Am Freitag war Schluss. Seit gestern rückt der TecDax in den Blick der Investoren. Was bleibt vom Neuen Markt, der einstigen Wunderbörse? manager magazin zeigt, wie Anleger agieren müssen und welche Titel sich lohnen.Wenn Harald Schmidt austeilt, tut er das mit Stil, anwaltlich gut beraten und meist zum richtigen Zeitpunkt.
"Wissen Sie", griente Deutschlands bester Late-Night-Talker bei seiner persönlichen Totenmesse auf den Neuen Markt in die Kamera, "ich könnte ja nicht so locker über all diese Läden herziehen - aber die haben ja alle gar kein Geld mehr, um mich zu verklagen."© Reinhard Wendlinger Großansicht Schlussakkord
Abgewirtschaftet: Ein paar Skandale zu viel - am Ende war der Neue Markt nicht zu retten.
Aufgemischt: Ein neuer Technologie-Index soll das Comeback der Wachstumswerte einleiten.
Aufgerappelt: Überlebende mit soliden Zahlen bieten Chancen zu überschaubaren Risiken.
Alle? Na ja, viele jedenfalls nicht. Sechs Jahre nach Gründung der Frankfurter Wachstumsbörse ist von dem Hoffnungsträger nur noch ein Trümmerhaufen übrig. Gefälschte Aufträge, erfundene Umsätze, gierige Vorstände, zahlreiche Pleiten und seit Mai 2000 rund 230 Milliarden Euro vernichtetes Kapital.
Die Marke ist ruiniert. Seit Freitag ist Schluss. Der Neue Markt geht im so genannten Prime Standard der Deutschen Börse auf. Die strengen Zulassungsregeln bleiben. Viele Unternehmen werden sich in einem stark verkleinerten Technologie-Index wieder finden. Der Rest verteilt sich auf Mid- und Small-Cap-Segmente oder verschwindet in der grauen Masse.
Die Skandalfirmen - so die Hoffnung der Börse - werden sich nach dem Wegfall der öffentlichkeitswirksamen Plattform Neuer Markt ganz von allein aus dem obersten Kapitalmarktsegment verabschieden.
Was aber bleibt vom Neuen Markt übrig, wenn Betrügerfirmen wie Infomatec oder Comroad
vergessen und Blender wie Intershop
oder EMTV
endgültig auf das ihnen gemäße Maß zurechtgestutzt sind?
Fest steht: Die Orientierung wird schwieriger, da sich die Firmen nun auf Tec-, M- und SDax verteilen. manager magazin hat zusammen mit Small-Cap-Experten und Fondsmanagern die Trümmer der einstigen Wunderbörse analysiert. Lesen Sie,
- wie Sie solide Wachstumswerte von Windmaschinenunterscheiden;
- wie Sie mit einem neuen Frühwarnsystem Absturzkandidaten in Ihrem Depot identifizieren und
- welche Firmen nach dem Ende des Neuen Marktes interessant sind.
Sicherheit zuerst
Ralph Dommermuth ist schnell, zäh und stets bereit, die Richtung zu wechseln. Der Gründer von United Internet gehörte zu den Ersten auf dem Neuen Markt. Seine Firma - damals noch 1&1 - stieg auf, fiel tief, feierte Wiederauferstehung und schmierte erneut ab.
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Das Geschäftsmodell war so etwas wie der letzte Schrei: Kaufe für viel Geld Internet-Klitschen, um sie später für noch mehr Geld an die Börse zu bringen. Am Ende aber verbrannte Dommermuth nur Geld.
Den Neuen Markt wird der Internet-Pionier dennoch überleben. Der Mann hat sich den neuen Gegebenheiten angepasst. Verlustbringer sind verkauft, die Bilanz ist saniert, das Geschäft mit den Internet-Zugängen wirft Gewinn ab. Seit Anfang 2002 gehört die Aktie zu den wenigen Werten, die noch gekauft werden - der Kurs hat sich verdoppelt.
