Zweifel an Spekulationssteuer
Bundesfinanzhof prüft Abgaben auf Wertpapiergewinne
Klaus Tipke kam sich ein bisschen vor „wie der Dumme“, als er in seiner Steuererklärung für das Jahr 1997 seine Spekulationsgewinne aus Wertpapiergeschäften angab. Er sei ganz offensichtlich nur „einer von Wenigen“, die diese Gewinne versteuern, sagt der emeritierte Steuerrechtsprofessor aus Köln. „Die Finanzbeamten freuen sich über jeden, der seine Spekulationsgeschäfte ehrlich angibt. Wer sie aber verschweigt, hat ernsthaft nichts zu befürchten“, sagt Tipke. Er klagte. Das
Finanzgericht Schleswig-Holstein wies die Klage 1999 in erster Instanz ab. Jetzt befasst sich der Bundesfinanzhof (BFH) in München mit dem Thema.
Zu Lasten der Ehrlichen
Bei dem obersten deutschen Steuergericht deuten sich Zweifel an, ob die geltende Regelung verfassungsgemäß ist. Wenn es den Finanzbeamten nicht möglich ist, Spekulationsgewinne aufzuspüren und wenn dies eine „Besteuerungsungleichheit zu Lasten der Steuerehrlichen“ bewirkt, dann könnte die geltende Regelung eventuell verfassungswidrig sein, argumentieren die Richter sinngemäß. Sie forderten jetzt das Bundesfinanzministerium auf, dem Revisionsverfahren beizutreten, wie der BFH am Mittwoch mitteilte.
Tipke stützt sich bei seiner Klage im wesentlichen auf das so genannte Zinsurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1991. Damals hatten die Verfassungsrichter kritisiert, dass Zinsen zwar per Gesetz der Einkommensteuer unterliegen, der Steueranspruch des Staates aber wegen des Bankgeheimnisses nicht wirksam durchgesetzt werden konnte. Der Staat war darauf angewiesen, dass der Steuerpflichtige seine Zinseinkünfte angab. Wer sie nicht erklärte, blieb de facto steuerfrei. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass diese Form der Zinsbesteuerung gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes verstößt. In der Folge führte der Gesetzgeber die Zinsabschlag- und die Kapitalertragsteuer ein, die die Banken einbehalten und direkt an den Staat abführen.
Bei den Spekulationsgewinnen, über die der BFH jetzt verhandelt, ist die Situation ähnlich wie damals bei den Zinseinkünften. Laut Einkommensteuergesetz sind Gewinne aus Wertpapierverkäufen zu versteuern, wenn die Papiere
innerhalb eines Jahres nach dem Kauf wieder veräußert werden. 1997 – dem Jahr, um das es in dem Verfahren geht – galt noch die alte Frist von sechs Monaten. Doch in der Praxis tauchen Spekulationsgewinne in den Steuererklärungen so gut wie nie auf. Gerade mal fünf Prozent aller Gewinne aus Wertpapiergeschäften werden angegeben, glaubt Dieter Ondracek, Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft. Dem Fiskus entgingen dadurch „bei vorsichtiger Schätzung etwa eine Milliarde Euro pro Jahr“, meint der Steuer-Fachmann. Die Krux an der Sache sei auch hier das Bankgeheimnis, das in der Abgabenordnung geregelt ist. Es verhindere eine effektive Ermittlung von Spekulationsgewinnen.
Offenbar teilt der BFH die Bedenken. Die Richter haben ihrer Aufforderung zum Beitritt des Finanzministeriums
einige Fragen beigefügt, die klären sollen, welche Möglichkeiten die Finanzämter 1997 hatten, Spekulationsgewinne aufzuspüren. Nach Ansicht von
Ondracek müsste die Antwort aus dem Ministerium lauten: „Überhaupt keine“. Wie die Finanzrichter in diesem Fall entscheiden würden, ist offen. Es spricht einiges dafür, dass sie dann tatsächlich die Verfassungsmäßigkeit der Regelung anzweifeln und die Frage dem Bundesverfassungsgericht vorlegen würden. Während Ondracek hofft, dass die Verfassungsrichter das Bankgeheimnis kippen, setzt Tipke darauf, dass sie die Spekulationssteuer abschaffen. Am 16. Juli will der BFH jedoch erst mal mündlich verhandeln.
Quelle:Süddeutsche Zeitung