PATENTE: Biete Idee, suche Geld

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PATENTE: Biete Idee, suche Geld

 
13.06.02 06:12
Statt Produkte selbst herzustellen, verkaufen Unternehmen zunehmend ihr geistiges Eigentum. Der Handel mit Patenten wird zum großen Geschäft

PATENTE: Biete Idee, suche Geld 691598

Wissen zu produzieren kostet Unternehmen viel Geld. Wissen zu verkaufen kostet sie Überwindung. Anders dürfte es kaum zu erklären sein, dass viele Firmen ungenutzte Patente jahrzehntelang verstauben ließen, anstatt sie anderen gegen eine Lizenzgebühr zur Nutzung zu überlassen - oder sie sogar zu verkaufen. Jetzt kommt der Markt für Patente und Lizenzen in Bewegung. Die professionelle Vermarktung erweist sich - wie Beispiele aus Japan, den USA und neuerdings auch aus Deutschland zeigen - sogar als eine Geldquelle, die innovativen Unternehmen Millionen einbringt.

Nicht mehr derjenige, der die meisten Patente anmeldet, hat die Nase vorn, sondern der, der sie gewinnbringend nutzen kann. Ende Januar meldete beispielsweise der japanische Elektronikkonzern NEC noch begeistert, er zähle mit 1953 Patenten in den Vereinigten Staaten dort zu den technologisch führenden Unternehmen. Vier Monate später gab der Konzern bekannt, den Umsatz aus Verkauf und Lizenzierung von Patenten binnen drei Jahren von 85 auf 427 Millionen Euro steigern zu wollen. Sich intellektuelles Eigentum zu sichern ist wichtig - es zu vermarkten gilt als Strategie der Zukunft.

Eine Strategie, die aus der Not heraus geboren wurde. Patente sind teuer, sie zu bekommen ist umständlich - und sie nicht zu nutzen bringt keine Rendite. Diese Erkenntnis hat sich inzwischen auch bei den Unternehmen herumgesprochen. "Früher hieß es: Unser Know-how darf keiner haben. Seit zwei bis drei Jahren gibt es in der Wirtschaft aber ein Umdenken, diese Patente wenigstens kommerziell zu nutzen", sagt Hartmut Höhne, bei Procter & Gamble für den Technologietransfer in Europa zuständig.

In Europa und den Vereinigten Staaten hat sich die Zahl der Patentanmeldungen in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, in Deutschland nahezu verdreifacht. Hierzulande sind heute rund 372 000 Patente in Kraft, weltweit sind es über vier Millionen. Doch das starke Wachstum bei der Zahl der zugelassenen Patente hat einen Haken, denn ein großer Teil des rechtlich geschützten Wissens bleibt ungenutzt. Die Fraunhofer-Technologie-Entwicklungsgruppe (TEG) ermittelte noch 1999, dass, unabhängig von der Firmengröße, 40 Prozent aller Patente weder verwertet noch aus strategischen Gründen gehalten werden. In einzelnen Unternehmen sollen es sogar 80 bis 90 Prozent sein. Die Inhaber wollen ihre Rechte nicht vermarkten - alle anderen dürfen es nicht. Manche Innovationen werden so blockiert.

Lizenzen im Wert von mehr als vier Billionen Dollar

Dabei sind Patente eingeführt worden, um genau das Gegenteil zu erreichen: Als in Deutschland 1877 das erste Patentgesetz verabschiedet wurde, sollte es den Erfindergeist ankurbeln und damit die Wirtschaft beleben. Industriebetriebe können ihre Erfindungen patentieren lassen, um die Früchte ihrer langwierigen und teuren Entwicklungsarbeit vor Trittbrettfahrern zu schützen. Patentierbar sind Erfindungen, die neu, nicht offensichtlich und gewerblich nutzbar sind. Die Idee wird offen gelegt, dafür kann der Inhaber sie bis zu 20 Jahre exklusiv nutzen. Patente gelten noch vor Urheberrechten oder Warenzeichen als wichtigste Form geistigen Eigentums.

