D E U T S C H E B A N K
Deutsch bleibt nur der Name

Innerhalb von 20 Monaten kann in der Welt der Finanzen eine Menge passieren. Innerhalb von 20 Monaten rutscht der Dax um 2000 Punkte nach unten, verlieren Kleinanleger mit der T-Aktie ein großes Vermögen, senkt der amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan die Leitzinsen gleich elfmal.
Und manchmal passiert innerhalb von 20 Monaten einfach gar nichts. Fast zwei Jahre ist es her, dass sich der Vorstand der Deutschen Bank auf Josef Ackermann als neuen Chef festlegte. Seitdem hat der designierte Vorstandssprecher in der Öffentlichkeit nur eines getan: Er hat nichts gesagt. Kein Wort zur neuen Strategie, keinen Satz zur Lage der Bank. Ackermann habe immer geschwiegen, lobte Noch-Chef Rolf Breuer kürzlich, selbst wenn er "mit Sicherheit nicht immer mit dem einverstanden" gewesen sei, was Breuer so tat.
Was sind schon 20 Monate, wenn am Ende die Erfüllung eines Lebenstraums steht?
Am 22. Mai, direkt nach Ablauf der Hauptversammlung, wird Josef Ackermann an die Spitze der Deutschen Bank rücken. Ein Schweizer. Ein Investmentbanker. Einer, der lieber in London arbeitet als in Frankfurt. So will es das Klischee.

Die Fakten hat der Neue den Führungskräften der Bank vor knapp zwei Wochen bei einem Treffen in Dublin verkauft: Kosten drücken, Profitabilität steigern. Bis Ende 2003 soll der Marktwert der Deutschen Bank um mindestens 30 Prozent klettern, eine Aktie dann mehr als 100 Euro kosten. Damit ist Ackermann der erste Chef des Geldhauses, der sich offen zum Shareholder-Value bekennt. Ein Tabubruch: Sein Vorgänger Breuer versteckte sich hinter dem "Vierklang der Interessen" - Aktionäre, Kunden, Mitarbeiter, Öffentlichkeit.
"Was gut ist für die Deutsche Bank, ist auch gut für Deutschland", hieß es früher. Es war das Motto der Wirtschaftswunderjahre. Charismatische Vorstandssprecher wie Hermann Josef Abs - einer der engsten Berater von Kanzler Konrad Adenauer - prägten das Bild einer Bank, die über beste Beziehungen zur Politik verfügt und diese auch einsetzt. Der Kreditausschuss der Deutschen Bank, argwöhnte der SPD-Politiker Peter Glotz noch 1987, sei "die mächtigste, zugleich aber die am wenigsten kontrollierte und geheimste Entscheidungseinheit der deutschen Wirtschaft". Die Chefs der Deutschen Bank, das waren stets Personen des öffentlichen Lebens, manchmal sogar Visionäre: Alfred Herrhausen, ein guter Freund Helmut Kohls, beriet 1988 den Bund beim Umbau der Brennelementeindustrie; Rolf Breuer forcierte den Ausbau der deutschen Börse zum internationalen Marktplatz; Hilmar Kopper wirbt heute für die Regierung um ausländische Investoren.
Von Visionen will Josef Ackermann nichts wissen. Der Mann gibt sich als Realist. Gespart werden soll, weil der Bank die Kosten davonlaufen: Um überhaupt einen Euro einzunehmen, muss das Geldhaus schon 82 Cent ausgeben. Der Aktienkurs soll steigen, weil die Bank nur der Bilanzsumme nach zu den weltweit Größten zählt. Beim Marktwert aber, der wichtigeren Währung, schafft sie es weltweit gerade so unter die ersten zwanzig. Das macht gleichberechtigte Fusionen oder Kooperationen mit den Großen der Branche unmöglich.

