Der milliardenteure Hafen-Stillstand
Hightech-Ware hängt fest, Wal-Mart fürchtet um Lieferungen, Fabriken droht der Stillstand: Der Arbeitskampf, der sämtliche Häfen der US-Westküste lahm legt, kostet Amerikas bereits gebeutelte Wirtschaft rund eine Milliarde Dollar pro Tag - nun könnte Präsident Bush auf der Basis eines obskuren Gesetzes eingreifen.
AP
Nichts bewegt sich: Ein ausgesperrter Hafenarbeiter im kalifornischen Oakland resigniert, während die Arbeit hinter den Hafenzäunen am zweiten Tag in Folge ruht
San Francisco/Seattle - Der Arbeitskampf in den 29 amerikanischen Häfen zwischen Seattle und San Diego ging am Dienstag in den zweiten Tag. 100 Schiffe warten auf Abfertigung, während 10.500 Dock-Arbeiter nicht zu ihren Arbeitsplätzen gelassen werden.
Seit Montag sind sie von den Hafenbetreibern und Reedern, die sich in der Pacific Maritime Association (PMA) zusammengeschlossen haben, ausgesperrt. Die PMA wirft den Beschäftigten vor, die Aussperrung durch einen mehrwöchigen Bummelstreik provoziert zu haben. Der Tarifvertrag für die Beschäftigten war bereits im 1. Juli ausgelaufen.
Domino-Effekt bedroht auch das Binnenland
Einen sensibleren Ort für einen Streik kann man sich jetzt, während die kriselnde US-Industrie und Einzelhändler sich auf das Weihnachtsgeschäft vorbereiten, kaum vorstellen. Rund die Hälfte der amerikanischen Exporte und Importe wird über die Häfen zwischen Oregon und Kalifornien abgewickelt.
Nach Schätzungen von Ökonomen, berichtet die "New York Times", könnte der Stillstand bereits in den ersten fünf Tagen einen ökonomischen Schaden von einer Milliarde Dollar täglich anrichten. Dauere der Konflikt länger, würden die Kosten exponentiell steigen.
Bushs Sprecher schlägt Alarm
Kein Wunder, dass sich Ari Fleischer, Sprecher der Bush-Regierung, bereits am Montag besorgt über die Eskalation äußerte. Selbst ein nur kurzer Arbeitskampf stelle ein großes Problem für die gesamte Wirtschaft dar, sagte er bei einer Pressekonferenz. Beobachter halten es für möglich, dass die Bush-Regierung auf der Grundlage des Taft-Hartley-Gesetzes intervenieren wird.
Dieses Gesetz aus dem Jahr 1947 erlaubt es dem Regierungschef, in Arbeitskämpfen eine 80-tägige "Abkühlperiode" zu verordnen, die für weitere Verhandlungen genutzt werden soll. Allerdings ist das Gesetz fast in Vergessenheit geraten. Zuletzt hatte Jimmy Carter im Jahr 1978 versucht, auf Grundlage von Taft-Hartley einen Streik in Kohlebergwerken zu unterbinden. Der Konflikt loderte später wieder auf. Rechtexperten streiten im übrigen darüber, ob es juristisch überhaupt legitim ist, das Gesetz nicht im Falle eines Streiks, sondern bei Aussperrungen anzuwenden.
Teure Alternative Flugzeug
In amerikanischen wie asiatischen Unternehmen, die vom Außenhandel abhängen, wird unterdessen eilig an Krisenplänen gefeilt. Der Automobilzulieferer Delphi etwa erwägt, Zubehör statt per Schiff mit Flugzeugen ins Land zu schaffen, obwohl dieser Lieferweg ungefähr dreimal teurer ist als der Seetransport. Auch Einzelhändler wie Sears Roebuck lassen einen Teil ihrer Ware per Flugzeug liefern und lenken Schiffe teilweise nach Mexiko um.
Die Luftfracht-Gesellschaften verfügen aber über zu wenig Kapazität und können die mögliche zusätzliche Nachfrage bei weitem nicht befriedigen. Eine Umleitung der Schiffe an die Ostküste scheidet oftmals aus, weil die betreffenden Schiffe meist nicht durch den Panama-Kanal passen. Einzelhändler wie Wal-Mart und Kmart fürchten bereits Fabrik-Stillstände bei wichtigen Zulieferbetrieben.
Sorge bei Toyota, Ärger bei Ford
Und während auch japanische Autohersteller wie Toyota und Honda prüfen, auf welchem alternativen Weg sie Tausende Pkw in die USA bringen können, gibt es für amerikanische Hersteller keinen Grund zur Schadenfreude: Beim Branchenzweiten Ford etwa sind 14 Fabriken von Importen abhängig, die über Westküste-Häfen abgewickelt werden.
