28.08. USA
"Feierlichste Amtspflicht"
Das Unbehagen an Giftspritze und elektrischem Stuhl wächst: Gouverneure lassen Todesurteile überprüfen, der Oberste Gerichtshof schränkt die Anzahl der Hinrichtungen ein, Washingtons Politiker wollen die Rechte der Delinquenten stärken. Doch die Todesstrafe selbst steht nicht zur Debatte.
DPA
Todeszelle in Huntsville (Texas): Absage an die kulturellen Standards demokratischer Staaten
Toronto Patterson sitzt schon auf dem Hocker hinter der Plexiglasscheibe, ein großer, nett aussehender Junge in der blütenweißen Anstaltskluft, an der die Todeskandidaten im Staatsgefängnis von Livingston zu erkennen sind. Wenn er lächelt, und er lächelt oft, entblößt er irritierend goldene Zähne, die in unregelmäßiger Anordnung sein Gebiss zieren. Im Schwarzen-Ghetto von Dallas, wo der Gefangene 999178 aufwuchs, gehörte die ins Auge springende Veränderung zu den Statussymbolen der Drogendealer. Ruhig sitzt er da und schaut seinen Besucher halb neugierig, halb spöttisch an.
Patterson war 17, als sich "das Ding" ereignete, wie er den dreifachen Mord am 6. Juni 1995 nennt, für den er vom Staat Texas zum Tode durch Giftinjektion verurteilt worden ist. Er stand an diesem Morgen spät wie immer auf. Er wohnte bei seiner Freundin, er lebte das geregelte Leben eines gut vernetzten Drogendealers mit sicheren Abnehmern im Ghetto. Er verkaufte Crack, den wilden, gefährlichen Glücksbringer für Kunden, die sich Kokain in Pulverform nicht leisten können. Pro Woche nahm er 500 bis 600 Dollar ein, manchmal 800. Zum subkulturellen Code des Ghettos von Dallas gehörte es, dass die Dealer nicht selbst Drogen nahmen. Patterson hielt sich daran.
Seinen Wohlstand stellte er wie die anderen Dealer mit seinem Auto, an dem Radspeichen aus zwölfkarätigem Gold, Marke Dayton, prangten, und seinen goldenen Zähnen zur Schau. Die Polizei von Dallas kannte die Verteilungswege für das Crack ganz gut. Sie durchsuchte Pattersons Wagen oft genug, um zu wissen, dass er zwar keinen Führerschein, aber eine Waffe besaß. Auch das FBI war schon vor den Morden hinter ihm her. Patterson wäre früher oder später im Gefängnis gelandet, verurteilt zu 20 Jahren, dem gängigen Strafmaß für Drogendealer.
Die drei Getöteten kannte er gut. Sie gehörten zu seiner Familie. Seine 25 Jahre alte Cousine Kim muss arglos gewesen sein, denn sie saß entspannt auf ihrer Couch, als ein Schuss in ihren Kopf einschlug. Die sechsjährige Jennifer schaute im Nebenzimmer fern, als eine präzise Kugel ihren Schädel zerschmetterte.
DER SPIEGEL
Die Kleinste, die drei Jahre alte Ollie, kam zuletzt dran und muss geahnt haben, was ihr bevorstand. Sie verkroch sich im unteren Etagenbett, schützte ihr Ohr mit der linken Hand, als wollte sie den Schuss, der sie töten würde, nicht hören. Die Kugel, abgefeuert aus einem knappen Meter Entfernung, durchschlug die Hand und drang in die Schläfe ein.
Patterson konnte auch gar nicht leugnen, dass er an diesem Tag im Haus am Pleasant Grove gewesen war. Er geriet in Verdacht, weil er von einem alten BMW, der in der Garage stand, die Felgen abmontiert hatte. Er versuchte noch am selben Tag, sie zu verkaufen. Polizei, Staatsanwalt und Gericht zogen daraus die Schlussfolgerung, er habe seine Cousine und die beiden Kinder umgebracht, weil sie ihn womöglich als Dieb hätten identifizieren können.
Patterson legte im Verhör auf der Polizeiwache auch ein Geständnis ab, widerrief es aber gleich danach - es sei ihm vom verhörenden Kriminalbeamten abgepresst worden. Die Tatwaffe wurde nie gefunden.
Über sein kurzes, trostloses Leben hat Patterson in seiner Zelle in Livingston viele Blätter Papier vollgeschrieben, die er ironiefrei seine Autobiografie nennt. Die Lektüre diente seinen wechselnden Verteidigern als Zugang ins Labyrinth seiner Seele. Verständliche Sätze in richtiger Syntax - das ist nicht schlecht für einen Jungen aus einer Welt, in der Drogen alles und Schulen nichts bedeuten.
Doch der Strom der Prosa, der ihm Ablenkung und auch die Ahnung verschaffte, dass er intelligent genug für ein anderes Leben gewesen wäre, ist mittlerweile versiegt. Am Tag, als er seinen Hinrichtungstermin erfuhr, stellte er die schriftlichen Mitteilungen aus seiner Zelle ein.