Es sind schlichte Ziele, die Ackermann intern formuliert hat. Doch ausgerechnet der neue Chef könnte schaffen, was weder Kopper noch Breuer gelang: die Revolution zu vollenden, die der ermordete Vorstandssprecher Herrhausen einst begann.
Bereits Mitte der achtziger Jahre kritisiert Herrhausen die mangelnde Größe und Profitabilität der Bank, für die der Heimatmarkt zu klein geworden war. Die Deutsche soll zur europaweiten Universalbank wachsen und - vor allem - eine weltweit agierende Investmentbank werden. Kurz vor seiner Ermordung im November 1989 besiegelt er den Kauf der britischen Investmentbank Morgan Grenfell.
Doch der Erfolg bleibt aus. Die Riege der gelernten Filialbanker im Vorstand versteht nichts vom Investmentbanking, Bankchef Kopper legt die Verantwortung für das Kapitalmarktgeschäft in angelsächsische Hände. Erst der Amerikaner Edson Mitchell - der Ende 2000 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt - bringt das Geschäft auf Vordermann. 1995 wechselt der Händler von Merrill Lynch zur Deutschen Bank und bringt eine Truppe getreuer Gefolgsleute mit. London wird zur Zentrale des Investmentbankings in Europa, Frankfurt verkommt zum regionalen Stützpunkt. "Die Bank hat sich Edson Mitchell gebeugt", sagt ein ehemaliger Bereichsvorstand. "Er brauchte nur mit seinem Abgang zu drohen, schon sind ihm alle Wünsche erfüllt worden."
1996 holt Kopper den bei der Schweizer Großbank Credit Suisse nach einem Streit ausgestiegenen Ackermann und macht ihn zum Vorstand. Ausgerechnet Ackermann - von dem Kollegen behaupten, er könne mit Kritik schlecht umgehen und wolle vor allem geliebt werden - soll die rauen Investmentbanker zähmen. Es gelingt. Auch deshalb, weil Ackermann die Händler in London durch seine unkomplizierte Art für sich gewinnt. Statt im Chefzimmer Hof zu halten, setzt er sich beim ersten Besuch in der britischen Hauptstadt einfach auf einen Tisch mitten im großen Handelsraum und diskutiert mit den Angestellten - undenkbar für einen Vorstand der feinen Deutschen Bank. Geschickt arrangiert sich der Neue mit Mitchell: Ackermann lässt den Starhändler gewähren und hält ihm den Rücken in Frankfurt frei - dafür stärken die Gewinne, die Mitchell einfährt, Ackermanns Position im Vorstand.
1999 übernimmt die Deutsche die US-Investmentbank Bankers Trust. Die geräuscharme Integration gilt als größter Erfolg des Vorstandschefs Breuer. Tatsächlich sind es Ackermann und Mitchell, die aus 13 000 Investmentbankern in New York und 10 000 in London eine Einheit formen.
Josef Ackermann ist ein anderer Typ als der bullige Macher Kopper oder der eloquente Verkäufer Breuer: ruhiger, verschlossener, vorsichtiger. Seine Mitarbeiter schwärmen davon, wie gut Ackermann zuhören kann; dass er zwar viele Meinungen einholt, dann aber zielstrebig eine Richtung verfolgt. Seine Kritiker verweisen auf die kühle Karriereplanung des 54-Jährigen: Er habe immer nur darauf hingearbeitet, irgendwann an der Spitze einer Großbank von Weltformat zu stehen - ganz gleich, welcher.
Wie groß die Macht der von Ackermann geführten Investmentbanker in der Deutschen Bank ist, demonstrieren sie eindrucksvoll im Frühjahr 2000. Die von Vorstandschef Breuer betriebene Fusion mit der Dresdner Bank scheitert am Widerstand aus London. Breuer ist geschwächt, Mitchell und der US-Investmentbanker Michael Philipp ziehen in den Vorstand ein. Im September 2000 fordert Mitchell auf einer Vorstandssitzung die vorzeitige Wahl Ackermanns zum offiziellen Nachfolger von Breuer. So geschieht es dann auch.