"Keiner, der heute noch auf dem Neuen Markt unterwegs ist, investiert auch nur einen Cent, wenn er operative Schwächen oder bilanzielle Unklarheiten wittert", sagt Karl Fickel, Fondsmanager bei der Frankfurter Investmentgesellschaft Lupus Alpha: "Es gilt safety first." Für Anleger kommen daher nur Firmen mit stabilen Bilanzen infrage. Hohe Eigenkapitalquote, geringe immaterielle Vermögenspositionen wie Softwarelizenzen oder Firmenwerte, ausreichende liquide Mittel und ein geringer Cash-Verbrauch sind Qualitätsnachweise. Umgekehrt gilt: Wenn nur einer dieser Posten Schwächen zeigt, ist Gefahr im Verzug.
Weil die Basis vieler Firmen schmal ist und negative Entwicklungen rasch durchschlagen, müssen Anleger - so aufwändig das auch klingt - die Berichte der letzten vier bis sechs Quartale durchleuchten.
Fällt etwa die Eigenkapitalquote zu niedrig und die Kreditposition zu üppig aus, werden die finanziellen Reserven durch hohe Zinszahlungen belastet. Im Krisenfall hat das Unternehmen wenig Spielraum. Wird dann noch teures Equipment, das jahrelang genutzt wird, mit kurzfristigen Krediten finanziert, ist Vorsicht geboten. Genau diese Konstellation brachte Mobilcom , einst Star der Wachstumsbörse, an den Rand des Ruins.
Besteht die Aktivseite der Bilanz vornehmlich aus immateriellen Vermögensposten, drohen hohe Abschreibungen - im schlimmsten Fall implodiert die Substanz von einem Quartal auf das andere. Befürchtungen, die zum großen Teil den Absturz des einstigen Biotech-Stars Evotec auslösten, der immer noch einen dreistelligen Millionenbetrag aus der Übernahme des britischen Konkurrenten OAI in den Büchern hat.
Rechtzeitig aussteigen
Hohe Ausgaben für die Entwicklung neuer Präparate, denen kaum Umsätze gegenüberstehen, machen die übrigen deutschen Biotech-Firmen zum Abenteuer. Jeder Anleger kann sich anhand des Cash-Verbrauchs ausrechnen, wann die Finanzpolster aufgezehrt und die Unternehmen am Ende sind.
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Warnsignale | |||
In welche Risikoklassen die Tec-Dax-Firmen eingeteilt sind A: Solide Geschäfte und Bilanzen zeichnen diese Kategorie aus. Einbrüche unwahrscheinlich. B: Das Geschäft schwankt stärker, die Bilanz weist unwesentliche Schwächen auf. C: Stark schwankende Geschäftsentwicklung, unterdurchschnittliche Marktposition, angespannte Finanzlage. D: Unternehmen sind in einem Finanzengpass. Ohne frisches Geld besteht Insolvenzgefahr. Aktuelle Tec-Dax-Ratings unter: www.ses-research.de | |||
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Stimmt die Bilanz, sollten sich die Anleger die Gewinn- und Verlust-Rechnung vornehmen. Der ist zu entnehmen, wie das Management mit der Konjunktur- und Nachfrageschwäche der vergangenen Monate fertig geworden ist.
Hat sich der Umsatz besser gehalten als bei der Konkurrenz? Haben sich die Gewinne stabil entwickelt, obwohl die Umsätze geschrumpft sind? Konnte das Management die Margen halten oder verbessern? Hat sich die Profitabilität des Unternehmens innerhalb der vergangenen Quartale gegenüber der Branche neutral oder gar positiv entwickelt?
Wenn die Antwort auf jede dieser Fragen positiv ausfällt, dann funktioniert das Geschäftsmodell, und das operative Risiko hält sich in Grenzen.
Eine derartig intensive Analyse empfiehlt sich nicht nur beim Kauf von Wachstumsaktien. Wer Firmen im Depot hat, die gerade mal der Startup-Phase entwachsen sind, sollte den Check-up nach jedem Quartalsbericht wiederholen - nur so lassen sich mögliche Verluste in Grenzen halten.
Zumindest für die 30 Werte des TecDax haben Anleger künftig eine Entscheidungshilfe. Das auf Technologie- und Wachstumsfirmen spezialisierte Hamburger Researchhaus SES hat die wesentlichen Risikoindikatoren aus Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung zu einem Risikorating verdichtet. Zum Ende eines jeden Quartals werden die Unternehmen in vier Klassen von A (solide) bis D (stark gefährdet) eingeteilt (siehe Kasten links).
