Endlich wieder Wettbewerb auf dem Browsermarkt
Der einstige Marktführer Netscape ist nach neuesten Zählungen auf einen Marktanteil von unter zehn Prozent abgefallen. Ein guter Grund, auf den eigentlich noch nigelnagelneuen Netscape 6-Browser direkt die Version 7 folgen zu lassen. Ist das Panik oder Planung?
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Nagelneu: NetScape 7 gibt es erst als "Vorversion"
Wenn's dem Baum schlecht geht, weiß der Förster, dann treibt der noch mal richtig, sorgt für Nachwuchs. "Paniktriebe" nennt man so was vermenschelnd, aber treffend.
Trifft es auch im Falle Netscape zu?
Der einstige Browser-Pionier und lang unbestrittene Marktführer krebst seit Jahren vor sich hin. Microsoft, behaupten ehemalige Fans steif und fest, habe Netscape kaputt gemacht. AOL, wenden Pragmatiker ein, schlug dann ja wohl den Sargdeckel fest. Sarg?, fragen hartnäckige Fans. Noch sei es doch viel zu früh, Netscape abzuschreiben.
Tatsächlich sind der "Browserkrieg" gegen Microsoft und der Verkauf des Unternehmens Netscape an AOL Wendepunkte in der Geschichte des Browser-Entwicklers, an denen er bis heute kräftigst knabbert. Denn statt Netscape finanziell wie personell zu stärken und Microsoft Paroli zu bieten, bewegten sich AOLs Investments in Netscape jahrelang auf minimalen Niveau: AOL fand sich vertraglich an Microsoft und den Internet Explorer gebunden, musste diesen lang als Standardsoftware auf den eigenen CDs mitvertreiben.
So trug die Konzernmutter AOL letztlich durch ihren Erfolg zum Niedergang der eigenen Browser-Entwicklungsabteilung bei. Netscape gefror, viel zu lang gab es nichts Neues - und der Internet Explorer, einst das technisch klar unterlegene Produkt, zog quantitativ wie qualitativ davon.
Dann kam viel zu spät Netscape 6 - die gesamte Generation 5 hatte Netscape verpennt und darum unter den Tisch fallen lassen - und letztlich doch verfrüht: Zu viele Macken hatte die erste Version des Browsers, um den so gründlich und tief in den Mist gefahrenen Karren freibekommen zu können. Statt den Anschluss zu schaffen, erntete Netscape mit der Version 6.0 berechtigterweise miese Kritiken. Als schließlich die solide, durchaus konkurrenzfähige Version 6.2 auf dem Markt erschien, schaute kaum mehr einer hin.
Das, so will das Netscape, soll nun anders werden
Mit großem Selbstvertrauen bewirbt Netscape nun die Version 7 des einstigen Kult-Browsers - und leistet sich im Rahmen der eigens für die "Preview Edition 1" angelegten Webseite eine spezielle "What's new?"-Sektion.
Heute ist ein Browser Newsreader, Mailprogramm und Seiten-Editor und verdaut Webseiten aller möglichen Standards und sogar proprietäre Multimedia-Schnickschnack-Seiten.
In dieser Hinsicht braucht sich Netscape 7 nicht zu verstecken: Was der Internet Explorer kann, das kann er (fast alles) auch. Selbstverständlich ist das nicht: die Fehler auf Microsofts unseligen ASP-Seiten etwa tolerieren längst nicht alle Browser, und manche holen nur noch einmal tief Luft, bevor sie in Ohnmacht fallen. Schlapp machte Version 7 in mehreren Tests nur auf ASP-Seiten, die Flash 5-Applikationen einbinden: Hier zog Netscape es vor, gar nichts zu zeigen - wobei man darüber streiten kann, ob das nun eine Lücke ist oder einfach Weisheit.
Ansonsten ist Version 7 ein Browser, der schon bei der ersten Testfahrt Spaß macht. Denn, siehe da, Netscape 7 gelingt es zum ersten Mal seit Jahren, mit einem Produkt-Release wirklich zu überraschen. Dieser Browser ist cool - und das war so ziemlich das Letzte, was man von Netscape noch erwartete. Und als erster der "großen" Browser seit Jahren hat er tatsächlich Innovationen zu bieten, die sogar das Surfgefühl verändern.
Endlich wieder Wettbewerb auf dem Browsermarkt
Surfen im Vollbild-Modus: Bequem und optisch ansprechend
Netscape 7 ist - obwohl es angeblich erst in einem Preview Release vorliegt - deutlich reifer und runder als die 6.2-Version, die zuletzt so manchen Alt-Fan versöhnte. Technisch basiert Version 7 natürlich auf dem im Rahmen des Mozilla-Projektes zur Reife entwickelten Gecko-Engine: NetScape hat hier gegenüber den Mozilla-Prereleases aber noch ein paar Funktionen draufgesetzt.
Version 7 bietet wieder Features, die Version 6 fehlten, früher jedoch Standard waren: Da wäre zuvorderst die Druckvorschau zu nennen.
Die ist aufgeräumt und übersichtlich, bietet dem Nutzer Möglichkeiten, zwischen Ausdruckformaten zu wechseln, den Darstellungs-Maßstab zu verändern und - man höre und staune - auch die Seiteninhalte so zu skalieren, dass wirklich aller Text auf dem Blatt landet - und nicht jeder Satz rechts abgeschnitten zu Ende gedacht werden muss. So was ist erstens praktisch und zweitens eine absolut überfällige, logische Innovation.
Leicht schneller als die 6.2 scheint Version 7 auch noch zu sein, was schon fast an ein Wunder grenzt: Wir luden die satt 14 MB große Installationsdatei der "empfohlenen" Durchschnitts-Konfiguration ohne Neuinstallation von Java, Flash und Co. vom lahmen Netscape FTP-Server und versorgten uns damit in ausgepackter Form immerhin mit einem 40 MB-Browser. Ein Fliegengewicht ist das nicht gerade. Entsprechend langsam ist das Programm im Aufruf, weshalb Netscape - wie schon bei der Vorgängerversion - wieder ein "Quick-Launch" anbietet.
Darauf kann man eingehen, wenn man massig Arbeitsspeicher sein eigen nennt, denn wie bei Reals "Startcenter" heißt Quick-Launch doch nicht mehr, als dass das Programm halb gestartet im Hintergrund lauert und an den Ressourcen des Rechners knabbert.
Ganz im Trend des Denkenverhinderns und Ressourcenfressens bietet Netscape 7 ab Werk nicht nur Quick-Launch an, sondern natürlich auch das lästige, überflüssige Real-Startcenter und - nervig bis zum Abwinken - auch den automatischen Start des Instant Messengers (mit AIM und ICQ), ob man das nun will oder nicht. Schade: Das ist vielleicht servil, letztlich aber ein Griff ins digitale Klo. Völlig überflüssig, denn der Aufruf all dieser Zugaben zum Programm wartet sowieso fest verankert in der Navigationsleiste.
Da prangt nun auch "Radio Netscape": Die Beschallung über rund 120 Sender on Demand ist fest eingebaut, der Klick öffnet einen Radio-Minibrowser. Okay.
Der Browser hat also diesen "Ich kann alles, will alles und drück dir das aufs Auge"-Appeal gar nicht nötig. Wahre Schönheit liegt doch, ganz wie im richtigen Leben, im Detail: Schön ist bei Version 7 vor allem eines, das Browsen.
Hier bietet Netscape als erster Hersteller seit Jahren echte Innovationen.
Der Spiegel