Heute ist die Deutsche Bank keine deutsche Bank mehr. Zwei Drittel ihres Geschäfts macht sie außerhalb Deutschlands, nur rund die Hälfte der mehr als 94 000 Mitarbeiter hat den Schreibtisch noch im Bundesgebiet stehen. Unter Investmentbankern gilt das Geldhaus als Flow-Monster - ein Riese am internationalen Kapitalmarkt, der bei fast jeder Transaktion die Finger im Spiel hat. Die Bank übernimmt große Positionen in Anleihen, Devisen oder Derivaten von einem Kunden und verkauft sie an andere Kunden weiter. Der Handelsertrag allein im vergangenen Jahr: mehr als 6 Milliarden Euro.
Ackermann hat die Konzernspitze ganz auf sich zugeschnitten. Er führt die Gesamtbank nach dem gleichen, im Investmentbanking der Deutschen erprobten Modell: Die operative Verantwortung hat eine kleine Gruppe loyaler, doch weisungsabhängiger Manager, denen der Schweizer bedingungslos vertraut. Executive Committee heißt ihr Gremium. Von den acht Bankern besitzen sechs keinen deutschen Pass. Der Vorstand in Frankfurt ist de facto entmachtet. Der letzte verbliebene traditionelle Deutschbanker, Tessen von Heydebreck, darf sich den Personalfragen widmen; zwei andere Vorstände der Ära Breuer, IT-Chef Hermann-Josef Lamberti und Controller Clemens Börsig, hatten als Quereinsteiger sowieso nie eine Hausmacht. Und Ackermanns ambitionierter Konkurrent Thomas R. Fischer hat die Bank im Streit um das Führungsmodell verlassen. "Die Bank hat sich Ackermann ausgeliefert", sagt ein Topmanager. Kein Vorstandssprecher hatte je eine solche Machtfülle, Ausreden gelten nicht mehr. "Jetzt muss er beweisen, dass er damit umgehen kann."
Und dass er mehr im Köcher hat, als nur den Aktienkurs nach oben zu treiben. "Als Programm ist das zu wenig", sagt der Analyst einer französischen Investmentbank. Ackermann scheint es erst einmal zu reichen. Doch seine Ankündigung, die Industriebeteiligungen der Bank rascher als bisher zu verkaufen und mit dem Erlös eigene Aktien zur Kurspflege zu kaufen, stößt unter klassischen Universalbankern der Deutschen auf Unverständnis: Ein Aktienrückkauf steigert zwar den Kurs, nicht jedoch den Marktwert der Bank, weil gleichzeitig die Zahl der gehandelten Aktien sinkt. Das nützt nur den bisherigen Aktionären - zum Beispiel den Investmentbankern, die durch Aktienoptionsprogramme von steigenden Kursen überproportional profitieren.
Rund 4 Milliarden Euro an Provisionen flossen im vergangenen Jahr in die Taschen der Investmentbanker, allein die 100 Höchstbezahlten kassierten 1 Milliarde. Alle Aktionäre der Bank - immerhin ihre Eigentümer - bekamen dagegen insgesamt gerade einmal 800 Millionen Euro an Dividende ausgeschüttet. Die hoch bezahlten Investmentbanker werden wie erfolgreiche Unternehmer entlohnt, tragen aber kein unternehmerisches Risiko. Auch das gab es in der alten Deutschen Bank nicht.
Natürlich kennt der Neue die Kluft zwischen Investment- und Universalbankern, zwischen deutschen Bankern und Deutschbankern. Natürlich weiß er, dass er jetzt integrieren muss. Also beschwichtigt Ackermann intern. Ein Umzug nach London? Kein Thema! Der Verkauf des Filialgeschäfts, wie von ihm auf dem Luxemburger Finanzmarktforum 1999 indirekt gefordert? Vollkommen absurd!
