Während des Börsenbooms haben viele Unternehmen ihre Rechnungen mit überbewerteten Aktien statt mit Cash bezahlt. Das rächt sich jetzt bitter - vor allem Optionsgeschäfte könnten vielen Firmen das Genick brechen.
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Convertibles: Wenn die Kurse taumeln, wollen alle Cash
Hamburg - Der größte Bullenmarkt aller Zeiten war nicht nur für Anleger eine feine Sache. Auch Unternehmenschefs und Finanzvorstände gewöhnten sich schnell daran, dass Aktien nur eine Richtung kannten: der Sonne entgegen. Für kapitalhungrige Unternehmen war dies ein paradiesischer Zustand, denn ständig steigende Kurse waren gleichbedeutend mit billigen Krediten.
Kaum jemals zuvor haben Unternehmen so hemmungslos zugekauft, investiert und Kredite aufgenommen wie in der Boomphase 1999/2000. So unterschiedlich die verschiedenen Deals auch waren, eines hatten sie alle gemeinsam: Der Löwenanteil wurde nicht mit Cash, sondern mit Aktien bezahlt.
Aktienoptionen: Der Fluch der Vergangenheit
Besonders beliebt waren Aktien als Zahlungsmittel bei großen Akquisitionen. Das Ganze funktionierte folgendermaßen: Bei Unternehmenskäufen erhielt der Verkäufer als Bezahlung anstelle von Barem Aktien des Käufers. Da Aktien im Wert stark schwanken können, verlangte der Verkäufer eine zusätzliche Sicherheit - für den Fall, dass die erhaltenen Wertpapiere deutlich an Wert verlieren sollten.
Die bekam er vom Verkäufer in Form einer Put-Option. Diese verpflichtet den Käufer, dem Verkäufer die Aktien später zu einem beim Geschäftsabschluss festgelegten Preis wieder abzunehmen. Der Preis, zu dem der Verkäufer dem Käufer die Aktien wieder andrehen durfte, orientierte sich an den - nach heutigen Maßstäben - viel zu hohen Kursen der Boomphase. Solange der Kurs schön weit oben blieb, war alles in Butter: Das Unternehmen, das seine Rechnung mit Aktien beglichen hatte, musste nicht befürchten, dass die andere Partei von ihrem Rückgaberecht Gebrauch macht.
Inzwischen haben die Kurse jedoch wieder Bodenhaftung, und viele Unternehmen befinden sich in der unglücklichen Lage, den Haltern der Put-Optionen die Aktien zu einem Preis abnehmen zu müssen, der weit über dem derzeitigen Kurs liegt. "Diese Deals laufen unter der Überschrift 'potenziell böse Überraschungen'", so Michael Stam von Fortis Investment Management in Paris. Viele Unternehmen "haben die Risiken nicht genau bedacht, die eintreten, wenn die Strategie nicht aufgeht".
Telefonkonzerne, die Meister des Optionsgeschäfts
Das beste Beispiel für die Folgen von Optionsdeals ist der Telekommunikationskonzern France Télécom . Kaum ein anderes europäisches Unternehmen hat so exzessiv Gebrauch von Optionen gemacht wie die Franzosen. Nach einer Analyse von Credit Suisse First Boston könnten sich die resultierenden Zahlungen in den kommenden zwei Jahren auf bis zu zehn Milliarden Euro summieren.
Im Juni 2002 könnte der Energiekonzern E.ON die Franzosen zwingen, ihnen 103 Millionen Aktien des Mobilfunkers Orange zum Preis von 950 Millionen Euro abzunehmen - der Marktwert der Aktien liegt derzeit lediglich bei etwa 790 Millionen Euro. Ein weiterer Optionshalter ist das angeschlagene britische Kabelunternehmen NTL, das den Franzosen im Mai 2003 NTL-Papiere für 1,1 Milliarde Euro aufs Auge drücken kann - dabei ist das Aktienpaket so gut wie wertlos. Auch MobilCom-Gründer Gerhard Schmid, der seine Beteiligung an dem Büdelsdorfer Unternehmen unlängst an eine Investorengruppe veräußert hat, besaß eine Put-Option, die er benutzte, um Druck auf den hoch verschuldeten französischen Partner auszuüben.
Europas Telekommunikationsunternehmen, die bereits auf einem Schuldenberg von mehr als 325 Milliarden Euro sitzen, sind am stärksten von der Misere betroffen. Auch die Deutsche Telekom und Telecom Italia haben in der Vergangenheit zahlreiche Put-Optionen in Verträge eingebaut und müssen möglicherweise wider Willen im Wert stark gefallene Anteile zurückkaufen. "Telcos in der Hölle", titelte unlängst die "Business Week".
