Dr. Bernd Niquet
Nur eine Frage der Logik
Die selbstgewissen Gurus mit den grauen Schläfen haben sich nicht minder geirrt als die Internetgurus: Denn nun geht es auch dem Normalaktionär an den Kragen. Und das DAI gibt Durchhalteparolen heraus. Deutschland im Sommer 2001: Die Baisse hat den ersten Teil erledigt, doch der zweite folgt sogleich. Was hat man den Anlegern zum Jahresanfang nicht alles erzählt: Von den segensreichen Wirkungen der Geldpolitik und von einem Magier, der jegliche Rezession bereits im Keime ersticken kann.
Doch hier die Gesetze der Gravitation außer Kraft zu setzen, funktioniert genauso wenig, wie es dies im Internetbereich getan hat. Jedes Gerede von einer Neuen Zeit entlarvt sich früher oder später als Unsinn. Und nun es geht es eben auch den Standardaktien, den Blue Chips, an den Kragen. Und mit ihnen dem konservativen Kleinaktionär, der überhaupt nicht gezockt, sondern nurmehr hausväterlich defensiv für sein Alter vorsorgen wollte.
Welche Tragik daher, dass die Bundesrepublik Deutschland, in der so lange schon über eine kapitalgedeckte Rente diskutiert worden ist, diese nun genau zu einem derartigen ungünstigen Zeitpunkt einführen will. Wie immer und wie in jedem Krieg müssen daher Durchhalteparolen her. Und die Standard-Durchhalteparole lautet: DAS MACHT UNS DOCH ALLES ÜBERHAUPT NICHTS AUS!
Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) hat kürzlich mit dieser Botschaft, die das Resultat einer Infratestumfrage ist, und die den deutschen Aktienanlegern eine erstaunliche Gelassenheit sowie eine gestiegene Aktienkultur bescheinigt, jedoch nicht nur der Political Correctness entsprochen, sondern darüber hinaus auch eine Realsatire geliefert, wie sie wunderbarer in unsere heutige Zeit des Unwissens und des Nicht-Wissen-Wollens gar nicht passen könnte:
Trotz Börsenflaute, Pleitewelle und Krise am Neuen Markt ist die Zahl der direkten und indirekten Aktienbesitzer im ersten Halbjahr 2001 weiter gestiegen. Dies ist das konkrete Ergebnis besagter Infratest-Umfrage im Auftrag des DAI, die in der letzten Woche veröffentlicht wurde. Die Zahl der direkten Aktionäre ging dabei leicht um 252.000 auf 5,96 Millionen zurück, die Zahl der Aktienfondsbesitzer stieg hingegen um 1,8 Millionen auf 10,2 Millionen an.
Diese Zahlen müssen natürlich den unbedarften Leser verblüffen. Und nichts anderes ist mit ihnen natürlich auch bezweckt. Denn nichts wäre sicherlich schlimmer sowohl für den einzelnen Aktionär als auch für die Gesamtheit der Aktionäre, als wenn man plötzlich einen generellen Fluchtversuch aus diesem Anlagesegment konstatieren müsste. Ich sage bewusst "Fluchtversuch", denn eine Flucht aus Aktien ist den Anlegern als Gesamtheit überhaupt nicht möglich.
Und genau hier liegt auch die Krux dieser Umfrage, deren Ergebnisse natürlich bei näherer Betrachtung trotz aller Verblüffung niemals hätten anders ausfallen können. Lassen wir daher auch einmal die prinzipiellen Bedenken, wie man derartige Daten per Infratest-Umfrage ermitteln kann, ebenso außer Betracht wie die Thematik, was die Anzahl der Personen, die Aktien oder Aktienfonds halten, eigentlich über das Volumen der jeweiligen Beteiligungen aussagen kann. Und verschließen wir zudem auch noch die Augen vor den offensichtlich völlig unzutreffenden Zahlen aus dem Fondsbereich, denn ein Anstieg um 1,8 Millionen Aktienbesitzer auf 10,2 Millionen von vorher 8,4 Millionen macht ein Plus von sage und schreibe 21,4 Prozent binnen eines Jahres aus. Selten solche geschönten Zahlen gesehen.
Doch Zahlenfrisur hin, Zahlenfrisur her: Es folgt kein Weg an der Logik vorbei, dass ein - aufgrund von Netto-Neuemissionen - zunehmendes Volumen umlaufender Aktien spiegelbildlich auch einen höheren Anteilsbesitz in der Bevölkerung zur Folge hat! Und man kann es gar nicht oft und deutlich genug sagen - dies ist ausschließlich ein Resultat der zwangsweisen Identität zweier Bilanzseiten: Wer der Bevölkerung neue Aktien verkauft, wird ganz zwangsläufig feststellen, dass diese anschließend auch mehr Aktien besitzt.