Ackermann rudert zurück, obwohl er genau weiß, dass sich die Bank in den vergangenen fünf Jahren rasanter gewandelt hat als je zuvor; dass der Umbau des Geldhauses unter Kopper und Breuer auch deshalb immer wieder zu Missverständnissen führte, weil sie die Strategien rascher wechselten als ihre Hemden. Den beiden gelang es nie, eine überzeugende Vision von dem zu entwickeln, was die neue Deutsche Bank sein sollte. Kopper und Breuer sind Manager, die ihr Arbeitsleben in der Deutschen Bank und für die Deutsche Bank verbrachten. Sie wollten etwas mit der Deutschen Bank erreichen - das begründet ihren Spagat zwischen Tradition und Moderne, zwischen politischem Einfluss in der Heimat und wirtschaftlicher Größe in der Welt.
Josef Ackermann ist keiner Tradition verpflichtet. Der deutsche Markt ist für ihn interessant, weil die Bank hier einen großen Namen hat und das große Geschäft verspricht - und nicht deshalb, weil es einmal der Heimatmarkt eines nun heimatlosen Geldhauses war.
Fragt man Josef Ackermann nach seinem Vorbild, nennt er seit je Alfred Herrhausen. Doch allein mit dem globalen Manager Ackermann an der Spitze wird die globalisierte Deutsche Bank noch nicht zu dem, was Herrhausen aus ihr machen wollte. "Nur wenn es Ackermann gelingt, den Einfluss der Investmentbank zugunsten der Universalbank zurückzuschneiden, bewegt er sich in Richtung seines Vorbildes", sagt ein hochrangiger Deutschbanker. "Ackermann muss der in der Bank grassierenden Gier und Beliebigkeit eine neue Identität entgegensetzen."
Erst dann wäre die Revolution der Bank im Sinne Herrhausens vollendet.
Zeit
Deutsch bleibt nur der Name
Der Schweizer Josef Ackermann tritt als Chef der Deutschen Bank an. Unabhängig von der Heimat, soll sie nur noch eines: Geld verdienen

Innerhalb von 20 Monaten kann in der Welt der Finanzen eine Menge passieren. Innerhalb von 20 Monaten rutscht der Dax um 2000 Punkte nach unten, verlieren Kleinanleger mit der T-Aktie ein großes Vermögen, senkt der amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan die Leitzinsen gleich elfmal.
Und manchmal passiert innerhalb von 20 Monaten einfach gar nichts. Fast zwei Jahre ist es her, dass sich der Vorstand der Deutschen Bank auf Josef Ackermann als neuen Chef festlegte. Seitdem hat der designierte Vorstandssprecher in der Öffentlichkeit nur eines getan: Er hat nichts gesagt. Kein Wort zur neuen Strategie, keinen Satz zur Lage der Bank. Ackermann habe immer geschwiegen, lobte Noch-Chef Rolf Breuer kürzlich, selbst wenn er "mit Sicherheit nicht immer mit dem einverstanden" gewesen sei, was Breuer so tat.
Was sind schon 20 Monate, wenn am Ende die Erfüllung eines Lebenstraums steht?
Am 22. Mai, direkt nach Ablauf der Hauptversammlung, wird Josef Ackermann an die Spitze der Deutschen Bank rücken. Ein Schweizer. Ein Investmentbanker. Einer, der lieber in London arbeitet als in Frankfurt. So will es das Klischee.

Die Fakten hat der Neue den Führungskräften der Bank vor knapp zwei Wochen bei einem Treffen in Dublin verkauft: Kosten drücken, Profitabilität steigern. Bis Ende 2003 soll der Marktwert der Deutschen Bank um mindestens 30 Prozent klettern, eine Aktie dann mehr als 100 Euro kosten. Damit ist Ackermann der erste Chef des Geldhauses, der sich offen zum Shareholder-Value bekennt. Ein Tabubruch: Sein Vorgänger Breuer versteckte sich hinter dem "Vierklang der Interessen" - Aktionäre, Kunden, Mitarbeiter, Öffentlichkeit.