Die Kosten für die Exklusivrechte an der eigenen Idee sind enorm. Nach einer Studie des amerikanischen National Bureau of Economic Research kostet die Anmeldung eines Patents in den Vereinigten Staaten etwa 15 000 bis 100 000 Dollar, in Europa sind es knapp 30 000 Euro. Die Fraunhofer-Gesellschaft veranschlagte 1999 in Europa für die ersten zehn Jahre nach der Anmeldung Gesamtkosten von 100 000 Euro. Bis zu fünf Jahren dauert die Prüfung durch die zuständige Behörde, erst dann wird das Patent erteilt. Deren Zahl liegt oft bei weniger als der Hälfte der Anmeldungen. In Deutschland und Europa ist dieses Verhältnis wegen der hohen Arbeitsbelastung und schlechter Personalaustattung im Patentamt in den vergangenen Jahren sogar noch geringer geworden.

Der Wert von Patenten, der den hohen Anmeldungskosten gegenübersteht, ist schwer bestimmbar. Nur die Forschungskosten oder der erwartete Nutzen aus dem Verkauf innovativer Produkte können Anhaltspunkte geben. In diesem Punkt liegt auch das Hauptproblem bei der Vermarktung der Patente - dem Handel mit Lizenzen: Preise und Werte können allenfalls geschätzt - nicht aber gemessen werden. Da es sich um Innovationen handelt, brauchen Händler prophetische Eigenschaften, um die künftigen Umsätze abschätzen zu können. Lizenzgebühren sind Verhandlungssache. Oft werden daher Beteiligungen am späteren Umsatz vereinbart.

Karsten Müller vom Knowledge One Fonds beziffert den gesamten Wert der Lizenzzahlungen für heute bereits bestehende Patente auf 4,3 Billionen Dollar. Die jährlichen Einnahmen aus Lizenzgebühren stiegen in den vergangenen zehn Jahren rapide. Nach Berechnungen des Europäischen Patentamts in München lagen sie im Jahr 2000 mit weltweit 100 Milliarden Dollar zehnmal so hoch wie 1990. Ein Ende des Wachstums ist nicht abzusehen.

Vor allem große und weltweit operierende Unternehmen haben die Chance erkannt und handeln mehr und mehr mit ihren Ideen: Der Computerriese IBM steigerte seine Lizenzeinnahmen von 30 Millionen Dollar 1990 binnen zehn Jahren auf 1,5 Milliarden Dollar. Firmen wie Texas Instruments, Dow Chemical oder Honeywell sollen Schätzungen zufolge immerhin noch auf mehrere hundert Millionen Dollar im Jahr kommen - genaue Zahlen sind Diskretionssache. Auch Rolf Ohmke, der bei Siemens für die Patentverwaltung zuständig ist, gibt sich bedeckt, spricht allenfalls von Summen im Bereich "mittlerer zweistelliger Millionenbeträge". In zwei bis drei Jahren wolle sein Konzern die Grenze von 100 Millionen Euro erreichen.

Um an die begehrten Lizenzeinnahmen zu kommen, setzen Unternehmen auf zwei Strategien, das carrot licensing und das stick licensing. Letzteres ist die aggressivere Variante: Patentinhaber warten ab, bis ein Konkurrent ein neues Produkt entwickelt hat, das die eigenen Schutzrechte verletzt. Erst dann fordert man hohe Lizenzzahlungen oder droht mit hohen Schadensersatzklagen. Die Lizenzgebühren - so das Kalkül - wird der Konkurrent in der Regel bereitwillig zahlen. Schließlich hat er ja bereits viel Geld in die Entwicklung seines Produkts investiert und müsste dieses andernfalls abschreiben. Ein berüchtigtes Beispiel ist der Versuch der British Telecom, auf der Basis eines 13 Jahre alten Patents das Recht am Hyperlink - also der Verknüpfung von Internet-Seiten - für sich zu reklamieren. Im September beginnt in New York der Prozess gegen den amerikanischen Internet-Anbieter Prodigy. Ohmke von Siemens schätzt den Anteil des stick licensing am Gesamtmarkt für Lizenzeinnahmen auf 80 bis 90 Prozent. Indiz sei die seit gut zehn Jahren steigende Zahl von Patentprozessen in den Vereingten Staaten. Die wenigsten davon werden gütlich beigelegt. Urteile über Schadensersatz in zweistelliger Millionenhöhe sind die Regel.

