Pressespiegel vom 30.05.2005
1. Überblick
Nur ein Thema
Das "Nein" im gestrigen Verfassungsreferendum, in zum Teil gigantischen Schlagzeilen. Seitenlange Analysen, Ursachenforschung, Bewertung der ersten Stellungnahmen und der Folgen in sämtlichen politischen Lagern, auch, aber nicht vorrangig, für Europa. Resignierter Kommentartenor (praktisch alle Zeitungen hatten sich für die Verfassung eingesetzt). Überwiegend wird von der Regierungsumbildung erwartet, dass Dominique de Villepin neuer Premierminister wird.
Alle anderen Themen, auch außenpolitische, weit abgedrängt, z.B. im FIGARO ab Seite 12 Libanon, Tod einer japanischen Geisel im Irak, Ausschreitungen in Indonesien, Michael-Jackson-Prozess. Auf den inneren Seiten des FIGARO noch ein Bericht über den Abschluss von "Schengen plus" zwischen sieben EU-Mitgliedsstaaten in Prüm (am 27.05.).
LIBÉRATION meint, dass der Wind in Washington sich gegen die "harte Rechte" gedreht habe. LA CROIX berichtet über die israelische Entscheidung zur Freilassung weiterer 400 Palästinenser und über das Scheitern der NVV-Überprüfungskonferenz bei den VN.
Einziges etwas prominenteres innenpolitisches Thema außerdem: In Perpignan kehrt seit Tagen keine Ruhe ein, nachdem zwischen Einwanderern aus dem Maghreb und dort lebenden Roma gewaltsame Auseinandersetzungen begonnen hatten. Am gestrigen Sonntag ist mindestens ein weiterer Mensch den Ausschreitungen zum Opfer gefallen; in manchen Zeitungen Bilder von regelrechten Straßenkämpfen.
Deutschland
Krisenhafte Stimmung in der Regierungskoalition während der letzten Woche beschäftigt in der Rückschau den FIGARO. LIBÉRATION: "Die deutschen Konservative stellt eine Frau gegen Schröder auf".
2. Im Einzelnen
Ausgang des Referendums
Bemerkenswert ist die Reihenfolge der Themen auf den Seiten, die sich mit dem Referendum beschäftigen:
FIGARO: 1. Ergebnis, 2. "Der zerstörte Traum des Jacques Chirac", 3. Regierungsumbildung, 4. Finanzmärkte, 5. Folgen für die Sozialpolitik, 6. Sozialistische Partei, 7. Reaktion der Souveränisten, 8. Feiern der Sieger (Bastille), 9. Reaktionen Europas.
LIBÉRATION: 1. Ergebnis, 2. "Chirac, fin de règne", 3. Regierungsumbildung, 4. Sozialistische Partei, 5. Reaktionen anderer Parteien (über drei Seiten), 6. Reaktionen in Europa (zwei Seiten).
LES ECHOS: 1. Ergebnis, 2. Folgen für den Euro, 3. "Schmerzhafte Niederlage für Chirac", 4. Regierungsumbildung, 5. Sozialistische Partei und schließlich "Europa, angezählt, tritt in eine Phase der Verwirrung und Instabilität - der Ratifikationsprozess dürfte weitergehen."
Stellungnahme des Bundeskanzlers wird überall notiert, LIBÉRATION bringt Interview mit dem Mitglied des Deutschen Bundestages Peter Altmaier (mit ernstem, aber beschwichtigendem Tenor).
FIGARO: Chefredakteur Beytout kommentiert: "Ein Tag, an dem sich die Zukunft unseres Landes entschied. Die Franzosen wussten das ... Auf der internationalen Ebene hat sich das Bild Frankreichs an diesem Tag grundlegend gewandelt: Vorher ein Land der Gewissheiten, hat es gezeigt, wie sehr es vom Zweifel geprägt ist. ... Mit dem 'Nein', angeblich zu dem Zweck, das Schicksal von 450 Millionen Bürgern durch ihre Stimme neu auszurichten, sind (die Franzosen) das Risiko eingegangen, dass sich in Zukunft ein Teil der europäischen Geschichte ohne sie abspielt. Die Franzosen wussten das ... Man muss weit zurückgehen, um in der Geschichte unserer Republik einen Tag solcher Intensität zu finden. Das Nein hat gesiegt, und alles ist umgestürzt."
