Seit 1998 präsentiert die US-Regierung Jahr für Jahr einen stetig wachsenden Haushaltsüberschuss. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich dieser jedoch als geschickt getarntes Defizit, meint Fredmund Malik.
US-Präsident Bill Clinton hatte es 1998 als Jahrhunderterfolg höchstpersönlich bekannt gegeben: Die Schuldenwirtschaft der USA ist vorbei und mit dem Fiskaljahr 1997 sind aus den chronischen Haushaltsdefiziten Überschüsse geworden - wegen der wiedererrungenen Ausgabendisziplin der Regierung, wegen der boomenden Wirtschaft, und weil überhaupt alles ganz anders zu werden versprach, weil man nun eine New Economy und insgesamt ein Neues Paradigma hatte. Im historischen "Jahr der Verkündung" wurde der Überschuss mit 39 Milliarden Dollar bekannt gegeben. Das jahrelang über der US-Wirtschaft hängende Damoklesschwert sich akkumulierender Staatsschulden war damit verschwunden, und wenn ein republikanischer Präsident eines fortzusetzen garantiert, dann doch Finanzdisziplin.
Wahrheit der Flows of Funds
In Finanzangelegenheiten sollte man genau sein. Daher schaut man zweimal auf die Zahlen und - da es ja inzwischen auch die Doppelte Buchhaltung gibt - sicherheitshalber auch an einen zweiten Ort. An jene Stelle nämlich, wo die Kreativität der Finanzspezialisten nicht hinzudringen vermag, dorthin, wo die wirkliche Wirklichkeit ist.
In ihren regelmäßigen Berichten über den "Flow of Funds" weist die US-Bundesbank im Kapitel "Credit Market Borrowing" unter der Rubrik "U.S. Government Securities" für das Jahr 1997 die Zahl 236.5 aus. Das war die Wirklichkeit und die Wahrheit über den Zustand der amerikanischen Bundesfinanzen. Der Haushalt für 1997 schloss nicht mit einem Überschuss von 39 Milliarden Dollar, sondern mit einem Defizit von 236.5 Milliarden Dollar. Um diesen Betrag sind die amerikanischen Staatsschulden netto gestiegen.
Alle Überschüsse sind Defizite
Hat es sich seither gebessert? Sind die neue Disziplin und die Segnungen des Neuen Paradigmas nur etwas verzögert wirksam geworden? Ja, wenn man auf die offiziellen Zahlen des Budgets schaut. Für 1998 wurde ein Plus von 69 Milliarden, für 1999 ein Plus von 124 Milliarden und für 2000 ein solches von 236 Milliarden bekannt gegeben. Für 2001 wird der Überschuss auf 281 Milliarden geschätzt.
Wie ist die Wirklichkeit? Im Jahr 1998 war es statt des Überschusses ein Defizit von 418 Milliarden, 1999 ein Loch von 520 Milliarden und in 2000 ein Minus von 137 Milliarden. Den neuesten FED-Ziffern zufolge wird für 2001 ein Defizit von 480 Milliarden entstehen.
Kunst der kreativen Buchhaltung
Lügt das offizielle Amerika? Nein. Man kommuniziert nur sehr geschickt. Vor allem lässt man das Publikum - wie immer - mit der Interpretation der Zahlen allein. Wesentliche Beträge werden "off budget" geführt, sie werden also einfach aus dem offiziellen Budget ausgeklammert, zum Beispiel die Mittel für das Departement of Education. Selbstredend sind das Zahlungen, die die Regierung zu leisten hat. Am ergiebigsten schenken jene Positionen ein, die in Wahrheit Verpflichtungen sind, aber als Einnahmen verbucht werden, zum Beispiel die Social Security Funds. In Summe ergibt das, obwohl alle über Überschüsse reden, die größte Staatsverschuldung, die Amerika je hatte.
Der angebliche Sieg von politischer Disziplin und Weisheit und die Segnungen der New Economy sind in Wahrheit ein Sieg der Kreativität der Buchhalter. George Orwell lässt grüßen ...
Die amerikanische Regierung ist in guter Gesellschaft. Das gesamte Amerika hat sich durch kreative Buchhaltung schön und reich gerechnet. Es ist tiefer in Schulden als je zuvor. Die Gesamtverschuldung der USA beträgt rund 280 Prozent des Sozialprodukts.
