"Mach mich schuldenfrei!"
Kreditberatung ist in den USA ein großes Geschäft geworden. Doch überschuldete Bürger werden häufig von Beratern gleich noch einmal abgezockt. Das neue US-Konkursgesetz unterstützt den Beraterbedarf enorm.
HB NEW YORK. Steven Burman hat die Nase voll. "Diese Branche ist so dermaßen heruntergekommen", schimpft der 39-jährige Schuldenberater mit den stark gegelten Haaren. "Kleine Krauter wie ich haben keine Chance mehr gegen die großen Geschäftemacher", klagt der Gründer und Chef der New Yorker Zwei-Mann-Firma Credit Advocate Counseling Corp (CACC). Burman berät seit Mitte der 90er-Jahre Leute, denen ihre Kreditkartenschulden über den Kopf wachsen. Doch das Telefon, das "früher pausenlos klingelte", bleibt still. Schuld sind laut Burman die großen Kreditberatungsfirmen, die in New Yorks U-Bahn, im Fernsehen und Internet aggressiv für ihre Dienste werben.
Kreditberatung ist in den USA ein großes Geschäft geworden - und oft ein schmutziges. Wo bis Mitte der 90er-Jahre alteingesessene, lokale Verbände und Leute wie Burman die Branche prägten, dominieren heute US-weit tätige Firmen mit ihren riesigen Call-Centern. Fast alle neuen Anbieter tragen das Vertrauen erweckende Attribut "gemeinnützig", viele jedoch zu Unrecht. Vor wenigen Wochen schloss die US-Steuerbehörde IRS 20 der größten Schuldenberatungen, weil sie sich das "Non-Profit"-Gütesiegel und damit Steuerfreiheit erschwindelt hatten. 50 Prozent des Marktes liegen seitdem lahm, meldet die Zeitung "Washington Post". Und die Steuerfahnder ermitteln weiter.
Paradoxerweise fast gleichzeitig mit den Enthüllungen hat der US-Gesetzgeber die Schuldenberatung enorm aufgewertet: Laut dem neuen US-Konkursgesetz müssen Amerikaner erst zum Berater gehen, bevor sie ihren privaten Bankrott erklären können. Damit wächst der Beratungsbedarf enorm. Nach Schätzungen der Notenbank hatten die Amerikaner zum vergangenen Jahresende Kreditkartendarlehen von 801,3 Mrd. Dollar ausstehen. Darauf zahlen die meisten Kartenbesitzer zehn bis zu 30 Prozent Zinsen - also mehr als 80 Mrd. Dollar jedes Jahr! Unter ihrer Schuldenlast brechen seit 2003 jedes Quartal etwa 400 000 US-Bürger finanziell zusammen.
Zu beraten gibt es also mehr als genug. Und an verlockenden Angeboten der Schuldenmanager herrscht auch kein Mangel. In Werbespots berichten Hausfrauen, Rentner und Arbeitslose freudestrahlend, wie ihnen geholfen wurde. "Ich kannŽs kaum glauben! Jetzt bekomme ich nicht mehr Dutzende Rechnungen jeden Monat, sondern nur eine, und die ist viel niedriger", jubelt auf der Internetseite von American Debt Management die angebliche Kundin Jeanne Thompson. Darunter lockt die Schaltfläche "Mach mich schuldenfrei" zum Anklicken.
Aber die Berater versprechen mehr als sie halten können. Sicher, ein Zahlungsplan mit monatlicher Rate ist schnell aufgestellt, und Kollege Computer leitet das Geld weiter an die Gläubiger. Doch Rabatte können die Berater kaum noch herausschlagen. "Vor zehn Jahren senkten die Kreditkartenfirmen die Zinsen für meine Kunden und verzichteten auf Verzugsgebühren", erzählt Berater Burman, "heute machen Große wie MBNA und Citigroup nur wenige Zugeständnisse, und manch kleiner Anbieter stellt sich völlig stur."
Für ihre begrenzten Dienste kassieren viele Berater horrende Gebühren. "American Debt Management behielt meine erste Monatsrate von 1 093 Dollar komplett als Gebühr ein, für ein wenige Minuten langes Beratungsgespräch", berichtet Ex-Kunde "David" auf der Verbraucher-Webseite Consumeraffairs.com. Die Beratungshonorare sind nur ein Teil der Einnahmen. Die Kreditkartenfirmen überweisen den Beratern für jeden überwiesenen Kundendollar zusätzlich eine Provision. Deren Höhe betrug einst 15 Prozent, heute liegt sie noch bei bis zu sieben Prozent. Von diesen Kickbacks, die legal sind, ahnen die meisten Kunden nichts.