LIBÉRATION titelt: "Masochistisches Meisterwerk"; Herausgeber Serge July kommentiert, dass hier "mehrere ineinander geschachtelte Referenden verloren gegangen sind, alle auf Kosten Europas. Das Referendum über die EU-Erweiterung: Angefangen beim türkischen Gespenst, das unzweideutig die Moslems insgesamt bezeichnete, bis hin zum armen polnischen Klempner wurden die Ausländer gebeten, draußen zu bleiben. Dass das die Arbeitsgrundlage für den xenophoben Le Pen ist, ist nichts Neues, aber dass Linke hiermit Wahlkampf machen ... diese Xenophobie hätte man nicht für möglich gehalten.
Dann das Referendum über die Eliten: Die Regierungseliten, die Brüsseler Elite, ausnahmslos die Medien, und alle die, die für ein Entscheidungssystem eintraten, das das politische Europa hervorbringen konnte: Das sind die Repräsentanten des 'Frankreichs von oben', die das 'Frankreich von unten' natürlich zurechtsetzen, zurückstutzen möchte."
Weiter sieht der Kommentar das "Referendum gegen den Kapitalismus: Thesen wie zur Zeit der Kapitalismus-Kritik Mitterrands vor seinem Amtsantritt, heute ein krasser Anachronismus", sowie das Referendum über Frankreichs Rolle in der Welt: "Europäer, auf die Knie vor unserem 'Nein'! Die Mär von der Neuverhandlung, zu der ganz Europa bereit sein werde: Es gab sie, die Politiker, die den Glauben daran genährt haben."
Und das Referendum über die Sozialpolitik: "Der Sozialismus in einem Lande bricht an!" ...
"Die Franzosen wissen aus Erfahrung, dass es unserem Land nicht gut geht. Leider geht es ihm heute Morgen noch schlechter!"
LES ECHOS zieht die Linie zwischen dem 21. April 2002 (erster Durchgang der französischen Präsidentschaftswahlen, aus denen Chirac und Le Pen als Stichwahl-Kandidaten hervorgehen) und dem 29. Mai 2005: "Frankreich ist in eine tiefe Depression abgestürzt, die gestern in eine doppelte, eine politische und eine europäische Krise, ausgeartet ist. ... So ist Frankreich gestern zum kranken Mann Europas geworden. ... Chirac wird ungeheuer zu kämpfen haben - aber mit welchen Waffené -, um nicht als derjenige in die Geschichte einzugehen, der Frankreich marginalisiert hat. ... Was sich gestern abgespielt hat, ist die Ablehnung einer Methode zu regieren. Nach zehn Jahren Ausübung der Macht steht der König nackt da."
Manche analysieren die Zukunft des deutsch-französischen Verhältnisses: In LIBÉRATION mittels eines Interviews mit Peter Altmaier, in LES ECHOS heißt es: "Berlin dürfte (zu Frankreich) auf Abstand gehen, nicht nur aus Verletztheit, sondern auch aus politischen Gründen. Wenn die vorgezogenen Wahlen im Herbst von der konservativen CDU gewonnen werden, wird deren Europapolitik vermutlich fühlbar von der französischen abweichen, und außer bei der hypothetischen Frage nach einer Neuaufnahme der Verhandlungen über die Verfassung wird das deutsch-französische Paar unter mangelnder Verständigung in doppelter Hinsicht leiden." Das Blatt sieht eine Annäherung der Beitrittsländer an Großbritannien voraus und eine leichtere Majorisierung des Paares Deutschland-Frankreich durch diese Länder nach den Regeln von Nizza, erst recht, wenn Deutschland und Frankreich aus dem Tritt geraten.
Deutschland
Korrespondentenbericht in LIBÉRATION über die bevorstehende Aufstellung Angela Merkels als Kanzlerkandidatin der Unionsparteien mit Darstellung von persönlichem Hintergrund, politischer Karriere und ihrer Bewertung in Öffentlichkeit und Medien Deutschlands. Bericht auch in LES ECHOS.
