F.A.Z.-Konjunkturanalyse
Freude über Aufschwung überwiegt Euro-Sorgen
Von Werner Mussler
06. Januar 2004 Die aktuellen Konjunkturaussichten für den Euro-Raum unterscheiden sich nicht grundlegend von jenen für Deutschland, die größte Volkswirtschaft des gemeinsamen Währungsgebiets. Die Mehrheit der Ökonomen rechnet nach drei Jahren mit sehr schwachem Wachstum für das Jahr 2004 erstmals mit einem deutlichen Plus des realen Bruttoinlandsprodukts. Die Prognosen liegen zwischen 1,5 und gut 2 Prozent Zuwachs.
Wie für Deutschland gilt auch für den gesamten Euro-Raum: Die Hoffnungen auf eine deutliche Belebung gründen fast ausschließlich auf der Erwartung der Exportwirtschaft, vom kräftigen Aufschwung der Weltwirtschaft profitieren zu können. Die Binnennachfrage dürfte frühestens in der zweiten Jahreshälfte anspringen. Zugleich erscheint der Export derzeit mit den stärksten Risiken behaftet: Der steigende Euro-Kurs nährt die Sorge, die Erholung könne wechselkursbedingt schon abgewürgt werden, bevor sie in einen sich selbst tragenden Aufschwung münde.
Produktionssteigerung in den großen Industrieländern
Abgesehen von diesen Sorgen, sind die Rahmenbedingungen für die Euro-Konjunktur aber so günstig wie schon lange nicht mehr. Im zweiten Halbjahr 2003 ist die Weltwirtschaft kräftig gewachsen. Die großen Industrieländer erlebten insgesamt einen deutlichen Produktionsanstieg. Die Wachstumsrate in den G-7-Staaten betrug im dritten Quartal - auf das Jahr hochgerechnet - rund 5 Prozent. Freilich geht dieses deutliche Plus in erster Linie auf das Konto der Vereinigten Staaten und Japans. Der Euro-Raum blieb mit einem Zuwachs von 1,5 Prozent (wiederum auf das Gesamtjahr hochgerechnet) der konjunkturelle Nachzügler. Nachdem die Euro-Wirtschaft aber im Quartal davor noch geschrumpft war, zeugt dieses Wachstum doch von einer Trendwende. Impulsgeber für diese Entwicklung war eindeutig die Weltwirtschaft.
Die globalen Konjunkturaussichten bleiben selbst dann gut, wenn die amerikanische Wirtschaft nicht in dem rasanten Tempo des zweiten Halbjahres 2003 weiterwachsen wird. Die weltpolitischen Risiken sind geringer geworden; der Ölpreis bewegt sich zwar derzeit auf einem relativ hohen Niveau, dürfte dieses Niveau aber mittelfristig kaum halten. Positiv wirkt außerdem die deutliche Erholung der Finanzmärkte. Sie signalisieren, daß die Unternehmen auf der ganzen Welt die Folgen der geplatzten Börsenblase langsam überwunden haben.
Impulse von der expansiven Geldpolitik
Im Euro-Raum kommen zudem Impulse von der derzeit sehr expansiven Geldpolitik. Bislang hat sich das indes noch nicht in einer deutlichen Zunahme der Investitionen niedergeschlagen. Das kann insofern nicht überraschen, als die gesamtwirtschaftliche Kapazitätsauslastung bis zur Jahresmitte 2003 zurückging und auch im dritten Quartal noch auf niedrigem Niveau lag.
Die konjunkturellen Frühindikatoren für den Euro-Raum sind weitgehend positiv. Der für diese Zeitung berechnete DZ-Bank-Euro-Indikator ist in den vergangenen Monaten gestiegen. Die Stimmung in der Industrie, gemessen am von der Europäischen Kommission ermittelten Industrievertrauen, hat sich in diesem Zeitraum ebenfalls deutlich verbessert, nachdem sie zuvor auf niedrigem Niveau stagniert hatte. Die jüngsten realwirtschaftlichen Indikatoren deuten darauf hin, daß diese Stimmungsverbesserung gerechtfertigt ist. Die Produktion im Verarbeitenden Gewerbe ist im Oktober um 1,1 Prozent gestiegen, und die von der europäischen Statistikbehörde Eurostat am Montag veröffentlichten Daten zum Auftragseingang sind ebenfalls positiv. Die Unternehmen des auftragsorientierten Verarbeitenden Gewerbes erhielten 1,6 Prozent mehr Aufträge als im Vormonat. Das ist das zweite deutliche Plus hintereinander.
