25.9.01 US-Konsumenten: Verbrauchtes Vertrauen
Von Kerstin Friemel, Julia Giese und Helene Laube
Seit den Terroranschlägen geben US-Konsumenten weniger Geld aus - und würgen die Konjunktur damit endgültig ab.
... Nach den verheerenden Terroranschlägen in New York und Washington sind die Amerikaner zunehmend verunsichert. Zu den Todesanzeigen in den Zeitungen gesellen sich jetzt weitere Hiobsbotschaften: Rund 50 Unternehmen, darunter der Autobauer Ford, der Filmhersteller Eastman Kodak und der Mischkonzern General Electric, haben Gewinnwarnungen ausgesprochen. Allein die Luftfahrtindustrie kündigte seit dem 11. September an, mehr als 80.000 Stellen zu streichen - eine fatale Situation für die US-Wirtschaft.
Greenspans Warnung
Stützten zuvor zumindest die Verbraucher mit ihrem privaten Konsum die Wirtschaft, fließt jetzt kaum noch Geld. Die US-Fahnen, die weißen Lilien und Poster der Betroffenheit ("Wir trauern vereint"), die in fast allen Schaufenstern die Dekoration ersetzen, würgen die letzte verbliebene Kauflust ab. "Konsumentenausgaben und Produktion", warnte US-Notenbankpräsident Alan Greenspan am Donnerstag in Washington, "haben sich nach den Terroraktionen deutlich abgeschwächt". Die wirtschaftliche Tätigkeit sei "quasi zum Erliegen gekommen". Schlittert die US-Konjunktur, wie von Ökonomen befürchtet, endgültig in die Rezession, hätte dies fatale Konsequenzen auch für Europa; vor allem Exportnationen wie Deutschland würden weniger absetzen können.
Um das westliche Wirtschaftssystem zu treffen, hätten sich die Terroristen keinen günstigeren Zeitpunkt auswählen können. Denn das US-Verbrauchervertrauen war schon vor den Anschlägen getrübt. Jan Hatzius, Volkswirt bei Goldman Sachs in New York, macht dafür vor allem die insgesamt schwache Finanzlage der privaten Haushalte verantwortlich. Sie hatten nur wenig Ersparnisse auf die hohe Kante gelegt - und verloren seit dem Frühjahr des vergangenen Jahres zudem 3000 Mrd. $, die sie in Aktien angelegt hatten. Nach Berechnungen von Morgan Stanley mindert dies das Kaufkraftwachstum in diesem Jahr um 1,25 Prozent. Zudem sind die Schulden der US-Haushalte derzeit auf Rekordniveau. "Die US-Bürger sind nicht in der Lage, mit solchen Schocks fertig zu werden", sagt Hatzius.
Das Verbrauchervertrauen sackt inzwischen weiter ab: Analysten von Lehman Brothers gehen davon aus, dass der Index, der am Morgen veröffentlicht wird, weiter sinken wird: von 114,3 Punkten im August auf 111 Punkte im September. "Die Konsumenten sind betäubt, fassungslos, und es wird einige Wochen dauern, bis sie wieder zur Normalität übergehen", sagt Britt Beemer, Chef der Marktforschungsagentur America’s Research Group, die am vergangenen Wochenende rund 5000 Konsumenten und 65 nationale Einzelhändler befragt hat.
Beemer schätzt, dass der Umsatz am vergangenen Wochenende in New York um die Hälfte eingebrochen ist, in Atlanta und Los Angeles sollen es 30 bis 50 Prozent gewesen sein. Auch in kleineren Städten seien die Verkäufe um 20 Prozent zurückgegangen - trotz der viel beschworenen, patriotischen "Jetzt erst recht"-Haltung.
... Viele Konsumenten würden jetzt aus Furcht vor dem Krieg ihr Geld auf die Bank bringen, statt es auszugeben, schätzt Chris Pissarides, Professor an der London School of Economics. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel rechnet damit, dass der US-Konsum im dritten und vierten Quartal unter die prognostizierten Werte sinkt. Noch pessimistischer ist das US-Wirtschaftsforschungsunternehmen ISI Group. Es schätzt, dass die Wirtschaft im letzten Quartal des Jahres um "viel mehr als zwei Prozent" schrumpfen könne.
Starke Einbußen sind bereits jetzt zu verzeichnen. Allein Ford geht davon aus, dass es im September bis zu 120.000 Fahrzeuge weniger als ursprünglich geplant baut. Autohändler berichten von Verlusten zwischen 20 und 40 Prozent in der letzten Woche. Firmen wie General Motors werben bereits mit zinslosen Finanzierungslösungen beim Neuwagenkauf unter dem Motto "Keep America Rolling". Die US-Warenhäuser, die sich seit Jahren in einer Konsolidierungsphase befinden, bereiten sich ebenfalls auf schwache Monate vor.
