zentrale in Deutschland. Unsere Experten im Marketing, in Forschung und Entwicklung sind diejenigen, die das Unternehmen am Leben erhalten.
Euro: Trotzdem ist die Mehrzahl der Arbeitsplätze bei Adidas im Ausland.
Hainer: Das ist richtig. Tatsache ist aber auch, daß wir die Zahl der Mitarbeiter in Deutschland in zehn Jahren mehr als verdoppelt haben. Wir schaffen hier jedes Jahr 100 bis 150 neue Jobs, auch 2005.
Euro: Was muß am Wirtschaftsstandort Deutschland passieren, damit auch andere Unternehmen endlich wieder Personal einstellen?
Hainer: Wir müssen Bürokratie abbauen und den Arbeitsmarkt weiter flexibilisieren. Man muß den Leuten in den Unternehmen mehr Freiraum lassen. Die Beschäftigten sind doch bereit, wieder 40 oder 42 Stunden zu arbeiten, wenn sie damit ihren Arbeitsplatz sichern können. Jeder hat inzwischen begriffen, daß wir uns in Deutschland bestimmte Wohltaten nicht mehr leisten können. Deshalb muß ein Unternehmer die Möglichkeit haben, überholte Privilegien zurückzudrehen.
Euro: Es fällt den Leuten halt schwer, auf Freizeit oder Geld zu verzichten, wenn Manager, die laut Einschnitte fordern, Gehälter in Millionenhöhe kassieren.
Hainer: Ich bin der Überzeugung, daß 90 Prozent der deutschen Vorstands-Chefs vernünftig und leistungsorientiert bezahlt werden. Es sind doch nur einige wenige Manager, die mit ihren Gehältern die Schlagzeilen bestimmen.
Euro: Werden Sie bei Adidas in diesem Jahr endlich die Gehälter der Vorstandsmitglieder individualisiert offenlegen?
Hainer: Ich sehe darin eigentlich keinen Sinn. Entscheidend ist, daß der Aktionär weiß, wie hoch die Gesamtvergütung des Vorstands ist und ob der Vorstand erfolgsorientiert bezahlt wird. Aber, mein Gott, wenn es dem Wohle der Allgemeinheit dient, werden wir die Gehälter auch individualisiert ausweisen.
Euro: Wann wird das sein?
Hainer: Das Thema steht bei einer der nächsten Aufsichtsratssitzungen auf der Agenda. Aber ich gehe davon aus, daß es für 2004 noch nicht soweit ist.
Euro: Können Sie uns trotzdem verraten, wie hoch Ihr Gehalt ist?
Hainer: Das ist einfach zu berechnen. Sechs Vorstände haben bei uns 2003 sieben Millionen Euro verdient. Macht im Schnitt knapp 1,2 Millionen. Der Vorsitzende verdient in etwa 50 Prozent mehr als die anderen. Dann kommen Sie auf 1,6 bis 1,8 Millionen Euro.
Euro: Lassen Sie uns über die Konkurrenz sprechen. Einige Marktforscher sagen, Ihr Hauptkonkurrent Nike habe Sie im europäischen Fußballmarkt, dem Stammrevier von Adidas, längst überholt.
Hainer: Das war mal für zwei Monate der Fall. Da wurden die Freizeitschuhe, die Nike dem Bereich Fußball zuordnet, mitgerechnet. Wenn Sie richtige Fußballschuhe als Meßlatte nehmen, sind wir klarer Marktführer. 2004 haben wir unseren weltweiten Marktanteil von 33 auf 35 Prozent gesteigert. Nike steht bei unter 30 Prozent.
Euro: Nike hat einen neuen Chef, William Perez. Haben Sie schon mit ihm Kontakt aufgenommen?
Hainer: Nein. Er ist ja noch nicht so lange im Amt.
Euro: Mit Puma-Chef Jochen Zeitz sollen Sie auch nicht viel reden. Dabei sind Sie in Herzogenaurach quasi Nachbarn.
Hainer: Wir treffen uns bei bestimmten Terminen. Wir grüßen uns, aber ich muß keine innige Freundschaft zu unseren Wettbewerbern pflegen. Rivalität spornt an und treibt zu Höchstleistungen.
Euro: Davon sind Sie bei Salomon weit entfernt. Die Entwicklung ihrer Wintersportsparte ist deutlich schlechter als bei Adidas. Hainer: Wintersport ist heute ein schwieriges Geschäft. Schauen Sie aus dem Fenster - es ist Anfang Januar, wir haben zwölf Grad. Der ganzen Branche geht es schlecht. Der Markt hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast halbiert. Im Vergleich zu den Wettbewerbern stehen wir mit Salomon gut da.
