An der Wall Street lahmt momentan der Handel. Die aufregendste Nachricht stammt deshalb aus der Vergangenheit: Hunderte Firmen sollen die Anleger beim letzten IPO-Boom um mehrere Milliarden Dollar betrogen haben.
New York - Eine der dramatischsten, folgenschwersten Börsennachrichten dieser Tage ist fast untergegangen. Dabei wirft sie bei genauerem Hinsehen ein grelles Schlaglicht auf die Wall Street - oder besser gesagt: auf die betrügerische Mogelpackung, zu der die Wall Street nach Ansicht mancher verkommen ist.
Die Rede ist von jenem "Memorandum of Understanding", einer vorgerichtlichen Einigung, auf die sich in New York die Beteiligten der riesigen strafrechtlichen Verfahrenswelle wegen Börsenbetrugs verständigt haben. Angeklagt sind da, in insgesamt 309 separaten Sammelklagen, mehrere hundert Konzerne, die auf dem Höhepunkt des letzten Wall-Street-Booms mit Getöse an die Börse gegangen sind.
In einer wegen des Nationalfeiertags am 4. Juli verkürzten Börsenwoche, in der sich die Investoren weiter vergeblich nach den Bullen von 1999 sehnen, lohnt sich ein Blick zurück auf die Zeiten, die Notenbankchef Alan Greenspan als "irrationaler Überschwang" betitelte.
21 Seiten mit den Namen der Beklagten
Erinnern wir uns: "Initial Public Offering" (IPO) war damals das Wort der Stunde. Jede Klitsche, die etwas auf sich hielt, inszenierte plötzlich den US-Börsengang. Angelockt von (vermeintlich) astronomischen Kursgewinnen, reisten selbst die Chefs der Deutschen Telekom über den Atlantik, ließen lila Werbekübel auf die Wall Street stellen und sich stolzgeschwellt am Big Board eintragen. "Echtes Parkett!" staunte ein Telekom-Manager, als er an jenem Morgen die heiligen Hallen betrat.
Doch sowohl die Ausländer wie auch die US-Investoren saßen offenbar einem Riesenschwindel auf. Der Tatbestand, inzwischen zusammengefasst unter dem Aktenzeichen 21-MC-92 beim Bezirksgericht New York Süd: Mit ihren endlosen, bewusst überbewerteten IPO's hätten über 300 US-Unternehmen, in Komplizenschaft mit 55 Investmenthäusern, die treuherzigen Anleger um mindestens eine Milliarde Dollar abgezockt.
So hoch ist jedenfalls die "minimale Schadensersatzsumme", die die inkriminierten Firmen in Geheimverhandlungen mit den Anwälten schon jetzt vorab garantiert haben. Eine endgültige Kompensation, erklärte Investorenvertreter Melvyn Weiss, könne die Fünf-Milliarden-Marke übersteigen.
Das Schockierende an dieser Nachricht sind jedoch nicht die Dimensionen. Sondern - für den, der sich die Mühe des Nachlesens macht - die Namen der Beklagten. 21 eng betippte Seiten lang ist allein die reine Auflistung.
Mit Zynismus in die Börsenwoche
Dort findet sich fast jeder klangvolle US-Börsennovize des Internet- und Wall-Street-Booms. Etwa: AskJeeves, Buy.com, DoubleClick, Etoys, Expedia, Global Crossing, Handspring, Hoover's, Juniper, Marketwatch.com, Mcafee, MP3.com, Nextel, Palm, Priceline.com, Quest, Razorfish, TheStreet.com, WebMD.
Außerdem zahllose Firmen mit dem feschen Bestandteil "Internet", "Digital", "Media" oder "Net" im Namen. Sowie, wohl noch nicht genug verklagt, der Konzern der unseligen Haushalts-Queen Martha Stewart, die den Brokern bei ihrem Börsengang Kanapees serviert hatte.
Da fällt es schwer, ohne Zynismus auf die neue Börsenwoche zu blicken. Denn deren beachtlichstes Ereignis sind diesmal - Tusch! - IPO's. Ausgerechnet: Nach langer Flaute gibt es auf einmal gleich zehn neue Börsen-Premieren in einer kurzen Woche. Das sind zwei mehr als im gesamten Monat Mai.
Der Dow in der Grube
Als hätten die Börsianer die schmerzhaft-teuren Erfahrungen der letzten IPO-Hysterie vergessen. Schon sieht IPO-Experte Brad Hintz von Bernstein Research "Licht am Ende des Tunnels" auf dem malträtierten IPO-Markt. "Ist dies ein Zeichen des lang erwarteten Aufschwungs?" fragt er in einem Memo an seine Kunden.
