Die Trendverderber
Die Musikindustrie, die Modebranche, die Neuen Medien, die Kosmetik-Industrie, der Einzelhandel, die Reiseveranstalter, die Telekommunikationsanbieter, sie alle haben eines gemeinsam: Eine Krise. Die Reihe derer, die es getroffen hat, lässt sich endlos weiterführen, kaum ein Segment in Deutschland, das es nicht erwischt hat. Branchenübergreifende Gründe für die Krise gibt es viele: Der 11. September, die Einführung des Euro, die Flut, die New Economy, der weltweite Abschwung - und Folgen um so mehr: Börsencrashs, Firmenpleiten, Arbeitslosen-Rekordstände, Investorenangst und Bankenrückzug.
Die stockende Entwicklung der Konjunktur in Deutschland hält an. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin geht in seiner aktuellen Konjunkturprognose davon aus, dass in diesem Jahr das Bruttoinlandsprodukt um 0,6 % zunehmen wird. Für das kommende Jahr ist unter den gegebenen Bedingungen ein Wachstum von nicht mehr als 1 % zu erwarten. Maßgeblich für die schwache Konjunktur ist zum einen, dass die Erholung der Weltwirtschaft schleppend verläuft. Zum anderen kommt die Binnennachfrage, seit Jahren die Achillesferse der deutschen Konjunktur, nicht vom Fleck. Frühlingserwachen Fehlanzeige. Und doch gibt es sie noch - Gewinner in Krisenbranchen - trotz oder eben weil Flaute ist.
Eine besonders krisengeschüttelte Branche ist die der Neuen Medien. Wohin man auch schaut, es hagelt digitale Pleiten. Pixelpark, einst der Gipfelstürmer unter den Online-Dienstleistern, hat sich bis an den Rand des Ruins ausgedehnt. Vor kurzem kündigte das einmal über 1000 Mitarbeiter starke Unternehmen an, von den verbliebenen 250 weitere 210 Mitarbeiter entlassen zu wollen. Ein Beispiel von vielen, die Baden gegangen sind. „Wenn man nicht schwimmen kann, ist meistens die Badehose schuld“, kommentiert Christoph Schmeink die Schieflage seiner Branche. Der Gründer und Vorstand der in Düsseldorf ansässigen clicktivities ag ist auf dem Teppich geblieben, wahrscheinlich ist das Jahr 2002 deshalb das beste seit Bestehen - und das war bereits 1994. Fast genauso lange arbeiten die Internet-Profis auch schon für DaimlerChrysler, außerdem für den WDR, SWR, Sal.Oppenheim, smart und die Bayer AG. Was clicktivities anders macht? Der Premium-Internet-Anbieter präsentiert nicht das Brötchen aus dem Laden an der Ecke prominent im Netz und zaubert auch keine out of the box-Standard-Lösungen aus dem Hut. „Wir schaffen maßgeschneiderte Internet-Anwendungen für die Industrie. Das reicht von Knowledgemanagement-Systemen und TV-Internet-Synergien über Internet-Präsenzen bis hin zu Webspecials und Wissensnetzen.“ Mit 80 Mitarbeitern an Bord ist clicktivities klein, aber fein geblieben. Auch in Boom-Zeiten sind sie konservativ gewachsen und haben nicht auf Teufel komm raus expandiert. „Außerdem“, betont Schmeink, „sind wir nicht auf die Lokomotive Börsengang aufgesprungen, obwohl die Banken uns vor 2 Jahren dazu drängen wollten.“ Mit Erfolg. 5,3 Mio. Euro Umsatz verbuchte die clicktivities ag im vergangenen Jahr, für 2003 rechnet Schmeink mit einem 22 % Umsatzplus.