Bankrotte Gläubiger
Finanziert wird die ganze Sache in noch immer steigendem Ausmaß vom Ausland. Rund 40 Prozent der in privaten Händen liegenden amerikanischen Staatspapiere sind im Besitz von Ausländern. Der größte Teil wiederum befindet sich in Japan. US-Treasury Bonds sind im Grunde noch die einzigen Valeurs, die die Japaner besitzen, nachdem sich dort alles immer schneller im deflationären Malstrom entwertet.
Ein Treppenwitz der Finanzgeschichte: Die einzigen Werte der Japaner sind Forderungen gegen den größten Schuldner der Geschichte. Aber ist es nicht wenigstens ein guter Schuldner? Mit besten Bewertungen seitens der Agenturen? - So gute Bewertungen, wie sie ja auch die Japaner selbst und ihre umliegenden Tiger-Nachbarn bis 1997 und teilweise lange darüber hinaus erhielten - weil sie alle natürlich genauso kreative Buchhalter haben wie die US-Regierung, die an denselben Top-Universitäten ausgebildet und mit denselben Theorien programmiert wurden.
Falsche Theorien
Schade nur, dass es die falschen Theorien sind. Wie schön wäre es doch, wenn man ewig Schulden machen könnte; wenn sie niemals fällig gestellt würden, oder immer "umstrukturiert" werden könnten; oder wenn es immer ein Inflatiönchen gäbe, das sie entwertete. Aber leider: alle Rechnungen müssen bezahlt werden. Und es fragt sich immer nur, von wem. Mit dem Ende des historisch längsten und größten Bullmarket hat eine Periode des Rechnungenbezahlens begonnen. Argentinien und Enron sind nur der Anfang
Zur Person:
Fredmund Malik gilt als einer der international renommiertesten Management-Consultants und -Lehrer. An der Elite-Uni St. Gallen lehrt der Professor seit 1978 Ökonomie mit Schwerpunkt Unternehmensführung, seit 1984 leitet er außerdem das Management Zentrum St. Gallen.
Der gebürtige Österreicher berät zahlreiche Unternehmen in Fragen des General-Mangement, der Strategie sowie der Personalentwickung und hat als wissenschaftlicher Autor über 150 Schriften zu aktuellen Management-Themen verfasst. Regelmäßig gibt er die "Malik on Management"-Letters heraus.
US-Präsident Bill Clinton hatte es 1998 als Jahrhunderterfolg höchstpersönlich bekannt gegeben: Die Schuldenwirtschaft der USA ist vorbei und mit dem Fiskaljahr 1997 sind aus den chronischen Haushaltsdefiziten Überschüsse geworden - wegen der wiedererrungenen Ausgabendisziplin der Regierung, wegen der boomenden Wirtschaft, und weil überhaupt alles ganz anders zu werden versprach, weil man nun eine New Economy und insgesamt ein Neues Paradigma hatte. Im historischen "Jahr der Verkündung" wurde der Überschuss mit 39 Milliarden Dollar bekannt gegeben. Das jahrelang über der US-Wirtschaft hängende Damoklesschwert sich akkumulierender Staatsschulden war damit verschwunden, und wenn ein republikanischer Präsident eines fortzusetzen garantiert, dann doch Finanzdisziplin.
Wahrheit der Flows of Funds
In Finanzangelegenheiten sollte man genau sein. Daher schaut man zweimal auf die Zahlen und - da es ja inzwischen auch die Doppelte Buchhaltung gibt - sicherheitshalber auch an einen zweiten Ort. An jene Stelle nämlich, wo die Kreativität der Finanzspezialisten nicht hinzudringen vermag, dorthin, wo die wirkliche Wirklichkeit ist.
In ihren regelmäßigen Berichten über den "Flow of Funds" weist die US-Bundesbank im Kapitel "Credit Market Borrowing" unter der Rubrik "U.S. Government Securities" für das Jahr 1997 die Zahl 236.5 aus. Das war die Wirklichkeit und die Wahrheit über den Zustand der amerikanischen Bundesfinanzen. Der Haushalt für 1997 schloss nicht mit einem Überschuss von 39 Milliarden Dollar, sondern mit einem Defizit von 236.5 Milliarden Dollar. Um diesen Betrag sind die amerikanischen Staatsschulden netto gestiegen.