An diesem Mittwoch nun soll Toronto Patterson mit einer Injektion getötet werden - eine Exekution, die aus zwei Gründen in die Annalen eingehen wird: wegen des schrecklichen Todes der kleinen Ollie und weil Patterson zur Tatzeit minderjährig war. Zudem wird er der dritte Häftling in Texas binnen drei Monaten sein, der für Delikte mit dem Tode bestraft wird, die er als Jugendlicher beging. Deshalb wird er in seinen letzten Lebenswochen auch noch zur Berühmtheit.
Die Uno-Menschenrechtsbeauftragte Mary Robinson legte Protest gegen das Urteil ein. Die "Konvention für die Rechte des Kindes", 1989 von den Vereinten Nationen verabschiedet, verbietet die Exekution von Tätern, die zur Tatzeit minderjährig waren. Allerdings gibt es zwei Staaten, die bisher nicht beigetreten sind: die USA und Somalia, eine bizarre Verweigerungsallianz. Auch die Europäische Union erinnerte die Vereinigten Staaten an die kulturellen Standards demokratischer Staaten: dass jugendliche Täter von der Todesstrafe ausgenommen sind.
Die vielen amerikanischen Bürgerrechtsgruppen, die momentan Aufwind in ihrer Kampagne gegen die Todesstrafe verspüren, haben Websites für Patterson eingerichtet. Die Zahl der Prominenten, die sich für ihn einsetzen, wächst mit dem Herannahen des Todestages.
Der Wirbel um die Hinrichtung ist diesmal mehr als der Aufschrei der üblichen Verdächtigen. Denn auch in den USA breitet sich das Unbehagen an der Todesstrafe aus. Zwar halten die meisten Amerikaner Exekutionen noch immer für eine angemessene Strafe, um den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Aber mittlerweile ist nur noch schwer zu leugnen, dass Gerichte und Geschworene auch Unschuldige zum Tode verurteilen. Und dies ist nicht mehr allein das Mantra der Bürgerrechtsgruppen - die Erkenntnis hat inzwischen das amerikanische Establishment erreicht.
Vor kurzem verhängte der Gouverneur von Maryland, Parris Glendening, ein Moratorium für die Todesstrafe in seinem Bundesstaat. Da er beileibe kein leidenschaftlicher Gegner von Hinrichtungen ist, erregte seine Begründung um so größeres Aufsehen: Er zweifle an der Gerechtigkeit der Gerichtsverfahren, weil ihm aufgefallen sei, dass überproportional viele Schwarze die Höchststrafe erhielten. Glendening setzte eine Kommission ein, die 6000 Mordfälle seit 1978 auf rassistisch motivierte Urteile untersuchen soll. Der Bericht steht im September an.
AFP/DPA
US-Proteste gegen die Todesstrafe: Mehr als ein Aufschrei der üblichen Verdächtigen
Der Gouverneur von Illinois, George Ryan, ursprünglich ein Verfechter der Todesstrafe, verhängte ebenfalls ein Moratorium. Professoren an der Northwestern University in Chicago hatten 159 Kapitalverbrechen analysiert und waren zum Ergebnis gelangt, dass in vielen Fällen der Verteidigung und der Polizei gravierende Fehler zum Nachteil der angeblichen Mörder unterlaufen waren. Daraufhin musste Ryan 13 Todeskandidaten freilassen. "Für einen Gouverneur ist die Todesstrafe die feierlichste Amtspflicht", sagt der Gouverneur, "da möchte man schon verflixt sicher sein, dass man das Richtige tut."
Die Gouverneure von Maryland und Illinois zogen fürs Erste die Konsequenzen aus der Unsicherheit, dass sie auch Falsche in den Tod schicken könnten. Beide wollen nicht wiedergewählt werden, so nehmen sie sich die Freiheit zu einer Art Gesamtinventur der Rechtspflege rund um die Todesstrafe. Genau darüber wird mittlerweile auf allen Ebenen mehr oder weniger laut debattiert: im Kongress und im Supreme Court, an den Universitäten, die eine große Rolle bei der Überprüfung alter Urteile spielen, und in der Regierung.
Das große Unbehagen, das den Glauben an die Gerechtigkeit der US-Justiz aushöhlt, hatten spektakuläre Freilassungen aus der Todeszelle ausgelöst, oft in allerletzter Minute, weil sich die Unschuld der Verurteilten zweifelsfrei erwiesen hatte - durch unbestechliche DNS-Tests, mit denen sich Gerichtsurteile außer Kraft setzen lassen. Fast im Drei-Monats-Takt wurden in den Vereinigten Staaten seit dem wissenschaftlichen Durchbruch des Verfahrens Fälle bekannt, in denen über viele Instanzen hinweg Todesurteile Bestätigung gefunden hatten, die am Ende unhaltbar waren.
