ftd.de, Di, 22.1.2002, 7:00
Wandelanleihen: Kein Allheilmittel
Von Martin Kolrep und Ulrich Leuchtmann
In der Baisse stabil, in der Hausse renditestark - mit diesen Vorzügen werden die Zwitterpapiere aus Aktie und Anleihe oft angepriesen. Die Risiken werden dabei gern vernachlässigt oder unterschätzt.
Der Markt für Wandelanleihen boomt. Unternehmen aus Amerika und Europa haben sich im vergangenen Jahr mehr Finanzmittel über Wandelanleihen beschafft als durch Aktien-Neuemissionen. Und dieser Trend scheint sich zu Beginn des neuen Jahres fortzusetzen.
Eine klassische Wandelanleihe (Convertible) ist auf den ersten Blick ein denkbar einfaches Finanzinstrument. Als Besitzer erhält man eine konstante Verzinsung des eingesetzten Kapitals und hat zusätzlich die Möglichkeit, am Ende der Laufzeit die Anleihe zu einem vorher festgelegten Verhältnis in Aktien zu tauschen. Ist der Aktienkurs entsprechend gestiegen, wird der Besitzer der Anleihe zum Aktionär, indem er sein Konversionsrecht ausübt, und erhält einen zusätzlichen Bonus in Form eines Aktienpakets, das mehr wert ist als der Rückzahlungsbetrag der Anleihe. Wenn jedoch die Aktie nicht gestiegen oder gar gefallen ist, verzichtet er auf den Tausch in Aktien und wählt stattdessen die Rückzahlung der Anleihe.
Der Kauf einer Wandelanleihe ist somit vergleichbar mit einer klassischen Absicherungsstrategie, der so genannten Bond-Call-Strategie, bei der der Anleger den überwiegenden Teil seines Vermögens in einen risikolosen Kurzläuferfonds anlegt. Um gleichzeitig an steigenden Kursen an den Aktienmärkten zu partizipieren, kauft er zusätzlich eine oder mehrere verschiedene Call-Optionen auf Aktien oder Indizes.
Vorteile für Unternehmen
Die Wandelanleihe kombiniert diese beiden Eigenschaften in einem Papier. Der Unterschied zur klassischen Absicherungsstrategie besteht darin, dass Emittent der Anleihe und der Aktie, in die gewandelt werden kann, meist identisch sind. Da die Option nicht von der Anleihe getrennt werden kann, wird der Wert der Wandelanleihe durch Korrelationen mit dem Wert der Aktie beeinflusst. Im Fall, dass die Anleihe bei Fälligkeit in Aktien eines anderen Unternehmens getauscht werden kann, können diese Korrelationen deutlich niedriger sein. Dennoch gibt es auch hier, zum Beispiel auf Grund der gleichen Industriezugehörigkeit von Anleihe und Aktie, gewisse Gemeinsamkeiten.
Für Unternehmen hat die Ausgabe von Wandelanleihen einen großen Vorteil: Sie bietet in der Regel eine günstigere Finanzierungsmöglichkeit als die Ausgabe einer konventionellen Anleihe, da Investoren sich durch den Erwerb der eingebauten Option mit einem niedrigeren Zinssatz zufrieden geben. Das Unternehmen dagegen kann für den Fall, dass die Option ausgeübt wird, neue Aktien ausgeben.
Wandelanleihen bieten Unternehmen jedoch auch eine elegante Möglichkeit, sich von ihren Beteiligungen zu trennen. In diesem Fall bezieht sich das Wandlungsrecht, das mit der Anleihe kombiniert wird, auf Aktien der Beteiligung. Dies kann zum einen unter steuerlichen Gesichtspunkten oder aus Liquiditätsgründen vorteilhaft sein. Zum anderen kann sich ein Unternehmen auf diese Weise refinanzieren und gleichzeitig die Abgabe der Stimmenmehrheit an seiner Beteiligung verzögern.
Wandelanleihen als Sicherheitsnetz ?
