Wie weit reicht die Wende?
Hans Bernecker: Wie weit reicht die Wende?
Mails/Nachrichten vom 18.10.2002, Bernecker & Cie.
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Guten Morgen, meine Damen und Herren,
als ich kürzlich an dieser Stelle Friedrich den Großen zitiert habe, gab es hämische Kommentare. Inzwischen wissen Sie, was daran richtig war. Es ging um das Wort Kühnheit. Wie rasch sich eine desolate Marktlage ändern kann, erfuhren Sie in den vergangenen 6 Tagen. Rd. 25 % Indexgewinn hat es selten gegeben. Dies ist nichts anderes als die Wende, wie sie nach jeder Baisse in die neue Tendenz führt. Doch wie weit reicht die?
Ich habe Ihnen in den letzten Briefen die Potentiale aller Rallys oder Trendwenden der letzten 40 Jahre genannt. Lesen Sie sie bitte nach. Diesmal wird es nicht anders laufen, aber bitte nicht in dem Tempo der letzten Tage. Die dafür gültige Richtlinie habe ich eine 3 Säulen-Strategie genannt. Dabei bleibt es. Die letzten 5 Börsentage haben es schon bewiesen:
Die Technik-Aktien sind die schnellen Sprinter, aber werden keine Dauerläufer. Wer 70 % in drei Tagen zulegt, ist sehr rasch am Ende der Bewertung. Also sind Gewinnmitnahmen schon ratsam.
Wer 20 oder 30 % zulegt, aber noch 100 % vor sich hat, ist eher ein Dauerläufer. Das ist die Gruppe, die fundamental eindeutige Berechnungen zuläßt. Darin sollte Ihr Schwergewicht liegen.
Die dritte Gruppe sind die an sich fair bewerteten Titel, die relativ gut über die Baisse kamen, fundamental erstklassig bleiben, aber das vorerst geringste Potential aufweisen. In der richtigen Zuordnung wird meine Arbeit in den nächsten Wochen liegen. Das wird ebenso spannend wie nicht ganz einfach sein. Der Grund:
Es war zu vermuten, aber niemand konnte es genau wissen: Die amerikanischen Manager praktizieren jetzt „vorauseilenden Gehorsam“. Nachdem sie ihre Ehrlichkeits-Unterschriften fast alle bis zum 15. August abgegeben hatten, übten sie sich in den vergangenen Wochen in sehr vorsichtigen Warnungen und Erwartungen, um jetzt mit teilweise überraschend guten Ergebnissen zu glänzen. Darin liegt die eigentliche Überraschung in der begonnen Session der 9 Monats-Zahlen. Das geht durch alle Branchen, betrifft aber vor allem die Technologie-Titel. Diese Zahlen muß man zweimal lesen. Typisch dafür: Die Gewinne steigen oder die Verluste reduzieren sich. Siehe Microsoft einerseits oder Sun Microsystems andererseits. Dazu bitte auch die heutige AB lesen. Bei Microsoft ist damit die kritische Markttechnik überwunden, auf die ich häufig aufmerksam gemacht habe. IBM hat es vorgemacht und zog bis 75 $ an, was sensationell erscheint. Zu Sun schauen Sie bitte den Chart in der AB an. Dieser Kurs kann jederzeit um glatte 3 $ zulegen und das sind ebenso glatte 100 %. Dann ist aber wieder Schluß. Auch die konservativen Firmen sind dabei: Eastman Kodak erhöht seine Gewinnprognose. Hier besteht Handlungsbedarf. Sprint erzielt im III. Quartal Ergebnisse deutlich über den Erwartungen. Ich hatte es bereits angedeutet: Achten Sie auf die großen Telekom-Adressen, AT&T, Verizon und Sprint. Hier kündigt sich eine totale Trendwende an, die anschließend auf die Europäer überspringt. In der nächsten AB nenne ich weitere Fakten.
Alle Berichte kann ich nicht kommentieren. Das war nur eine Auswahl. Sie zeigt Ihnen: Die bisherige Einschätzung der Gewinnentwicklung können Sie ad acta legen. In der letzten AB hatte ich Ihnen die Konsens-Schätzungen vorgetragen. Nehmen Sie die heutige AB mit den Gewinnschätzungen für den Dow Jones unter die Lupe. Dann wissen Sie, wohin das eingangs erwähnte Erholungspotential geht. Ich halte das für schlüssig.
In Frankfurt gilt das gleiche. Die Eindeckungen der Hedge Funds sind jetzt ein Sonderproblem. Bis zu 50 % der Umsätze waren gestern solche Eindeckungen. So etwas hält natürlich nicht allzu lange. Speziell bei SAP oder auch MLP. Erfahrene Börsianer wissen, wie man damit umgeht: Exzesse sind kein Grund zum Kauf, sondern für Gewinnmitnahmen. Für Investoren gibt es noch genügend Spielraum, aber es macht schon etwas aus, ob Sie 3 oder 4 oder 10 Euro mehr oder weniger zahlen.
Der Zusammenbruch der Finanzaktien enthält noch immer das größte Erholungspotential auf der mittleren Zeitschiene, aber die Renner sind natürlich alle, die etwas mit Technik zu tun haben. Achten Sie jedoch darauf:
Der V-DAX baut sich nur sehr mühsam ab. Schauen Sie jeden Tag hin. Zahlen über 40 signalisieren eine noch nicht ausgewogene Tendenz. Mithin sind technische Korrekturen unbedingt einzurechnen. Bei dieser klaren Unterscheidung zwischen kurzfristigen Lieblingen und mittelfristigen Trendwerten unterscheide ich weiterhin sehr streng.
Schauen Sie sich die mittelfristigen Charts aller relevanten Aktien an. Ohne deren Studium wissen Sie nicht, wo diese stehen. Das ist unmöglich. Ich gebe Ihnen einen wirklich wichtigen Tip: Bestellen Sie umgehend und meinetwegen nur für 6 Monate oder 12 Monate Bernstein, womit Sie die Markttechnik von lang bis kurz nachvollziehen können, wie ich z.B. heute in der AB für den DAX zeige. Ohne diese Erkenntnisse können Sie die kommenden Monate mit allen Schwankungen einfach nicht ausloten. Dies wird aber notwendig werden, worauf ich ausdrücklich hinweise.
Auf einzelne Firmen gehe ich heute nicht ein. Das lesen Sie alles in den Briefen der nächsten Wochen. Bleiben Sie ganz gelassen: Es gibt noch viel zu tun, und es gibt noch gut zu verdienen. Eine Aktie nenne ich dennoch:
Ericsson präsentiert heute die 9Monats-Zahlen. Diese können Sie aber nicht einordnen, wenn Sie sich nicht den Chart vor Augen führen und überlegen, was dies für den weltgrößten Zulieferer für Mobilfunk-Technik bedeutet, der in den letzten Wochen nur miese Schlagzeilen geliefert hat.
Für’s Wochenende wünsche ich Ihnen die Beherzigung eines Leitspruches von Karl Krauss: 'Gute Aussichten alleine sind wertlos; es kommt immer darauf an, wer sie hat“.
Mit freundlichen Grüßen
Hans A. Bernecker
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