Und dies ist vollkommen unabhängig von der Aktienkultur, den subjektiven Einschätzungen der Aktienhalter oder sonst etwas anderem: Es ist eine reine Bilanzidentität! Das Volumen der Neuemissionen ist zwar netto deutlich kleiner geworden im letzten Jahr, es ist jedoch immer noch signifikant positiv. Und so lange netto mehr Aktien neu herausgegeben werden als vom Markt verschwinden, so lange muss (!) sich der Aktienbesitz in der Bevölkerung erhöhen.
Zwei Faktoren mögen jedoch nicht verschwiegen werden, die diese Logik prinzipiell durchkreuzen könnten: Einerseits wäre es möglich, dass der Bankenbereich diese Aktien absorbiert und daher der Aktienbesitz der privaten Haushalte sich nicht erhöht. Doch die Banken sind natürlich nicht so dumm, hier in diese Lücke als Bagholder einzuspringen. Und gleiches kann man sicherlich auch von den Ausländern sagen: Auch sie werden nicht das Neuemissionsvolumen des deutschen Aktienmarktes auf ihre Schultern geladen haben; alle verfügbaren Zahlen belegen jedenfalls eher, dass dem nicht so gewesen ist.
Selbst dann, wenn die Aktienmärkte sich noch einmal halbieren, vierteln oder zehnteln sollten, und trotzdem die Neuemissionen das Volumen der Pleiten und Rückzüge von der Börse übertrifft, wird der Aktienbesitz in der bundesdeutschen Bevölkerung schrittweise weiter anwachsen. Denn von Aktien trennen, kann man sich immer nur dann, wenn man auch einen Käufer findet. Die Deutschen sind also ebenso wie die Amerikaner, die Briten und die Bürger aller anderen Nationalitäten als Gesamtheit stets dazu verurteilt, zu jedem Moment stets 100 Prozent des umlaufenden Aktienbestandes zu halten.
Es sei denn, sie gehen daran, ihre Aktien zu verbrennen. Das wäre in der Tat das einzig mögliche Signal, in dem auch das Durchhalte-DAI aus den von ihm ermittelten Zahlen jemals einen Rückgang der Aktienkultur ablesen könnte und müsste. Doch auf dem Weg zu dieser Erkenntnis liegt noch ein enormes technisches Problem: Wie kann man eigentlich stückelose Aktien verbrennen?
Von Bernd Niquet
13.08.2001
Nur eine Frage der Logik
Die selbstgewissen Gurus mit den grauen Schläfen haben sich nicht minder geirrt als die Internetgurus: Denn nun geht es auch dem Normalaktionär an den Kragen. Und das DAI gibt Durchhalteparolen heraus. Deutschland im Sommer 2001: Die Baisse hat den ersten Teil erledigt, doch der zweite folgt sogleich. Was hat man den Anlegern zum Jahresanfang nicht alles erzählt: Von den segensreichen Wirkungen der Geldpolitik und von einem Magier, der jegliche Rezession bereits im Keime ersticken kann.
Doch hier die Gesetze der Gravitation außer Kraft zu setzen, funktioniert genauso wenig, wie es dies im Internetbereich getan hat. Jedes Gerede von einer Neuen Zeit entlarvt sich früher oder später als Unsinn. Und nun es geht es eben auch den Standardaktien, den Blue Chips, an den Kragen. Und mit ihnen dem konservativen Kleinaktionär, der überhaupt nicht gezockt, sondern nurmehr hausväterlich defensiv für sein Alter vorsorgen wollte.
Welche Tragik daher, dass die Bundesrepublik Deutschland, in der so lange schon über eine kapitalgedeckte Rente diskutiert worden ist, diese nun genau zu einem derartigen ungünstigen Zeitpunkt einführen will. Wie immer und wie in jedem Krieg müssen daher Durchhalteparolen her. Und die Standard-Durchhalteparole lautet: DAS MACHT UNS DOCH ALLES ÜBERHAUPT NICHTS AUS!
Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) hat kürzlich mit dieser Botschaft, die das Resultat einer Infratestumfrage ist, und die den deutschen Aktienanlegern eine erstaunliche Gelassenheit sowie eine gestiegene Aktienkultur bescheinigt, jedoch nicht nur der Political Correctness entsprochen, sondern darüber hinaus auch eine Realsatire geliefert, wie sie wunderbarer in unsere heutige Zeit des Unwissens und des Nicht-Wissen-Wollens gar nicht passen könnte:
Trotz Börsenflaute, Pleitewelle und Krise am Neuen Markt ist die Zahl der direkten und indirekten Aktienbesitzer im ersten Halbjahr 2001 weiter gestiegen. Dies ist das konkrete Ergebnis besagter Infratest-Umfrage im Auftrag des DAI, die in der letzten Woche veröffentlicht wurde. Die Zahl der direkten Aktionäre ging dabei leicht um 252.000 auf 5,96 Millionen zurück, die Zahl der Aktienfondsbesitzer stieg hingegen um 1,8 Millionen auf 10,2 Millionen an.