Convertibles vs. Aktien
Die Vorstellung, Wandelanleihen böten eine Art Sicherheitsnetz gegenüber Kursverlusten bei Aktien, ist eine Vereinfachung, die gefährlich werden kann. Betrachtet man zum Beispiel den Goldman Sachs/Bloomberg-Index (GSBB) für US-Wandelanleihen, dann zeigt sich, dass dieser Index im Zeitraum Ende März 2000 (dem Höhepunkt der Aktienhausse) bis Ende September 2001 (dem zwischenzeitlichen Tiefpunkt der Aktienmärkte) um 23,4 Prozent gefallen ist. Allein in den zehn Tagen nach den Terroranschlägen vom 11. September verlor der Index nahezu fünf Prozent.
Zwar schnitten die Aktien, in die die Anleihen dieses Index gewandelt werden können, noch schlechter ab: Von März 2000 bis September 2001 verloren sie 48,6 Prozent und im Zeitraum nach dem 11. September 13,8 Prozent. Doch ähnelt der Indexverlauf der Wandelanleihen eher einem gedämpften Verlauf der unterliegenden Aktienkurse (siehe obige Grafik).
Dies legt nahe, dass von einem "Netz", das die Kursverluste nach unten begrenzt, zumindest im bisherigen Verlauf des US-Wandelanleihen-Index nichts zu erkennen ist. Im Gegenteil, zeitweise entwickelten sich beide Indizes sogar nahezu parallel. Zum Beispiel sind zwischen Juli und Oktober 1998 beide um etwa 20 Prozent gefallen. Dies ist eine unmittelbare Konsequenz der Aktienähnlichkeit der Wandelanleihe, die nach einem starken Anstieg am Aktienmarkt besonders ausgeprägt ist.
Stellt man diese Untersuchung für Wandelanleihen in Euroland an und vergleicht den entsprechenden Index mit dem Dow Jones EuroStoxx 50, so erhält man im Wesentlichen die gleichen Resultate: Eine hohe Korrelation von fast 0,8 und eine Wertentwicklung für Wandelanleihen, die in abgeschwächter Form der Wertentwicklung des EuroStoxx 50 entspricht.
Die Vorstellung, dass sich Aktienkursänderungen nur in gedämpfter Form im Wertverlauf eines Portfolios niederschlagen, ist zwar im Grunde genommen attraktiv, allerdings benötigt man dazu keine Wandelanleihen. Mit einer Kombination aus physischen oder synthetischen (also über Derivate realisierten) risikolosen Anlagen und Aktien kann man diesen Verlauf ebenfalls erzeugen und ist dabei nicht auf die häufig illiquiden und daher in Transaktionen teuren Wandelanleihen angewiesen. Ist die Vorstellung des Sicherheitsnetzes also falsch, oder ist das Netz im Indexverlauf nur noch nicht erreicht?
Instabiles Gebilde
Aus der Tatsache, dass man eine einfache Wandelanleihe als eine Kombination aus einer herkömmlichen Unternehmensanleihe und der Option, diese Anleihe in Aktien zu tauschen, betrachten kann, ergibt sich, dass der Kurs der reinen Unternehmensanleihe tatsächlich eine Untergrenze für den Kurs der Wandelanleihe darstellt. Da die Tauschoption nämlich ein Recht und keine Verpflichtung darstellt, kann sie entweder wertlos sein oder einen positiven Wert besitzen, nie aber einen negativen Wert. Allerdings ist der Wert des reinen Unternehmensanleihe-Bestandteils einer Wandelanleihe keine Naturkonstante. Im Gegenteil: Die Rendite und damit der Kurs einer Unternehmensanleihe unterliegt einer Reihe von Einflüssen, die man im Wesentlichen in zwei Faktoren zusammenfassen kann:
- dem Renditeniveau von Staatsanleihen und
- dem Renditeabstand (Spread) der Unternehmensanleihe zu Staatsanleihen.
