Globale Standards für Bilanzen machen böse Überraschungen nur wahrscheinlicher
Von Karlheinz Küting
Bilanzskandale wie bei Enron, Comroad oder der Bankgesellschaft Berlin haben Grundpfeiler des Wirtschaftssystems erschüttert. Anleger vertrauen Jahresabschlüssen nicht mehr und lassen Aktienkurse beim kleinsten Verdacht auf Ungereimtheiten in den Keller rauschen. In den USA und zum Teil auch in Deutschland sollen strengere Gesetze Manager davon abhalten, Bilanzen zu manipulieren. Doch zu wenig Augenmerk wird Tendenzen gewidmet, die selbst bei legaler Rechnungslegung künftig eher mehr als weniger unliebsame Überraschungen erwarten lassen.
Ein wichtiger Faktor ist der Trend zu globalen Rechnungslegungsvorschriften, zu IAS (International Accounting Standards) und dem amerikanischen System US-GAAP. Die Deutsche Börse AG führt für immer mehr ihrer Handelssegmente zwangsweise diese Regeln ein, und spätestens 2005 müssen nach einer EU-Verordnung alle hierzulande börsennotierten Unternehmen IAS anwenden. Auf Dauer wird das auch den Mittelstand treffen. Dabei haben die Regeln des deutschen Handelsgesetzbuches (HGB) klare Vorteile, an die wir uns noch wehmütig erinnern werden.
Geradezu euphorisch wurden in der Vergangenheit die USGAAP-Normen als Inbegriff einer fairen und vertrauensvollen Bilanzierung gepriesen. Dagegen galten die HGB-Regeln als „Spielball der Bilanz-Jongleure“. Spätestens seit Enron zeigt sich, dass diese Schwarzweißmalerei zu sehr vereinfacht. Das amerikanische Recht hat sich als lückenhaft und nicht fehlerfrei erwiesen.
Dabei scheint das deutsche System mehr Raum für (legale) Bilanzkosmetik zu bieten. Wer das HGB anwendet, kann aufgrund gesetzlicher Wahlrechte entscheiden, wie er Bilanzposten bewertet. In der IAS-Welt existieren nur wenige und in der GAAP-Landschaft fast keine solcher Wahlmöglichkeiten. Das heißt aber nicht, dass keine Bilanzpolitik möglich wäre. An die Stelle gesetzlicher Wahlrechte treten Ermessensspielräume und Sachverhaltsgestaltungen, die sich in keinem System ausschließen lassen. Darüber hinaus sind GAAP und IAS durch eine Fülle unbestimmter Rechtsbegriffe geprägt. Durch diese Hintertüren zieht die Bilanzpolitik ein. Doch während man beim HGB verpflichtet ist, über die Ausübung der Wahlrechte zu berichten, vollzieht sich die Bilanzgestaltung über Ermessens- und Gestaltungsspielräume im Stillen. So konnten im deutschen System Zusammenbrüche – wie bei KHD, Bremer Vulkan, Holzmann und Herlitz – aufgrund geänderter Ausübung der Wahlrechte vorhergesagt werden. Nunmehr ist zu befürchten, dass Pleiten über Nacht eintreten.
Ein wichtiger Unterschied der Systeme liegt außerdem darin, dass das deutsche Recht eine vorsichtige Bewertung nahe legt, während bei den internationalen Standards eine möglichst realistische Beurteilung angestrebt wird. Dadurch wird die Bilanzierung schwieriger und aufwändiger. Zählen, Wiegen und Messen treten in den Hintergrund. Stattdessen heißt es verstärkt, die Zukunft einzuschätzen. Das subjektive Ermessen gewinnt an Bedeutung, Schätzungen und Prognosen bestimmen die Bilanzierung.
Mit der Internationalisierung wird das Bilanzrecht auch undurchschaubarer. Das HGB enthält wenige Regeln zum Einzel- und Konzernabschluss. Die IAS- und GAAP-Vorschriften hingegen umfassen mehrere hundert Seiten mit Einzelregelungen.