(Quelle: Pressereferat der deutschen Botschaft)
1. Überblick
Nur ein Thema
Das "Nein" im gestrigen Verfassungsreferendum, in zum Teil gigantischen Schlagzeilen. Seitenlange Analysen, Ursachenforschung, Bewertung der ersten Stellungnahmen und der Folgen in sämtlichen politischen Lagern, auch, aber nicht vorrangig, für Europa. Resignierter Kommentartenor (praktisch alle Zeitungen hatten sich für die Verfassung eingesetzt). Überwiegend wird von der Regierungsumbildung erwartet, dass Dominique de Villepin neuer Premierminister wird.
Alle anderen Themen, auch außenpolitische, weit abgedrängt, z.B. im FIGARO ab Seite 12 Libanon, Tod einer japanischen Geisel im Irak, Ausschreitungen in Indonesien, Michael-Jackson-Prozess. Auf den inneren Seiten des FIGARO noch ein Bericht über den Abschluss von "Schengen plus" zwischen sieben EU-Mitgliedsstaaten in Prüm (am 27.05.).
LIBÉRATION meint, dass der Wind in Washington sich gegen die "harte Rechte" gedreht habe. LA CROIX berichtet über die israelische Entscheidung zur Freilassung weiterer 400 Palästinenser und über das Scheitern der NVV-Überprüfungskonferenz bei den VN.
Einziges etwas prominenteres innenpolitisches Thema außerdem: In Perpignan kehrt seit Tagen keine Ruhe ein, nachdem zwischen Einwanderern aus dem Maghreb und dort lebenden Roma gewaltsame Auseinandersetzungen begonnen hatten. Am gestrigen Sonntag ist mindestens ein weiterer Mensch den Ausschreitungen zum Opfer gefallen; in manchen Zeitungen Bilder von regelrechten Straßenkämpfen.
Deutschland
Krisenhafte Stimmung in der Regierungskoalition während der letzten Woche beschäftigt in der Rückschau den FIGARO. LIBÉRATION: "Die deutschen Konservative stellt eine Frau gegen Schröder auf".
2. Im Einzelnen
Ausgang des Referendums
Bemerkenswert ist die Reihenfolge der Themen auf den Seiten, die sich mit dem Referendum beschäftigen:
FIGARO: 1. Ergebnis, 2. "Der zerstörte Traum des Jacques Chirac", 3. Regierungsumbildung, 4. Finanzmärkte, 5. Folgen für die Sozialpolitik, 6. Sozialistische Partei, 7. Reaktion der Souveränisten, 8. Feiern der Sieger (Bastille), 9. Reaktionen Europas.
LIBÉRATION: 1. Ergebnis, 2. "Chirac, fin de règne", 3. Regierungsumbildung, 4. Sozialistische Partei, 5. Reaktionen anderer Parteien (über drei Seiten), 6. Reaktionen in Europa (zwei Seiten).
LES ECHOS: 1. Ergebnis, 2. Folgen für den Euro, 3. "Schmerzhafte Niederlage für Chirac", 4. Regierungsumbildung, 5. Sozialistische Partei und schließlich "Europa, angezählt, tritt in eine Phase der Verwirrung und Instabilität - der Ratifikationsprozess dürfte weitergehen."
Stellungnahme des Bundeskanzlers wird überall notiert, LIBÉRATION bringt Interview mit dem Mitglied des Deutschen Bundestages Peter Altmaier (mit ernstem, aber beschwichtigendem Tenor).
FIGARO: Chefredakteur Beytout kommentiert: "Ein Tag, an dem sich die Zukunft unseres Landes entschied. Die Franzosen wussten das ... Auf der internationalen Ebene hat sich das Bild Frankreichs an diesem Tag grundlegend gewandelt: Vorher ein Land der Gewissheiten, hat es gezeigt, wie sehr es vom Zweifel geprägt ist. ... Mit dem 'Nein', angeblich zu dem Zweck, das Schicksal von 450 Millionen Bürgern durch ihre Stimme neu auszurichten, sind (die Franzosen) das Risiko eingegangen, dass sich in Zukunft ein Teil der europäischen Geschichte ohne sie abspielt. Die Franzosen wussten das ... Man muss weit zurückgehen, um in der Geschichte unserer Republik einen Tag solcher Intensität zu finden. Das Nein hat gesiegt, und alles ist umgestürzt."