Der Mann hat Nerven. So ähnlich hatte der letzte IPO-Boom Ende der 90er Jahre auch begonnen - jener Boom, der jetzt in 309 Milliardenklagen zu seinem ruhmlosen Abschluss findet.
Dem Dow, am Freitag erstmals seit Anfang Juni wieder unter 9000 gerutscht, dürfte es da schwer fallen, in den nur dreieinhalb Handelstagen dieser Woche zumindest zufrieden stellend aus der Grube zu klettern.
Hofieren in Paris
"Wir sind in einer Konsolidierungsphase", sagt Analyst Peter Boockvar von der Investmentfirma Miller Tabak. Da sind sich die Experten ausnahmsweise mal weitgehend einig: Die Anleger warten ab. Und zwar erstens bis nach dem langen Wochenende, und zweitens bis zur nächsten Bilanzrunde.
Die "nur" 0,25-prozentige Leitzinssenkung, mit der die Federal Reserve die Erwartungen der Wall Street enttäuschte, und der im Juni aufgrund anhaltend schlechter Arbeitsmarkt- und Industriezahlen wieder leicht geschwundene Verbraucher-Optimismus taten das ihre, um die Börsianer erst mal innehalten zu lassen.
Während die gesamten USA also, privat wie finanziell, in Kurzurlaub gehen, fliegt auch Jeffrey Immelt, der CEO von General Electric, von New York nach Paris - doch weitgehend dienstlich. Auf dem Arbeitsprogramm steht an der Seine auch ein Treffen mit Jean-René Fourtou, Immelts Gegenpart beim Medienmulti Vivendi.
Denn Vivendi, das seine Entertainment-Filiale Universal abstoßen will, wird von diversen Firmen umworben. Darunter: Viacom (CBS, MTV), Metro-Goldwyn-Mayer, der Investor Marvon Davis, John Malones Liberty Media und der frühere Chef von Universal, Edgar Bronfman.
Nun drängt sich ein neuer Interessent hinzu: Das TV-Network NBC, eine GE-Tochter. Immelt will Fourtou in Paris persönlich hofieren und ihm, so ein Insider, "die Farben von NBC" zeigen.
Das ist das Mindeste, was Fourtou erwarten kann. Der Gesamtwert von Universal wird auf 15 Milliarden Dollar geschätzt.
Wer weiß: Vielleicht gibt's am Ende dieser trüben Börsenwoche, außer dem traditionellen Fourth-of-July-Feuerwerk über dem abendlichen East River, auch an der Wall Street dann doch noch ein paar unverhoffte, laute Böller.
spiegel.de
New York - Eine der dramatischsten, folgenschwersten Börsennachrichten dieser Tage ist fast untergegangen. Dabei wirft sie bei genauerem Hinsehen ein grelles Schlaglicht auf die Wall Street - oder besser gesagt: auf die betrügerische Mogelpackung, zu der die Wall Street nach Ansicht mancher verkommen ist.
Die Rede ist von jenem "Memorandum of Understanding", einer vorgerichtlichen Einigung, auf die sich in New York die Beteiligten der riesigen strafrechtlichen Verfahrenswelle wegen Börsenbetrugs verständigt haben. Angeklagt sind da, in insgesamt 309 separaten Sammelklagen, mehrere hundert Konzerne, die auf dem Höhepunkt des letzten Wall-Street-Booms mit Getöse an die Börse gegangen sind.
In einer wegen des Nationalfeiertags am 4. Juli verkürzten Börsenwoche, in der sich die Investoren weiter vergeblich nach den Bullen von 1999 sehnen, lohnt sich ein Blick zurück auf die Zeiten, die Notenbankchef Alan Greenspan als "irrationaler Überschwang" betitelte.
21 Seiten mit den Namen der Beklagten
Erinnern wir uns: "Initial Public Offering" (IPO) war damals das Wort der Stunde. Jede Klitsche, die etwas auf sich hielt, inszenierte plötzlich den US-Börsengang. Angelockt von (vermeintlich) astronomischen Kursgewinnen, reisten selbst die Chefs der Deutschen Telekom über den Atlantik, ließen lila Werbekübel auf die Wall Street stellen und sich stolzgeschwellt am Big Board eintragen. "Echtes Parkett!" staunte ein Telekom-Manager, als er an jenem Morgen die heiligen Hallen betrat.
Doch sowohl die Ausländer wie auch die US-Investoren saßen offenbar einem Riesenschwindel auf. Der Tatbestand, inzwischen zusammengefasst unter dem Aktenzeichen 21-MC-92 beim Bezirksgericht New York Süd: Mit ihren endlosen, bewusst überbewerteten IPO's hätten über 300 US-Unternehmen, in Komplizenschaft mit 55 Investmenthäusern, die treuherzigen Anleger um mindestens eine Milliarde Dollar abgezockt.