108 Delinquenten konnten nach jüngster Zählung die Death Row, oft nach vielen Jahren Haft, verlassen. Da in 20 Prozent aller Mordfälle biologisches Material anfällt, das durch DNS-Tests bestimmt werden kann, dürften unter den insgesamt 3718 Todeskandidaten in amerikanischen Gefängnissen noch weitere Unschuldige zu finden sein. Auf die Suche machen sich, nach dem Vorbild des New Yorker Jura-Professors Barry Scheck, mittlerweile 35 juristische Fakultäten im ganzen Land, wobei die Hauptarbeit - Aktenstudium, Interviews, Recherche, Aufspüren des oft vergessenen oder unbeachteten DNS-Materials - den Studenten zufällt.
DER SPIEGEL
Schon jetzt haben die findigen Studenten den Glauben an die Todesstrafe schwer erschüttert. Die Schockwellen verspürte offensichtlich auch der Supreme Court, der in kurzer Zeit zwei Grundsatzentscheidungen fällte, bei denen er seine eigene Rechtsprechung dramatisch korrigierte.
Im Juni erging das Verbot, geistig zurückgebliebene Täter hinzurichten, weil sie lediglich vermindert schuldfähig seien. Schätzungsweise zehn Prozent aller 3718 Todeshäftlinge verfügen über einen Intelligenzquotienten unter 70, der statistischen Schwelle zum Schwachsinn, und könnten demnächst die Death Row verlassen, denn das Urteil der obersten Richter gilt rückwirkend. Die Strafen werden in lebenslänglich umgewandelt.
Ob ein Angeklagter von den Geschworenen oder vom Richter zum Tode verurteilt wird, war bislang von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden. Mit seinem zweiten Grundsatzurteil verfügte der Supreme Court ebenfalls im Juni, dass die Jury über das Strafmaß bestimmen muss. Davon sind vermutlich wiederum 776 Todeskandidaten betroffen. Sie haben Anspruch auf einen neuen Prozess.
Das mehrheitlich konservative oberste US-Gericht beseelt durchaus kein Übermaß an Milde. Es will die Todesstrafe retten, indem es Exzesse begrenzt. Aus Sicht der Richter ist nicht das Prinzip fragwürdig, sondern nur die Praxis.
Den neun Richtern liegt inzwischen ein dritter Fall vor, in dem es wieder um den Kreis der Täter geht, die hingerichtet werden dürfen. Sie müssen eine Grundsatzentscheidung fällen, ob verurteilte Mörder, die wie Patterson zur Tatzeit erst 17 Jahre alt waren, vom Staat getötet werden dürfen - bisher ist 16 das Mindestalter für die Todesstrafe. Gut möglich, dass sich der Supreme Court wieder zur milderen Rechtsauffassung durchringt. Von diesem Grundsatzurteil hängt ab, ob die Strafen für 80 Häftlinge in lebenslänglich umgewandelt werden.
Solange das Urteil aus Washington aussteht, könnten die Exekutionen von Patterson und anderen Todeskandidaten mit guten Gründen ausgesetzt werden. Der Gouverneur von Missouri zog denn auch diese Konsequenz, der Gouverneur von Texas jedoch nicht. Ohnehin vollstrecken momentan nur noch sieben Bundesstaaten die Höchststrafe an minderjährigen Mördern. Texas aber hält auch in dieser kleinen radikalen Minderheit, die aus-schließlich aus Südstaaten besteht, den Rekord: zwölf Hinrichtungen an jugendlichen Tätern seit 1985, Virginia folgt mit dreien.
Dass da der alte Gegensatz zwischen Nord- und Südstaaten auflebt, ist nur eine Arabeske. Mehr Bedeutung haben die großen Koalitionen zwischen Republikanern und Demokraten, die sich derzeit in vielen Bundesstaaten, aber auch in Washington für eine Reform der Todesstrafe bilden.
Im Senat und im Repräsentantenhaus gibt es schon länger den "Innocence Protection Act", ein Gemeinschaftswerk von Regierung und Opposition, das mittlerweile in beiden Häusern eine Mehrheit besitzt. Die Politiker beider Parteien haben eine Bestandsaufnahme vorgenommen, um die praktischen Konsequenzen aus den Verfahrensmängeln zu ziehen, die notorisch in Mordprozessen auftreten. Denn die Irrtümer bei der Urteilsfindung "untergraben den Glauben in unser Rechtssystem", meint Senator Patrick Leahy, einer der Initiatoren des Projekts.
Die Ursachen für Fehlurteile sind schon lange kein Geheimnis mehr. Doch erst jetzt werden die Klagen über ignorante Verteidiger, über die Unterdrückung entlastender Beweise oder die Missachtung mildernder Umstände bei der Strafzumessung ernst genommen. Weil Senatoren, Abgeordnete und Professoren, die nicht im Verdacht der Systemunterwanderung stehen, ganz selbstverständlich darüber reden, dass Richter und Geschworene etwa aus rassistischen oder sozialen Vorurteilen fälschlich Angeklagte in die Death Row schicken, scheint plötzlich der Weg zur Reform frei.