Und beide Faktoren ändern sich im Zeitablauf. Damit ist das Sicherheitsnetz, das die Untergrenze der Kursschwankungen von Wandelanleihen darstellt, ein äußerst instabiles Gebilde. Besonders ungünstig wirken sich dabei Änderungen des zweiten Faktors aus: Diese fallen nämlich häufig so mit Änderungen der Aktienkurse zusammen, dass das Sicherheitsnetz gerade dann nicht zur Verfügung steht, wenn man es am meisten benötigt. Dazu ein Beispiel:
Gemeinsame Talfahrt
Cox Communications hat im Herbst 1999 und im Frühjahr 2000 Wandelanleihen emittiert, die in Aktien des Unternehmens Sprint gewandelt werden können. Sprint wurde als Telekommunikationsunternehmen von der Aktienbaisse erheblich getroffen: Im Laufe des Jahres 2000 sank der Kurs der Aktie von 51 $ auf 20 $. Die Tauschoption in den Wandelanleihen wurde damit quasi wertlos. Aber der Investor hatte ja noch die reine Anleihe. Leider haben aber auch die Cox-Anleihen erheblich gelitten. Der Renditeabstand der "normalen" Cox-Anleihen weitete sich ebenfalls aus. So vergrößerte sich der Zinsabstand des 7,375-prozentigen Cox-Bonds (Laufzeit bis Juli 2023) im selben Zeitraum von rund 1,5 Prozentpunkten auf über 2,2 Prozentpunkte. Das Ergebnis: Die Wandler verloren deutlich mehr an Wert, als viele Investoren sich das Anfang 2000 ausgemalt hatten. Die 7,75-prozentige Cox-Wandelanleihe (Laufzeit bis November 2029) beispielsweise büßte im Lauf des Jahres 2000 rund die Hälfte ihres Wertes ein (siehe obige Grafik).
Reines Pech? Ein unglücklicher Einzelfall? Nein. Es ist durchaus nicht untypisch, dass Renditeabstände von Unternehmensanleihen sich gerade dann ausweiten, wenn Aktienkurse fallen. Besonders einleuchtend ist das, wenn der Anleihe-Emittent und die Aktiengesellschaft identisch sind: Der Anleihe-Spread drückt die Markteinschätzung über Kreditrisiken des Emittenten aus, während der Aktienkurs die Markteinschätzung der Gewinnaussichten widerspiegelt. Nun sind Kreditrisiken und Gewinnaussichten aber in hohem Maße von gemeinsamen Faktoren abhängig. Wettbewerbsposition des Unternehmens, Sektorentwicklungen in den wesentlichen Geschäftsfeldern und anderes beeinflussen beide nahezu gleichermaßen. Daher ist es kein Zufall, dass Spreadausweitungen und sinkende Aktienkurse häufig zeitgleich auftreten.
Aber auch wenn Anleihen-Emittent und Aktie nicht von demselben Unternehmen stammen, sich eventuell sogar in der Branchenzugehörigkeit unterscheiden, ist ein Zusammentreffen von Spread-Ausweitung und sinkenden Aktienkursen kein reiner Zufall. Beide haben gemeinsame Faktoren. In einem Umfeld mit freundlicher Konjunktur steigen die Kurse der meisten Unternehmen und fallen die Renditeabstände der meisten Unternehmensanleihen.
Höheres Ausfallrisiko
Im Gegensatz dazu leiden sowohl die Aktienkurse als auch die Renditeabstände in Zeiten schwächelnder Konjunktur und drohender Rezession. Daher ist es nicht nur Pech, wenn das vermeintliche Sicherheitsnetz, das Wandelanleihen bieten, gerade dann nicht zur Verfügung steht, wenn es am dringendsten benötigt wird, sondern die logische Konsequenz der Natur von Wandelanleihen.
Grundsätzlich sind Wandelanleihen natürlich ein interessantes Finanzinstrument. Investoren sollten sich jedoch genau über die Kennzahlen informieren, um sich ein Bild der möglichen Wertentwicklung und der Risiken machen zu können. Wegen des im Allgemeinen höheren Ausfallrisikos bei Unternehmensanleihen sollte man auch bei Wandelanleihen auf Qualität und eine ausreichende Diversifikation achten.
Für viele Investoren dürften jedoch gerade europäische Wandelanleihen wegen der oft niedrigen Liquidität und der hohen Geld/Brief-Spannen nicht wirklich attraktiv sein. Da auch das Absicherungsniveau bei Wandelanleihen ein zu unsicheres Gebilde darstellt, wählen Anleger, die sich gegen Kursverluste absichern möchten, besser eine andere Investmentstrategie.