"Was gut ist für die Deutsche Bank, ist auch gut für Deutschland", hieß es früher. Es war das Motto der Wirtschaftswunderjahre. Charismatische Vorstandssprecher wie Hermann Josef Abs - einer der engsten Berater von Kanzler Konrad Adenauer - prägten das Bild einer Bank, die über beste Beziehungen zur Politik verfügt und diese auch einsetzt. Der Kreditausschuss der Deutschen Bank, argwöhnte der SPD-Politiker Peter Glotz noch 1987, sei "die mächtigste, zugleich aber die am wenigsten kontrollierte und geheimste Entscheidungseinheit der deutschen Wirtschaft". Die Chefs der Deutschen Bank, das waren stets Personen des öffentlichen Lebens, manchmal sogar Visionäre: Alfred Herrhausen, ein guter Freund Helmut Kohls, beriet 1988 den Bund beim Umbau der Brennelementeindustrie; Rolf Breuer forcierte den Ausbau der deutschen Börse zum internationalen Marktplatz; Hilmar Kopper wirbt heute für die Regierung um ausländische Investoren.
Von Visionen will Josef Ackermann nichts wissen. Der Mann gibt sich als Realist. Gespart werden soll, weil der Bank die Kosten davonlaufen: Um überhaupt einen Euro einzunehmen, muss das Geldhaus schon 82 Cent ausgeben. Der Aktienkurs soll steigen, weil die Bank nur der Bilanzsumme nach zu den weltweit Größten zählt. Beim Marktwert aber, der wichtigeren Währung, schafft sie es weltweit gerade so unter die ersten zwanzig. Das macht gleichberechtigte Fusionen oder Kooperationen mit den Großen der Branche unmöglich.

Es sind schlichte Ziele, die Ackermann intern formuliert hat. Doch ausgerechnet der neue Chef könnte schaffen, was weder Kopper noch Breuer gelang: die Revolution zu vollenden, die der ermordete Vorstandssprecher Herrhausen einst begann.
Bereits Mitte der achtziger Jahre kritisiert Herrhausen die mangelnde Größe und Profitabilität der Bank, für die der Heimatmarkt zu klein geworden war. Die Deutsche soll zur europaweiten Universalbank wachsen und - vor allem - eine weltweit agierende Investmentbank werden. Kurz vor seiner Ermordung im November 1989 besiegelt er den Kauf der britischen Investmentbank Morgan Grenfell.
Doch der Erfolg bleibt aus. Die Riege der gelernten Filialbanker im Vorstand versteht nichts vom Investmentbanking, Bankchef Kopper legt die Verantwortung für das Kapitalmarktgeschäft in angelsächsische Hände. Erst der Amerikaner Edson Mitchell - der Ende 2000 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt - bringt das Geschäft auf Vordermann. 1995 wechselt der Händler von Merrill Lynch zur Deutschen Bank und bringt eine Truppe getreuer Gefolgsleute mit. London wird zur Zentrale des Investmentbankings in Europa, Frankfurt verkommt zum regionalen Stützpunkt. "Die Bank hat sich Edson Mitchell gebeugt", sagt ein ehemaliger Bereichsvorstand. "Er brauchte nur mit seinem Abgang zu drohen, schon sind ihm alle Wünsche erfüllt worden."