Modeunternehmen wie Saks und Computerhersteller wie Gateway und Hewlett-Packard wiederum haben eines gemeinsam: Sie fürchten, dass Ware nicht rechtzeitig in die Läden kommt und die Umsätze im wichtigen Weihnachtgeschäft darunter leiden werden.
In den Häfen steht die Zeit still
Für Dienstag war ein weiteres Treffen zwischen Vertretern der PMA und der Dockarbeitergewerkschaft ILWU angesetzt. Einstweilen sieht es so aus, als würde sich der Streit zwischen hinziehen - ILWU-Chef James Spinosa ließ bisher keine Bereitschaft zum Kompromiss erkennen. Dass die Arbeitgeber zur Ultima ratio der Aussperrung gegriffen haben, dürfte die Gewerkschafter zunächst einmal vor allem verärgert haben. Der letzte Streik der Dockarbeiter dauerte immerhin 134 Tage - allerdings war das 1971.
Entzündet hat sich der Konflikt an Plänen für eine Modernisierung der US-Häfen. Die Betreibergesellschaften wollen Systeme installieren, die eine elektronische Be- und Entladung von Lkw erleichtern und es ermöglichen sollen, den Weg von Ware im Hafen elektronisch zu verfolgen.
Spitzengehälter für harte Handarbeit
Die Arbeitgeber werfen der Gewerkschaft vor, die Automatisierung seit Jahrzehnten systematisch blockiert zu haben. Häfen in Europa und Asien arbeiteten weitaus effizienter; so der Vorwurf - selbst in normalen Zeiten käme es in Amerikas Häfen bereits zu dramatischen Verzögerungen.
Die ILWU wiederum befürchtet, dass die Automatisierung Nischen für nicht gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte schaffen würde. Bisher kann sich die Dockarbeiter-Gewerkschaft nicht vorwerfen lassen, ihren Mitgliedern schlecht gedient zu haben. Nach Angaben des "Wall Street Journal" verdient ein normales ILWU-Mitglied, das 40 Stunden pro Woche Ware per Hand lädt und entlädt im Jahr rund 106.000 Dollar. Noch weitaus besser bezahlt sind die Vorarbeiter: Sie kommen laut "Journal" im Schnitt auf 166.000 Dollar jährlich.
Hightech-Ware hängt fest, Wal-Mart fürchtet um Lieferungen, Fabriken droht der Stillstand: Der Arbeitskampf, der sämtliche Häfen der US-Westküste lahm legt, kostet Amerikas bereits gebeutelte Wirtschaft rund eine Milliarde Dollar pro Tag - nun könnte Präsident Bush auf der Basis eines obskuren Gesetzes eingreifen.
AP
Nichts bewegt sich: Ein ausgesperrter Hafenarbeiter im kalifornischen Oakland resigniert, während die Arbeit hinter den Hafenzäunen am zweiten Tag in Folge ruht
San Francisco/Seattle - Der Arbeitskampf in den 29 amerikanischen Häfen zwischen Seattle und San Diego ging am Dienstag in den zweiten Tag. 100 Schiffe warten auf Abfertigung, während 10.500 Dock-Arbeiter nicht zu ihren Arbeitsplätzen gelassen werden.
Seit Montag sind sie von den Hafenbetreibern und Reedern, die sich in der Pacific Maritime Association (PMA) zusammengeschlossen haben, ausgesperrt. Die PMA wirft den Beschäftigten vor, die Aussperrung durch einen mehrwöchigen Bummelstreik provoziert zu haben. Der Tarifvertrag für die Beschäftigten war bereits im 1. Juli ausgelaufen.
Domino-Effekt bedroht auch das Binnenland
Einen sensibleren Ort für einen Streik kann man sich jetzt, während die kriselnde US-Industrie und Einzelhändler sich auf das Weihnachtsgeschäft vorbereiten, kaum vorstellen. Rund die Hälfte der amerikanischen Exporte und Importe wird über die Häfen zwischen Oregon und Kalifornien abgewickelt.
Nach Schätzungen von Ökonomen, berichtet die "New York Times", könnte der Stillstand bereits in den ersten fünf Tagen einen ökonomischen Schaden von einer Milliarde Dollar täglich anrichten. Dauere der Konflikt länger, würden die Kosten exponentiell steigen.
Bushs Sprecher schlägt Alarm
Kein Wunder, dass sich Ari Fleischer, Sprecher der Bush-Regierung, bereits am Montag besorgt über die Eskalation äußerte. Selbst ein nur kurzer Arbeitskampf stelle ein großes Problem für die gesamte Wirtschaft dar, sagte er bei einer Pressekonferenz. Beobachter halten es für möglich, dass die Bush-Regierung auf der Grundlage des Taft-Hartley-Gesetzes intervenieren wird.
