Weil ich hier immer wieder von einer Unter- oder Überbewertung des Dax lese, versuche ich mal eine Milchmädchenrechnung. Meiner Meinung nach ist der Dax beides, über- und unterbewertet zugleich, je nach Sichtweise.
1. Zunächst die optimistische Perspektive
Hier wird unterstellt, dass die derzeitigen Risiken der Weltwirtschaft (Öl, Terror, Schulden, Überhitzung China etc.) nicht weiter zum Tragen kommen, und dass sich das Wachstum auf moderater Ebene fortsetzt, so wie es auch die Konjunkturprognosen der Institute wiedergeben. Unter diesen Annahmen soll das oft genannte 2005er KGV von 11 untersucht werden. Die folgende Rechnung ist zwar abstrakt und wegen der KGV Berechnung eines Indizes nicht ganz korrekt, aber sie gibt zumindest einen Fingerzeig. Richtig ist, die 11 liegt im historischen Vergleich schon ziemlich am unteren Rand der Schwankungsbreite. Ist sie auch realistisch? Dazu der Vergleich mit 2004. Das 2004er KGV liegt bei knapp 17 (gewichtet) oder 15 (nicht gewichtet). Das bedeutet, dass die Unternehmensgewinne 2005 um den Faktor 17/11 respektive 15/11 steigen müßten, also um 55% bzw. 36%. Nehmen wir den für die Analysten günstigeren Fall von 36% (in dubio pro reo). Bei gleichbleibender Rendite müßte demnach auch der Umsatz um die gleiche Rate steigen. Auch hier wollen wir gnädig sein und den KGV11gläubigen trotz der vergangenen Rationalisierungen und trotz der stark gestiegenen Rohstoffpreise eine weiteren Rationalisierungsschub unterstellen. Nach Adam Riese müßte dann der Umsatz der Daxunternehmen nach folgender Formel steigen U5 = U4*(1,36/a), wobei a ein Faktor für das Renditeverhältnis 2005/2004 ist. Bei gleichbleibender Rendite wäre a = 1. Bei um bspw. 50% steigender Rendite wäre a = 1,5. Bei um 25% fallender wäre a = 0,75. Im gnädigen Fall würde ich den Faktor auf 1,1 also eine 10%ige Renditesteigerung setzen, d.h. die Rationalisierungseffekte sind größer als die Kosteneffekte durch höhere Löhne und Rohstoffpreise. Das bedeutet, dass die Analysten, die hier mit der 11 tönen, eine Umsatzsteigerung der Dax-Unternehmen von 1,36/1,1 = 24% erwarten, und das auf der Basis der 2004 schon sehr gut laufenden Geschäfte. Da der Export jetzt schon brummt wie selten zuvor und sich eine leichte weltweite Abkühlung andeutet, ist eine weitere marktbreite Steigerung um 24% wohl nicht mehr zu erwarten, eher schon die Hälfte, also 12%. Bleiben die Binnenkonjunktur und der deutsche Konsum, die dann dieses Defzit ausgleichen müßten, um insgesamt wieder auf 24% zu kommen. Unter der Annahme, dass die Daxunternehmen zu ca. 1/3 exportieren, müßten bspw. die Inlandsumsätze sogar um 30% steigen. Angesichts der steigenden Energie- und anderer Rohstoffpreise sowie der Einschnitte ins Sozialsystem und der evtl. erforderlichen indirekten Steuererhöhungen (Subventionskürzungen) wg. des Defizits ist das schon eine stattliche Zahl, wie ich meine. Zusammenfassend läßt sich also sagen: Wer an das KGV von 11 glaubt, der glaubt in etwa auch folgende Annahmen, wobei das nur ein Auszug der möglichen Kombinationen aus obigen Parametern darstellt:
- Ausblendung aller Konjunkturrisiken (Öl, Schulden, Währungen, Terror, China...)
- Exportumsatzwachstum der Daxunternehmen von 12%
- Inlandsumsatzwachstum der Daxunternehmen von 30% !!!
- Gewinnsteigerung um 36%
- Renditesteigerung trotz Rohstoffpreise um 10%
Der Glaube sei natürlich jedem einzelnen selbst überlassen. Dafür spricht, dass die Konjunkturindiaktoren zwar fallen, aber das auf einem recht hohen Niveau. Demnach könnten die BIP Prognosen des moderaten Wachstums von +1,8% in 2005 für Deutschland zutreffen. Zwischen den 1,8% BIP Wachstum und den erforderlichen 24% Umsatzwachstum der Daxunternehmen gibt es zwar keinen direkten Zusammenhang, aber die Zahlen möchte ich doch genannt haben. Ich persönlich finde, da ist der Wunsch der Vater des Gedanken. Das Szenario vom 11er KGV ist der feuchte Traum derzeitiger Aktienbesitzer bzw. Käufer. Sollten diese Umsatz- und Gewinnsteigerungen aber tatsächlich eintreten, dann dürfte wohl auch ein KGV von 20 angebracht sein. Das würde wiederum einen DAX Stand von ca. 7.200 Punkten implizieren. Alleine die massive Diskrepanz zwischen Soll und Ist macht m.E. schon deutlich, dass der Markt wohl erhebliche Zweifel an dieser KGV-Schätzung hat.
2. Das pessimistische Szenario:
Hier soll bewußt nicht der Supergau einer weltweiten Wirtschaftskatastrophe betrachtet werden. Vielmehr soll angenommen werden, dass sich der Downtrend bei den Konjunkturindikatoren beschleunigt und ein oder mehrere wichtige Player wie China oder USA in leichte Turbulenzen geraten und eine normale Rezession einleiten. Auslöser könnten sein: Öl- und Rohstoffpreise, Überhitzung China, rascher Dollarverfall, Verschuldung, Terror, Immobilienblase oder ähnliches.
Man betrachte wieder den DAX unter diesen Voraussetzungen und mache die umgekehrte Rechnung. Es wird dabei unterstellt, dass die Gewinne der DAX Unternehmen in 2005 um nur 2/3 der oben errechneten optimistischen 36% Plus also um 24% einbrechen, was für eine Rezession nichts Außergewöhnliches wäre. Auf Umsatzschätzungen können wir hier verzichten. Aus dem KGV von knapp 17 (auch hier in dubio pro reo, deshalb das reale gewichtete KGV) würden schnell gut 22. Ein KGV von 22 in Zeiten einer bevorstehenden Rezession dürfte wohl als überbewertet gelten. Im Extrem könnte es in diesem Fall wieder auf 10 sinken. Das bedeutet, man müßte den jetzigen DAX Stand durch 2,2 dividieren und käme dann auf etwa 1.800 Punkte.
So, jetzt kann sich jeder aussuchen, was er will. Ich nehme die goldene Mitte. Logarithmisch ist das die 3.600. Heißt aber nicht, dass wir da mal nicht deutlich drüber oder drunter können.