Die jüngste Aufsichtsratssitzung seines Unternehmens am Montag vergangener Woche wird Ulrich Schumacher, 45, so schnell nicht vergessen. Der smarte Chef des Münchner Chipherstellers Infineon musste eine peinliche Schlappe einstecken. Und Niederlagen kann der Hobbyrennfahrer nur schwer verkraften.
Schon Tage vorher hatten Vertraute Indiskretionen gestreut, um für eine Verlegung der Konzernzentrale in die Schweiz zu werben und nebenbei Druck auf die Kontrolleure auszuüben. Doch die ließen den forschen Infineon-Chef erst einmal vor der Tür schmoren.
Als Schumacher schließlich hereingebeten wurde, erlebte er eine böse Überraschung. Der Infineon-Chef musste sich harsche Kritik an seinem Führungsstil und den Umzugsplänen anhören. "Ich stelle dem doch keinen Persilschein aus", maulte ein Kapitalvertreter, "solange ich kein Stück Papier auf dem Tisch habe."
Im Anschluss hatte Schumacher unangenehme Fragen zu beantworten: Wann macht Infineon endlich wieder Gewinn? Wie lange reicht das Geld noch? Einige Teilnehmer übten sogar Kritik an seiner Strategie und warfen ihm vor, allzu sehr auf das extrem konjunkturanfällige Geschäft mit so genannten Speicherchips zu setzen, die in PC eingebaut werden.
Schumacher kündigte in seiner Not erneut ein knallhartes Sparprogramm an. "Der Mann läuft Amok", kommentiert ein enttäuschter Schumacher-Fan den Auftritt seines einstigen Idols, "und reagiert wie ein angeschossener Bulle."
Seit der rheinländische Unternehmerspross anlässlich der Börseneinführung in New York vor drei Jahren mit einem Porsche 911 an der Wall Street vorfuhr, genießt Schumacher einen Promi-Bonus. Selbst die horrenden Verluste und den Absturz seiner Aktie um rund 90 Prozent seit März 2000 nahmen die Aktionäre mit erstaunlichem Fatalismus hin, darunter auch der ehemalige Mutterkonzern Siemens, der noch knapp 40 Prozent der Anteile hält.
Doch nun, so scheint es, hat Schumacher, in Siemens-Kreisen "The Maniac" genannt, erstmals überzogen. Sein Parforceritt gegen die Bundesregierung und den Standort Deutschland könnte den Infineon-Chef nicht nur Sympathien, sondern womöglich sogar seinen Job kosten.
Um von eigenen Fehlern abzulenken und die damals drohende Kappung von steuerlichen Verlustvorträgen durch die Bundesregierung zu verhindern, drohte Schumacher Anfang Februar überraschend damit, seinen Sitz ins Ausland zu verlagern (SPIEGEL 8/2003). Sollte das Geschäft wieder boomen, rechtfertigte er vergangene Woche im Aufsichtsrat die geplante Flucht, dann ließen sich zwischen 400 Millionen und 1,2 Milliarden Euro einsparen. "Wir haben nun mal kein üppiges Finanzpolster", verteidigt einer seiner Berater den Chef. "Wenn wir nicht alle Möglichkeiten nutzen, wird es irgendwann eng für Infineon."
Für seinen gewagten Vorstoß bekam Schumacher zunächst jede Menge Beifall, vor allem von Mittelständlern, die sich dem Einfluss der rot-grünen Regierung und der Gewerkschaften lieber heute als morgen entziehen würden. Fast 30 Prozent aller Inhaber-geführten Unternehmen, so eine Blitzumfrage der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer (ASU) für den SPIEGEL, haben die Verlagerung des Firmensitzes entweder schon beschlossen oder erwägen ihn. 44 Prozent planen, künftig bevorzugt im Ausland zu investieren.
Vorbilder sind MangelwareDoch den Traum auch in die Tat umzusetzen ist gar nicht so einfach. Das musste der fränkische Mittelständler Hans Brach erkennen. Der geschäftsführende Gesellschafter einer Firma für Kälte- und Klimatechnik würde gern in die Schweiz, nach Liechtenstein oder Tschechien flüchten. Passiert ist bislang noch nicht viel.
"Am Anfang ist man ungeheuer euphorisch", sagt er, "doch wenn man tiefer in die Details einsteigt, tauchen immer neue rechtliche und steuerliche Probleme auf."
Schwer ernüchtert ist auch der österreichische Software- Experte Michael Windhaber. Der gebürtige Kremser hat seine EDV-Firma RemoteHotel Anfang des Jahres von München komplett in seine Wachauer Heimat verpflanzt. Eine staatliche Anwerbeagentur, die am feinen Opernring in Wien residiert, hatte den Start-up-Unternehmer mit attraktiven Steuervorteilen und Entwicklungszuschüssen geködert.
