Abstiegskampf in Frankfurt

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Abstiegskampf in Frankfurt

 
20.01.03 10:52
Bankenkrise, Börsenflaute, Frust über die Politik - in Frankfurt herrscht Weltuntergangsstimmung. Nur ein gewaltiger Kraftakt kann den Niedergang des Geldgewerbes stoppen.

Es war ein glücklicher Tag für Frankfurt. 15.000 Menschen feierten am 1. Januar 1999 den Beginn einer neuen Ära. Vor der Europäischen Zentralbank bildete die Menge ein riesiges Euro-Zeichen, um die neue Währung und ihre Hüterin willkommen zu heißen.

Die Finanzgemeinde wähnte sich am Ziel ihrer Träume. Einer Zukunft Frankfurts als führendes Finanzzentrum in Europa schien nichts mehr im Wege zu stehen. Mit der neuen Zentralbank in ihrer Mitte, glaubten die Optimisten, werde die Stadt eine ungeheure Anziehungskraft ausüben.

Vier Jahre später ist die Begeisterung verflogen. In der selbst ernannten "Hauptstadt des Euro" herrscht Weltuntergangsstimmung.

Deutschlands Geldhäuser stecken in der tiefsten Krise der Nachkriegszeit. Weil infolge der schwachen Konjunktur immer mehr Schuldner ausfallen, müssen die Banken gigantische Wertberichtigungen auf faule Kredite verkraften. Zugleich hat der Kollaps der Aktienkurse die Hoffnungen der Geldhäuser zunichte gemacht, wenigstens am Geschäft mit der Börse ordentlich zu verdienen.

Selbst deutsche Versicherer, bis vor kurzem Inbegriff der Solidität, sehen sich im Existenzkampf. Der Kursverfall an den Börsen hat ihre Reserven weitgehend aufgezehrt.

Gewiss, Wirtschaftsflaute und Börsenkrise sind kein rein deutsches Phänomen. Aber nirgends sonst tut sich die Finanzbranche so schwer, damit umzugehen. Während in anderen europäischen Ländern die Marktbereinigung schon erledigt ist, leistet sich Deutschlands Geldgewerbe immer noch massive Überkapazitäten.

Die Branche präsentiert sich als Sanierungsfall, als Belastung dieser Volkswirtschaft. Außerhalb der deutschen Grenzen gilt die Schwäche der hiesigen Finanzindustrie als weiteres Symptom der deutschen Krankheit.

Internationale Ratingagenturen strafen Deutschlands Banken mit schlechteren Noten ab; der Börsenwert der heimischen Finanzkonzerne fällt im internationalen Vergleich immer weiter zurück.

Ausländische Institute, die in Europas größter Volkswirtschaft eigentlich stärker präsent sein müssten, scheuen den deutschen Markt. Jene, die schon da sind, beginnen sich frustriert zurückzuziehen.

Noch schneller, befürchten Experten, könnte das ausländische Kapital abfließen. Internationale Großinvestoren haben ihr Engagement in deutschen Aktien bereits spürbar zurückgeschraubt.

Steigt Frankfurt, das sich einst anschickte, London anzugreifen, in die zweite Liga ab? Droht den deutschen Geldhäusern der Sturz in die Bedeutungslosigkeit? Oder kann ein gemeinsamer Kraftakt von Bankern und Politikern doch noch die Wende für den Finanzplatz D bringen?

So long,
Calexa
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Teil 2

 
20.01.03 10:53
Lars Lundquist (55) hat es bald hinter sich. Nach drei Jahren in Deutschland darf der Manager des schwedischen Finanzkonzerns SEB Mitte nächsten Jahres zurück in die Heimat. In der Zentrale in Stockholm wird Lundquist Finanzchef - Lohn der Mühen im hart umkämpften deutschen Markt, wo er die Ende 1999 erworbene BfG Bank, die mittlerweile SEB AG heißt, geleitet hat.

Bei der Frankfurter Tochter hat Lundquist gespart, restrukturiert und fokussiert - was Chefs eben so tun, wenn die Rendite nicht stimmt. Heute geht es der SEB AG besser als vielen ihrer deutschen Konkurrenten.

Trotz dieses persönlichen Erfolgs blieb dem Skandinavien-Import einiges im Gastland rätselhaft. Warum etwa gibt es hier immer noch rund 2500 Banken? In Schweden macht eine Hand voll Geldhäuser das Geschäft weitgehend unter sich aus (siehe Grafik links). "Fünf bis sechs Banken", meint Lundquist, "würden auch in Deutschland reichen."