Auch die Firma Puma kann wahrlich nicht klagen. Angesiedelt im Sportartikelbereich war das fränkische Unternehmen seit den 70er Jahren nicht mehr so richtig erfolgreich. Klar, Boris Becker gewann als jüngster und erster Deutscher Wimbledon - in Puma-Schuhen. Und auch vor und nach 1985 fertigte man in Herzogenaurach qualitativ hochwertige Produkte. Puma war nur einfach out, um nicht zu sagen „megaout“. Der schwarze Panther, machte schlapp, „megaschlapp“. Eine Verjüngungskur musste her und die kam 1993 mit Jochen Zeitz. Als erst dreißigjähriger bekam er den Posten als Vorstandsvorsitzender. Von vielen belächelt ob der maroden Unternehmensstruktur, setzten der Entrepreneur und die wiederweckte schwarze Katze an zum großen Sprung und landeten einen Coup. Die Idee: Weg von der Spezialisierung Sportartikel hin zur Lifestyle/Modemarke. Ein derzeit schwieriger Markt. Doch das mutige Rezept ging auf. Die 70er Jahre waren wieder angesagt. Zu Schlaghose und Spitzenhemdkragen lieferte Puma die Schuhe, das Outfit, die Accessoires. Puma ist jetzt so in, dass sogar Madonna Katzentreter trägt und das ganz ohne Werbevertrag – besser geht’s nicht. In Zahlen: 2002 erhöhten sich die Umsätze um 52% auf 909,8 Mio. Euro. Jochen Zeitz hat noch mehr Mut: „Wir werden weiterhin konsequent unser langfristiges Ziel verfolgen, Puma zur begehrtesten Sportlifestyle-Marke zu machen.“
Nächstes Beispiel – die Musikindustrie. Im Dezember 2002 ist der Absatz von Tonträgern in Deutschland im Vergleich zum Vorjahresmonat um mehr als ein Viertel eingebrochen. In dieser Zeit sucht Deutschland den Superstar und noch ehe man ihn gefunden hat, bricht der Abverkauf der Single „We have a dream“ alle Rekorde. Der Produzent dieser CD heißt Dieter Bohlen und auch er ist Gewinnertyp. „Einen Nr.1-Hit verkauft man normalerweise 8000 mal am Tag – auch in besseren Zeiten war das so“, sagt der diplomierte Kaufmann Bohlen. „We have a dream“ hat sich täglich bis zu 65.000 mal verkauft, insgesamt sind bisher 830 000 Exemplare gegen Bares über den Ladentisch gegangen. Thomas M. Stein, Chef von BMG, erklärt, wie Synergien zwischen TV-Format und CD-Abverkäufen entstehen: „Jede Woche findet eine Musiksendung statt und die Leute unterhalten sich darüber. Ob das jetzt BMG, Universal oder jemand anders macht, ist zweitrangig. Es geht darum, dass die Musik wieder einen hohen Aufmerksamkeitsgrad hat. Wir hatten in den letzten Jahren fast 30 Prozent Rückgang, wir müssen etwas tun.“ Der Erfolg von Deutschland sucht den Superstar wie auch der der CD ist geplant. So etwas nennt man integriertes Marketing. Alles muss stimmen. Ein Teil des Ganzen ist Dieter Bohlen. Als Produzent und Angestellter von BMG ist er jeden Euro wert. Das Konzept von BMG, neue Einnahmequellen auszumachen, ist aufgegangen. Gut für die Wirtschaft, schlecht für die Musik.
Ein letztes Beispiel. Die Reisebranche steht auch 1,5 Jahre nach den Anschlägen vom 11. September noch immer unter dem Eindruck der Ereignisse. Hinzu kommt, dass der Stellenwert der Reise für die Verbraucher vor dem Hintergrund der Konjunkturflaute offenbar gesunken ist. Der deutsche Reisemarkt als größter in Europa wird nach Einschätzung des Deutschen Reisebüro- und Reiseveranstalter Verbandes (DRV) in diesem Jahr deutlich mehr als 10 % sinken. Rauf gingen dagegen die Umsatzzahlen für Bernhard Jüttner, Chef der EVR-Reisen aus Chemnitz. Jüttner hat eine Marktnische ausfindig gemacht: Er bietet professionell organisierte Klassenfahrten an. Sein Credo ist ein Zungenbrecher: „Klassenreisen zu klasse Preisen“ – aber es funktioniert. „Der Anteil der organisierten Klassenfahrten nimmt momentan zu, weil viele Lehrer sich zunehmend der Risiken einer Eigenorganisation bewusst werden. Haftungsfragen, Regressforderungen und vor allem der günstigere Einkauf eines Veranstalters sind letztendlich entscheidend für unseren Erfolg.“ Mit bezahlbaren Reisen für Kinder ins In- und Ausland hatte Bernhard Jüttner zur richtigen Zeit den richtigen Riecher. Seine feine Nase beschert ihm 40.000 zahlende Kunden pro Jahr. Waren es im Jahr 2000 noch 3,7 Mio. Euro und 2001 9,6 Mio. Euro, so schloss Jüttner 2002 mit 10,1 Mio. Euro ab.
Trendverderber in Krisenmärkten können klein, mittelständisch oder auch Großkonzern sein. Ein Rezept für den Erfolg gibt es nicht. Ingredienzien wie Mut, Kreativität, Bodenhaftung; Kompetenz und Marktkenntnis scheinen zu helfen und vielen zu schmecken. Wenn die Gäste dennoch ausbleiben, muss man sich was einfallen lassen. Man geht auf den Markt und schaut, was die Leute so einkaufen. Man geht wieder nach Hause und überlegt wie man etwas Gutes besser oder anders machen kann. Ist die Suppe allerdings versalzen, hilft nur noch ein gutes Marketingkonzept.