... Kommt es allerdings zu weiteren Terrorattacken oder einer Eskalation im Mittleren Osten, könnten wohl auch monetäre und fiskalische Instrumente nicht mehr viel ausrichten. Die Entwicklung der Weltwirtschaft würde zunehmend vom Ölpreis abhängen. Schnellt er in die Höhe, wird dies der Wirtschaft einen weiteren Dämpfer verpassen. Verbraucher hätten - auf Grund höherer Benzin- und Heizölpreise - weniger Geld zur Verfügung. Auch die Industrieproduktion würde sich verteuern. ... (FTD, 24.9.01)
Wird es eine Rezession geben?
Der Schock vom 11. September dürfte mit allergrößter Wahrscheinlichkeit die Welt in eine ausgewachsene Rezession stürzen. Im zweiten Quartal 2001 stagnierte die Weltwirtschaft. Im dritten Quartal wird die Produktion vermutlich fallen, genauso im vierten Quartal. Für die Weltwirtschaft insgesamt dürfte das Wachstum dieses Jahr nicht viel über einem Prozent liegen. Damit wäre 2001 das schlechteste Jahr seit 1982. Seit Mitte der 70er Jahre ist die Wirtschaft weltweit nicht so stark und vor allem in allen wichtigen Regionen gleichzeitig abgekühlt. Die Zentralbanken haben reagiert und die Zinssätze ziemlich deutlich gesenkt. Das aber hat kurzfristig möglicherweise nur geringe Auswirkungen, denn Investoren und Verbraucher sind sehr zurückhaltend. Auch ächzt die US-Privatwirtschaft ohnehin schon unter außergewöhnlich großen Defiziten. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es jetzt zu einer Rezession kommen und 2002 bestenfalls zu einer schwachen Erholung. (FTD, 23.9.01)
Kommentar: War schon vorher die Weltwirtschaft durch den Rückgang der Aktienpreise stark angeschlagen, so hat der Anschlag nun das Verbrauchervertrauen erst recht erschüttert. Ursache davon ist jedoch das Gesamtsystem, in welchem die Zinslasten viel schneller steigen, als die Wertschöpfung. Es ist kaum anzunehmen, daß in dieser Lage, noch dazu bei einbrechendem Konsum, je wieder ein Aufschwung stattfinden kann. Das System befindet sich in der Endphase
Gruss
Von Kerstin Friemel, Julia Giese und Helene Laube
Seit den Terroranschlägen geben US-Konsumenten weniger Geld aus - und würgen die Konjunktur damit endgültig ab.
... Nach den verheerenden Terroranschlägen in New York und Washington sind die Amerikaner zunehmend verunsichert. Zu den Todesanzeigen in den Zeitungen gesellen sich jetzt weitere Hiobsbotschaften: Rund 50 Unternehmen, darunter der Autobauer Ford, der Filmhersteller Eastman Kodak und der Mischkonzern General Electric, haben Gewinnwarnungen ausgesprochen. Allein die Luftfahrtindustrie kündigte seit dem 11. September an, mehr als 80.000 Stellen zu streichen - eine fatale Situation für die US-Wirtschaft.
Greenspans Warnung
Stützten zuvor zumindest die Verbraucher mit ihrem privaten Konsum die Wirtschaft, fließt jetzt kaum noch Geld. Die US-Fahnen, die weißen Lilien und Poster der Betroffenheit ("Wir trauern vereint"), die in fast allen Schaufenstern die Dekoration ersetzen, würgen die letzte verbliebene Kauflust ab. "Konsumentenausgaben und Produktion", warnte US-Notenbankpräsident Alan Greenspan am Donnerstag in Washington, "haben sich nach den Terroraktionen deutlich abgeschwächt". Die wirtschaftliche Tätigkeit sei "quasi zum Erliegen gekommen". Schlittert die US-Konjunktur, wie von Ökonomen befürchtet, endgültig in die Rezession, hätte dies fatale Konsequenzen auch für Europa; vor allem Exportnationen wie Deutschland würden weniger absetzen können.
Um das westliche Wirtschaftssystem zu treffen, hätten sich die Terroristen keinen günstigeren Zeitpunkt auswählen können. Denn das US-Verbrauchervertrauen war schon vor den Anschlägen getrübt. Jan Hatzius, Volkswirt bei Goldman Sachs in New York, macht dafür vor allem die insgesamt schwache Finanzlage der privaten Haushalte verantwortlich. Sie hatten nur wenig Ersparnisse auf die hohe Kante gelegt - und verloren seit dem Frühjahr des vergangenen Jahres zudem 3000 Mrd. $, die sie in Aktien angelegt hatten. Nach Berechnungen von Morgan Stanley mindert dies das Kaufkraftwachstum in diesem Jahr um 1,25 Prozent. Zudem sind die Schulden der US-Haushalte derzeit auf Rekordniveau. "Die US-Bürger sind nicht in der Lage, mit solchen Schocks fertig zu werden", sagt Hatzius.