So hoch ist jedenfalls die "minimale Schadensersatzsumme", die die inkriminierten Firmen in Geheimverhandlungen mit den Anwälten schon jetzt vorab garantiert haben. Eine endgültige Kompensation, erklärte Investorenvertreter Melvyn Weiss, könne die Fünf-Milliarden-Marke übersteigen.
Das Schockierende an dieser Nachricht sind jedoch nicht die Dimensionen. Sondern - für den, der sich die Mühe des Nachlesens macht - die Namen der Beklagten. 21 eng betippte Seiten lang ist allein die reine Auflistung.
Mit Zynismus in die Börsenwoche
Dort findet sich fast jeder klangvolle US-Börsennovize des Internet- und Wall-Street-Booms. Etwa: AskJeeves, Buy.com, DoubleClick, Etoys, Expedia, Global Crossing, Handspring, Hoover's, Juniper, Marketwatch.com, Mcafee, MP3.com, Nextel, Palm, Priceline.com, Quest, Razorfish, TheStreet.com, WebMD.
Außerdem zahllose Firmen mit dem feschen Bestandteil "Internet", "Digital", "Media" oder "Net" im Namen. Sowie, wohl noch nicht genug verklagt, der Konzern der unseligen Haushalts-Queen Martha Stewart, die den Brokern bei ihrem Börsengang Kanapees serviert hatte.
Da fällt es schwer, ohne Zynismus auf die neue Börsenwoche zu blicken. Denn deren beachtlichstes Ereignis sind diesmal - Tusch! - IPO's. Ausgerechnet: Nach langer Flaute gibt es auf einmal gleich zehn neue Börsen-Premieren in einer kurzen Woche. Das sind zwei mehr als im gesamten Monat Mai.
Der Dow in der Grube
Als hätten die Börsianer die schmerzhaft-teuren Erfahrungen der letzten IPO-Hysterie vergessen. Schon sieht IPO-Experte Brad Hintz von Bernstein Research "Licht am Ende des Tunnels" auf dem malträtierten IPO-Markt. "Ist dies ein Zeichen des lang erwarteten Aufschwungs?" fragt er in einem Memo an seine Kunden.
Der Mann hat Nerven. So ähnlich hatte der letzte IPO-Boom Ende der 90er Jahre auch begonnen - jener Boom, der jetzt in 309 Milliardenklagen zu seinem ruhmlosen Abschluss findet.
Dem Dow, am Freitag erstmals seit Anfang Juni wieder unter 9000 gerutscht, dürfte es da schwer fallen, in den nur dreieinhalb Handelstagen dieser Woche zumindest zufrieden stellend aus der Grube zu klettern.
Hofieren in Paris
"Wir sind in einer Konsolidierungsphase", sagt Analyst Peter Boockvar von der Investmentfirma Miller Tabak. Da sind sich die Experten ausnahmsweise mal weitgehend einig: Die Anleger warten ab. Und zwar erstens bis nach dem langen Wochenende, und zweitens bis zur nächsten Bilanzrunde.
Die "nur" 0,25-prozentige Leitzinssenkung, mit der die Federal Reserve die Erwartungen der Wall Street enttäuschte, und der im Juni aufgrund anhaltend schlechter Arbeitsmarkt- und Industriezahlen wieder leicht geschwundene Verbraucher-Optimismus taten das ihre, um die Börsianer erst mal innehalten zu lassen.
Während die gesamten USA also, privat wie finanziell, in Kurzurlaub gehen, fliegt auch Jeffrey Immelt, der CEO von General Electric, von New York nach Paris - doch weitgehend dienstlich. Auf dem Arbeitsprogramm steht an der Seine auch ein Treffen mit Jean-René Fourtou, Immelts Gegenpart beim Medienmulti Vivendi.
Denn Vivendi, das seine Entertainment-Filiale Universal abstoßen will, wird von diversen Firmen umworben. Darunter: Viacom (CBS, MTV), Metro-Goldwyn-Mayer, der Investor Marvon Davis, John Malones Liberty Media und der frühere Chef von Universal, Edgar Bronfman.
Nun drängt sich ein neuer Interessent hinzu: Das TV-Network NBC, eine GE-Tochter. Immelt will Fourtou in Paris persönlich hofieren und ihm, so ein Insider, "die Farben von NBC" zeigen.
Das ist das Mindeste, was Fourtou erwarten kann. Der Gesamtwert von Universal wird auf 15 Milliarden Dollar geschätzt.
Wer weiß: Vielleicht gibt's am Ende dieser trüben Börsenwoche, außer dem traditionellen Fourth-of-July-Feuerwerk über dem abendlichen East River, auch an der Wall Street dann doch noch ein paar unverhoffte, laute Böller.
spiegel.de