Diese Zahlen müssen natürlich den unbedarften Leser verblüffen. Und nichts anderes ist mit ihnen natürlich auch bezweckt. Denn nichts wäre sicherlich schlimmer sowohl für den einzelnen Aktionär als auch für die Gesamtheit der Aktionäre, als wenn man plötzlich einen generellen Fluchtversuch aus diesem Anlagesegment konstatieren müsste. Ich sage bewusst "Fluchtversuch", denn eine Flucht aus Aktien ist den Anlegern als Gesamtheit überhaupt nicht möglich.
Und genau hier liegt auch die Krux dieser Umfrage, deren Ergebnisse natürlich bei näherer Betrachtung trotz aller Verblüffung niemals hätten anders ausfallen können. Lassen wir daher auch einmal die prinzipiellen Bedenken, wie man derartige Daten per Infratest-Umfrage ermitteln kann, ebenso außer Betracht wie die Thematik, was die Anzahl der Personen, die Aktien oder Aktienfonds halten, eigentlich über das Volumen der jeweiligen Beteiligungen aussagen kann. Und verschließen wir zudem auch noch die Augen vor den offensichtlich völlig unzutreffenden Zahlen aus dem Fondsbereich, denn ein Anstieg um 1,8 Millionen Aktienbesitzer auf 10,2 Millionen von vorher 8,4 Millionen macht ein Plus von sage und schreibe 21,4 Prozent binnen eines Jahres aus. Selten solche geschönten Zahlen gesehen.
Doch Zahlenfrisur hin, Zahlenfrisur her: Es folgt kein Weg an der Logik vorbei, dass ein - aufgrund von Netto-Neuemissionen - zunehmendes Volumen umlaufender Aktien spiegelbildlich auch einen höheren Anteilsbesitz in der Bevölkerung zur Folge hat! Und man kann es gar nicht oft und deutlich genug sagen - dies ist ausschließlich ein Resultat der zwangsweisen Identität zweier Bilanzseiten: Wer der Bevölkerung neue Aktien verkauft, wird ganz zwangsläufig feststellen, dass diese anschließend auch mehr Aktien besitzt.
Und dies ist vollkommen unabhängig von der Aktienkultur, den subjektiven Einschätzungen der Aktienhalter oder sonst etwas anderem: Es ist eine reine Bilanzidentität! Das Volumen der Neuemissionen ist zwar netto deutlich kleiner geworden im letzten Jahr, es ist jedoch immer noch signifikant positiv. Und so lange netto mehr Aktien neu herausgegeben werden als vom Markt verschwinden, so lange muss (!) sich der Aktienbesitz in der Bevölkerung erhöhen.
Zwei Faktoren mögen jedoch nicht verschwiegen werden, die diese Logik prinzipiell durchkreuzen könnten: Einerseits wäre es möglich, dass der Bankenbereich diese Aktien absorbiert und daher der Aktienbesitz der privaten Haushalte sich nicht erhöht. Doch die Banken sind natürlich nicht so dumm, hier in diese Lücke als Bagholder einzuspringen. Und gleiches kann man sicherlich auch von den Ausländern sagen: Auch sie werden nicht das Neuemissionsvolumen des deutschen Aktienmarktes auf ihre Schultern geladen haben; alle verfügbaren Zahlen belegen jedenfalls eher, dass dem nicht so gewesen ist.
Selbst dann, wenn die Aktienmärkte sich noch einmal halbieren, vierteln oder zehnteln sollten, und trotzdem die Neuemissionen das Volumen der Pleiten und Rückzüge von der Börse übertrifft, wird der Aktienbesitz in der bundesdeutschen Bevölkerung schrittweise weiter anwachsen. Denn von Aktien trennen, kann man sich immer nur dann, wenn man auch einen Käufer findet. Die Deutschen sind also ebenso wie die Amerikaner, die Briten und die Bürger aller anderen Nationalitäten als Gesamtheit stets dazu verurteilt, zu jedem Moment stets 100 Prozent des umlaufenden Aktienbestandes zu halten.
Es sei denn, sie gehen daran, ihre Aktien zu verbrennen. Das wäre in der Tat das einzig mögliche Signal, in dem auch das Durchhalte-DAI aus den von ihm ermittelten Zahlen jemals einen Rückgang der Aktienkultur ablesen könnte und müsste. Doch auf dem Weg zu dieser Erkenntnis liegt noch ein enormes technisches Problem: Wie kann man eigentlich stückelose Aktien verbrennen?
Von Bernd Niquet
13.08.2001