Das Verbrauchervertrauen sackt inzwischen weiter ab: Analysten von Lehman Brothers gehen davon aus, dass der Index, der am Morgen veröffentlicht wird, weiter sinken wird: von 114,3 Punkten im August auf 111 Punkte im September. "Die Konsumenten sind betäubt, fassungslos, und es wird einige Wochen dauern, bis sie wieder zur Normalität übergehen", sagt Britt Beemer, Chef der Marktforschungsagentur America’s Research Group, die am vergangenen Wochenende rund 5000 Konsumenten und 65 nationale Einzelhändler befragt hat.
Beemer schätzt, dass der Umsatz am vergangenen Wochenende in New York um die Hälfte eingebrochen ist, in Atlanta und Los Angeles sollen es 30 bis 50 Prozent gewesen sein. Auch in kleineren Städten seien die Verkäufe um 20 Prozent zurückgegangen - trotz der viel beschworenen, patriotischen "Jetzt erst recht"-Haltung.
... Viele Konsumenten würden jetzt aus Furcht vor dem Krieg ihr Geld auf die Bank bringen, statt es auszugeben, schätzt Chris Pissarides, Professor an der London School of Economics. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel rechnet damit, dass der US-Konsum im dritten und vierten Quartal unter die prognostizierten Werte sinkt. Noch pessimistischer ist das US-Wirtschaftsforschungsunternehmen ISI Group. Es schätzt, dass die Wirtschaft im letzten Quartal des Jahres um "viel mehr als zwei Prozent" schrumpfen könne.
Starke Einbußen sind bereits jetzt zu verzeichnen. Allein Ford geht davon aus, dass es im September bis zu 120.000 Fahrzeuge weniger als ursprünglich geplant baut. Autohändler berichten von Verlusten zwischen 20 und 40 Prozent in der letzten Woche. Firmen wie General Motors werben bereits mit zinslosen Finanzierungslösungen beim Neuwagenkauf unter dem Motto "Keep America Rolling". Die US-Warenhäuser, die sich seit Jahren in einer Konsolidierungsphase befinden, bereiten sich ebenfalls auf schwache Monate vor.
... Kommt es allerdings zu weiteren Terrorattacken oder einer Eskalation im Mittleren Osten, könnten wohl auch monetäre und fiskalische Instrumente nicht mehr viel ausrichten. Die Entwicklung der Weltwirtschaft würde zunehmend vom Ölpreis abhängen. Schnellt er in die Höhe, wird dies der Wirtschaft einen weiteren Dämpfer verpassen. Verbraucher hätten - auf Grund höherer Benzin- und Heizölpreise - weniger Geld zur Verfügung. Auch die Industrieproduktion würde sich verteuern. ... (FTD, 24.9.01)
Wird es eine Rezession geben?
Der Schock vom 11. September dürfte mit allergrößter Wahrscheinlichkeit die Welt in eine ausgewachsene Rezession stürzen. Im zweiten Quartal 2001 stagnierte die Weltwirtschaft. Im dritten Quartal wird die Produktion vermutlich fallen, genauso im vierten Quartal. Für die Weltwirtschaft insgesamt dürfte das Wachstum dieses Jahr nicht viel über einem Prozent liegen. Damit wäre 2001 das schlechteste Jahr seit 1982. Seit Mitte der 70er Jahre ist die Wirtschaft weltweit nicht so stark und vor allem in allen wichtigen Regionen gleichzeitig abgekühlt. Die Zentralbanken haben reagiert und die Zinssätze ziemlich deutlich gesenkt. Das aber hat kurzfristig möglicherweise nur geringe Auswirkungen, denn Investoren und Verbraucher sind sehr zurückhaltend. Auch ächzt die US-Privatwirtschaft ohnehin schon unter außergewöhnlich großen Defiziten. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird es jetzt zu einer Rezession kommen und 2002 bestenfalls zu einer schwachen Erholung. (FTD, 23.9.01)
Kommentar: War schon vorher die Weltwirtschaft durch den Rückgang der Aktienpreise stark angeschlagen, so hat der Anschlag nun das Verbrauchervertrauen erst recht erschüttert. Ursache davon ist jedoch das Gesamtsystem, in welchem die Zinslasten viel schneller steigen, als die Wertschöpfung. Es ist kaum anzunehmen, daß in dieser Lage, noch dazu bei einbrechendem Konsum, je wieder ein Aufschwung stattfinden kann. Das System befindet sich in der Endphase
Gruss