Deren Kernpunkte kamen bei einem gemeinsamen Hearing von Senat und Repräsentantenhaus zur Sprache. Danach sollte die Bundesregierung finanzielle Hilfe für die teuren DNS-Tests gewähren. Häftlinge, deren Unschuld sich erweist, sollen künftig für die Jahre hinter Gittern angemessene Entschädigung erhalten. Ray Krone, die historische Nummer 100 unter den nach einem DNS-Test Freigekommenen, hatte nach zehneinhalb Jahren Haft ein Entschuldigungsschreiben vom Staatsanwalt und 50 Dollar erhalten.
Im Zentrum der Reform aber stehen die Pflichtverteidiger, von deren Können oder Unvermögen für die Angeklagten so gut wie alles abhängt. Berühmtheit erlangte der Anwalt Joe Cannon aus Houston in Texas, der große Teile der Hauptverhandlung bei einem Mordprozess verschlief. Und weil auch nicht länger übersehen werden kann, dass Polizisten zuweilen Geständnisse erzwingen, sollen sämtliche Vernehmungen künftig auf Video aufgezeichnet werden - in Alaska und Minnesota ist das heute schon üblich.
Beim dreifachen Mord in Dallas tappten die Ermittler zunächst im Dunkeln. Am Tatort fanden sich keine Hinweise, wer Kim und ihre kleinen Mädchen getötet haben mochte. Erst bei der Untersuchung der Garage fiel den Polizisten auf, dass die goldenen Prestigespeichen am BMW fehlten - die Patterson, wie rasch klar war, in seinen Besitz gebracht hatte.
Ein erfahrener Kriminalbeamter nahm sich den jungen Drogendealer aus dem Ghetto vor: Die Mordwaffe sei gefunden worden, Pattersons Fingerabdrücke seien darauf, keine Chance mehr, die Wahrheit abzustreiten. Nichts davon stimmte, aber die Finte wirkte. Nach fünf Stunden schließlich unterschrieb Patterson ein Geständnis. Seine Angaben, aus welcher Entfernung er die drei erschossen habe, standen zwar im Gegensatz zur Rekonstruktion der Polizei, aber darauf kam es jetzt nicht mehr an.
Tatsächliche Spuren hatten sich jedoch bei einem ganz anderen gefunden, bei Oliver Brown, Kims Lebensgefährten und Vater der Opfer, der gerade nach drei Jahren Gefängnis wegen Kokainbesitzes entlassen worden war: Ihm wurden chemische Verbindungen an der Hand nachgewiesen, die beim Abfeuern einer Waffe auftreten. Sie könnten aber auch entstehen, schränkte der Sachverständige ein, wenn jemand am Motor seines Wagens herumbastle, was Brown behauptete. Er gehörte deshalb nicht zu den Verdächtigen.
Patterson aber erzählt damals wie heute eine ganz andere Geschichte zu seiner Entlastung. Er sei von zwei jamaikanischen Drogendealern, denen seine Cousine Kim Geld für Kokain schuldete, mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden, die Speichenräder abzumontieren. Er habe sie ihnen später liefern sollen. Seine Cousine und die Kinder hätten noch gelebt, als er weggefahren sei.
Der Drogenimport in Dallas lag in dieser Zeit tatsächlich in den Händen jamaikanischer Gangs. Doch der Polizei gelang es nicht, die beiden von Patterson beschriebenen Geldeintreiber ausfindig zu machen. Die Kriminalbeamten gaben sich allerdings auch gar nicht erst den Anschein intensiver Suche - obwohl Kims Schwester, als Zeugin der Anklage, die Existenz der beiden Figuren bestätigte. Als Täter blieb Patterson übrig.
Doch was war mit dem Motiv für die Morde? Aus den Drogengeschäften besaß Patterson genug Geld, um sich neue goldene Dayton-Speichenräder für rund 5000 Dollar zu kaufen. Und wenn er sie vom BMW hätte stehlen wollen, hätte er sich auch ohne dreifachen Mord Zutritt zur Garage verschaffen können.
Tatsächlich trägt das Unbehagen an der Todesstrafe momentan dazu bei, dass jeder Fall in der Öffentlichkeit verschärft durchleuchtet wird. Pattersons Pflichtverteidiger hat Berufung gegen die Todesstrafe beim Supreme Court eingelegt. Er verweist auf internationale Verträge, die Amerika missachte, und auf das Grundsatzurteil, das die obersten Richter fällen werden.
Doch das sind wohl illusionslose Pflichtübungen. Nur ein DNS-Test könnte Patterson vor der Hinrichtung bewahren, aber 1995 wurde am Tatort nicht nach biologischem Material gefahndet. Das Urteil der höchsten Richter über das Mindestalter in der Death Row steht erst im Herbst an.
So könnte Toronto Patterson in die amerikanische Justizgeschichte eingehen - als der letzte Mörder, der für eine Tat, die er mit 17 beging, hingerichtet worden ist.
