Es sollte ein Signal für New Yorks Finanzwelt sein: Als Infineon-Chef Ulrich Schumacher am Dienstag vergangener Woche die Schlussglocke an der New York Stock Exchange läutete, beendete er damit nicht nur den Börsenhandel am letzten Tag des Konzern-Geschäftsjahrs. Der Gong sollte die US-Investoren auch auf das neue Infineon-Büro in New York aufmerksam machen. Gute Kontakte zur Wall Street können der Nummer 6 der Halbleiter-Welt nicht schaden: Infineon ist bei US-Investoren bisher nicht sehr beliebt.
Für einen besseren Ruf will Ulrich Schumacher auch auf andere Art sorgen. Der Chef des Münchner Konzerns will - nach drei Jahren im Minus und zwei Milliarden Euro Miesen - im neuen Geschäftsjahr wieder Gewinn machen. EURO sprach mit Schumacher in New York.
EURO: Glaubt man Analysten, wird das neue Geschäftsjahr das erste seit 1999/2000 mit einem positiven Nettoergebnis sein. Sehen Sie das genauso?
SCHUMACHER: Die Prognosen schwanken derzeit sehr stark, weil auch die Vorhersagen zum Wachstum auf dem Halbleitermarkt sehr divergieren. Die Gewinnschätzungen liegen derzeit zwischen 260 und 420 Millionen Euro. Das ist machbar, wenn keine Katastrophen passieren.
EURO: Manche Konkurrenten verdienen über einen kompletten Halbleiterzyklus hinweg Geld. Können Sie das auch?
SCHUMACHER: Wir hatten auch als Halbleitersparte von Siemens keine durchgehend gute Performance. 1999/ 2000 lief sehr gut, dann kam der Absturz, anschließend die Restrukturierung. Jetzt müssen wir während der nächsten zwei, drei Jahre zeigen, dass wir relativ zum Wettbewerb gute Ergebnisse abliefern können. Über eine Zyklusdauer von gewöhnlich fünf Jahren wollen wir im Schnitt auf jeden Fall vernünftige Returns vorweisen.
EURO: Müssen Sie dafür den Anteil des stark schwankenden Speichergeschäfts verringern?
SCHUMACHER: Wir haben immer gesagt, wir wollen ein Drittel Umsatz bei Speichern, zwei Drittel bei den übrigen Sparten, also den Logik-Chips, machen.
EURO: Welchen Marktanteil haben Sie derzeit bei Speichern?
SCHUMACHER: 18 Prozent. Wir wollen aber auf 25 Prozent.
EURO: Der Speicher-Anteil am Umsatz liegt jetzt schon bei 40 Prozent, Tendenz steigend: Der Speicherchip-Markt wächst nach Ihren Prognosen 2004 um 18 Prozent - und Sie wollen Marktanteile gewinnen. Wenn die anderen Bereiche ihren Umsatzanteil erhöhen sollen, dann müssen sie noch schneller wachsen. Schaffen die das?
SCHUMACHER: Ich gebe zu, dass das bei Logik-Chips schwierig ist. Es geht aber: Unser Chipkarten-Geschäft wird in den nächsten Jahren deutlich zulegen. Auch in der Automobilelektronik gewinnen wir massiv Marktanteile, etwa in den USA. Automotive dürfte mit rund 15 Prozent pro Jahr wachsen.
EURO: Sieht so aus, als bliebe Ihnen die starke Zyklik noch ein wenig erhalten. Was passiert bei Chips für Festnetz-Telekommunikation, die Sparte schrieb bis zuletzt massive Verluste?
SCHUMACHER: Die Ergebnisse sind noch nicht zufrieden stellend. Das liegt daran, dass das Geschäft zu klein ist und die Forschungs- und Entwicklungskosten zu stark zu Buche schlagen. Leider wächst der Markt sehr langsam.
EURO: Sie wollten zwischen Juli und September den Break-even erreichen, haben Sie das geschafft?
SCHUMACHER: Wir sind auf jeden Fall besser geworden als im Vorquartal, als wir rund 100 Millionen Euro Verlust gemacht haben.
EURO: Bauen Sie weiter Personal ab?
SCHUMACHER: Sehr wahrscheinlich. Die Forschungskosten sind zu hoch. Hier werden wir wohl reagieren müssen - auch in Deutschland.