Kein anderer europäischer Bankenmarkt ist so zersplittert wie der deutsche. Fusionsversuche der Großbanken scheiterten spektakulär. Und immer noch sind die Grenzen zwischen den drei Säulen der Kreditwirtschaft - Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken – so undurchlässig wie einst der Eiserne Vorhang.

Horrende Überkapazitäten machen ein auskömmliches Wirtschaften im heimischen Markt fast unmöglich. Das zu ändern hat die Branche in den 90er Jahren versäumt, als die Konsolidierung andernorts richtig in Fahrt kam. Eingelullt von Wiedervereinigung und Börsenboom, haben deutsche Banker ein Jahrzehnt verschlafen.

Heute reißen Konjunkturflaute und Börsenbaisse Milliardenlöcher ins Zahlenwerk. Die Geschäftsmodelle von gestern funktionieren nicht mehr. Vor allem die Flucht ins weltweite Investmentbanking hat sich für so manches Haus als kostspieliger Irrweg erwiesen.

Kritische Zeitgenossen ziehen bereits Parallelen zu Japan. Wie der dortige hat auch der deutsche Bankensektor seine Reserven weitgehend verpulvert, hier wie dort wurden die Sanierungsarbeiten immer wieder verschoben. Ähnlich wie Japans Institute müssen auch die heimischen Geldhäuser, mit Ausnahme der Deutschen Bank, ihre internationalen Ambitionen zurückschrauben und sich künftig auf den Heimatmarkt konzentrieren.

In der anstehenden europäischen Konsolidierung des Geldgewerbes, prophezeien Branchenvertreter, werden die Deutschen wohl nur Zuschauer oder Opfer sein können.

Den Abstieg in die Regionalliga halten viele in der Finanzszene bereits für unvermeidlich. "Wenn wir fortfahren wie bisher", warnt sogar Bankenpräsident Rolf-E. Breuer (65), "werden wir nur noch elegant unseren Niedergang verwalten."

So long,
Calexa
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Teil 3

 
20.01.03 10:55
Ende September gab Werner Seifert auf. Mit knappen Worten verkündete der oberste Verweser des Frankfurter Aktienhandels das Aus seines einstigen Prestigeobjekts. Der Neue Markt werde 2003 "vollständig eingestellt". Nach Kursverlusten von über 90 Prozent, nach zahlreichen Pleiten und Betrugsfällen, sah der Börsenvormann keinen anderen Ausweg mehr.

Für den Finanzplatz Deutschland ist der Tod des Neuen Marktes ein Desaster. Gleich mitbegraben wird, was viele Frankfurter Finanzprofis immer wieder herbeireden wollten: die deutsche "Aktienkultur".

Eifrig - und durchaus erfolgreich - hatten sich Banker und Börsianer in den späten 90er Jahren bemüht, die Deutschen für die Aktie zu begeistern. Dumm nur, dass es noch an vielem fehlte, was ein guter Kapitalmarkt braucht. Erst die Krise deckt die Defizite schonungslos auf.

So mangelt es an einer effizienten Börsenaufsicht und an einer konsequenten Justiz. Die Folgen: Kriminelle Manager werden nicht zur Verantwortung gezogen; betrogene Anleger haben kaum Chancen, ihr Geld zurückzubekommen.

Enttäuscht haben sich viele Kleinaktionäre inzwischen von der Börse abgewandt. Aber auch internationale Großinvestoren fühlen sich am hiesigen Finanzplatz nicht wohl. Deutschland haftet in Sachen Transparenz und Anlegerrechte der Ruf einer Bananenrepublik an.

Immer noch ist die Unternehmensverfassung rückständig. So wird es in deutschen Konzernen nach wie vor als eine Art Naturgesetz angesehen, dass Vorstandschefs am Ende ihrer aktiven Zeit auf den Sessel des Aufsichtsratsvorsitzenden wechseln - und damit nicht nur ihren Nachfolger, sondern oft auch die Aufarbeitung eigener Sünden kontrollieren.

Ein schwer durchschaubares Netzwerk von Ex-Managern und Bankern in den Aufsichtsräten; Vorstände, die sich beharrlich weigern, ihre Entlohnung offen zu legen – die deutschen Unternehmen liefern ausländischen Investoren gute Argumente, dem hiesigen Kapitalmarkt fernzubleiben.