1996 holt Kopper den bei der Schweizer Großbank Credit Suisse nach einem Streit ausgestiegenen Ackermann und macht ihn zum Vorstand. Ausgerechnet Ackermann - von dem Kollegen behaupten, er könne mit Kritik schlecht umgehen und wolle vor allem geliebt werden - soll die rauen Investmentbanker zähmen. Es gelingt. Auch deshalb, weil Ackermann die Händler in London durch seine unkomplizierte Art für sich gewinnt. Statt im Chefzimmer Hof zu halten, setzt er sich beim ersten Besuch in der britischen Hauptstadt einfach auf einen Tisch mitten im großen Handelsraum und diskutiert mit den Angestellten - undenkbar für einen Vorstand der feinen Deutschen Bank. Geschickt arrangiert sich der Neue mit Mitchell: Ackermann lässt den Starhändler gewähren und hält ihm den Rücken in Frankfurt frei - dafür stärken die Gewinne, die Mitchell einfährt, Ackermanns Position im Vorstand.
1999 übernimmt die Deutsche die US-Investmentbank Bankers Trust. Die geräuscharme Integration gilt als größter Erfolg des Vorstandschefs Breuer. Tatsächlich sind es Ackermann und Mitchell, die aus 13 000 Investmentbankern in New York und 10 000 in London eine Einheit formen.
Josef Ackermann ist ein anderer Typ als der bullige Macher Kopper oder der eloquente Verkäufer Breuer: ruhiger, verschlossener, vorsichtiger. Seine Mitarbeiter schwärmen davon, wie gut Ackermann zuhören kann; dass er zwar viele Meinungen einholt, dann aber zielstrebig eine Richtung verfolgt. Seine Kritiker verweisen auf die kühle Karriereplanung des 54-Jährigen: Er habe immer nur darauf hingearbeitet, irgendwann an der Spitze einer Großbank von Weltformat zu stehen - ganz gleich, welcher.
Wie groß die Macht der von Ackermann geführten Investmentbanker in der Deutschen Bank ist, demonstrieren sie eindrucksvoll im Frühjahr 2000. Die von Vorstandschef Breuer betriebene Fusion mit der Dresdner Bank scheitert am Widerstand aus London. Breuer ist geschwächt, Mitchell und der US-Investmentbanker Michael Philipp ziehen in den Vorstand ein. Im September 2000 fordert Mitchell auf einer Vorstandssitzung die vorzeitige Wahl Ackermanns zum offiziellen Nachfolger von Breuer. So geschieht es dann auch.
Heute ist die Deutsche Bank keine deutsche Bank mehr. Zwei Drittel ihres Geschäfts macht sie außerhalb Deutschlands, nur rund die Hälfte der mehr als 94 000 Mitarbeiter hat den Schreibtisch noch im Bundesgebiet stehen. Unter Investmentbankern gilt das Geldhaus als Flow-Monster - ein Riese am internationalen Kapitalmarkt, der bei fast jeder Transaktion die Finger im Spiel hat. Die Bank übernimmt große Positionen in Anleihen, Devisen oder Derivaten von einem Kunden und verkauft sie an andere Kunden weiter. Der Handelsertrag allein im vergangenen Jahr: mehr als 6 Milliarden Euro.
Ackermann hat die Konzernspitze ganz auf sich zugeschnitten. Er führt die Gesamtbank nach dem gleichen, im Investmentbanking der Deutschen erprobten Modell: Die operative Verantwortung hat eine kleine Gruppe loyaler, doch weisungsabhängiger Manager, denen der Schweizer bedingungslos vertraut. Executive Committee heißt ihr Gremium. Von den acht Bankern besitzen sechs keinen deutschen Pass. Der Vorstand in Frankfurt ist de facto entmachtet. Der letzte verbliebene traditionelle Deutschbanker, Tessen von Heydebreck, darf sich den Personalfragen widmen; zwei andere Vorstände der Ära Breuer, IT-Chef Hermann-Josef Lamberti und Controller Clemens Börsig, hatten als Quereinsteiger sowieso nie eine Hausmacht. Und Ackermanns ambitionierter Konkurrent Thomas R. Fischer hat die Bank im Streit um das Führungsmodell verlassen. "Die Bank hat sich Ackermann ausgeliefert", sagt ein Topmanager. Kein Vorstandssprecher hatte je eine solche Machtfülle, Ausreden gelten nicht mehr. "Jetzt muss er beweisen, dass er damit umgehen kann."