EURO: Prozessor-Riese Intel hat Ihrem Konkurrenten Micron jüngst 450 Millionen Dollar zugesichert. Micron dürfte damit seine veraltete Speicherchip-Produktion modernisieren. Schmilzt jetzt Ihr Produktionskostenvorteil dahin?
SCHUMACHER: Unser Vorsprung bei den Produktionskosten wird nicht kleiner. Er wird nur nicht mehr größer.
EURO: Das müssen Sie erklären.
SCHUMACHER: Der Kostenvorteil von rund 30 Prozent, den moderne Produktionstechnik bietet, entsteht ja nicht auf einen Schlag. Die Fehlerquoten müssen auch nach Einführung der neuen Fertigungstechnik kontinuierlich gesenkt werden. Wir haben einen Vorlauf von zwei Jahren. Das kann man nicht von heute auf morgen aufholen.
EURO: Ihr Ergebnis hängt an der Speichersparte. Neben den Kosten entscheidet der Preis. Wie geht es weiter?
SCHUMACHER: Bis zum Jahresende wird der Preis voraussichtlich steigen.
EURO: Und dann?
SCHUMACHER: Das hängt von den Kapazitäten ab. Die Investitionsprogramme von Konkurrenten wie Samsung, Micron oder Elpida sind überschaubar. Dort entstehen keine Überkapazitäten. Die großen Unbekannten sind derzeit die Chinesen. Keine Frage: In China wird viel in Chip-Kapazitäten investiert. Offen ist jedoch, ob sie zur Speicherproduktion eingesetzt werden. Insofern ist es schwierig, eine Preisprognose für 2004 abzugeben.
EURO: Der chinesische Halbleitermarkt soll sich bis 2005 auf 80 Milliarden Dollar Umsatz verdoppeln. Liegt Infineons Zukunft in China?
SCHUMACHER: Wir machen immer noch rund 45 Prozent unseres Jahresumsatzes von sechs Milliarden plus x, also gute drei Milliarden Euro, in Europa. Beim erwarteten Wachstum aber ist China zusammen mit den USA der vielversprechendste Markt. Die Frage nach der Zukunft klingt immer so, als wollten wir unsere Zelte abbrechen.
EURO: Wollen Sie das nicht? Die Diskussion um den Standort Deutschland haben Sie ja selbst angestoßen.
SCHUMACHER: Wir werden in Deutschland alle Hände voll zu tun haben, die Beschäftigung abzusichern - was wir ja wollen. Ein weiterer Aufbau ist aber nicht vorstellbar.
EURO: Die Konzernzentrale wollten Sie ins Ausland verlegen, um Steuern zu sparen. Gibt es schon Konkretes?
SCHUMACHER: Wir werden in jedem Fall künftig nicht mehr so viel Steuern zahlen, wie wir das noch im Jahr 2000 getan haben. Erste Schritte haben wir ja bereits unternommen. Wir haben etwa unsere Automotive-Sparte nach Österreich verlegt, was uns Steuern spart.
EURO: Beeinflusst Schröders Agenda 2010 Ihre Standortentscheidung?
SCHUMACHER: Deutschland braucht eine konzertierte Aktion von Politik, Industrie und Gewerkschaften. Was in Schröders Agenda 2010 drinsteht, ist durchaus sinnvoll - wenn es denn wirklich dazu kommt. Nur, es reicht bei weitem nicht aus.
EURO: Was fordern Sie noch?
SCHUMACHER: Wir brauchen dringend flexiblere Arbeitszeiten.
EURO: Warum?
SCHUMACHER: Die Leute in unserem neuen Entwicklungszentrum in China arbeiten in Schichten sieben Tage in der Woche. Wir sind so mit neuen Produkten doppelt so schnell am Markt. Im Zweifel geht es darum, eine Milliarde Umsatz mit einem neuen Produkt zu machen oder nicht. Das heißt: Abgesehen von der Senkung der eh schon höheren Lohnkosten, sind flexible Arbeitszeiten das Mindeste, was wir in Deutschland erreichen müssen.
EURO: Zahlen Sie bald Dividende?
SCHUMACHER: Das hängt von mehreren Faktoren ab. Zum Beispiel von der Erwartung der Finanzmärkte: Wenn alle unsere Konkurrenten Dividende zahlen, dann müssen wir das berücksichtigen. Fest steht aber noch nichts.
EURO: Erreicht die Aktie wieder den Emissionspreis von 35 Euro?
SCHUMACHER: Ja, daran glaube ich felsenfest.
von Stephan Bauer / Euro am Sonntag
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