FINANZEN 06.05.2001
Regelwerk am Neuen Markt: Theoretisch transparent
von Niels Kruse
„Der Neue Markt“, so wird Werner Seifert, Chef der Deutschen Börse, nicht müde zu sagen, „ist der am schärfsten regulierte Markt in Europa.“ Nicht jeder, der mit dem Wachstumssegment zu tun hat, teilt Seiferts Meinung. Wohl aber, dass strenge Regularien und Kontrollen das nötige Vertrauen schaffen können. Und das hat der Neue Markt dringender nötig denn je. Fast ein Dutzend der rund
350 am Neuen Markt gelisteten Firmen haben mittlerweile unliebsamen Kontakt zu Richtern, Staatsanwaltschaft und Insolvenzverwaltern knüpfen müssen. Jüngster Fall: die Sunburst AG. Am 19. April musste der Osnabrücker Rechteverwalter wegen drohender Pleite einen Insolvenzantrag stellen. Die heraufziehende Zahlungsunfähigkeit erfolgte mit Ansage. Denn die Jahresbilanz fiel derart katastrophal aus, dass sich einige Altaktionäre genötigt sahen, zwei Tage vor Bilanzveröffentlichung im März spontan Firmenanteile abzustoßen. Zum Ergebnisdesaster gesellte sich der Verdacht des Insiderhandels. Da halfen auch die angeblich so strengen Regeln nicht mehr.
Zu den Regularien gehört unter anderem die Vorschrift, dass alle drei Monate Quartalsergebnisse veröffentlicht werden müssen. Doch nicht alle Unternehmen an der Wachstumsbörse schaffen es, dieser Pflicht nachzukommen. 29 Firmen haben laut der Sanktionsliste der Deutschen Börse ihre Quartalsberichte zu spät oder gar nicht eingereicht.
„Die regelmäßige Berichterstattung ist in der Tat ein Problem. Vor allem für kleine Companys“, sagt Klaus Kaldemorgen, oberster Aktienfondsmanager der DWS, der größten deutschen Fondsgesellschaft. Denn die Bilanzierung verschlingt einen Haufen Arbeitskraft, Zeit und Geld. Rund sechs Wochen brauchen Finanzvorstände, Wirtschaftsprüfer, Investor-Relations-Manager und Öffentlichkeitsarbeiter, um die Pflichtveröffentlichung zu erarbeiten. Weichen die Zahlen dann nur 1 Cent von der Prognose ab, schießen die Kurse oftmals in die Höhe oder rauschen in den Keller – je nachdem, ob vor dem Cent ein Plus oder ein Minus steht.
Die Unternehmen stehen enorm unter Druck, alle drei Monate möglichst gute Zahlen vorzulegen. Einigen wenigen fällt das leicht. Um den Aktienkursen Flügel zu verleihen, glaubten etwa die Gründer vom Softwarehersteller Infomatec Ad-hoc-Meldungen in Umlauf bringen zu müssen, deren Inhalte geschönt oder falsch waren. Die beiden sitzen mittlerweile in Untersuchungshaft. Fast ebenso toll haben es wohl die Vorstände von Metabox getrieben: Ein Teil der Aufträge, die der Set-Top-Boxen-Hersteller angekündigt hatte, waren mysteriöser Herkunft. Die Staatsanwaltschaft bezweifelt, ob diese Orders überhaupt existierten. Anfang März wurde die Hildesheimer Zentrale gefilzt, gegen die Vorstände wird wegen Kursbetrugs ermittelt. Einen Grund für solche dubiosen Machenschaften glaubt Julia Kretschmann, Investor-Relations-Managerin bei Sinner Schrader, zu kennen: „Mittlerweile reicht es nicht mehr aus, ein tragfähiges Geschäftsmodell vorweisen zu können. Sich gut zu verkaufen, ist mindestens genauso wichtig geworden.“
Für Metabox, Informatec und Co. war das offenbar wichtiger, als das eigentliche Geschäft voranzutreiben. DWS-Manager Kaldemorgen kennt solche Spielchen: „Ich glaube zwar, dass die große Mehrzahl der Neuer-Markt-Firmen sehr seriös ist, ich will aber auch nicht ausschließen, dass es welche gibt, die ihre Bilanzen an die Erwartungen des Parketts anpassen“, sagt er. Für Softwarehersteller bietet sich die Möglichkeit, Aufträge in der Rechnungslegung zeitlich nach vorne oder hinten zu verschieben. Wann ist der Auftrag erfüllt? Bereits wenn eine Software fertig programmiert ist? Wenn sie installiert ist? Oder erst, wenn sie fehlerfrei läuft?