GERHARD SPÖRL
"Feierlichste Amtspflicht"
Das Unbehagen an Giftspritze und elektrischem Stuhl wächst: Gouverneure lassen Todesurteile überprüfen, der Oberste Gerichtshof schränkt die Anzahl der Hinrichtungen ein, Washingtons Politiker wollen die Rechte der Delinquenten stärken. Doch die Todesstrafe selbst steht nicht zur Debatte.
DPA
Todeszelle in Huntsville (Texas): Absage an die kulturellen Standards demokratischer Staaten
Toronto Patterson sitzt schon auf dem Hocker hinter der Plexiglasscheibe, ein großer, nett aussehender Junge in der blütenweißen Anstaltskluft, an der die Todeskandidaten im Staatsgefängnis von Livingston zu erkennen sind. Wenn er lächelt, und er lächelt oft, entblößt er irritierend goldene Zähne, die in unregelmäßiger Anordnung sein Gebiss zieren. Im Schwarzen-Ghetto von Dallas, wo der Gefangene 999178 aufwuchs, gehörte die ins Auge springende Veränderung zu den Statussymbolen der Drogendealer. Ruhig sitzt er da und schaut seinen Besucher halb neugierig, halb spöttisch an.
Patterson war 17, als sich "das Ding" ereignete, wie er den dreifachen Mord am 6. Juni 1995 nennt, für den er vom Staat Texas zum Tode durch Giftinjektion verurteilt worden ist. Er stand an diesem Morgen spät wie immer auf. Er wohnte bei seiner Freundin, er lebte das geregelte Leben eines gut vernetzten Drogendealers mit sicheren Abnehmern im Ghetto. Er verkaufte Crack, den wilden, gefährlichen Glücksbringer für Kunden, die sich Kokain in Pulverform nicht leisten können. Pro Woche nahm er 500 bis 600 Dollar ein, manchmal 800. Zum subkulturellen Code des Ghettos von Dallas gehörte es, dass die Dealer nicht selbst Drogen nahmen. Patterson hielt sich daran.
Seinen Wohlstand stellte er wie die anderen Dealer mit seinem Auto, an dem Radspeichen aus zwölfkarätigem Gold, Marke Dayton, prangten, und seinen goldenen Zähnen zur Schau. Die Polizei von Dallas kannte die Verteilungswege für das Crack ganz gut. Sie durchsuchte Pattersons Wagen oft genug, um zu wissen, dass er zwar keinen Führerschein, aber eine Waffe besaß. Auch das FBI war schon vor den Morden hinter ihm her. Patterson wäre früher oder später im Gefängnis gelandet, verurteilt zu 20 Jahren, dem gängigen Strafmaß für Drogendealer.
Die drei Getöteten kannte er gut. Sie gehörten zu seiner Familie. Seine 25 Jahre alte Cousine Kim muss arglos gewesen sein, denn sie saß entspannt auf ihrer Couch, als ein Schuss in ihren Kopf einschlug. Die sechsjährige Jennifer schaute im Nebenzimmer fern, als eine präzise Kugel ihren Schädel zerschmetterte.
DER SPIEGEL
Die Kleinste, die drei Jahre alte Ollie, kam zuletzt dran und muss geahnt haben, was ihr bevorstand. Sie verkroch sich im unteren Etagenbett, schützte ihr Ohr mit der linken Hand, als wollte sie den Schuss, der sie töten würde, nicht hören. Die Kugel, abgefeuert aus einem knappen Meter Entfernung, durchschlug die Hand und drang in die Schläfe ein.
Patterson konnte auch gar nicht leugnen, dass er an diesem Tag im Haus am Pleasant Grove gewesen war. Er geriet in Verdacht, weil er von einem alten BMW, der in der Garage stand, die Felgen abmontiert hatte. Er versuchte noch am selben Tag, sie zu verkaufen. Polizei, Staatsanwalt und Gericht zogen daraus die Schlussfolgerung, er habe seine Cousine und die beiden Kinder umgebracht, weil sie ihn womöglich als Dieb hätten identifizieren können.
Patterson legte im Verhör auf der Polizeiwache auch ein Geständnis ab, widerrief es aber gleich danach - es sei ihm vom verhörenden Kriminalbeamten abgepresst worden. Die Tatwaffe wurde nie gefunden.
Über sein kurzes, trostloses Leben hat Patterson in seiner Zelle in Livingston viele Blätter Papier vollgeschrieben, die er ironiefrei seine Autobiografie nennt. Die Lektüre diente seinen wechselnden Verteidigern als Zugang ins Labyrinth seiner Seele. Verständliche Sätze in richtiger Syntax - das ist nicht schlecht für einen Jungen aus einer Welt, in der Drogen alles und Schulen nichts bedeuten.
Doch der Strom der Prosa, der ihm Ablenkung und auch die Ahnung verschaffte, dass er intelligent genug für ein anderes Leben gewesen wäre, ist mittlerweile versiegt. Am Tag, als er seinen Hinrichtungstermin erfuhr, stellte er die schriftlichen Mitteilungen aus seiner Zelle ein.
