Aussagekräftige Hinweise für InvestorenEine genaue Beobachtung des Umlaufvermögens und seiner Veränderung in der Bilanz kann wertvolle Hinweise auf die Gewinn- und Aktienentwicklung liefern. Noch wird dieser Zusammenhang von Finanzanalytikern und Investoren aber häufig nicht beachtet. Von Florian Esterer* Die Jahresabschlüsse von Unternehmungen erfüllen viele Funktionen. Zwei der wichtigsten sind, die Investoren über den aktuellen Stand und die Fortschritte des Unternehmens zu orientieren. Ausserdem dienen die im Geschäftsbericht enthaltenen Angaben den Investoren dazu, auf die künftige Entwicklung zu schliessen und Prognosen zu erstellen. Allerdings werden die in der Bilanz enthaltenen Informationen vielfach nur unvollständig ausgewertet, besonders mit Bezug auf die Prognosefähigkeit von Perioden-Abgrenzungen. Die intensive Auseinandersetzung mit den Abgrenzungen im Umlaufvermögen erhöht die Qualität der Aktienselektion und generiert Überschussrenditen in Portfolios. Blick auf zu grosse UmlaufvermögenDer Jahresabschluss einer Firma besteht hauptsächlich aus drei Teilen: der Kapitalflussrechnung, der Erfolgsrechnung und der Bilanz. Die Kapitalflussrechnung ist relativ einfach zu verstehen, da sie die tatsächlich realisierten Geldflüsse der Periode aufzeigt. Die Erfolgsrechnung hingegen ordnet Erträge und Kosten Perioden zu, in denen sie ökonomisch angefallen sind. So wird zum Beispiel der Geldfluss für den Kauf von Rohmaterialien bereits frühzeitig in der Kapitalflussrechnung erscheinen; in der Erfolgsrechnung werden diese Kosten aber erst zum Termin des Produktverkaufs zusammen mit dem Umsatz ausgewiesen. In der Zwischenzeit werden diese künftigen Kosten als Inventar in der Bilanz «parkiert». Diese zeitlich unterschiedliche Verbuchung von Geschäftsvorgängen macht Perioden-Abgrenzungen notwendig. Diese betreffen fast alle Positionen der Aktivseite sowie einen bedeutenden Teil der Passivseite. Die Zusammensetzung dieser Perioden-Abgrenzungen und deren Veränderungen geben Hinweise auf die künftige Entwicklung des Unternehmens. Ein rascher und aussergewöhnlich hoher Anstieg des Umlauf- oder Anlagevermögens kann bedeuten, dass ein Management vergangene Umsatzsteigerungen (zu) euphorisch extrapoliert und beispielsweise zu stark ins Umlaufvermögen investiert. Möglicherweise wird aber auch versucht, über die Abgrenzungen gewisse Bewertungsspielräume in der Bilanz auszunutzen. In jedem Fall bindet ein ungerechtfertigt hohes Umlaufvermögen unnötig Kapital, drückt auf die Effizienz und verringert den Geldumschlag. Zur Untermauerung dieser Thesen haben wir die jährliche Entwicklung des Umlaufvermögens für den grössten Teil der europäischen Unternehmen im Universum des Index-Anbieters MSCI seit 1991 berechnet. Die folgenden Aussagen beziehen sich jeweils auf den historischen Durchschnitt über die ganze Periode. Häufig erstreckt sich in der Praxis ein starkes Wachstum des Umlaufvermögens nur über ein Jahr. Wurden alle Firmen im MSCI-Universum nach den Veränderungen des Umlaufvermögens relativ zur Bilanzsumme sortiert, so war festzustellen, dass das Umlaufvermögen bei dem Fünftel der Firmen mit dem höchsten Wachstum um fast 15 Prozentpunkte schneller wuchs als bei jenem mit dem niedrigsten. Ein Jahr später hatte sich diese Differenz bei den gleichen Unternehmen bereits auf weniger als 2 Punkte verringert und zwei Jahre später auf nur 1 Prozentpunkt. Auf- oder Abbau des Umlaufvermögens erfolgten also relativ schnell und normalisierten sich auch rasch wieder. Dies deutet darauf hin, dass Geschäftsleitungen, die zu optimistisch oder pessimistisch agierten, ihre (Fehl-)Entscheidungen jeweils bereits im nächsten Jahr korrigierten. Diese Effekte waren fast symmetrisch. Fast gleich viele Unternehmen waren demnach zu optimistisch wie zu pessimistisch. Diese Symmetrie lässt hauptsächlich auf Fehleinschätzungen des Managements schliessen. Lägen willentliche Manipulationen des Ergebnisausweises vor, sollten keine Firmen ein deutlich zu niedriges Umlaufvermögen ausweisen und damit schlechtere Ergebnisse zeigen als tatsächlich vorliegen. Am Markt ignorierter ZusammenhangDas Wachsen des Umlaufvermögens hat Prognosekraft für die Geschäftsentwicklung eines Unternehmens. Es scheint, dass der Aufbau des Umlaufvermögens eine Verschlechterung der Geschäftstätigkeit maskiert, die in den Folgejahren offensichtlich wird. Es zeigt sich, dass die Gewinnmarge von Unternehmen mit stark wachsendem Umlaufvermögen um 1 Prozentpunkt höher ist, sich dieser Vorteil aber in den folgenden zwei Jahren auf 0,7 und marginale 0,1 Punkte verringert. Im Jahr vorher betrug der Unterschied noch 1,4 Prozentpunkte. Der Unterschied in den Gesamtkapitalrenditen beschreibt eine ähnliche Bewegung: noch 2,4 Prozentpunkte im Vorjahr, reduziert er sich auf 1,6, 1,5 und 0,8 Punkte zum Zeitpunkt der Sortierung und in den Folgejahren. Die Prognosefähigkeit der Veränderungen des Umlaufvermögens scheint allerdings von den wenigsten Marktteilnehmern erkannt zu werden. So überschätzen Analytiker die Gewinne von Firmen mit schnell wachsendem Umlaufvermögen in fast 60% der Fälle. Bei Firmen mit langsamer wachsendem oder sich reduzierendem Umlaufvermögen sind es mit 50% deutlich weniger. Auch Investoren ignorieren die Informationen, die sich aus den Rechnungsabgrenzungen gewinnen lassen. Dies lässt sich anhand von hypothetischen Portfolios zeigen. Wir haben jeweils im März und im September die europäischen Firmen im MSCI-Universum nach der relativen Veränderung des Umlaufvermögens sortiert und fünf Portfolios gebildet. Die Entwicklung dieser fünf Portfolios haben wir über sechs Monate verfolgt und dann wieder neue sortierte Portfolios gebildet. Die Transaktionskosten wurden berücksichtigt. Die Grafik zeigt die durchschnittliche Entwicklung der extremen Portfolios. Die Gesellschaften mit dem niedrigsten Wachstum wiesen durchschnittlich eine um 7,4 Prozentpunkte höhere jährliche Rendite aus als die Firmen mit dem höchsten Wachstum. Diese Überrendite wurde über die Zeit hinweg relativ konstant erreicht. Die Portfolios unterschieden sich nicht signifikant in ihrem Marktrisiko, in der durchschnittlichen Unternehmensbewertung und in der Grösse der Unternehmen, so dass kein anderes Risiko diesen Effekt erklären konnte. Bhojraj und Swaminathan (2003) haben kürzlich gezeigt, dass sich ähnliche Effekte auch bei Unternehmensanleihen ausmachen lassen. * Florian Esterer ist Portfolio Manager bei Swisscanto Asset Management AG. |