Die Rache der Convertibles
Bettler: Die Kreditwürdigkeit von US-Wirtschaft nimmt ab
Auch um sich an den Kapitalmärkten Geld zu leihen, verwendeten viele Unternehmen ihre eigenen Aktien. Die Favoriten bei der Kreditaufnahme waren Wandelanleihen, englisch Convertibles. Gegen Ende des Booms kamen diese "strukturierten Produkte" dem Traum vom Gratis-Geld am nächsten.
Convertibles funktionieren zunächst wie eine Anleihe. Das Unternehmen verkauft sie am Kapitalmarkt und zahlt einen jährlichen Zinssatz. Interessant wird es gegen Ende der Laufzeit: Dann kann der Besitzer der Anleihe vom Emittenten entweder eine bestimmte Anzahl Aktien zu einem festgesetzten Preis verlangen oder sein Geld in bar zurückfordern.
Solange die Kurse stiegen war das für die Unternehmen die Beste aller Welten. Denn wenn der Kurs der Aktie höher lag als der für die Anleihe festgesetzte Wandlungspreis, wollte logischerweise jeder in Aktien und nicht in Cash ausgezahlt werden - der Differenzbetrag war schließlich ein zusätzlicher Gewinn. Und einen Gläubiger in - bereits vorhandenen - Aktien auszuzahlen ist fast immer günstiger als eine Zahlung in bar. Zusätzlich bringen Convertibles den Unternehmen in vielen Fällen steuerliche Vorteile.
Nein danke, ich nehm's lieber in bar
Wenn die Kurse aber purzeln, wollen alle Cash. Das krasseste Beispiel ist der ehemalige Börsenliebling EM.TV . Die Wandelanleihe des Unternehmens berechtigt den Inhaber, EM.TV-Aktien zum Preis von 106,39 Euro zu beziehen. Ein schlechter Scherz: Derzeit dümpelt die Aktie bei 1,43 Euro.
Auch bodenständigere Unternehmen wie der US-Mischkonzern Tyco haben sich im großen Stil über Convertibles finanziert. Laut der Investmentbank Morgan Stanley Dean Witter muss Tyco auf Grund des starken Kursverfalls seiner Aktie (minus 30 Prozent in den vergangenen 52 Wochen) im kommenden Jahr schlimmstenfalls sechs Milliarden Dollar in bar für Convertible-Rückzahlungen aufbringen. "Mir bereitet das große Sorge" so Margaret Patel vom Pioneer High Yield Fund gegenüber der "Business Week". "Wenn eines dieser Unternehmen seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann, wird das den ohnehin schon verängstigten Investoren nochmals einen Schreck versetzen", so die Fondsmanagerin.
Aller miesen Dinge sind drei?
Nach dem 11. September und der Enronitis könnte die Unternehmensverschuldung der nächste Börsenkiller sein. Vor allem in den USA hat der Schuldenstand der Privatwirtschaft inzwischen ein Furcht erregendes Niveau erreicht. Die Schulden sind derzeit etwa sechsmal so hoch wie die Profite der Unternehmen - ein absoluter Negativrekord.
Schuld ist unter anderem die US-Notenbank Federal Reserve. In einer Rezession bestrafen die Finanzmärkte hoch verschuldete Unternehmen in der Regel dadurch, dass sie deren Zinssatz für Kredite deutlich erhöhen und die Firmen dadurch zur Sparsamkeit zwingen. Diesmal war es anders: Die Fed senkte die Zinsen so schnell und so stark, dass das Geld weiter floss. Derzeitiger Schuldenstand der US-Wirtschaft: insgesamt 4,9 Billionen Dollar, 6,6 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. Die Gewinne wachsen indes deutlich langsamer als die Verschuldung. Das bleibt nicht ohne Folgen: Für jedes Unternehmen, bei dem die Ratingagentur Standard & Poor's im vergangenen Jahr die Kreditwürdigkeit erhöhte, senkte sie die Benotung bei fünf anderen Firmen. Im Januar 2002 lag das Verhältnis sogar bei eins zu sechs.
Die Börse wird langsam nervös
Als vergangene Woche der Fondsmanager Bill Gross die Kreditstruktur des Mischkonzerns General Electric als "riskant" bezeichnet hatte, ging die GE-Aktie sofort deutlich in die Knie - etwa 20 Milliarden Dollar Börsenwert waren futsch. Dass Gross' Kritik, die eigentlich nichts Neues enthielt, den größten Konzern der Welt so unter Druck bringen konnte, zeigt, wie nervös die Wall Street derzeit beim Thema Überschuldung ist. Kurzfristige GE-Schuldverschreibungen will Gross in Zukunft auf keinen Fall mehr kaufen: "Die haben ja einen höheren Kredithebel als ein Hedge Fonds."