Martin Kolrep und Ulrich Leuchtmann sind Portfolio-Manager bei Invesco Asset Management Deutschland
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustration: FTD
Wandelanleihen: Kein Allheilmittel
Von Martin Kolrep und Ulrich Leuchtmann
In der Baisse stabil, in der Hausse renditestark - mit diesen Vorzügen werden die Zwitterpapiere aus Aktie und Anleihe oft angepriesen. Die Risiken werden dabei gern vernachlässigt oder unterschätzt.
Der Markt für Wandelanleihen boomt. Unternehmen aus Amerika und Europa haben sich im vergangenen Jahr mehr Finanzmittel über Wandelanleihen beschafft als durch Aktien-Neuemissionen. Und dieser Trend scheint sich zu Beginn des neuen Jahres fortzusetzen.
Eine klassische Wandelanleihe (Convertible) ist auf den ersten Blick ein denkbar einfaches Finanzinstrument. Als Besitzer erhält man eine konstante Verzinsung des eingesetzten Kapitals und hat zusätzlich die Möglichkeit, am Ende der Laufzeit die Anleihe zu einem vorher festgelegten Verhältnis in Aktien zu tauschen. Ist der Aktienkurs entsprechend gestiegen, wird der Besitzer der Anleihe zum Aktionär, indem er sein Konversionsrecht ausübt, und erhält einen zusätzlichen Bonus in Form eines Aktienpakets, das mehr wert ist als der Rückzahlungsbetrag der Anleihe. Wenn jedoch die Aktie nicht gestiegen oder gar gefallen ist, verzichtet er auf den Tausch in Aktien und wählt stattdessen die Rückzahlung der Anleihe.
Der Kauf einer Wandelanleihe ist somit vergleichbar mit einer klassischen Absicherungsstrategie, der so genannten Bond-Call-Strategie, bei der der Anleger den überwiegenden Teil seines Vermögens in einen risikolosen Kurzläuferfonds anlegt. Um gleichzeitig an steigenden Kursen an den Aktienmärkten zu partizipieren, kauft er zusätzlich eine oder mehrere verschiedene Call-Optionen auf Aktien oder Indizes.
Vorteile für Unternehmen
Die Wandelanleihe kombiniert diese beiden Eigenschaften in einem Papier. Der Unterschied zur klassischen Absicherungsstrategie besteht darin, dass Emittent der Anleihe und der Aktie, in die gewandelt werden kann, meist identisch sind. Da die Option nicht von der Anleihe getrennt werden kann, wird der Wert der Wandelanleihe durch Korrelationen mit dem Wert der Aktie beeinflusst. Im Fall, dass die Anleihe bei Fälligkeit in Aktien eines anderen Unternehmens getauscht werden kann, können diese Korrelationen deutlich niedriger sein. Dennoch gibt es auch hier, zum Beispiel auf Grund der gleichen Industriezugehörigkeit von Anleihe und Aktie, gewisse Gemeinsamkeiten.
Für Unternehmen hat die Ausgabe von Wandelanleihen einen großen Vorteil: Sie bietet in der Regel eine günstigere Finanzierungsmöglichkeit als die Ausgabe einer konventionellen Anleihe, da Investoren sich durch den Erwerb der eingebauten Option mit einem niedrigeren Zinssatz zufrieden geben. Das Unternehmen dagegen kann für den Fall, dass die Option ausgeübt wird, neue Aktien ausgeben.
Wandelanleihen bieten Unternehmen jedoch auch eine elegante Möglichkeit, sich von ihren Beteiligungen zu trennen. In diesem Fall bezieht sich das Wandlungsrecht, das mit der Anleihe kombiniert wird, auf Aktien der Beteiligung. Dies kann zum einen unter steuerlichen Gesichtspunkten oder aus Liquiditätsgründen vorteilhaft sein. Zum anderen kann sich ein Unternehmen auf diese Weise refinanzieren und gleichzeitig die Abgabe der Stimmenmehrheit an seiner Beteiligung verzögern.
Wandelanleihen als Sicherheitsnetz ?