(c) DIE ZEIT 07/2003
Die Musikindustrie, die Modebranche, die Neuen Medien, die Kosmetik-Industrie, der Einzelhandel, die Reiseveranstalter, die Telekommunikationsanbieter, sie alle haben eines gemeinsam: Eine Krise. Die Reihe derer, die es getroffen hat, lässt sich endlos weiterführen, kaum ein Segment in Deutschland, das es nicht erwischt hat. Branchenübergreifende Gründe für die Krise gibt es viele: Der 11. September, die Einführung des Euro, die Flut, die New Economy, der weltweite Abschwung - und Folgen um so mehr: Börsencrashs, Firmenpleiten, Arbeitslosen-Rekordstände, Investorenangst und Bankenrückzug.
Die stockende Entwicklung der Konjunktur in Deutschland hält an. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin geht in seiner aktuellen Konjunkturprognose davon aus, dass in diesem Jahr das Bruttoinlandsprodukt um 0,6 % zunehmen wird. Für das kommende Jahr ist unter den gegebenen Bedingungen ein Wachstum von nicht mehr als 1 % zu erwarten. Maßgeblich für die schwache Konjunktur ist zum einen, dass die Erholung der Weltwirtschaft schleppend verläuft. Zum anderen kommt die Binnennachfrage, seit Jahren die Achillesferse der deutschen Konjunktur, nicht vom Fleck. Frühlingserwachen Fehlanzeige. Und doch gibt es sie noch - Gewinner in Krisenbranchen - trotz oder eben weil Flaute ist.
Eine besonders krisengeschüttelte Branche ist die der Neuen Medien. Wohin man auch schaut, es hagelt digitale Pleiten. Pixelpark, einst der Gipfelstürmer unter den Online-Dienstleistern, hat sich bis an den Rand des Ruins ausgedehnt. Vor kurzem kündigte das einmal über 1000 Mitarbeiter starke Unternehmen an, von den verbliebenen 250 weitere 210 Mitarbeiter entlassen zu wollen. Ein Beispiel von vielen, die Baden gegangen sind. „Wenn man nicht schwimmen kann, ist meistens die Badehose schuld“, kommentiert Christoph Schmeink die Schieflage seiner Branche. Der Gründer und Vorstand der in Düsseldorf ansässigen clicktivities ag ist auf dem Teppich geblieben, wahrscheinlich ist das Jahr 2002 deshalb das beste seit Bestehen - und das war bereits 1994. Fast genauso lange arbeiten die Internet-Profis auch schon für DaimlerChrysler, außerdem für den WDR, SWR, Sal.Oppenheim, smart und die Bayer AG. Was clicktivities anders macht? Der Premium-Internet-Anbieter präsentiert nicht das Brötchen aus dem Laden an der Ecke prominent im Netz und zaubert auch keine out of the box-Standard-Lösungen aus dem Hut. „Wir schaffen maßgeschneiderte Internet-Anwendungen für die Industrie. Das reicht von Knowledgemanagement-Systemen und TV-Internet-Synergien über Internet-Präsenzen bis hin zu Webspecials und Wissensnetzen.“ Mit 80 Mitarbeitern an Bord ist clicktivities klein, aber fein geblieben. Auch in Boom-Zeiten sind sie konservativ gewachsen und haben nicht auf Teufel komm raus expandiert. „Außerdem“, betont Schmeink, „sind wir nicht auf die Lokomotive Börsengang aufgesprungen, obwohl die Banken uns vor 2 Jahren dazu drängen wollten.“ Mit Erfolg. 5,3 Mio. Euro Umsatz verbuchte die clicktivities ag im vergangenen Jahr, für 2003 rechnet Schmeink mit einem 22 % Umsatzplus.