Friedlicher geht es beim carrot licensing zu, bei dem ein großes Angebot von Patenten die Nachfrage anregen soll. Mehrere Patentmakler haben sich darauf spezialisiert, die ungenutzten Ideen von Konzernen weltweit anzubieten. Der englische Anbieter QED etwa analysiert und vermarktet Schutzrechte von Nortel, Unilever, Toyota sowie 542 Patente der Deutschen Telekom - vor allem auf optische Filter und kleinste Linsen. Der Patentmakler BTG aus London hat bereits für Hitachi oder Lucent gearbeitet und verfügt über ein breites Portfolio von Technologien. Ende 2000 übertrug Siemens rund 1900 Patentfamilien aus dem Bereich der Medizintechnik auf BTG.

Nicht alle Firmen setzen auf Makler, denn deren Provisionen sind hoch: Die erzielten Einnahmen fließen zu gleichen Teilen an Patentinhaber und Patentvermittler. "Vermittler wie BTG machen nichts anderes als das, was ich mache - die sind nur teurer", sagt Ralf Dujardin, der zusammen mit einer Hand voll Mitarbeitern in der zentralen Forschungsabteilung von Bayer für die Vermarktung so genannter früher Technologien verantwortlich ist. Patentvermittler kommen für Dujardin nur infrage, wenn sich eine Firma definitiv von dem Geschäftsfeld verabschiedet hat, aus dem das Patent kommt. Ist dies nicht der Fall, sind seiner Ansicht nach andere Wege einträglicher. So beteiligt sich Bayer zum Beispiel als Minderheitsgesellschafter an Start-ups und stellt ihnen Geld, Technologien und erfahrene Mitarbeiter zur Verfügung. Im vergangenen Oktober kam über die Internet-Plattform Yet2.com nach neun Monaten Verhandlungen ein Deal zwischen dem Leverkusener Bayer-Konzern und Chromadex zustande, einer kalifornischen Firma aus dem Lebensmittelgeschäft. Statt auf Lizenzzahlungen einigten sie sich auf eine Beteiligung von Bayer und eine enge Kooperation in der Zukunft. Aufträge und Know-how fließen so zwischen den Unternehmen hin und her. Das kann lukrativ sein und "übersteigt den Lizenzwert oft bei weitem", sagt Dujardin.

Billig abzugeben: Patent auf Telefon zum Aufblasen

Auch andere Firmen behalten die Vermarktung der Patente teilweise selbst in den Händen. Siemens hat vor drei Jahren eigens ein Lizenzzentrum mit neun Mitarbeitern gegründet. Die Japanische Firma NEC hat ihre Aktivitäten im Lizenzgeschäft in einer 75 Mitarbeiter starken Abteilung zusammengefasst. Bei dem amerikanischen Dokumentenverwalter Xerox ist eine gesonderte Einheit namens Xipo für die Patentvermarktung zuständig, die seit vergangenem Jahr auch im Internet vertreten ist. IBM brachte nach dem enormen Erfolg die eigenen Erfahrungen und Technologien in eine neue Firma ein. Und bei Procter & Gamble ist es Hauspolitik, dem Markt jedes Patent spätestens fünf Jahre nach der Zuteilung zur Verfügung zu stellen. "Wir wollen die Innovationszyklen beschleunigen und das Geld schnell wieder reinholen", sagt Höhne.

Auch über Internet-Plattformen bieten Konzerne und Behörden geschützte Ideen und Erfindungen an. Mit unterschiedlichem Erfolg: Die so genannte Technologiebörse der Industrie- und Handelskammern oder der vom Bundeswirtschaftsministerium unterstützte "Innovation Market" stoßen bisher nur auf eine mäßige Resonanz. Nur rund 100 Einträge finden sich auf den Seiten, etwa für ein aufblasbares Telefon oder einen stapelbaren Drehstuhl. In der Vergangenheit sind Internet-Dienste angesichts solch niedriger Angebotszahlen eingestellt worden.