Convertibles vs. Aktien
Die Vorstellung, Wandelanleihen böten eine Art Sicherheitsnetz gegenüber Kursverlusten bei Aktien, ist eine Vereinfachung, die gefährlich werden kann. Betrachtet man zum Beispiel den Goldman Sachs/Bloomberg-Index (GSBB) für US-Wandelanleihen, dann zeigt sich, dass dieser Index im Zeitraum Ende März 2000 (dem Höhepunkt der Aktienhausse) bis Ende September 2001 (dem zwischenzeitlichen Tiefpunkt der Aktienmärkte) um 23,4 Prozent gefallen ist. Allein in den zehn Tagen nach den Terroranschlägen vom 11. September verlor der Index nahezu fünf Prozent.
Zwar schnitten die Aktien, in die die Anleihen dieses Index gewandelt werden können, noch schlechter ab: Von März 2000 bis September 2001 verloren sie 48,6 Prozent und im Zeitraum nach dem 11. September 13,8 Prozent. Doch ähnelt der Indexverlauf der Wandelanleihen eher einem gedämpften Verlauf der unterliegenden Aktienkurse (siehe obige Grafik).
Dies legt nahe, dass von einem "Netz", das die Kursverluste nach unten begrenzt, zumindest im bisherigen Verlauf des US-Wandelanleihen-Index nichts zu erkennen ist. Im Gegenteil, zeitweise entwickelten sich beide Indizes sogar nahezu parallel. Zum Beispiel sind zwischen Juli und Oktober 1998 beide um etwa 20 Prozent gefallen. Dies ist eine unmittelbare Konsequenz der Aktienähnlichkeit der Wandelanleihe, die nach einem starken Anstieg am Aktienmarkt besonders ausgeprägt ist.
Stellt man diese Untersuchung für Wandelanleihen in Euroland an und vergleicht den entsprechenden Index mit dem Dow Jones EuroStoxx 50, so erhält man im Wesentlichen die gleichen Resultate: Eine hohe Korrelation von fast 0,8 und eine Wertentwicklung für Wandelanleihen, die in abgeschwächter Form der Wertentwicklung des EuroStoxx 50 entspricht.
Die Vorstellung, dass sich Aktienkursänderungen nur in gedämpfter Form im Wertverlauf eines Portfolios niederschlagen, ist zwar im Grunde genommen attraktiv, allerdings benötigt man dazu keine Wandelanleihen. Mit einer Kombination aus physischen oder synthetischen (also über Derivate realisierten) risikolosen Anlagen und Aktien kann man diesen Verlauf ebenfalls erzeugen und ist dabei nicht auf die häufig illiquiden und daher in Transaktionen teuren Wandelanleihen angewiesen. Ist die Vorstellung des Sicherheitsnetzes also falsch, oder ist das Netz im Indexverlauf nur noch nicht erreicht?
Instabiles Gebilde
Aus der Tatsache, dass man eine einfache Wandelanleihe als eine Kombination aus einer herkömmlichen Unternehmensanleihe und der Option, diese Anleihe in Aktien zu tauschen, betrachten kann, ergibt sich, dass der Kurs der reinen Unternehmensanleihe tatsächlich eine Untergrenze für den Kurs der Wandelanleihe darstellt. Da die Tauschoption nämlich ein Recht und keine Verpflichtung darstellt, kann sie entweder wertlos sein oder einen positiven Wert besitzen, nie aber einen negativen Wert. Allerdings ist der Wert des reinen Unternehmensanleihe-Bestandteils einer Wandelanleihe keine Naturkonstante. Im Gegenteil: Die Rendite und damit der Kurs einer Unternehmensanleihe unterliegt einer Reihe von Einflüssen, die man im Wesentlichen in zwei Faktoren zusammenfassen kann:
- dem Renditeniveau von Staatsanleihen und
- dem Renditeabstand (Spread) der Unternehmensanleihe zu Staatsanleihen.
