Im Jahr 2008 halten die Deutschen 146 Mrd. Euro in Zertifikaten – fast fünf Mal so viel wie heute
Tatsächlich! Es gibt noch Wachstumsmärkte, in denen Deutschland Weltmarktführer ist. Das Anlagevehikel Zertifikat erlebt seit Jahren einen regelrechten Boom.
Allein im laufenden Jahr werden Zertifikate im Volumen von weit über 100 Milliarden Euro den Besitzer wechseln. Das ist einem Zuwachs von 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Damit sind die Deutschen weltweit spitze im Handel mit Zertifikaten. Die Zahl der börsennotierten Papiere an der Euwax in Stuttgart, dem wichtigsten Handelsplatz für Zertifikate in Deutschland, stieg in den vergangenen drei Jahren von 2820 auf 19407. „In diesen Papieren haben die Deutschen derzeit rund 30 Milliarden Euro investiert", sagt Jens Kleine, Partner der europaweit aktiven Unternehmensberatung ICME Management Consultants und Professor für Finanzdienstleistungen an der Steinbeis-Hochschule in Berlin.
Und ein Ende des rasanten Wachstums ist nicht abzusehen. Kleine bescheinigt dem Zertifikatemarkt in einer Analyse, deren Ergebnisse dem ZertifikateVerlag vorliegen, „hervorragende Absatzperspektiven“: Einer ICME-Studie zufolge werden die Anleger bis zum Jahr 2008 in Deutschland Zertifikate im Gegenwert von für rund 146 Milliarden Euro in ihren Depots halten - fünfmal soviel wie heute.
Zertifikate sind eine ernstzunehmende Konkurrenz zur klassischen Fondsanlage...
Spätestens dann wären Zertifikate eine ernstzunehmende Konkurrenz zu den klassischen Investmentfonds, in denen derzeit 454 Milliarden Euro auf Rendite warten. Auch, weil die Nettomittelzuflüsse der Publikumsfonds dramatisch zurückgehen – in diesem Jahr werden gerade noch elf Milliarden Euro an frischen Mitteln in Fonds fließen. Durch den zunehmenden Wettbewerb durch die Zertifikateindustrie geraten die Fondsanbieter in einen Rechtfertigungszwang vor ihren Anlegern. Fixe Kosten wie Ausgabeaufschläge und Verwaltungsgebühren für Fonds dürften nur dann dauerhaft haltbar sein, wenn der Fonds auch besser abschneidet als sein Vergleichsindex. Sonst ist ein Indexzertifikat die günstigere Alternative.
Zumal die Konkurrenz meist aus dem eigenen Stall kommt. Die Deutsche Bank, ABN Amro, Sal. Oppenheim, die Citigroup, UBS, und die Commerzbank, die sich über 80 Prozent des Zertifikatemarktes teilen, verfügen unisono über eigene Fondstöchter.
...die Papiere sind schneller, preiswerter und transparenter...
Einer der Gründe für den Siegeszug der Zertifikate ist die Flexibilität, die die neuen Investmentprodukte den Anlegern bieten. Mit den fast 20 000 verschiedenen Zertifikaten finden Anleger für praktisch jede Marktmeinung auch ein entsprechendes Zertifikat - unabhängig davon, ob der Käufer von steigenden, fallenden oder stagnierenden Kursen ausgeht. Die meisten der Zertifikatekäufer treffen dabei ihre Anlageentscheidung selbstständig ohne Beratung. Noch bis vor wenigen Jahren hatten Anleger lediglich die Wahl zwischen der klassischen Direktanlage einerseits, um von steigenden Kursen zu profitieren. Auf andere Kursrichtungen konnten Investoren nur mit spekulativen, oft schwer durchschaubaren Optionsscheinen setzen. Etwa 65 Prozent der Angebote entfallen auf Garantieprodukte. Dieser Anteil werde der ICME-Studie zufolge, die sich auf Experteninterviews sowie einer Befragung von 120 Bankberatern stützt, bis zum Jahr 2008 auf 50 Prozent sinken. Dafür werde der Anteil der langfristigen Anlageprodukte wie Index- oder Bonuszertifikate von 30 auf 45 Prozent zunehmen.
...und manchmal zu kompliziert.
Doch das enorme Wachstum von Produkten und Umsätzen im Reich der Zertifikate hat auch Schattenseiten. Sind die Verkaufsschlager wie Discount- Bonus oder Indexzertifikate noch recht einfach zu verstehen, tüfteln die Emissionshäuser immer verwegenere Konstruktionen aus. Die Rendite- und Zinsformeln mancher Zertifikate sind an derart viele Bedingungen geknüpft, dass selbst Profis bisweilen den Überblick verlieren. Das enorme Potenzial der Zertifikate kann deshalb nur gehoben werden, wenn der Markt transparenter wird. Dabei wäre eine Klassifizierung in drei Produktgruppen - Kapitalsicherungs-, Anlage- und Spekulationszertifikate - sinnvoll. Notwendig sind zudem klare Preis- und Gebührenmodelle, da versteckte Kosten den Eindruck von Willkür erwecken und die Kunden abschrecken. Der zunehmende Wettbewerb der Anbieter und der steigende Informationsgrad der Anleger können den Markt in dieser Hinsicht voranbringen. Performancevergleiche und Ratings dürften eine immer wichtigere Rolle spielen.