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Convertibles: Wenn die Kurse taumeln, wollen alle Cash
Hamburg - Der größte Bullenmarkt aller Zeiten war nicht nur für Anleger eine feine Sache. Auch Unternehmenschefs und Finanzvorstände gewöhnten sich schnell daran, dass Aktien nur eine Richtung kannten: der Sonne entgegen. Für kapitalhungrige Unternehmen war dies ein paradiesischer Zustand, denn ständig steigende Kurse waren gleichbedeutend mit billigen Krediten.
Kaum jemals zuvor haben Unternehmen so hemmungslos zugekauft, investiert und Kredite aufgenommen wie in der Boomphase 1999/2000. So unterschiedlich die verschiedenen Deals auch waren, eines hatten sie alle gemeinsam: Der Löwenanteil wurde nicht mit Cash, sondern mit Aktien bezahlt.
Aktienoptionen: Der Fluch der Vergangenheit
Besonders beliebt waren Aktien als Zahlungsmittel bei großen Akquisitionen. Das Ganze funktionierte folgendermaßen: Bei Unternehmenskäufen erhielt der Verkäufer als Bezahlung anstelle von Barem Aktien des Käufers. Da Aktien im Wert stark schwanken können, verlangte der Verkäufer eine zusätzliche Sicherheit - für den Fall, dass die erhaltenen Wertpapiere deutlich an Wert verlieren sollten.
Die bekam er vom Verkäufer in Form einer Put-Option. Diese verpflichtet den Käufer, dem Verkäufer die Aktien später zu einem beim Geschäftsabschluss festgelegten Preis wieder abzunehmen. Der Preis, zu dem der Verkäufer dem Käufer die Aktien wieder andrehen durfte, orientierte sich an den - nach heutigen Maßstäben - viel zu hohen Kursen der Boomphase. Solange der Kurs schön weit oben blieb, war alles in Butter: Das Unternehmen, das seine Rechnung mit Aktien beglichen hatte, musste nicht befürchten, dass die andere Partei von ihrem Rückgaberecht Gebrauch macht.
Inzwischen haben die Kurse jedoch wieder Bodenhaftung, und viele Unternehmen befinden sich in der unglücklichen Lage, den Haltern der Put-Optionen die Aktien zu einem Preis abnehmen zu müssen, der weit über dem derzeitigen Kurs liegt. "Diese Deals laufen unter der Überschrift 'potenziell böse Überraschungen'", so Michael Stam von Fortis Investment Management in Paris. Viele Unternehmen "haben die Risiken nicht genau bedacht, die eintreten, wenn die Strategie nicht aufgeht".
Telefonkonzerne, die Meister des Optionsgeschäfts
Das beste Beispiel für die Folgen von Optionsdeals ist der Telekommunikationskonzern France Télécom . Kaum ein anderes europäisches Unternehmen hat so exzessiv Gebrauch von Optionen gemacht wie die Franzosen. Nach einer Analyse von Credit Suisse First Boston könnten sich die resultierenden Zahlungen in den kommenden zwei Jahren auf bis zu zehn Milliarden Euro summieren.
Im Juni 2002 könnte der Energiekonzern E.ON die Franzosen zwingen, ihnen 103 Millionen Aktien des Mobilfunkers Orange zum Preis von 950 Millionen Euro abzunehmen - der Marktwert der Aktien liegt derzeit lediglich bei etwa 790 Millionen Euro. Ein weiterer Optionshalter ist das angeschlagene britische Kabelunternehmen NTL, das den Franzosen im Mai 2003 NTL-Papiere für 1,1 Milliarde Euro aufs Auge drücken kann - dabei ist das Aktienpaket so gut wie wertlos. Auch MobilCom-Gründer Gerhard Schmid, der seine Beteiligung an dem Büdelsdorfer Unternehmen unlängst an eine Investorengruppe veräußert hat, besaß eine Put-Option, die er benutzte, um Druck auf den hoch verschuldeten französischen Partner auszuüben.
Europas Telekommunikationsunternehmen, die bereits auf einem Schuldenberg von mehr als 325 Milliarden Euro sitzen, sind am stärksten von der Misere betroffen. Auch die Deutsche Telekom und Telecom Italia haben in der Vergangenheit zahlreiche Put-Optionen in Verträge eingebaut und müssen möglicherweise wider Willen im Wert stark gefallene Anteile zurückkaufen. "Telcos in der Hölle", titelte unlängst die "Business Week".