Auf solche Tricks kann Porsche verzichten. Die Geschäfte der Zuffenhausener laufen gut, nur die Quartalsberichterstattung macht dem Mdax-Unternehmen zu schaffen. „Die Beschleunigung der Berichtszeit führt zu einer sehr hohen Volatiliät unserer Aktie“, sagt Porsches Investor-Relations-Leiter Manfred Ayasse. „Und das kann nicht im Interesse unserer langfristig denkenden Anleger sein.“ Daher verzichtet Porsche auf kurzfristige Kursfeuerwerke und setzt stattdessen auf eine positive Performance durch solides Firmenwachstum. Die schwäbische Karosserieschmiede liegt mit der Deutschen Börse im Clinch. Porsche will nur halbjährlich berichten, die Frankfurter bestehen auf den Quartalszahlen. Bleibt Porsche bei seiner Verweigerungshaltung, droht der Ausschluss aus dem Mdax. „Den würden wir sogar in Kauf nehmen“, sagt Ayasse.
Wie auch die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) hofft Wolfgang Gerke, Wirtschaftsprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg, dass das Modell Porsche nicht Schule machen wird: „Die Quartalsberichte geben nicht nur den Investoren einen guten Einblick in das Geschäftsgebaren der Firmen“, so Gerke, „auch für das Management ist es eine gute Gelegenheit, das eigene Wirken zu reflektieren.“ Theoretisch jedenfalls.
Regelwerk am Neuen Markt: Theoretisch transparent
von Niels Kruse
„Der Neue Markt“, so wird Werner Seifert, Chef der Deutschen Börse, nicht müde zu sagen, „ist der am schärfsten regulierte Markt in Europa.“ Nicht jeder, der mit dem Wachstumssegment zu tun hat, teilt Seiferts Meinung. Wohl aber, dass strenge Regularien und Kontrollen das nötige Vertrauen schaffen können. Und das hat der Neue Markt dringender nötig denn je. Fast ein Dutzend der rund
350 am Neuen Markt gelisteten Firmen haben mittlerweile unliebsamen Kontakt zu Richtern, Staatsanwaltschaft und Insolvenzverwaltern knüpfen müssen. Jüngster Fall: die Sunburst AG. Am 19. April musste der Osnabrücker Rechteverwalter wegen drohender Pleite einen Insolvenzantrag stellen. Die heraufziehende Zahlungsunfähigkeit erfolgte mit Ansage. Denn die Jahresbilanz fiel derart katastrophal aus, dass sich einige Altaktionäre genötigt sahen, zwei Tage vor Bilanzveröffentlichung im März spontan Firmenanteile abzustoßen. Zum Ergebnisdesaster gesellte sich der Verdacht des Insiderhandels. Da halfen auch die angeblich so strengen Regeln nicht mehr.
Zu den Regularien gehört unter anderem die Vorschrift, dass alle drei Monate Quartalsergebnisse veröffentlicht werden müssen. Doch nicht alle Unternehmen an der Wachstumsbörse schaffen es, dieser Pflicht nachzukommen. 29 Firmen haben laut der Sanktionsliste der Deutschen Börse ihre Quartalsberichte zu spät oder gar nicht eingereicht.