"Tiefer im Morast verstecken sich die Abwicklungsgebühren", verrät Berater Burman. Für die monatliche Überweisung der Kundengelder zweigen manche Berater 40 Dollar ab. Das Geld steckt meist nicht die Beratungsfirma direkt ein, sondern ein beauftragter Abwicklungsdienst. Der Grund: Die Drittfirma braucht sich nicht wie die "gemeinnützige" Schuldenberatung an ein Gewinnverbot zu halten. "Komischerweise hat der Abwicklungsdienst jedoch oft die gleiche Adresse, die gleiche Telefonnummer und den gleichen Chef wie die gemeinnützige Schuldenberatung", erzählt Burman.
Mit genau dieser Masche sahnte Andris Pukke, Gründer des Abwicklungsdienstes Amerix, zwischen 1998 und 2002 insgesamt 386,5 Mill. Dollar Gebühren ab. Amerix arbeitete für Pukkes eigene Schuldenberatung Ameridebt und zusätzlich für zehn weitere "gemeinnützige" Firmen, die zusammen Tausende Kunden mit 2,5 Mrd. Dollar Kreditkartenschulden abzockten. Pukke muss sich deswegen demnächst vor Gericht verantworten. Der Name seiner Ex-Firma Ameridebt lebt jedoch im Internet weiter - als virenverseuchte Seite mit einem Dutzend Links zu Schuldenberatungen.
Steckt in der Kombination aus so vielen halbseidenen Anbietern und dem enormen Beratungsbedarf nicht eine Riesenchance für ehrliche Berater? Mitnichten, meint der New Yorker Burman: "Seit die Kreditkartenfirmen kaum noch Zugeständnisse machen, ist der Nutzen für den Kunden einfach zu gering."
Im Roten Bereich
Früh gelockt
Conswalia Green erhielt ihre erste Kreditkarte mit 18 Jahren. Alle paar Monate erhöhte sich das Limit. Bis zum Studienabschluss wuchsen die Schulden auf mehrere tausend Dollar.
Lange verfolgt
Ingvar Ingvarsson ließ bei seinem Umzug von Amerika nach Europa eine Citibank-Kreditkarte unbezahlt . "Doch die spürten mich in London auf", erzählt er. Nach spätestens sechs Jahren beauftragen die Kartenfirmen Inkassofirmen mit der Eintreibung. Scheitern auch diese, kaufen Reste-verwerter für zwei bis fünf Cents je Dollar die Schulden auf.
Genau bewertet
Auf den "Credit Score", die Kreditwürdigkeit, schauen neben den Banken auch Vermieter und Arbeitgeber. Kartenfirmen werben, eine häufige Kartennutzung verbessere die Kennzahl.
Quelle: Handelsblatt.com
Kreditberatung ist in den USA ein großes Geschäft geworden. Doch überschuldete Bürger werden häufig von Beratern gleich noch einmal abgezockt. Das neue US-Konkursgesetz unterstützt den Beraterbedarf enorm.
HB NEW YORK. Steven Burman hat die Nase voll. "Diese Branche ist so dermaßen heruntergekommen", schimpft der 39-jährige Schuldenberater mit den stark gegelten Haaren. "Kleine Krauter wie ich haben keine Chance mehr gegen die großen Geschäftemacher", klagt der Gründer und Chef der New Yorker Zwei-Mann-Firma Credit Advocate Counseling Corp (CACC). Burman berät seit Mitte der 90er-Jahre Leute, denen ihre Kreditkartenschulden über den Kopf wachsen. Doch das Telefon, das "früher pausenlos klingelte", bleibt still. Schuld sind laut Burman die großen Kreditberatungsfirmen, die in New Yorks U-Bahn, im Fernsehen und Internet aggressiv für ihre Dienste werben.
Kreditberatung ist in den USA ein großes Geschäft geworden - und oft ein schmutziges. Wo bis Mitte der 90er-Jahre alteingesessene, lokale Verbände und Leute wie Burman die Branche prägten, dominieren heute US-weit tätige Firmen mit ihren riesigen Call-Centern. Fast alle neuen Anbieter tragen das Vertrauen erweckende Attribut "gemeinnützig", viele jedoch zu Unrecht. Vor wenigen Wochen schloss die US-Steuerbehörde IRS 20 der größten Schuldenberatungen, weil sie sich das "Non-Profit"-Gütesiegel und damit Steuerfreiheit erschwindelt hatten. 50 Prozent des Marktes liegen seitdem lahm, meldet die Zeitung "Washington Post". Und die Steuerfahnder ermitteln weiter.
Paradoxerweise fast gleichzeitig mit den Enthüllungen hat der US-Gesetzgeber die Schuldenberatung enorm aufgewertet: Laut dem neuen US-Konkursgesetz müssen Amerikaner erst zum Berater gehen, bevor sie ihren privaten Bankrott erklären können. Damit wächst der Beratungsbedarf enorm. Nach Schätzungen der Notenbank hatten die Amerikaner zum vergangenen Jahresende Kreditkartendarlehen von 801,3 Mrd. Dollar ausstehen. Darauf zahlen die meisten Kartenbesitzer zehn bis zu 30 Prozent Zinsen - also mehr als 80 Mrd. Dollar jedes Jahr! Unter ihrer Schuldenlast brechen seit 2003 jedes Quartal etwa 400 000 US-Bürger finanziell zusammen.