Euro-Konjunktur am Tropf
Daß die Euro-Konjunktur derzeit am Tropf der Weltwirtschaft hängt und die Binnennachfrage zurückbleibt, zeigt sich nicht nur an den bislang schwachen Unternehmensinvestitionen. Vom privaten Verbrauch sind vorläufig keine allzu großen Impulse zu erwarten. Im Gegensatz zum Industrievertrauen hat sich das Verbrauchervertrauen im Euro-Raum in den vergangenen Monaten nur wenig verbessert. Die bislang vorliegenden Daten deuten nicht darauf hin, daß die Konsumenten ihre Zurückhaltung zum Jahresende aufgegeben haben. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, daß der bisher absehbare Aufschwung am Arbeitsmarkt weitgehend vorbeigehen dürfte. Niemand rechnet derzeit mit einer spürbaren Veränderung der Arbeitslosenquote, die während des vergangenen Jahres auf hohem Niveau stagnierte.
Somit bleibt es dabei: Die Auslandsnachfrage ist der Hoffnungsträger für die Euro-Konjunktur. Erst wenn sie über einen größeren Zeitraum hinweg anzieht, dürfte die Binnennachfrage nach und nach zulegen und einen sich selbst tragenden Aufschwung ermöglichen. Die Chancen dafür stehen bislang gut. Freilich: Auch jene, die wechselkursbedingte Konjunkturrisiken bislang als gering angesehen haben, blicken mit zunehmendem Stirnrunzeln auf den weiter steigenden Euro. Hans-Werner Sinn, der Chef des Münchner Ifo-Instituts, nannte am Montag den Wert von 1,30 Dollar je Euro als "Schmerzgrenze", von der an die Luft für die exportorientierten Unternehmen dünn werde. Sorge bereitet vor allem das Tempo, mit dem die Gemeinschaftswährung in den vergangenen Wochen zugelegt hat.
Spanien und Italien dürften stärker und hohem Euro leiden
Zwar gilt für fast alle Länder des Euro-Raums, was auch für Deutschland gilt: Mehr als 40 Prozent ihrer Waren exportieren sie in den Euro-Raum. Einige Staaten dürften aber möglicherweise stärker unter dem starken Euro leiden als Deutschland. Während die deutschen Exportunternehmen oft davon profitieren, daß sich ihre Wettbewerbsfähigkeit weniger über den Preis als über die Qualität ihrer Waren definiert, ist für Unternehmen aus anderen Staaten - etwa Spanien und Italien - der Preis häufiger der einzige Wettbewerbsparameter.
Die gewachsenen Risiken für die Euro-Konjunktur sollten indes nicht überschätzt werden. Die Chancen, die sich aus dem weltwirtschaftlichen Aufschwung ergeben, überwiegen immer noch deutlich die Risiken, die aus der Wechselkursentwicklung resultieren. Immer noch gilt die simple Aussage eines Bankvolkswirts, daß der Export immer profitiert, wenn die Weltwirtschaft boomt, unabhängig von der Wechselkursentwicklung. Zudem spricht vieles dafür, daß sich der Höhenflug der Gemeinschaftswährung jedenfalls nicht fortsetzt - auch wenn niemand eine schnelle Trendumkehr erwartet. Von der Europäischen Zentralbank (EZB) sollte niemand erwarten, daß sie den starken Euro zum Anlaß für eine abermalige Zinssenkung nimmt. Schon jetzt wirkt die Geldpolitik der EZB sehr expansiv. Und auch wenn die Inflationsrate im Dezember nach Eurostat-Angaben vom Montag von 2,2 auf 2,1 gesunken ist, liegt sie damit immer noch höher als der Wert, den die EZB mit Preisstabilität für vereinbar hält.
Der sorgenvolle Blick auf die Euro-Entwicklung sollte ohnehin nicht davon ablenken, daß die meisten Schwierigkeiten, die die Euro-Wirtschaft heute hat, politisch verursacht sind. Das Wachstumspotential im Euro-Raum ist weit niedriger als in Amerika. Der Grund sind verkrustete Arbeitsmärkte, überlastete Systeme der sozialen Sicherung und zerrüttete Staatsfinanzen. An diesen Problemen wird die absehbare Erholung nichts ändern.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.01.2004, Nr. 4 / Seite 10
Bildmaterial: F.A.Z..
www.eklein.de