Die Rache der Convertibles
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Auch um sich an den Kapitalmärkten Geld zu leihen, verwendeten viele Unternehmen ihre eigenen Aktien. Die Favoriten bei der Kreditaufnahme waren Wandelanleihen, englisch Convertibles. Gegen Ende des Booms kamen diese "strukturierten Produkte" dem Traum vom Gratis-Geld am nächsten.
Convertibles funktionieren zunächst wie eine Anleihe. Das Unternehmen verkauft sie am Kapitalmarkt und zahlt einen jährlichen Zinssatz. Interessant wird es gegen Ende der Laufzeit: Dann kann der Besitzer der Anleihe vom Emittenten entweder eine bestimmte Anzahl Aktien zu einem festgesetzten Preis verlangen oder sein Geld in bar zurückfordern.
Solange die Kurse stiegen war das für die Unternehmen die Beste aller Welten. Denn wenn der Kurs der Aktie höher lag als der für die Anleihe festgesetzte Wandlungspreis, wollte logischerweise jeder in Aktien und nicht in Cash ausgezahlt werden - der Differenzbetrag war schließlich ein zusätzlicher Gewinn. Und einen Gläubiger in - bereits vorhandenen - Aktien auszuzahlen ist fast immer günstiger als eine Zahlung in bar. Zusätzlich bringen Convertibles den Unternehmen in vielen Fällen steuerliche Vorteile.
Nein danke, ich nehm's lieber in bar
Wenn die Kurse aber purzeln, wollen alle Cash. Das krasseste Beispiel ist der ehemalige Börsenliebling EM.TV . Die Wandelanleihe des Unternehmens berechtigt den Inhaber, EM.TV-Aktien zum Preis von 106,39 Euro zu beziehen. Ein schlechter Scherz: Derzeit dümpelt die Aktie bei 1,43 Euro.
Auch bodenständigere Unternehmen wie der US-Mischkonzern Tyco haben sich im großen Stil über Convertibles finanziert. Laut der Investmentbank Morgan Stanley Dean Witter muss Tyco auf Grund des starken Kursverfalls seiner Aktie (minus 30 Prozent in den vergangenen 52 Wochen) im kommenden Jahr schlimmstenfalls sechs Milliarden Dollar in bar für Convertible-Rückzahlungen aufbringen. "Mir bereitet das große Sorge" so Margaret Patel vom Pioneer High Yield Fund gegenüber der "Business Week". "Wenn eines dieser Unternehmen seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann, wird das den ohnehin schon verängstigten Investoren nochmals einen Schreck versetzen", so die Fondsmanagerin.
Aller miesen Dinge sind drei?
Nach dem 11. September und der Enronitis könnte die Unternehmensverschuldung der nächste Börsenkiller sein. Vor allem in den USA hat der Schuldenstand der Privatwirtschaft inzwischen ein Furcht erregendes Niveau erreicht. Die Schulden sind derzeit etwa sechsmal so hoch wie die Profite der Unternehmen - ein absoluter Negativrekord.
Schuld ist unter anderem die US-Notenbank Federal Reserve. In einer Rezession bestrafen die Finanzmärkte hoch verschuldete Unternehmen in der Regel dadurch, dass sie deren Zinssatz für Kredite deutlich erhöhen und die Firmen dadurch zur Sparsamkeit zwingen. Diesmal war es anders: Die Fed senkte die Zinsen so schnell und so stark, dass das Geld weiter floss. Derzeitiger Schuldenstand der US-Wirtschaft: insgesamt 4,9 Billionen Dollar, 6,6 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. Die Gewinne wachsen indes deutlich langsamer als die Verschuldung. Das bleibt nicht ohne Folgen: Für jedes Unternehmen, bei dem die Ratingagentur Standard & Poor's im vergangenen Jahr die Kreditwürdigkeit erhöhte, senkte sie die Benotung bei fünf anderen Firmen. Im Januar 2002 lag das Verhältnis sogar bei eins zu sechs.
Die Börse wird langsam nervös
Als vergangene Woche der Fondsmanager Bill Gross die Kreditstruktur des Mischkonzerns General Electric als "riskant" bezeichnet hatte, ging die GE-Aktie sofort deutlich in die Knie - etwa 20 Milliarden Dollar Börsenwert waren futsch. Dass Gross' Kritik, die eigentlich nichts Neues enthielt, den größten Konzern der Welt so unter Druck bringen konnte, zeigt, wie nervös die Wall Street derzeit beim Thema Überschuldung ist. Kurzfristige GE-Schuldverschreibungen will Gross in Zukunft auf keinen Fall mehr kaufen: "Die haben ja einen höheren Kredithebel als ein Hedge Fonds."