Zu beraten gibt es also mehr als genug. Und an verlockenden Angeboten der Schuldenmanager herrscht auch kein Mangel. In Werbespots berichten Hausfrauen, Rentner und Arbeitslose freudestrahlend, wie ihnen geholfen wurde. "Ich kannŽs kaum glauben! Jetzt bekomme ich nicht mehr Dutzende Rechnungen jeden Monat, sondern nur eine, und die ist viel niedriger", jubelt auf der Internetseite von American Debt Management die angebliche Kundin Jeanne Thompson. Darunter lockt die Schaltfläche "Mach mich schuldenfrei" zum Anklicken.
Aber die Berater versprechen mehr als sie halten können. Sicher, ein Zahlungsplan mit monatlicher Rate ist schnell aufgestellt, und Kollege Computer leitet das Geld weiter an die Gläubiger. Doch Rabatte können die Berater kaum noch herausschlagen. "Vor zehn Jahren senkten die Kreditkartenfirmen die Zinsen für meine Kunden und verzichteten auf Verzugsgebühren", erzählt Berater Burman, "heute machen Große wie MBNA und Citigroup nur wenige Zugeständnisse, und manch kleiner Anbieter stellt sich völlig stur."
Für ihre begrenzten Dienste kassieren viele Berater horrende Gebühren. "American Debt Management behielt meine erste Monatsrate von 1 093 Dollar komplett als Gebühr ein, für ein wenige Minuten langes Beratungsgespräch", berichtet Ex-Kunde "David" auf der Verbraucher-Webseite Consumeraffairs.com. Die Beratungshonorare sind nur ein Teil der Einnahmen. Die Kreditkartenfirmen überweisen den Beratern für jeden überwiesenen Kundendollar zusätzlich eine Provision. Deren Höhe betrug einst 15 Prozent, heute liegt sie noch bei bis zu sieben Prozent. Von diesen Kickbacks, die legal sind, ahnen die meisten Kunden nichts.
"Tiefer im Morast verstecken sich die Abwicklungsgebühren", verrät Berater Burman. Für die monatliche Überweisung der Kundengelder zweigen manche Berater 40 Dollar ab. Das Geld steckt meist nicht die Beratungsfirma direkt ein, sondern ein beauftragter Abwicklungsdienst. Der Grund: Die Drittfirma braucht sich nicht wie die "gemeinnützige" Schuldenberatung an ein Gewinnverbot zu halten. "Komischerweise hat der Abwicklungsdienst jedoch oft die gleiche Adresse, die gleiche Telefonnummer und den gleichen Chef wie die gemeinnützige Schuldenberatung", erzählt Burman.
Mit genau dieser Masche sahnte Andris Pukke, Gründer des Abwicklungsdienstes Amerix, zwischen 1998 und 2002 insgesamt 386,5 Mill. Dollar Gebühren ab. Amerix arbeitete für Pukkes eigene Schuldenberatung Ameridebt und zusätzlich für zehn weitere "gemeinnützige" Firmen, die zusammen Tausende Kunden mit 2,5 Mrd. Dollar Kreditkartenschulden abzockten. Pukke muss sich deswegen demnächst vor Gericht verantworten. Der Name seiner Ex-Firma Ameridebt lebt jedoch im Internet weiter - als virenverseuchte Seite mit einem Dutzend Links zu Schuldenberatungen.
Steckt in der Kombination aus so vielen halbseidenen Anbietern und dem enormen Beratungsbedarf nicht eine Riesenchance für ehrliche Berater? Mitnichten, meint der New Yorker Burman: "Seit die Kreditkartenfirmen kaum noch Zugeständnisse machen, ist der Nutzen für den Kunden einfach zu gering."
Im Roten Bereich
Früh gelockt
Conswalia Green erhielt ihre erste Kreditkarte mit 18 Jahren. Alle paar Monate erhöhte sich das Limit. Bis zum Studienabschluss wuchsen die Schulden auf mehrere tausend Dollar.
Lange verfolgt
Ingvar Ingvarsson ließ bei seinem Umzug von Amerika nach Europa eine Citibank-Kreditkarte unbezahlt . "Doch die spürten mich in London auf", erzählt er. Nach spätestens sechs Jahren beauftragen die Kartenfirmen Inkassofirmen mit der Eintreibung. Scheitern auch diese, kaufen Reste-verwerter für zwei bis fünf Cents je Dollar die Schulden auf.
Genau bewertet
Auf den "Credit Score", die Kreditwürdigkeit, schauen neben den Banken auch Vermieter und Arbeitgeber. Kartenfirmen werben, eine häufige Kartennutzung verbessere die Kennzahl.
Quelle: Handelsblatt.com