„Die regelmäßige Berichterstattung ist in der Tat ein Problem. Vor allem für kleine Companys“, sagt Klaus Kaldemorgen, oberster Aktienfondsmanager der DWS, der größten deutschen Fondsgesellschaft. Denn die Bilanzierung verschlingt einen Haufen Arbeitskraft, Zeit und Geld. Rund sechs Wochen brauchen Finanzvorstände, Wirtschaftsprüfer, Investor-Relations-Manager und Öffentlichkeitsarbeiter, um die Pflichtveröffentlichung zu erarbeiten. Weichen die Zahlen dann nur 1 Cent von der Prognose ab, schießen die Kurse oftmals in die Höhe oder rauschen in den Keller – je nachdem, ob vor dem Cent ein Plus oder ein Minus steht.
Die Unternehmen stehen enorm unter Druck, alle drei Monate möglichst gute Zahlen vorzulegen. Einigen wenigen fällt das leicht. Um den Aktienkursen Flügel zu verleihen, glaubten etwa die Gründer vom Softwarehersteller Infomatec Ad-hoc-Meldungen in Umlauf bringen zu müssen, deren Inhalte geschönt oder falsch waren. Die beiden sitzen mittlerweile in Untersuchungshaft. Fast ebenso toll haben es wohl die Vorstände von Metabox getrieben: Ein Teil der Aufträge, die der Set-Top-Boxen-Hersteller angekündigt hatte, waren mysteriöser Herkunft. Die Staatsanwaltschaft bezweifelt, ob diese Orders überhaupt existierten. Anfang März wurde die Hildesheimer Zentrale gefilzt, gegen die Vorstände wird wegen Kursbetrugs ermittelt. Einen Grund für solche dubiosen Machenschaften glaubt Julia Kretschmann, Investor-Relations-Managerin bei Sinner Schrader, zu kennen: „Mittlerweile reicht es nicht mehr aus, ein tragfähiges Geschäftsmodell vorweisen zu können. Sich gut zu verkaufen, ist mindestens genauso wichtig geworden.“
Für Metabox, Informatec und Co. war das offenbar wichtiger, als das eigentliche Geschäft voranzutreiben. DWS-Manager Kaldemorgen kennt solche Spielchen: „Ich glaube zwar, dass die große Mehrzahl der Neuer-Markt-Firmen sehr seriös ist, ich will aber auch nicht ausschließen, dass es welche gibt, die ihre Bilanzen an die Erwartungen des Parketts anpassen“, sagt er. Für Softwarehersteller bietet sich die Möglichkeit, Aufträge in der Rechnungslegung zeitlich nach vorne oder hinten zu verschieben. Wann ist der Auftrag erfüllt? Bereits wenn eine Software fertig programmiert ist? Wenn sie installiert ist? Oder erst, wenn sie fehlerfrei läuft?
Auf solche Tricks kann Porsche verzichten. Die Geschäfte der Zuffenhausener laufen gut, nur die Quartalsberichterstattung macht dem Mdax-Unternehmen zu schaffen. „Die Beschleunigung der Berichtszeit führt zu einer sehr hohen Volatiliät unserer Aktie“, sagt Porsches Investor-Relations-Leiter Manfred Ayasse. „Und das kann nicht im Interesse unserer langfristig denkenden Anleger sein.“ Daher verzichtet Porsche auf kurzfristige Kursfeuerwerke und setzt stattdessen auf eine positive Performance durch solides Firmenwachstum. Die schwäbische Karosserieschmiede liegt mit der Deutschen Börse im Clinch. Porsche will nur halbjährlich berichten, die Frankfurter bestehen auf den Quartalszahlen. Bleibt Porsche bei seiner Verweigerungshaltung, droht der Ausschluss aus dem Mdax. „Den würden wir sogar in Kauf nehmen“, sagt Ayasse.
Wie auch die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre (SdK) hofft Wolfgang Gerke, Wirtschaftsprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg, dass das Modell Porsche nicht Schule machen wird: „Die Quartalsberichte geben nicht nur den Investoren einen guten Einblick in das Geschäftsgebaren der Firmen“, so Gerke, „auch für das Management ist es eine gute Gelegenheit, das eigene Wirken zu reflektieren.“ Theoretisch jedenfalls.