Kolumne: Falsche Rezepte

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Kolumne: Falsche Rezepte

 
02.07.02 18:26
Aus der FTD vom 3.7.2002  

Von Barbara Fritz

Neue Kredite werden Lateinamerika nicht aus der Krise helfen, die Region braucht eine konsequente Entschuldungspolitik.

Erst vor wenigen Monaten hat Argentinien, über lange Jahre vom IWF als Musterschüler gepriesen, die bislang größten Zahlungsunfähigkeit aller Zeiten erklärt. Jetzt ist auch Brasilien unter Druck. Trotz der gewonnenen Fußball-Weltmeisterschaft ist der Real am Dienstag auf ein neues Rekordtief abgestürzt, der Risikoaufschlag für das Land auf schwindelerregende 1700 Punkte gestiegen. Die Alarmglocken schrillen, schließlich macht Brasilien die Hälfte der Wirtschaftskraft Südamerikas aus - und seine externen Verbindlichkeiten sind fast doppelt so hoch wie die Argentiniens.

Das Erstaunen ist groß: Die brasilianische Regierung habe doch alles richtig gemacht, so der Tenor in der internationalen Finanzwelt, schließlich hat sie seit der Währungskrise vor drei Jahren die vom Internationalen Währungsfonds geforderte Austeritätspolitik ohne Abstriche umgesetzt. Konsequenterweise hat der IWF dem Land seither einen Beistandskredit nach dem anderen gewährt. Die Frage ist nur, ob diese immer neuen Finanzspritzen wirklich helfen. Argentinien unterstützte der Fonds noch bis wenige Wochen vor dem Währungscrash mit immensen Summen, was das Land jedoch nicht vor der schlimmsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte bewahrte.



Halbherzige Strategie


Hier, wie schon in der Asienkrise, muss sich gerade der IWF die Kritik gefallen lassen, mit öffentlichen Geldern Schuldnerländer und private Investoren, die das Risiko der Verschuldung nicht richtig kalkuliert hatten, "herauszuhauen". Dass mit dieser Praxis nun Schluss sein soll, will Washington, so scheint es, an den lateinamerikanischen Ländern vorexerzieren. Seit Monaten sieht der IWF der argentinischen Agonie mit verschränkten Armen zu. Zwar wurde Brasilien noch eine weitere Unterstützung in Milliardenhöhe zugesagt, aber US-Finanzminister Paul O’Neill - ohne Zweifel eine gewichtige Stimme für die Politik des Fonds - kündigte vor wenigen Tagen bereits an, man wolle in Brasilien keine amerikanischen Steuergelder verschwenden.


Diese Position mag dem Egoismus der USA entstammen, im Grunde ist sie nicht falsch. Doch sie reicht nicht aus, denn das Kernproblem der Turbulenzen in Lateinamerika bleibt bei dieser Sichtweise völlig außer Acht: Die betroffenen Länder sind überschuldet. Im Fall Argentiniens mit seinen 160 Mrd. $ Außenschulden ist dies allen Beteiligten längst klar. Aber auch Brasilien muss als überschuldet bewertet werden. Hier macht nicht nur eine an den Exporten gemessen zu hohe Außenschuld von fast 300 Mrd. $ Probleme; hinzu kommt eine öffentliche Binnenverschuldung, die in den vergangenen fünf Jahren von 34 auf 55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angewachsen und zudem extrem kurzfristiger Natur ist.


Der Auslöser für den dramatischen Anstieg des brasilianischen Länderrisikos mag sein, dass die jüngsten Meinungsumfragen Luis Inacio Lula de Silva, den Kandidaten der Links-Partei PT, bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober vorne sehen; die Ursache des Problems ist dies aber keinesfalls. Langfristig, das wissen auch die Banker, ist die brasilianische Verschuldung in jedem Falle untragbar; eine Vertrauenskrise politischer Art tut da nicht mehr, als das Erreichen der Zahlungsunfähigkeit zu beschleunigen.


Genauso wenig wie ein überschuldetes Unternehmen kann sich auch ein überschuldetes Land an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen. Ist die Auslandsverschuldung einmal über das erträgliche Maß gewachsen, bleiben selbst der besten Wirtschaftspolitik nur zwei schlechte Möglichkeiten, um die Zahlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten: Entweder man versucht, mit allen Mitteln die Exporte zu steigern und die Importe zu senken, was mit Protektionismus und Inflation oder mit extrem hohen Zinsen und wirtschaftlicher Stagnation erkauft werden muss. Oder man bemüht sich, um jeden Preis neues Kapital vom internationalen Markt anzulocken. Damit aber häuft man neue Schulden auf die alten, ohne dass der Geld-, Währungs- und Fiskalpolitik Spielraum bliebe, die Wettbewerbsfähigkeit der nationalen Ökonomie zu stärken und auf diesem Wege einen Abbau der Verschuldung über Exportüberschüsse zu erreichen. So ist die nächste Schuldenkrise nur eine Frage der Zeit.



Regeln für die Überschuldung


Das heißt: Neue Kredite aus Washington können die Zahlungsunfähigkeit hinauszögern, nicht aber dauerhaft verhindern. Was Not tut - und zwar nicht nur aus der Perspektive der verschuldeten Staaten, sondern auch aus der der Gläubiger - ist stattdessen ein radikaler Schnitt, eine deutliche Entschuldung dieser Länder. Im Prinzip weisen die jüngsten Vorschläge des IWF für ein internationales Insolvenzrecht für Staaten in diese Richtung.


Dabei geht es nicht nur darum, per Vertragsklauseln die Gesamtheit der Gläubiger mit an den Tisch zu bringen; entscheidend ist, einen solchen Verhandlungstisch zwischen Schuldnerländern und der Mehrheit der Gläubiger überhaupt erst zu institutionalisieren und damit das Problem der Überschuldung anzuerkennen - und, im besten Fall, sachorientiert und wirtschaftlich effizient zu einer Lösung zu finden.


Setzt aber die internationale Gemeinschaft nur die Rettungsaktionen für einen schlecht funktionierenden Markt aus, ohne gleichzeitig eine bessere Lösung für diesen Markt zu organisieren - was der IWF gerade gegenüber Argentinien vorführt - dann gewinnen auch die Gläubiger nicht. Vielmehr droht ihnen die Gefahr, gemeinsam mit den Schuldnerstaaten unterzugehen.

Barbara Fritz ist Ökonomin am Institut für Iberoamerika-Kunde in Hamburg.



© 2002 Financial Times Deutschland

Gruß Pichel
www.reklamehelden.de/ff/pichel.htm
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