An diesem Mittwoch nun soll Toronto Patterson mit einer Injektion getötet werden - eine Exekution, die aus zwei Gründen in die Annalen eingehen wird: wegen des schrecklichen Todes der kleinen Ollie und weil Patterson zur Tatzeit minderjährig war. Zudem wird er der dritte Häftling in Texas binnen drei Monaten sein, der für Delikte mit dem Tode bestraft wird, die er als Jugendlicher beging. Deshalb wird er in seinen letzten Lebenswochen auch noch zur Berühmtheit.
Die Uno-Menschenrechtsbeauftragte Mary Robinson legte Protest gegen das Urteil ein. Die "Konvention für die Rechte des Kindes", 1989 von den Vereinten Nationen verabschiedet, verbietet die Exekution von Tätern, die zur Tatzeit minderjährig waren. Allerdings gibt es zwei Staaten, die bisher nicht beigetreten sind: die USA und Somalia, eine bizarre Verweigerungsallianz. Auch die Europäische Union erinnerte die Vereinigten Staaten an die kulturellen Standards demokratischer Staaten: dass jugendliche Täter von der Todesstrafe ausgenommen sind.
Die vielen amerikanischen Bürgerrechtsgruppen, die momentan Aufwind in ihrer Kampagne gegen die Todesstrafe verspüren, haben Websites für Patterson eingerichtet. Die Zahl der Prominenten, die sich für ihn einsetzen, wächst mit dem Herannahen des Todestages.
Der Wirbel um die Hinrichtung ist diesmal mehr als der Aufschrei der üblichen Verdächtigen. Denn auch in den USA breitet sich das Unbehagen an der Todesstrafe aus. Zwar halten die meisten Amerikaner Exekutionen noch immer für eine angemessene Strafe, um den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Aber mittlerweile ist nur noch schwer zu leugnen, dass Gerichte und Geschworene auch Unschuldige zum Tode verurteilen. Und dies ist nicht mehr allein das Mantra der Bürgerrechtsgruppen - die Erkenntnis hat inzwischen das amerikanische Establishment erreicht.
Vor kurzem verhängte der Gouverneur von Maryland, Parris Glendening, ein Moratorium für die Todesstrafe in seinem Bundesstaat. Da er beileibe kein leidenschaftlicher Gegner von Hinrichtungen ist, erregte seine Begründung um so größeres Aufsehen: Er zweifle an der Gerechtigkeit der Gerichtsverfahren, weil ihm aufgefallen sei, dass überproportional viele Schwarze die Höchststrafe erhielten. Glendening setzte eine Kommission ein, die 6000 Mordfälle seit 1978 auf rassistisch motivierte Urteile untersuchen soll. Der Bericht steht im September an.
AFP/DPA
US-Proteste gegen die Todesstrafe: Mehr als ein Aufschrei der üblichen Verdächtigen
Der Gouverneur von Illinois, George Ryan, ursprünglich ein Verfechter der Todesstrafe, verhängte ebenfalls ein Moratorium. Professoren an der Northwestern University in Chicago hatten 159 Kapitalverbrechen analysiert und waren zum Ergebnis gelangt, dass in vielen Fällen der Verteidigung und der Polizei gravierende Fehler zum Nachteil der angeblichen Mörder unterlaufen waren. Daraufhin musste Ryan 13 Todeskandidaten freilassen. "Für einen Gouverneur ist die Todesstrafe die feierlichste Amtspflicht", sagt der Gouverneur, "da möchte man schon verflixt sicher sein, dass man das Richtige tut."
Die Gouverneure von Maryland und Illinois zogen fürs Erste die Konsequenzen aus der Unsicherheit, dass sie auch Falsche in den Tod schicken könnten. Beide wollen nicht wiedergewählt werden, so nehmen sie sich die Freiheit zu einer Art Gesamtinventur der Rechtspflege rund um die Todesstrafe. Genau darüber wird mittlerweile auf allen Ebenen mehr oder weniger laut debattiert: im Kongress und im Supreme Court, an den Universitäten, die eine große Rolle bei der Überprüfung alter Urteile spielen, und in der Regierung.
Das große Unbehagen, das den Glauben an die Gerechtigkeit der US-Justiz aushöhlt, hatten spektakuläre Freilassungen aus der Todeszelle ausgelöst, oft in allerletzter Minute, weil sich die Unschuld der Verurteilten zweifelsfrei erwiesen hatte - durch unbestechliche DNS-Tests, mit denen sich Gerichtsurteile außer Kraft setzen lassen. Fast im Drei-Monats-Takt wurden in den Vereinigten Staaten seit dem wissenschaftlichen Durchbruch des Verfahrens Fälle bekannt, in denen über viele Instanzen hinweg Todesurteile Bestätigung gefunden hatten, die am Ende unhaltbar waren.