Zur Internationalisierung kommt die wachsende Bedeutung des immateriellen Vermögens hinzu, also etwa der Lizenzen, Patente und der Firmenwerte bei dem Erwerb von Betrieben. Während in der Old Economy in zahlreichen Bilanzen überhaupt keine dieser intangibles ausgewiesen wurden, vollzieht sich mit dem Wandel der Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungs-, Hochtechnologie- und Wissenschaftsgesellschaft auch eine grundlegende Veränderung des Bilanzbildes. In vielen Unternehmen übersteigt der Wert immaterieller Güter inzwischen das bilanzielle Eigenkapital.
Häufig lassen sich diese Werte aber nicht einfach in ihrer Menge erfassen, und es existieren keine Marktpreise. Außerdem stehen sie oft im Verbund mit anderen Vermögensgegenständen und sind einzeln nur schwer veräußerbar. Ihr Wert wird primär durch Ertragserwartungen determiniert und steckt deshalb voller Unwägbarkeiten. Das von einem Unternehmen selbst geschaffene immaterielle Vermögen – also etwa eine Marke wie Coca-Cola oder Nivea – wird in den deutschen wie in den angelsächsisch geprägten Bilanzen nicht ausgewiesen. Deshalb wächst die Kluft zwischen dem Unternehmenswert und dem bilanziellen Eigenkapital. Die Betriebswirtschaft hat diese Probleme jahrelang vernachlässigt.
Die Qualität der Rechnungslegungsdaten hängt aber nicht nur von den Normen ab; sie wird auch vom Umfeld und von den Rahmenbedingungen wie der Mentalität des Bilanzierenden, den Anforderungen des Kapitalmarkts und den Kontrollmechanismen geprägt. Heute werden Unternehmen vom Kapitalmarkt gnadenlos abgestraft, wenn sie die Erwartungen von Analysten nicht erfüllen. Hinzu kommt die immer enger werdende Verknüpfung zwischen der Entlohnung des Managements und dem Aktienkurs. Das verführt zum „Earnings Management“, bei dem alle Bilanztricks als erlaubt gelten, die nicht ausdrücklich verboten sind.
Diese Anreizstrukturen müssen hinterfragt werden, genauso wie die Sicherheitsmechanismen in der Bilanzprüfung, etwa die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer. Allzu sehr hat sich die Forschung mit den Bilanzierungsnormen und -techniken beschäftigt. Jetzt wird es Zeit, sich auch diesem Umfeld zu widmen.
Von Karlheinz Küting
Bilanzskandale wie bei Enron, Comroad oder der Bankgesellschaft Berlin haben Grundpfeiler des Wirtschaftssystems erschüttert. Anleger vertrauen Jahresabschlüssen nicht mehr und lassen Aktienkurse beim kleinsten Verdacht auf Ungereimtheiten in den Keller rauschen. In den USA und zum Teil auch in Deutschland sollen strengere Gesetze Manager davon abhalten, Bilanzen zu manipulieren. Doch zu wenig Augenmerk wird Tendenzen gewidmet, die selbst bei legaler Rechnungslegung künftig eher mehr als weniger unliebsame Überraschungen erwarten lassen.
Ein wichtiger Faktor ist der Trend zu globalen Rechnungslegungsvorschriften, zu IAS (International Accounting Standards) und dem amerikanischen System US-GAAP. Die Deutsche Börse AG führt für immer mehr ihrer Handelssegmente zwangsweise diese Regeln ein, und spätestens 2005 müssen nach einer EU-Verordnung alle hierzulande börsennotierten Unternehmen IAS anwenden. Auf Dauer wird das auch den Mittelstand treffen. Dabei haben die Regeln des deutschen Handelsgesetzbuches (HGB) klare Vorteile, an die wir uns noch wehmütig erinnern werden.
Geradezu euphorisch wurden in der Vergangenheit die USGAAP-Normen als Inbegriff einer fairen und vertrauensvollen Bilanzierung gepriesen. Dagegen galten die HGB-Regeln als „Spielball der Bilanz-Jongleure“. Spätestens seit Enron zeigt sich, dass diese Schwarzweißmalerei zu sehr vereinfacht. Das amerikanische Recht hat sich als lückenhaft und nicht fehlerfrei erwiesen.