Euro: Trotzdem streichen Sie jetzt Arbeitsplätze?
Hainer: Wir werden 160 Arbeitsplätze in Frankreich abbauen, weil wir auch bei Salomon mehr Produktion nach Asien verlagern. Bei der aktuellen Währungskonstellation ist eine Produktion in Europa nicht mehr zu rechtfertigen.
Euro: Wäre es nicht sinnvoller, Salomon zu verkaufen?
Hainer: Diese Spekulation kommt jedes Jahr auf. Aber Salomon ist kein Sanierungsfall. Der starke Euro, der für uns als Konzern insgesamt gut ist, ist nachteilig für Salomon. Daher können wir dort nicht die Kennzahlen vorweisen wie bei Adidas. Das war Ende der 90er Jahre, als der Dollar so stark war, übrigens umgekehrt, und wir haben jetzt die notwendigen Schritte eingeleitet, um die Profitabilität von Salomon wieder zu steigern.
Euro: Aktionäre interessieren sich natürlich besonders für die Geschäftszahlen. Wie ist das Jahr 2004 für Adidas-Salomon gelaufen?
Hainer: Ausgezeichnet. Wir haben alle unsere Finanzziele erreicht oder übertroffen. Wir werden Ende Januar die vorläufigen Zahlen bekanntgeben, ich kann Ihnen aber schon verraten, daß sich an unserem sehr positiven Ausblick nichts geändert hat. Wir haben unseren Umsatz währungsneutral um zirka fünf Prozent gesteigert. Wir haben unseren Gewinn gegenüber dem Vorjahr um etwa 20 Prozent erhöht. Wir stehen also hervorragend da.
Euro: Wie sieht es in den USA aus? Bei Ihrem Amtsantritt sagten Sie, Sie wollten den Marktanteil dort von elf auf 20 Prozent steigern. Wo stehen Sie heute?
Hainer: Immer noch bei elf Prozent. Deshalb haben wir ja auch Konsequenzen gezogen: Wir haben das Management in den USA komplett ausgetauscht. Wir konzentrieren uns jetzt stärker auf Profitabilität, nicht mehr so sehr auf schnelle Zuwächse beim Marktanteil. Die ersten Erfolge zeigen, daß wir auf dem richtigen Weg sind. 2004 haben wir die Wende geschafft. Zum ersten Mal nach zwölf Quartalen haben wir wieder einen positiven Auftragseingang. Auch in 2005 werden wir weiter wachsen.
Euro: Welcher Marktanteil ist für Adidas in den Vereinigten Staaten realistisch?
Hainer: Die 20 Prozent, die ich damals als Ziel ausgegeben habe, werden mir ja immer noch um die Ohren geschlagen. Ich werde den Teufel tun, eine neue Zahl zu nennen. Aber ich glaube noch immer, daß es für die Marke Adidas möglich sein muß, 20 Prozent zu erreichen. Wie schnell das geht, kann ich nicht sagen. Entscheidend ist, daß wir uns auf diese Marke zubewegen.
Euro: 2004 haben Sie von der Fußball-Europameisterschaft und den Olympischen Spielen profitiert. In diesem Jahr fehlen große Sportereignisse als Umsatztreiber. Können Sie das Tempo halten?
Hainer: Wir haben eine Mehr jahresplanung, in der wir solche Zyklen einkalkulieren. Wenn die großen Events fehlen, müssen wir von der Produktseite mehr Innovationen in den Markt bringen. Wir planen auch für 2005 einen Umsatzanstieg im mittleren bis hohen einstelligen Prozentbereich.
Euro: Was wird aus der Dividende?
Hainer: Ich habe immer gesagt: Wenn wir den Schuldenabbau so vorantreiben, wie wir uns das vorstellen, werden wir auch die Aktionäre stärker am Unternehmens- erfolg beteiligen. Wir werden die Dividende für das Jahr 2004 definitiv erhöhen. Den genauen Betrag muß der Aufsichtsrat festlegen.
Euro: Einige Analysten warnen, Adidas habe auf dem aktuellen Niveau das Kurspotential ausgereizt.
Hainer: Wir werden alles daran setzen, das Gegenteil zu beweisen. Wir wachsen dynamisch in allen Regionen, wir werden unsere Schulden in relativ kurzer Zeit komplett abgebaut haben, wir haben eine Eigenkapitalquote von über 40 Prozent. Das Unternehmen ist kerngesund. Bessere Voraussetzungen kann man kaum haben.
Quelle: FINANZEN.NET