Doch die Neuwahlen in Österreich machten dem Jungmanager einen Strich durch die Rechnung. Auf die Fördergelder wartet Windhaber noch heute. "Ich bin sehr enttäuscht", bekennt der Flüchtling.
Unternehmer wie der Münchner Mietwagenspezialist Erich Sixt haben aus den Erfahrungen der Pioniere offenbar gelernt. Der Auto-Multi will lediglich das ausländische Leasinggeschäft und seinen Ableger Holiday Cars in Basel ansiedeln. "Mein Arbeitsplatz ist und bleibt in Pullach an der Isar", bekräftigt der Firmenchef.
Nur Schumacher scheint allen Widrigkeiten zum Trotz wild entschlossen, seinen Schreibtisch demnächst ins Schweizer Steuerparadies Zug zu verlegen - vorausgesetzt, er bekommt auf der übernächsten Aufsichtsratssitzung im November doch noch die Zustimmung seiner Kontrolleure. Großaktionär Siemens, der noch immer zwei Vertreter in das Gremium entsendet, geht schon jetzt vorsichtig auf Distanz zum einstigen Ziehsohn.
Abwarten bis Oktober 2004"Wenn Schumacher will, dass wir zustimmen, muss er schon überzeugende Zahlen auf den Tisch legen", warnt ein Vertrauter von Siemens-Finanzchef Heinz-Joachim Neubürger. Der geplante Umzug nach Zug könnte den Konzern nämlich teurer zu stehen kommen als erwartet.
Würde das Unternehmen komplett zu den Eidgenossen abwandern, müsste der sechstgrößte Chip-Multi der Welt einen Großteil seiner stillen Reserven offen legen und die Differenz zu den Buchwerten versteuern. "Das macht nur Sinn", erläutert Oliver Dörfler von der Wirtschaftskanzlei Haarmann, Hemmelrath und Partner in Frankfurt, "wenn er angesammelte Verluste gegenrechnen kann." Die so genannte Exit-Tax ließ 1999 schon DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp davor zurückschrecken, den Konzernsitz ins Ausland zu verlegen. Für den Ortswechsel hätte der Autoriese mehrere Milliarden Euro an den Fiskus abführen müssen.
Transferiert Schumacher hingegen nur die Verwaltungszentrale ins "Dallas am Alpenrand", wie die beschauliche Kleinstadt Zug gern genannt wird, hält sich der Steuereffekt in Grenzen. Die deutschen Ableger müssten auch weiterhin knapp 40 Prozent Körperschaft- und Gewerbesteuern zahlen. Allerdings würden Erträge, die bei der Schweizer Holding anfallen, nur mit rund zehn Prozent belastet.
Der Düsseldorfer Finanzexperte Manfred Günkel von der Wirtschaftsprüfungsfirma Deloitte & Touche rät abwanderungswilligen Unternehmen ohnehin, bis Oktober 2004 abzuwarten, wenn Konzerne erstmals die Rechtsform einer Europäischen Aktiengesellschaft wählen dürfen. Ab dann können Firmen ihren Sitz leichter mitsamt ihren stillen Reserven übertragen, allerdings nur innerhalb der EU.
Fachleute rätseln seit Wochen, weshalb Schumacher ohne konkrete Modellrechnungen mit seinen Umzugsplänen vorgeprescht ist. Nach zwei Flautejahren schiebt der Konzern einen Verlustvortrag von 1,7 Milliarden Euro vor sich her, den er, anders als zunächst geplant, wohl auch weiterhin voll nutzen darf. "Den soll er erst mal abfrühstücken, wenn er endlich wieder Gewinne erwirtschaftet", meint ein empörter Aufsichtsrat. Besorgte Kontrolleure fürchten zudem, dass Infineon künftig kaum noch Subventionen bekommt, wenn die Führung in der Steueroase am Zuger See residiert. Allein für den Bau seiner neuen Chipfabrik in Dresden erhielt der Konzern Bürgschaften und Beihilfen im Wert von fast 600 Millionen Euro. Mit nochmals rund 130 Millionen Euro fördert der Staat zurzeit die Entwicklung neuer Infineon-Produkte.
Kritische Aufsichtsräte hegen längst den Verdacht, dass Schumacher mit seiner geplanten Flucht in die Schweiz ein ganz anderes Steuerproblem lösen will - sein eigenes.
Heimst der Konzern üppige Gewinne ein wie zuletzt im Jahr 2000, klingelt es auch in der Kasse des Infineon-Chefs. Der Aufsteiger zählte damals dank Aktienpaketen mit einem Einkommen von geschätzten 8,6 Millionen Euro zu einem der bestverdienenden Manager der Republik. In seinem Wohnort Starnberg muss er darauf rund 50 Prozent Steuern zahlen, in Zug käme er mit weniger als der Hälfte dessen davon.
Quelle:
www.spiegel.de
Grüße Max