Alle Überschüsse sind Defizite
Hat es sich seither gebessert? Sind die neue Disziplin und die Segnungen des Neuen Paradigmas nur etwas verzögert wirksam geworden? Ja, wenn man auf die offiziellen Zahlen des Budgets schaut. Für 1998 wurde ein Plus von 69 Milliarden, für 1999 ein Plus von 124 Milliarden und für 2000 ein solches von 236 Milliarden bekannt gegeben. Für 2001 wird der Überschuss auf 281 Milliarden geschätzt.
Wie ist die Wirklichkeit? Im Jahr 1998 war es statt des Überschusses ein Defizit von 418 Milliarden, 1999 ein Loch von 520 Milliarden und in 2000 ein Minus von 137 Milliarden. Den neuesten FED-Ziffern zufolge wird für 2001 ein Defizit von 480 Milliarden entstehen.
Kunst der kreativen Buchhaltung
Lügt das offizielle Amerika? Nein. Man kommuniziert nur sehr geschickt. Vor allem lässt man das Publikum - wie immer - mit der Interpretation der Zahlen allein. Wesentliche Beträge werden "off budget" geführt, sie werden also einfach aus dem offiziellen Budget ausgeklammert, zum Beispiel die Mittel für das Departement of Education. Selbstredend sind das Zahlungen, die die Regierung zu leisten hat. Am ergiebigsten schenken jene Positionen ein, die in Wahrheit Verpflichtungen sind, aber als Einnahmen verbucht werden, zum Beispiel die Social Security Funds. In Summe ergibt das, obwohl alle über Überschüsse reden, die größte Staatsverschuldung, die Amerika je hatte.
Der angebliche Sieg von politischer Disziplin und Weisheit und die Segnungen der New Economy sind in Wahrheit ein Sieg der Kreativität der Buchhalter. George Orwell lässt grüßen ...
Die amerikanische Regierung ist in guter Gesellschaft. Das gesamte Amerika hat sich durch kreative Buchhaltung schön und reich gerechnet. Es ist tiefer in Schulden als je zuvor. Die Gesamtverschuldung der USA beträgt rund 280 Prozent des Sozialprodukts.
Bankrotte Gläubiger
Finanziert wird die ganze Sache in noch immer steigendem Ausmaß vom Ausland. Rund 40 Prozent der in privaten Händen liegenden amerikanischen Staatspapiere sind im Besitz von Ausländern. Der größte Teil wiederum befindet sich in Japan. US-Treasury Bonds sind im Grunde noch die einzigen Valeurs, die die Japaner besitzen, nachdem sich dort alles immer schneller im deflationären Malstrom entwertet.
Ein Treppenwitz der Finanzgeschichte: Die einzigen Werte der Japaner sind Forderungen gegen den größten Schuldner der Geschichte. Aber ist es nicht wenigstens ein guter Schuldner? Mit besten Bewertungen seitens der Agenturen? - So gute Bewertungen, wie sie ja auch die Japaner selbst und ihre umliegenden Tiger-Nachbarn bis 1997 und teilweise lange darüber hinaus erhielten - weil sie alle natürlich genauso kreative Buchhalter haben wie die US-Regierung, die an denselben Top-Universitäten ausgebildet und mit denselben Theorien programmiert wurden.
Falsche Theorien
Schade nur, dass es die falschen Theorien sind. Wie schön wäre es doch, wenn man ewig Schulden machen könnte; wenn sie niemals fällig gestellt würden, oder immer "umstrukturiert" werden könnten; oder wenn es immer ein Inflatiönchen gäbe, das sie entwertete. Aber leider: alle Rechnungen müssen bezahlt werden. Und es fragt sich immer nur, von wem. Mit dem Ende des historisch längsten und größten Bullmarket hat eine Periode des Rechnungenbezahlens begonnen. Argentinien und Enron sind nur der Anfang
Zur Person:
Fredmund Malik gilt als einer der international renommiertesten Management-Consultants und -Lehrer. An der Elite-Uni St. Gallen lehrt der Professor seit 1978 Ökonomie mit Schwerpunkt Unternehmensführung, seit 1984 leitet er außerdem das Management Zentrum St. Gallen.
Der gebürtige Österreicher berät zahlreiche Unternehmen in Fragen des General-Mangement, der Strategie sowie der Personalentwickung und hat als wissenschaftlicher Autor über 150 Schriften zu aktuellen Management-Themen verfasst. Regelmäßig gibt er die "Malik on Management"-Letters heraus.