Auch die Firma Puma kann wahrlich nicht klagen. Angesiedelt im Sportartikelbereich war das fränkische Unternehmen seit den 70er Jahren nicht mehr so richtig erfolgreich. Klar, Boris Becker gewann als jüngster und erster Deutscher Wimbledon - in Puma-Schuhen. Und auch vor und nach 1985 fertigte man in Herzogenaurach qualitativ hochwertige Produkte. Puma war nur einfach out, um nicht zu sagen „megaout“. Der schwarze Panther, machte schlapp, „megaschlapp“. Eine Verjüngungskur musste her und die kam 1993 mit Jochen Zeitz. Als erst dreißigjähriger bekam er den Posten als Vorstandsvorsitzender. Von vielen belächelt ob der maroden Unternehmensstruktur, setzten der Entrepreneur und die wiederweckte schwarze Katze an zum großen Sprung und landeten einen Coup. Die Idee: Weg von der Spezialisierung Sportartikel hin zur Lifestyle/Modemarke. Ein derzeit schwieriger Markt. Doch das mutige Rezept ging auf. Die 70er Jahre waren wieder angesagt. Zu Schlaghose und Spitzenhemdkragen lieferte Puma die Schuhe, das Outfit, die Accessoires. Puma ist jetzt so in, dass sogar Madonna Katzentreter trägt und das ganz ohne Werbevertrag – besser geht’s nicht. In Zahlen: 2002 erhöhten sich die Umsätze um 52% auf 909,8 Mio. Euro. Jochen Zeitz hat noch mehr Mut: „Wir werden weiterhin konsequent unser langfristiges Ziel verfolgen, Puma zur begehrtesten Sportlifestyle-Marke zu machen.“
Nächstes Beispiel – die Musikindustrie. Im Dezember 2002 ist der Absatz von Tonträgern in Deutschland im Vergleich zum Vorjahresmonat um mehr als ein Viertel eingebrochen. In dieser Zeit sucht Deutschland den Superstar und noch ehe man ihn gefunden hat, bricht der Abverkauf der Single „We have a dream“ alle Rekorde. Der Produzent dieser CD heißt Dieter Bohlen und auch er ist Gewinnertyp. „Einen Nr.1-Hit verkauft man normalerweise 8000 mal am Tag – auch in besseren Zeiten war das so“, sagt der diplomierte Kaufmann Bohlen. „We have a dream“ hat sich täglich bis zu 65.000 mal verkauft, insgesamt sind bisher 830 000 Exemplare gegen Bares über den Ladentisch gegangen. Thomas M. Stein, Chef von BMG, erklärt, wie Synergien zwischen TV-Format und CD-Abverkäufen entstehen: „Jede Woche findet eine Musiksendung statt und die Leute unterhalten sich darüber. Ob das jetzt BMG, Universal oder jemand anders macht, ist zweitrangig. Es geht darum, dass die Musik wieder einen hohen Aufmerksamkeitsgrad hat. Wir hatten in den letzten Jahren fast 30 Prozent Rückgang, wir müssen etwas tun.“ Der Erfolg von Deutschland sucht den Superstar wie auch der der CD ist geplant. So etwas nennt man integriertes Marketing. Alles muss stimmen. Ein Teil des Ganzen ist Dieter Bohlen. Als Produzent und Angestellter von BMG ist er jeden Euro wert. Das Konzept von BMG, neue Einnahmequellen auszumachen, ist aufgegangen. Gut für die Wirtschaft, schlecht für die Musik.
Ein letztes Beispiel. Die Reisebranche steht auch 1,5 Jahre nach den Anschlägen vom 11. September noch immer unter dem Eindruck der Ereignisse. Hinzu kommt, dass der Stellenwert der Reise für die Verbraucher vor dem Hintergrund der Konjunkturflaute offenbar gesunken ist. Der deutsche Reisemarkt als größter in Europa wird nach Einschätzung des Deutschen Reisebüro- und Reiseveranstalter Verbandes (DRV) in diesem Jahr deutlich mehr als 10 % sinken. Rauf gingen dagegen die Umsatzzahlen für Bernhard Jüttner, Chef der EVR-Reisen aus Chemnitz. Jüttner hat eine Marktnische ausfindig gemacht: Er bietet professionell organisierte Klassenfahrten an. Sein Credo ist ein Zungenbrecher: „Klassenreisen zu klasse Preisen“ – aber es funktioniert. „Der Anteil der organisierten Klassenfahrten nimmt momentan zu, weil viele Lehrer sich zunehmend der Risiken einer Eigenorganisation bewusst werden. Haftungsfragen, Regressforderungen und vor allem der günstigere Einkauf eines Veranstalters sind letztendlich entscheidend für unseren Erfolg.“ Mit bezahlbaren Reisen für Kinder ins In- und Ausland hatte Bernhard Jüttner zur richtigen Zeit den richtigen Riecher. Seine feine Nase beschert ihm 40.000 zahlende Kunden pro Jahr. Waren es im Jahr 2000 noch 3,7 Mio. Euro und 2001 9,6 Mio. Euro, so schloss Jüttner 2002 mit 10,1 Mio. Euro ab.
Trendverderber in Krisenmärkten können klein, mittelständisch oder auch Großkonzern sein. Ein Rezept für den Erfolg gibt es nicht. Ingredienzien wie Mut, Kreativität, Bodenhaftung; Kompetenz und Marktkenntnis scheinen zu helfen und vielen zu schmecken. Wenn die Gäste dennoch ausbleiben, muss man sich was einfallen lassen. Man geht auf den Markt und schaut, was die Leute so einkaufen. Man geht wieder nach Hause und überlegt wie man etwas Gutes besser oder anders machen kann. Ist die Suppe allerdings versalzen, hilft nur noch ein gutes Marketingkonzept.
(c) DIE ZEIT 07/2003