108 Delinquenten konnten nach jüngster Zählung die Death Row, oft nach vielen Jahren Haft, verlassen. Da in 20 Prozent aller Mordfälle biologisches Material anfällt, das durch DNS-Tests bestimmt werden kann, dürften unter den insgesamt 3718 Todeskandidaten in amerikanischen Gefängnissen noch weitere Unschuldige zu finden sein. Auf die Suche machen sich, nach dem Vorbild des New Yorker Jura-Professors Barry Scheck, mittlerweile 35 juristische Fakultäten im ganzen Land, wobei die Hauptarbeit - Aktenstudium, Interviews, Recherche, Aufspüren des oft vergessenen oder unbeachteten DNS-Materials - den Studenten zufällt.
DER SPIEGEL
Schon jetzt haben die findigen Studenten den Glauben an die Todesstrafe schwer erschüttert. Die Schockwellen verspürte offensichtlich auch der Supreme Court, der in kurzer Zeit zwei Grundsatzentscheidungen fällte, bei denen er seine eigene Rechtsprechung dramatisch korrigierte.
Im Juni erging das Verbot, geistig zurückgebliebene Täter hinzurichten, weil sie lediglich vermindert schuldfähig seien. Schätzungsweise zehn Prozent aller 3718 Todeshäftlinge verfügen über einen Intelligenzquotienten unter 70, der statistischen Schwelle zum Schwachsinn, und könnten demnächst die Death Row verlassen, denn das Urteil der obersten Richter gilt rückwirkend. Die Strafen werden in lebenslänglich umgewandelt.
Ob ein Angeklagter von den Geschworenen oder vom Richter zum Tode verurteilt wird, war bislang von Bundesstaat zu Bundesstaat verschieden. Mit seinem zweiten Grundsatzurteil verfügte der Supreme Court ebenfalls im Juni, dass die Jury über das Strafmaß bestimmen muss. Davon sind vermutlich wiederum 776 Todeskandidaten betroffen. Sie haben Anspruch auf einen neuen Prozess.
Das mehrheitlich konservative oberste US-Gericht beseelt durchaus kein Übermaß an Milde. Es will die Todesstrafe retten, indem es Exzesse begrenzt. Aus Sicht der Richter ist nicht das Prinzip fragwürdig, sondern nur die Praxis.
Den neun Richtern liegt inzwischen ein dritter Fall vor, in dem es wieder um den Kreis der Täter geht, die hingerichtet werden dürfen. Sie müssen eine Grundsatzentscheidung fällen, ob verurteilte Mörder, die wie Patterson zur Tatzeit erst 17 Jahre alt waren, vom Staat getötet werden dürfen - bisher ist 16 das Mindestalter für die Todesstrafe. Gut möglich, dass sich der Supreme Court wieder zur milderen Rechtsauffassung durchringt. Von diesem Grundsatzurteil hängt ab, ob die Strafen für 80 Häftlinge in lebenslänglich umgewandelt werden.
Solange das Urteil aus Washington aussteht, könnten die Exekutionen von Patterson und anderen Todeskandidaten mit guten Gründen ausgesetzt werden. Der Gouverneur von Missouri zog denn auch diese Konsequenz, der Gouverneur von Texas jedoch nicht. Ohnehin vollstrecken momentan nur noch sieben Bundesstaaten die Höchststrafe an minderjährigen Mördern. Texas aber hält auch in dieser kleinen radikalen Minderheit, die aus-schließlich aus Südstaaten besteht, den Rekord: zwölf Hinrichtungen an jugendlichen Tätern seit 1985, Virginia folgt mit dreien.
Dass da der alte Gegensatz zwischen Nord- und Südstaaten auflebt, ist nur eine Arabeske. Mehr Bedeutung haben die großen Koalitionen zwischen Republikanern und Demokraten, die sich derzeit in vielen Bundesstaaten, aber auch in Washington für eine Reform der Todesstrafe bilden.
Im Senat und im Repräsentantenhaus gibt es schon länger den "Innocence Protection Act", ein Gemeinschaftswerk von Regierung und Opposition, das mittlerweile in beiden Häusern eine Mehrheit besitzt. Die Politiker beider Parteien haben eine Bestandsaufnahme vorgenommen, um die praktischen Konsequenzen aus den Verfahrensmängeln zu ziehen, die notorisch in Mordprozessen auftreten. Denn die Irrtümer bei der Urteilsfindung "untergraben den Glauben in unser Rechtssystem", meint Senator Patrick Leahy, einer der Initiatoren des Projekts.
Die Ursachen für Fehlurteile sind schon lange kein Geheimnis mehr. Doch erst jetzt werden die Klagen über ignorante Verteidiger, über die Unterdrückung entlastender Beweise oder die Missachtung mildernder Umstände bei der Strafzumessung ernst genommen. Weil Senatoren, Abgeordnete und Professoren, die nicht im Verdacht der Systemunterwanderung stehen, ganz selbstverständlich darüber reden, dass Richter und Geschworene etwa aus rassistischen oder sozialen Vorurteilen fälschlich Angeklagte in die Death Row schicken, scheint plötzlich der Weg zur Reform frei.