Und dass er mehr im Köcher hat, als nur den Aktienkurs nach oben zu treiben. "Als Programm ist das zu wenig", sagt der Analyst einer französischen Investmentbank. Ackermann scheint es erst einmal zu reichen. Doch seine Ankündigung, die Industriebeteiligungen der Bank rascher als bisher zu verkaufen und mit dem Erlös eigene Aktien zur Kurspflege zu kaufen, stößt unter klassischen Universalbankern der Deutschen auf Unverständnis: Ein Aktienrückkauf steigert zwar den Kurs, nicht jedoch den Marktwert der Bank, weil gleichzeitig die Zahl der gehandelten Aktien sinkt. Das nützt nur den bisherigen Aktionären - zum Beispiel den Investmentbankern, die durch Aktienoptionsprogramme von steigenden Kursen überproportional profitieren.
Rund 4 Milliarden Euro an Provisionen flossen im vergangenen Jahr in die Taschen der Investmentbanker, allein die 100 Höchstbezahlten kassierten 1 Milliarde. Alle Aktionäre der Bank - immerhin ihre Eigentümer - bekamen dagegen insgesamt gerade einmal 800 Millionen Euro an Dividende ausgeschüttet. Die hoch bezahlten Investmentbanker werden wie erfolgreiche Unternehmer entlohnt, tragen aber kein unternehmerisches Risiko. Auch das gab es in der alten Deutschen Bank nicht.
Natürlich kennt der Neue die Kluft zwischen Investment- und Universalbankern, zwischen deutschen Bankern und Deutschbankern. Natürlich weiß er, dass er jetzt integrieren muss. Also beschwichtigt Ackermann intern. Ein Umzug nach London? Kein Thema! Der Verkauf des Filialgeschäfts, wie von ihm auf dem Luxemburger Finanzmarktforum 1999 indirekt gefordert? Vollkommen absurd!
Ackermann rudert zurück, obwohl er genau weiß, dass sich die Bank in den vergangenen fünf Jahren rasanter gewandelt hat als je zuvor; dass der Umbau des Geldhauses unter Kopper und Breuer auch deshalb immer wieder zu Missverständnissen führte, weil sie die Strategien rascher wechselten als ihre Hemden. Den beiden gelang es nie, eine überzeugende Vision von dem zu entwickeln, was die neue Deutsche Bank sein sollte. Kopper und Breuer sind Manager, die ihr Arbeitsleben in der Deutschen Bank und für die Deutsche Bank verbrachten. Sie wollten etwas mit der Deutschen Bank erreichen - das begründet ihren Spagat zwischen Tradition und Moderne, zwischen politischem Einfluss in der Heimat und wirtschaftlicher Größe in der Welt.
Josef Ackermann ist keiner Tradition verpflichtet. Der deutsche Markt ist für ihn interessant, weil die Bank hier einen großen Namen hat und das große Geschäft verspricht - und nicht deshalb, weil es einmal der Heimatmarkt eines nun heimatlosen Geldhauses war.
Fragt man Josef Ackermann nach seinem Vorbild, nennt er seit je Alfred Herrhausen. Doch allein mit dem globalen Manager Ackermann an der Spitze wird die globalisierte Deutsche Bank noch nicht zu dem, was Herrhausen aus ihr machen wollte. "Nur wenn es Ackermann gelingt, den Einfluss der Investmentbank zugunsten der Universalbank zurückzuschneiden, bewegt er sich in Richtung seines Vorbildes", sagt ein hochrangiger Deutschbanker. "Ackermann muss der in der Bank grassierenden Gier und Beliebigkeit eine neue Identität entgegensetzen."
Erst dann wäre die Revolution der Bank im Sinne Herrhausens vollendet.
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