Dass ein Erfolg möglich ist, zeigen dagegen weltweit agierende Anbieter wie die World Patent & Trademark Exchange oder Yet2.com. Die 1999 gegründete Plattform Yet2.com wird von Konkurrenten schon mal respektvoll der "Mercedes unter den Verwertungsbörsen genannt". Zu ihren Sponsoren zählen nach eigenen Angaben viele namhafte multinationale Konzerne, die insgesamt mehr als ein Fünftel der weltweiten Forschungsausgaben stellen. Mehr als 16 000 Firmen nutzen das Angebot, 700 Unternehmen bieten 6900 Technologien an, jeden Tag beginnen durchschnittlich zwei Lizenzgespräche.

Vertreter anderer Unternehmen sind bisweilen skeptischer: "Die Internet-Börsen funktionieren alle nicht optimal", sagt Hartmut Höhne von Procter & Gamble. Der Technologietransfer sei ein komplexer Prozess, die Firmen seien an Beratung und Problemlösungen interessiert, nicht an den Patenten an sich. Höhne setzt auf persönliche Kontaktnetze wie das vor einem halben Jahr von Industrie, Forschung und Gewerkschaften gegründete Deutsche Innovationsforum.

Hans Koller, Professor für Technologiemanagement an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, hält nicht nur die Internet-Dienste, sondern das gesamte Vermarktungssystem für Lizenzen für unzureichend. "Noch fehlen die Institutionen für den Handel technologischen Wissens", sagt er. Einen transparenten, dem Immobilienmarkt oder einer Aktienbörse vergleichbaren Markt gebe es für Patente nicht. Zu gering sei die Arbeitsteilung. Zu wenige Firmen seien darauf spezialisiert, Wissen zu erwerben und zu verwerten.

Neue Anstöße erhofft sich der Wissenschaftler von einem Projekt seiner Universität mit den Finanzexperten des Knowledge One Fonds. Sie wollen Ende 2002 knowledge-backed securities vorstellen, ein Finanzprodukt, das Vorstand Karsten Müller als "absolute Neuheit" bezeichnet. Vorbild sind die "Bowie Bonds", mit denen Popstar David Bowie 1997 auf einen Schlag um 55 Millionen Dollar reicher wurde. Die Idee: Für die Zukunft erwartete Einnahmen aus intellektuellem Eigentum - bei Bowie die Tantiemen, bei Patenten die Lizenzzahlungen - werden bewertet, als Sicherheit abgetreten, in Form eines festverzinslichen Wertpapiers verbrieft und an Investoren verkauft. Da immaterielle Vermögenswerte den Marktwert von Firmen zunehmend bestimmen, könnten sich Unternehmen auf diesem Weg neue Finanzierungsquellen erschließen. In Japan denkt die Regierung Zeitungsberichten zufolge bereits darüber nach, Unternehmen die Ausstellung solchermaßen verbriefter Rechte zu erlauben.

Neben neuen Produkten zur Lizenzverwertung entstehen auch neue Geschäftsmodelle: Unternehmen wie ARM im Chipdesign oder Qualcomm in der Telekommunikation beschränken sich bereits heute auf die Forschung, den Erwerb von Patenten und die Vergabe fixer oder umsatzabhängiger Lizenzen und verzichten darauf, ihre Ideen selbst umzusetzen. Sie nehmen dazu die Dienste von Brokern, Patentanwälten oder Herstellern von Prototypen in Anspruch. Möglich also, dass rund um den Patenthandel eine Art Wissensindustrie entsteht. Möglich auch, dass unbekannte Forscher sich zu den Stars dieser neuen Industrie entwickeln: Im Internet ehrte der Dokumentenverwalter Xerox im Dezember bereits fünf seiner Erfinder mit hymnischen Worten und einem Porträt - sie alle hatten im Jahr 2001 ihr 100. Patent erhalten.

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