Deren Kernpunkte kamen bei einem gemeinsamen Hearing von Senat und Repräsentantenhaus zur Sprache. Danach sollte die Bundesregierung finanzielle Hilfe für die teuren DNS-Tests gewähren. Häftlinge, deren Unschuld sich erweist, sollen künftig für die Jahre hinter Gittern angemessene Entschädigung erhalten. Ray Krone, die historische Nummer 100 unter den nach einem DNS-Test Freigekommenen, hatte nach zehneinhalb Jahren Haft ein Entschuldigungsschreiben vom Staatsanwalt und 50 Dollar erhalten.
Im Zentrum der Reform aber stehen die Pflichtverteidiger, von deren Können oder Unvermögen für die Angeklagten so gut wie alles abhängt. Berühmtheit erlangte der Anwalt Joe Cannon aus Houston in Texas, der große Teile der Hauptverhandlung bei einem Mordprozess verschlief. Und weil auch nicht länger übersehen werden kann, dass Polizisten zuweilen Geständnisse erzwingen, sollen sämtliche Vernehmungen künftig auf Video aufgezeichnet werden - in Alaska und Minnesota ist das heute schon üblich.
Beim dreifachen Mord in Dallas tappten die Ermittler zunächst im Dunkeln. Am Tatort fanden sich keine Hinweise, wer Kim und ihre kleinen Mädchen getötet haben mochte. Erst bei der Untersuchung der Garage fiel den Polizisten auf, dass die goldenen Prestigespeichen am BMW fehlten - die Patterson, wie rasch klar war, in seinen Besitz gebracht hatte.
Ein erfahrener Kriminalbeamter nahm sich den jungen Drogendealer aus dem Ghetto vor: Die Mordwaffe sei gefunden worden, Pattersons Fingerabdrücke seien darauf, keine Chance mehr, die Wahrheit abzustreiten. Nichts davon stimmte, aber die Finte wirkte. Nach fünf Stunden schließlich unterschrieb Patterson ein Geständnis. Seine Angaben, aus welcher Entfernung er die drei erschossen habe, standen zwar im Gegensatz zur Rekonstruktion der Polizei, aber darauf kam es jetzt nicht mehr an.
Tatsächliche Spuren hatten sich jedoch bei einem ganz anderen gefunden, bei Oliver Brown, Kims Lebensgefährten und Vater der Opfer, der gerade nach drei Jahren Gefängnis wegen Kokainbesitzes entlassen worden war: Ihm wurden chemische Verbindungen an der Hand nachgewiesen, die beim Abfeuern einer Waffe auftreten. Sie könnten aber auch entstehen, schränkte der Sachverständige ein, wenn jemand am Motor seines Wagens herumbastle, was Brown behauptete. Er gehörte deshalb nicht zu den Verdächtigen.
Patterson aber erzählt damals wie heute eine ganz andere Geschichte zu seiner Entlastung. Er sei von zwei jamaikanischen Drogendealern, denen seine Cousine Kim Geld für Kokain schuldete, mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden, die Speichenräder abzumontieren. Er habe sie ihnen später liefern sollen. Seine Cousine und die Kinder hätten noch gelebt, als er weggefahren sei.
Der Drogenimport in Dallas lag in dieser Zeit tatsächlich in den Händen jamaikanischer Gangs. Doch der Polizei gelang es nicht, die beiden von Patterson beschriebenen Geldeintreiber ausfindig zu machen. Die Kriminalbeamten gaben sich allerdings auch gar nicht erst den Anschein intensiver Suche - obwohl Kims Schwester, als Zeugin der Anklage, die Existenz der beiden Figuren bestätigte. Als Täter blieb Patterson übrig.
Doch was war mit dem Motiv für die Morde? Aus den Drogengeschäften besaß Patterson genug Geld, um sich neue goldene Dayton-Speichenräder für rund 5000 Dollar zu kaufen. Und wenn er sie vom BMW hätte stehlen wollen, hätte er sich auch ohne dreifachen Mord Zutritt zur Garage verschaffen können.
Tatsächlich trägt das Unbehagen an der Todesstrafe momentan dazu bei, dass jeder Fall in der Öffentlichkeit verschärft durchleuchtet wird. Pattersons Pflichtverteidiger hat Berufung gegen die Todesstrafe beim Supreme Court eingelegt. Er verweist auf internationale Verträge, die Amerika missachte, und auf das Grundsatzurteil, das die obersten Richter fällen werden.
Doch das sind wohl illusionslose Pflichtübungen. Nur ein DNS-Test könnte Patterson vor der Hinrichtung bewahren, aber 1995 wurde am Tatort nicht nach biologischem Material gefahndet. Das Urteil der höchsten Richter über das Mindestalter in der Death Row steht erst im Herbst an.
So könnte Toronto Patterson in die amerikanische Justizgeschichte eingehen - als der letzte Mörder, der für eine Tat, die er mit 17 beging, hingerichtet worden ist.
GERHARD SPÖRL