Und beide Faktoren ändern sich im Zeitablauf. Damit ist das Sicherheitsnetz, das die Untergrenze der Kursschwankungen von Wandelanleihen darstellt, ein äußerst instabiles Gebilde. Besonders ungünstig wirken sich dabei Änderungen des zweiten Faktors aus: Diese fallen nämlich häufig so mit Änderungen der Aktienkurse zusammen, dass das Sicherheitsnetz gerade dann nicht zur Verfügung steht, wenn man es am meisten benötigt. Dazu ein Beispiel:
Gemeinsame Talfahrt
Cox Communications hat im Herbst 1999 und im Frühjahr 2000 Wandelanleihen emittiert, die in Aktien des Unternehmens Sprint gewandelt werden können. Sprint wurde als Telekommunikationsunternehmen von der Aktienbaisse erheblich getroffen: Im Laufe des Jahres 2000 sank der Kurs der Aktie von 51 $ auf 20 $. Die Tauschoption in den Wandelanleihen wurde damit quasi wertlos. Aber der Investor hatte ja noch die reine Anleihe. Leider haben aber auch die Cox-Anleihen erheblich gelitten. Der Renditeabstand der "normalen" Cox-Anleihen weitete sich ebenfalls aus. So vergrößerte sich der Zinsabstand des 7,375-prozentigen Cox-Bonds (Laufzeit bis Juli 2023) im selben Zeitraum von rund 1,5 Prozentpunkten auf über 2,2 Prozentpunkte. Das Ergebnis: Die Wandler verloren deutlich mehr an Wert, als viele Investoren sich das Anfang 2000 ausgemalt hatten. Die 7,75-prozentige Cox-Wandelanleihe (Laufzeit bis November 2029) beispielsweise büßte im Lauf des Jahres 2000 rund die Hälfte ihres Wertes ein (siehe obige Grafik).
Reines Pech? Ein unglücklicher Einzelfall? Nein. Es ist durchaus nicht untypisch, dass Renditeabstände von Unternehmensanleihen sich gerade dann ausweiten, wenn Aktienkurse fallen. Besonders einleuchtend ist das, wenn der Anleihe-Emittent und die Aktiengesellschaft identisch sind: Der Anleihe-Spread drückt die Markteinschätzung über Kreditrisiken des Emittenten aus, während der Aktienkurs die Markteinschätzung der Gewinnaussichten widerspiegelt. Nun sind Kreditrisiken und Gewinnaussichten aber in hohem Maße von gemeinsamen Faktoren abhängig. Wettbewerbsposition des Unternehmens, Sektorentwicklungen in den wesentlichen Geschäftsfeldern und anderes beeinflussen beide nahezu gleichermaßen. Daher ist es kein Zufall, dass Spreadausweitungen und sinkende Aktienkurse häufig zeitgleich auftreten.
Aber auch wenn Anleihen-Emittent und Aktie nicht von demselben Unternehmen stammen, sich eventuell sogar in der Branchenzugehörigkeit unterscheiden, ist ein Zusammentreffen von Spread-Ausweitung und sinkenden Aktienkursen kein reiner Zufall. Beide haben gemeinsame Faktoren. In einem Umfeld mit freundlicher Konjunktur steigen die Kurse der meisten Unternehmen und fallen die Renditeabstände der meisten Unternehmensanleihen.
Höheres Ausfallrisiko
Im Gegensatz dazu leiden sowohl die Aktienkurse als auch die Renditeabstände in Zeiten schwächelnder Konjunktur und drohender Rezession. Daher ist es nicht nur Pech, wenn das vermeintliche Sicherheitsnetz, das Wandelanleihen bieten, gerade dann nicht zur Verfügung steht, wenn es am dringendsten benötigt wird, sondern die logische Konsequenz der Natur von Wandelanleihen.
Grundsätzlich sind Wandelanleihen natürlich ein interessantes Finanzinstrument. Investoren sollten sich jedoch genau über die Kennzahlen informieren, um sich ein Bild der möglichen Wertentwicklung und der Risiken machen zu können. Wegen des im Allgemeinen höheren Ausfallrisikos bei Unternehmensanleihen sollte man auch bei Wandelanleihen auf Qualität und eine ausreichende Diversifikation achten.
Für viele Investoren dürften jedoch gerade europäische Wandelanleihen wegen der oft niedrigen Liquidität und der hohen Geld/Brief-Spannen nicht wirklich attraktiv sein. Da auch das Absicherungsniveau bei Wandelanleihen ein zu unsicheres Gebilde darstellt, wählen Anleger, die sich gegen Kursverluste absichern möchten, besser eine andere Investmentstrategie.
Martin Kolrep und Ulrich Leuchtmann sind Portfolio-Manager bei Invesco Asset Management Deutschland
© 2002 Financial Times Deutschland , © Illustration: FTD