Mit massiven Steuersenkungen treibt der amerikanische Präsident sein Land in die Verschuldung – und schafft sich eine neue Opposition im Volk
Von Thomas Fischermann
Endlich eine Hilfe für die Arbeitslosen in den USA: Die Bum Card ist da. Patrick Kuharic, 27 Jahre alt und Datenanalyst aus Cambridge/Massachusetts, hat im November seinen Job verloren. Seitdem unterbreitet er seinen Leidensgenossen ein ungewöhnliches Angebot im Internet. Unter www.bumcard.com verkauft er Ausweise, dass man arbeitslos und damit fortan zu den bums zu rechnen ist – den Nichtsnutzen in der amerikanischen Gesellschaft. Ladeninhaber mögen gegen Vorlage der Karte bitte einen Preisabschlag einräumen. „Tausende solcher Ausweise habe ich ausgestellt“, sagt Kuharic. „Jeder will plötzlich ein bum sein.“
Für Amerikas Präsidenten George W. Bush könnte die Flut der nicht ganz freiwilligen Taugenichtse zum größten Risiko seiner Karriere werden. Seit März 2002 pendelt die amerikanische Arbeitslosenquote zwischen 5,7 und 6 Prozent, obwohl sich die Konjunktur allmählich erholt. Zusätzlich verabschiedet sich eine unbekannte Zahl von Amerikanern ganz vom Arbeitsmarkt und damit aus der Statistik. Jared Bernstein vom Economic Policy Institute in Washington sieht für die kommenden Monate keine Besserung voraus: Jobless growth werde es geben, eine Art des Wirtschaftswachstums, die kaum Arbeitsplätze schafft.
Nach wie vor vergeht kaum eine Woche, in der nicht Konzerne neue Massenentlassungen melden. Etliche Unternehmen haben zum Jahresbeginn ihre Gewinnerwartungen zurückgeschraubt. Investitionen sind im ganzen Land für die Zeit nach einem möglichen Krieg am Golf zurückgestellt. Dean Baker und Mark Weisbrot vom Washingtoner Center for Economic and Policy Research haben sogar ausgerechnet, dass in einem Golfkrieg 1,6 Millionen weitere Jobs verschwinden könnten – wenn der Konflikt ungünstig verläuft und sich Monate hinzieht.
Die ganze Welt starrt auf die Konjunkturlokomotive Amerika, aber sie muss sich wohl auf weitere Verspätungen einstellen.
Für Bush selbst bleibt allerdings nicht mehr viel Zeit. Die nächste Präsidentschaftswahl ist auf November 2004 terminiert, und die meisten Amerikaner müssen die Wirtschaftsflaute deutlich ernster nehmen als der selbst ernannte Nichtsnutz Kuharic. „Die Krise hat eine gewaltige Abwärtsspirale in Gang gesetzt“, sagt Jonathan Rosen vom New York Unemployment Project, einer Hilfsorganisation für Arbeitslose. „Ganz normale Mittelklassefamilien lösen ihre Altersrücklagen auf, junge Arbeitslose ziehen zu den Eltern zurück, die Ehefrau wird zum Arbeiten zu Starbucks geschickt.“
Schon jetzt bekommt der Präsident in Umfragen immer schlechtere Noten für seine Wirtschaftspolitik. Selbst aus Unternehmerkreisen schallt ihm laute Kritik entgegen. „Die Arbeitslosenquote muss bei der Wahl nahe fünf Prozent liegen, sonst gerät Bushs Wiederwahl in Gefahr“, meint Roger Kubarych, Ökonom am Council on Foreign Relations in New York. „Dafür braucht er im kommenden Jahr vier Prozent Wirtschaftswachstum. Reichlich ehrgeizig.“
Ehrgeiz freilich hat Bush, nicht nur im Kampf gegen das Böse in der Welt. Nach zwei Stimulierungsprogrammen für die Wirtschaft und drei Budgetentwürfen seit seiner Wahl im Jahr 2000 sind klare Konturen von Bushonomics zu erkennen. Der Präsident will der schwachen Wirtschaft mit einer Radikalkur auf die Beine helfen und orientiert sich dazu an Rezepten aus der Ära Reagan. Damals hatten die so genannten supply side economics Konjunktur, und Bush folgt ihren Verschreibungen bis ins Detail. Im kommenden Jahrzehnt soll der Staat auf drei Billionen Dollar Steuereinnahmen verzichten, das wäre fast ein Drittel eines jährlichen amerikanischen Bruttoinlandsprodukts. Damit würde Bush Parteifreund Reagan übertrumpfen – und findet den Beifall konservativer Ökonomen. „Es ist sinnvoll, Reagans Erfolg zu wiederholen und unser Steuersystem freundlicher zu gestalten“, meint Robert Barro, Wirtschaftswissenschaftler an der Harvard-Universität.