Dieses Gesetz aus dem Jahr 1947 erlaubt es dem Regierungschef, in Arbeitskämpfen eine 80-tägige "Abkühlperiode" zu verordnen, die für weitere Verhandlungen genutzt werden soll. Allerdings ist das Gesetz fast in Vergessenheit geraten. Zuletzt hatte Jimmy Carter im Jahr 1978 versucht, auf Grundlage von Taft-Hartley einen Streik in Kohlebergwerken zu unterbinden. Der Konflikt loderte später wieder auf. Rechtexperten streiten im übrigen darüber, ob es juristisch überhaupt legitim ist, das Gesetz nicht im Falle eines Streiks, sondern bei Aussperrungen anzuwenden.
Teure Alternative Flugzeug
In amerikanischen wie asiatischen Unternehmen, die vom Außenhandel abhängen, wird unterdessen eilig an Krisenplänen gefeilt. Der Automobilzulieferer Delphi etwa erwägt, Zubehör statt per Schiff mit Flugzeugen ins Land zu schaffen, obwohl dieser Lieferweg ungefähr dreimal teurer ist als der Seetransport. Auch Einzelhändler wie Sears Roebuck lassen einen Teil ihrer Ware per Flugzeug liefern und lenken Schiffe teilweise nach Mexiko um.
Die Luftfracht-Gesellschaften verfügen aber über zu wenig Kapazität und können die mögliche zusätzliche Nachfrage bei weitem nicht befriedigen. Eine Umleitung der Schiffe an die Ostküste scheidet oftmals aus, weil die betreffenden Schiffe meist nicht durch den Panama-Kanal passen. Einzelhändler wie Wal-Mart und Kmart fürchten bereits Fabrik-Stillstände bei wichtigen Zulieferbetrieben.
Sorge bei Toyota, Ärger bei Ford
Und während auch japanische Autohersteller wie Toyota und Honda prüfen, auf welchem alternativen Weg sie Tausende Pkw in die USA bringen können, gibt es für amerikanische Hersteller keinen Grund zur Schadenfreude: Beim Branchenzweiten Ford etwa sind 14 Fabriken von Importen abhängig, die über Westküste-Häfen abgewickelt werden.
Modeunternehmen wie Saks und Computerhersteller wie Gateway und Hewlett-Packard wiederum haben eines gemeinsam: Sie fürchten, dass Ware nicht rechtzeitig in die Läden kommt und die Umsätze im wichtigen Weihnachtgeschäft darunter leiden werden.
In den Häfen steht die Zeit still
Für Dienstag war ein weiteres Treffen zwischen Vertretern der PMA und der Dockarbeitergewerkschaft ILWU angesetzt. Einstweilen sieht es so aus, als würde sich der Streit zwischen hinziehen - ILWU-Chef James Spinosa ließ bisher keine Bereitschaft zum Kompromiss erkennen. Dass die Arbeitgeber zur Ultima ratio der Aussperrung gegriffen haben, dürfte die Gewerkschafter zunächst einmal vor allem verärgert haben. Der letzte Streik der Dockarbeiter dauerte immerhin 134 Tage - allerdings war das 1971.
Entzündet hat sich der Konflikt an Plänen für eine Modernisierung der US-Häfen. Die Betreibergesellschaften wollen Systeme installieren, die eine elektronische Be- und Entladung von Lkw erleichtern und es ermöglichen sollen, den Weg von Ware im Hafen elektronisch zu verfolgen.
Spitzengehälter für harte Handarbeit
Die Arbeitgeber werfen der Gewerkschaft vor, die Automatisierung seit Jahrzehnten systematisch blockiert zu haben. Häfen in Europa und Asien arbeiteten weitaus effizienter; so der Vorwurf - selbst in normalen Zeiten käme es in Amerikas Häfen bereits zu dramatischen Verzögerungen.
Die ILWU wiederum befürchtet, dass die Automatisierung Nischen für nicht gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte schaffen würde. Bisher kann sich die Dockarbeiter-Gewerkschaft nicht vorwerfen lassen, ihren Mitgliedern schlecht gedient zu haben. Nach Angaben des "Wall Street Journal" verdient ein normales ILWU-Mitglied, das 40 Stunden pro Woche Ware per Hand lädt und entlädt im Jahr rund 106.000 Dollar. Noch weitaus besser bezahlt sind die Vorarbeiter: Sie kommen laut "Journal" im Schnitt auf 166.000 Dollar jährlich.