LIBÉRATION titelt: "Masochistisches Meisterwerk"; Herausgeber Serge July kommentiert, dass hier "mehrere ineinander geschachtelte Referenden verloren gegangen sind, alle auf Kosten Europas. Das Referendum über die EU-Erweiterung: Angefangen beim türkischen Gespenst, das unzweideutig die Moslems insgesamt bezeichnete, bis hin zum armen polnischen Klempner wurden die Ausländer gebeten, draußen zu bleiben. Dass das die Arbeitsgrundlage für den xenophoben Le Pen ist, ist nichts Neues, aber dass Linke hiermit Wahlkampf machen ... diese Xenophobie hätte man nicht für möglich gehalten.
Dann das Referendum über die Eliten: Die Regierungseliten, die Brüsseler Elite, ausnahmslos die Medien, und alle die, die für ein Entscheidungssystem eintraten, das das politische Europa hervorbringen konnte: Das sind die Repräsentanten des 'Frankreichs von oben', die das 'Frankreich von unten' natürlich zurechtsetzen, zurückstutzen möchte."
Weiter sieht der Kommentar das "Referendum gegen den Kapitalismus: Thesen wie zur Zeit der Kapitalismus-Kritik Mitterrands vor seinem Amtsantritt, heute ein krasser Anachronismus", sowie das Referendum über Frankreichs Rolle in der Welt: "Europäer, auf die Knie vor unserem 'Nein'! Die Mär von der Neuverhandlung, zu der ganz Europa bereit sein werde: Es gab sie, die Politiker, die den Glauben daran genährt haben."
Und das Referendum über die Sozialpolitik: "Der Sozialismus in einem Lande bricht an!" ...
"Die Franzosen wissen aus Erfahrung, dass es unserem Land nicht gut geht. Leider geht es ihm heute Morgen noch schlechter!"
LES ECHOS zieht die Linie zwischen dem 21. April 2002 (erster Durchgang der französischen Präsidentschaftswahlen, aus denen Chirac und Le Pen als Stichwahl-Kandidaten hervorgehen) und dem 29. Mai 2005: "Frankreich ist in eine tiefe Depression abgestürzt, die gestern in eine doppelte, eine politische und eine europäische Krise, ausgeartet ist. ... So ist Frankreich gestern zum kranken Mann Europas geworden. ... Chirac wird ungeheuer zu kämpfen haben - aber mit welchen Waffené -, um nicht als derjenige in die Geschichte einzugehen, der Frankreich marginalisiert hat. ... Was sich gestern abgespielt hat, ist die Ablehnung einer Methode zu regieren. Nach zehn Jahren Ausübung der Macht steht der König nackt da."
Manche analysieren die Zukunft des deutsch-französischen Verhältnisses: In LIBÉRATION mittels eines Interviews mit Peter Altmaier, in LES ECHOS heißt es: "Berlin dürfte (zu Frankreich) auf Abstand gehen, nicht nur aus Verletztheit, sondern auch aus politischen Gründen. Wenn die vorgezogenen Wahlen im Herbst von der konservativen CDU gewonnen werden, wird deren Europapolitik vermutlich fühlbar von der französischen abweichen, und außer bei der hypothetischen Frage nach einer Neuaufnahme der Verhandlungen über die Verfassung wird das deutsch-französische Paar unter mangelnder Verständigung in doppelter Hinsicht leiden." Das Blatt sieht eine Annäherung der Beitrittsländer an Großbritannien voraus und eine leichtere Majorisierung des Paares Deutschland-Frankreich durch diese Länder nach den Regeln von Nizza, erst recht, wenn Deutschland und Frankreich aus dem Tritt geraten.
Deutschland
Korrespondentenbericht in LIBÉRATION über die bevorstehende Aufstellung Angela Merkels als Kanzlerkandidatin der Unionsparteien mit Darstellung von persönlichem Hintergrund, politischer Karriere und ihrer Bewertung in Öffentlichkeit und Medien Deutschlands. Bericht auch in LES ECHOS.
(Quelle: Pressereferat der deutschen Botschaft)