Und die Bundesregierung gibt sich alle Mühe mitzuhalten. Der härtere Zugriff des Fiskus auf Aktiengewinne; die Rufe nach Wiedereinführung der Vermögensteuer; das durch Kontrollmitteilungen ausgehöhlte Bankgeheimnis – was Berlin derzeit treibt, wird als Angriff auf den angeschlagenen Finanzplatz verstanden.

Nirgendwo sonst hat die Kapitalmarktkrise so tiefe Spuren hinterlassen wie in Deutschland. Börsengänge wird es auf absehbare Zeit kaum noch geben. In diesem Jahr traute sich nur noch ein einziges Unternehmen - der Windkraftspezialist Repower - an den Neuen Markt.

Ein Horrorszenario für die Banken. Viele deutsche Institute hatten in den vergangenen Jahren zu exorbitanten Gehältern Kapitalmarktexperten angeheuert. Auch angelsächsische Investmentbanken stockten ihre Teams in Frankfurt kräftig auf, um am lukrativen Emissionsgeschäft teilzuhaben.

Jetzt wandern die Ausländer wieder ab, zurück in ihre Hochburg London. In den deutschen Dependancen stehen schon ganze Stockwerke leer.

Fest steht: Die Hoffnung der Frankfurter, zur Finanzmetropole an der Themse aufzuschließen, ist verflogen. Die Geld-Hauptstadt der größten europäischen Volkswirtschaft bleibt auf absehbare Zeit Provinz.

So long,
Calexa
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Teil 4

 
20.01.03 10:56
Die Finanz-Community verbreitet Durchhalteparolen. In keinem anderen Land Europas seien die Notwendigkeit privater Altersvorsorge und der Kapitalbedarf der Unternehmen so groß wie hier zu Lande. Auf Dauer könne es sich Deutschland gar nicht leisten, auf die Börse als Geldquelle für die Wirtschaft zu verzichten.

Mit wachsender Verzweiflung versuchen die Finanzlobbyisten, Gehör für die Belange des Kapitalmarktes zu finden.

Immerhin: Einige Politiker haben den Handlungsbedarf erkannt.

Roland Koch, als hessischer Regierungschef vom Niedergang Frankfurts direkt betroffen, plädiert für moderne Finanzmarktgesetze und bessere steuerliche Rahmenbedingungen (siehe Interview: "Viel Irrationales"). Und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries will mit einem Zehn-Punkte-Plan den Anlegerschutz stärken.

Das ist gut gemeint, wird aber kaum reichen. Was bleibt, ist die vage Hoffnung auf eine nachhaltige Erholung der Börsenkurse - und die Gewissheit, dass der entscheidende Impuls für den Wandel aus der Finanzbranche selbst kommen muss.

Jeder Finanzplatz ist so gut wie es seine Banken sind. Die aber können ihre Krise nur mit radikalen Reformen überwinden. Alle in der Branche wissen, was Not tut: Die Überkapazitäten müssen weg, und zwar rasch. Binnen fünf Jahren, hofft Breuer, werde sich die Zahl der Filialen halbieren. Ähnliches erwarten Experten auch für die Zahl der Institute.

Allein mit Fusionen innerhalb der drei Säulen des Kreditgewerbes ist das kaum zu schaffen. Die Privaten – bei denen, abgesehen vom Gespann HypoVereinsbank und Commerzbank, nichts Großes mehr möglich scheint - fordern deshalb ein Ende des Lagerdenkens. Sparkassen sollen sich also mit Privatbanken zusammentun, Volksbanken mit Sparkassen.

Bestes Argument von Breuer & Co: Anderswo ging es doch auch. Italien, sonst kein Hort der Reformfreude, hat Vorzeigeinstitute wie Unicredito hervorgebracht – ein Kompositum aus einer Privatbank und mehreren Sparkassen. Noch sperrt sich der öffentlich-rechtliche Block in Deutschland gegen solche Ideen - mit Rückendeckung der Politik.

Eines aber ist klar: Lange kann die Kreditwirtschaft nicht mehr so weiterwurschteln wie bisher. "Vielleicht wäre noch ein schlechtes Jahr das Beste, was den Banken passieren kann", sagt ein Kenner der Szene. "Erst dann wird der Leidensdruck so groß, dass tief greifende Reformen kommen."

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

(Quelle: manager-magazin.de)

So long,
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