Dabei scheint das deutsche System mehr Raum für (legale) Bilanzkosmetik zu bieten. Wer das HGB anwendet, kann aufgrund gesetzlicher Wahlrechte entscheiden, wie er Bilanzposten bewertet. In der IAS-Welt existieren nur wenige und in der GAAP-Landschaft fast keine solcher Wahlmöglichkeiten. Das heißt aber nicht, dass keine Bilanzpolitik möglich wäre. An die Stelle gesetzlicher Wahlrechte treten Ermessensspielräume und Sachverhaltsgestaltungen, die sich in keinem System ausschließen lassen. Darüber hinaus sind GAAP und IAS durch eine Fülle unbestimmter Rechtsbegriffe geprägt. Durch diese Hintertüren zieht die Bilanzpolitik ein. Doch während man beim HGB verpflichtet ist, über die Ausübung der Wahlrechte zu berichten, vollzieht sich die Bilanzgestaltung über Ermessens- und Gestaltungsspielräume im Stillen. So konnten im deutschen System Zusammenbrüche – wie bei KHD, Bremer Vulkan, Holzmann und Herlitz – aufgrund geänderter Ausübung der Wahlrechte vorhergesagt werden. Nunmehr ist zu befürchten, dass Pleiten über Nacht eintreten.
Ein wichtiger Unterschied der Systeme liegt außerdem darin, dass das deutsche Recht eine vorsichtige Bewertung nahe legt, während bei den internationalen Standards eine möglichst realistische Beurteilung angestrebt wird. Dadurch wird die Bilanzierung schwieriger und aufwändiger. Zählen, Wiegen und Messen treten in den Hintergrund. Stattdessen heißt es verstärkt, die Zukunft einzuschätzen. Das subjektive Ermessen gewinnt an Bedeutung, Schätzungen und Prognosen bestimmen die Bilanzierung.
Mit der Internationalisierung wird das Bilanzrecht auch undurchschaubarer. Das HGB enthält wenige Regeln zum Einzel- und Konzernabschluss. Die IAS- und GAAP-Vorschriften hingegen umfassen mehrere hundert Seiten mit Einzelregelungen.
Zur Internationalisierung kommt die wachsende Bedeutung des immateriellen Vermögens hinzu, also etwa der Lizenzen, Patente und der Firmenwerte bei dem Erwerb von Betrieben. Während in der Old Economy in zahlreichen Bilanzen überhaupt keine dieser intangibles ausgewiesen wurden, vollzieht sich mit dem Wandel der Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungs-, Hochtechnologie- und Wissenschaftsgesellschaft auch eine grundlegende Veränderung des Bilanzbildes. In vielen Unternehmen übersteigt der Wert immaterieller Güter inzwischen das bilanzielle Eigenkapital.
Häufig lassen sich diese Werte aber nicht einfach in ihrer Menge erfassen, und es existieren keine Marktpreise. Außerdem stehen sie oft im Verbund mit anderen Vermögensgegenständen und sind einzeln nur schwer veräußerbar. Ihr Wert wird primär durch Ertragserwartungen determiniert und steckt deshalb voller Unwägbarkeiten. Das von einem Unternehmen selbst geschaffene immaterielle Vermögen – also etwa eine Marke wie Coca-Cola oder Nivea – wird in den deutschen wie in den angelsächsisch geprägten Bilanzen nicht ausgewiesen. Deshalb wächst die Kluft zwischen dem Unternehmenswert und dem bilanziellen Eigenkapital. Die Betriebswirtschaft hat diese Probleme jahrelang vernachlässigt.
Die Qualität der Rechnungslegungsdaten hängt aber nicht nur von den Normen ab; sie wird auch vom Umfeld und von den Rahmenbedingungen wie der Mentalität des Bilanzierenden, den Anforderungen des Kapitalmarkts und den Kontrollmechanismen geprägt. Heute werden Unternehmen vom Kapitalmarkt gnadenlos abgestraft, wenn sie die Erwartungen von Analysten nicht erfüllen. Hinzu kommt die immer enger werdende Verknüpfung zwischen der Entlohnung des Managements und dem Aktienkurs. Das verführt zum „Earnings Management“, bei dem alle Bilanztricks als erlaubt gelten, die nicht ausdrücklich verboten sind.
Diese Anreizstrukturen müssen hinterfragt werden, genauso wie die Sicherheitsmechanismen in der Bilanzprüfung, etwa die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer. Allzu sehr hat sich die Forschung mit den Bilanzierungsnormen und -techniken beschäftigt. Jetzt wird es Zeit, sich auch diesem Umfeld zu widmen.