Wie nützlich die SES-Noten als Frühindikator sind, zeigt das Beispiel des Windparkbetreibers P&T Technology . Die Firma wurde im Frühjahr vergangenen Jahres, als das Geschäft ins Schlingern geriet, von B auf C heruntergestuft. Anlegern, die damals verkauft hätten, wäre ein Verlust von 90 Prozent erspart geblieben.
Richtig einsteigen
Medion ist die Ausnahme. Seit dem Börsengang im Februar 1999 verdoppelte sich der Umsatz der Firma, die als Lieferant von Aldi die etablierten PC-Händler das Fürchten lehrte.
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Medion ist der Modellfall. Wachstumsstark, ausgestattet mit einer guten Marktposition, stabilen Erträgen, einer vernünftigen Bewertung und einem vergleichsweise geringen Risiko. Es gibt noch andere Aktien mit diesen Qualitäten. manager magazin hat einige der vielversprechendsten Kandidaten herausgefiltert.
Viele von dieser Spezies finden sich nicht mehr auf dem Neuen Markt. Und einige der soliden Kandidaten werden wie Medion oder der Sitzheizungshersteller W.E.T. Automotive Systems

Anleger, die nach Wachstumswerten suchen, müssen künftig auch die Branchen des M- und SDax im Auge behalten. Allein schon, weil diese Firmen auf stabileren Märkten agieren als die Firmen des künftigen Technologiesegments.
Dennoch: Die Unternehmen können gut sein, die Gewinne mögen stimmen, die Bilanzen solide aussehen und die Bewertung der Aktien auf historischen Tiefs liegen - es kann trotzdem noch einmal kräftig abwärts gehen. Solange die Konjunktur nicht wieder brummt, wird es auch kein breites Technologie-Revival geben. Und damit bleiben die Kurse vieler Aktien erst einmal da, wo sie momentan sind.
Fazit
Sie haben also noch nicht genug vom Neuen Markt? Sie glauben daran, dass es diesmal mit deutschen Technologie- und Wachstumsfirmen klappt?
Okay, Sie könnten Recht behalten. Nur sollten Sie sich über eines im Klaren sein: Die Regeln der Börse und die Anlegerschutzklauseln im Finanzmarktförderungsgesetz sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen.Was vom Neuen Markt übrig bleibt: Fünf interessante Wachstumswerte mit geringem Risikoprofil Unternehmen WKN (1) Index KGV(2)2002/2003 Eigenkapital- quote (3) Stopp- kurs (4) Kontron TecDax 48,7/13,5 71 1,8 Medion MDax 17,2/13,9 38 26,0 Singulus Tec-Dax 12,2/10,1 72 10,0 W.E.T Automotive S-Dax 7,7/6,3* 57 29,0 T-Online Tec-Dax negativ 94 4,5 (1) Wertpapierkennnummer. (2) Kurs-Gewinn-Verhältnis, geschätzt. (3) In Prozent. (4) In Euro. *2003/2004 Quelle: IBES, Unternehmensangaben
Die Firmen können blenden, erfinden oder fälschen - auf die Hilfe deutscher Richter dürfen Anleger nicht zählen. Zu Schadensersatz ist trotz zahlreicher Verstöße gegen Börsen- und Wertpapierhandelsgesetz noch kein Vorstand rechtswirksam verurteilt worden.
Trotz allem: Die Risiken für den Neustart sind anders als beim ersten Versuch deutlich formuliert. Und wie es nicht geht, darf zum Schluss noch einmal Harald Schmidt sagen: "H5B5 Media, die hatte ich auch mal. Was die gemacht haben? Weiß ich doch nicht. Mit Analyse hab' ich mich nie aufgehalten. Ich hab gekauft, und dann hat es pffffiiiiuuu gemacht - 90 Prozent weg wie nix. Seitdem warte ich auf Einstiegskurse, die kamen aber nicht."
Wie auch, H5B5 hat am 18. Juni 2002 Insolvenz angemeldet.