Ein weiteres Indiz für die neue, alte Zeit: Arthur Laffer ist wieder in Mode, der ehemalige Berater Reagans. Die Konservativen in Washington nutzen seine berühmte „Laffer-Kurve“ erneut als theoretische Unterfütterung: Steuersenkungen können die Wirtschaft so stark anfeuern, dass der Staat am Ende mehr Steuern einnimmt als zuvor. In den ökonomischen Lehrbüchern zählt die Kurve zu den Klassikern – allerdings als eine Theorie, die sich in der Praxis nicht bewiesen hat. In den Reagan-Jahren lebte Amerika in großem Stil auf Pump. Erst Mitte der Neunziger fegten der New-Economy-Boom und die Sparsamkeit der Clinton-Ära die gewaltigen Defizite weg, die sich zuvor aufgetürmt hatten.
Fürs Erste rechnet die Bush-Administration sogar selbst mit saftigen Defiziten. Allein im Jahr 2004 könnten die jüngsten Budgetvorschläge des Präsidenten ein Loch von 300 Milliarden Dollar in die Kassen reißen, also knapp drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts – europäische Verhältnisse in Amerika, wo man vor wenigen Jahren noch das Ende der Staatsverschuldung debattierte. Günstigere Projektionen der Regierung für die Jahre danach gelten als überoptimistisch, zumal noch niemand die Kosten eines Irak-Krieges einkalkuliert hat. „Binnen eines Jahrzehnts könnten die USA mit einer ähnlichen Haushaltslage dastehen wie Brasilien vor einem Jahr“, wettert der Ökonom Paul Krugman. Doch im Weißen Haus gelten rote Zahlen nicht mehr als Problem. Sogar Bushs neuer Finanzminister John Snow, der früher als scharfer Kritiker von Haushaltsdefiziten galt, erklärte gerade der Business Week: „Wir könnten ein Defizit von zwei Prozent (des Bruttoinlandsprodukts) in alle Ewigkeit laufen lassen und würden die Finanzmärkte damit nicht aus der Ruhe bringen.“
Muss Amerika – und der Rest der Welt – also den Atem anhalten, während die Bush-Regierung ein wirtschaftspolitisches Experiment aus der Reagan-Ära wiederholt? Einen Aufschwung auf Pump, mit gefährlichen Folgen für die amerikanische Staatsverschuldung, für Inflation und Zinsen? Eine Gruppe von 400 Ökonomen, darunter zehn Nobelpreisträger, glaubt das jedenfalls. Die Experten wandten sich vergangene Woche mit einem geharnischten Protestbrief an die amerikanische Presse. Bushs Pläne dienten einer „permanenten Veränderung der Steuerstruktur“, hieß es darin, „und nicht der kurzfristigen Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum“. Die Folge seien „chronische Defizite“.
Tatsächlich ist sich eine beachtliche Zahl von Ökonomen einig: Bushonomics sei ein besonders ineffizientes Rezept für die Rettung der amerikanischen Konjunktur. Krisenzeiten brauchten massive und schnell wirkende Konjunkturspritzen, am besten durch Ausgabenprogramme. Die auf lange Frist angelegte Senkung der Steuern hätte im Augenblick keine Priorität, auch wenn man sie aus anderen Gründen sinnvoll finden könne. Extrageld vom Staat solle vor allem ärmeren Amerikanern und Arbeitslosen vom Schlage Kuharics zugute kommen. Nicht wegen der Gerechtigkeit, sondern aus ökonomischen Gründen: Ärmere Leute stecken neues Geld größteneils in den Konsum und heizen ihrerseits die Wirtschaft an.
Von den Plänen des Präsidenten profitieren dagegen vor allem Großverdiener. Besonders entlasten sie diejenigen, die Bush zur „Investorenklasse“ zählt. Zu den Eckpunkten seiner Steuerpolitik gehören die Abschaffung der Dividendensteuer und großzügige Steuerbefreiungen für private Ersparnisse. Mittelfristig wollen manche Berater des Präsidenten sogar noch einen Schritt weiter gehen: hin zu einem Steuersystem, das nur noch Abgaben auf den Verbrauch erhebt und alles andere unbesteuert lässt.
Inzwischen bekommt sogar mancher Partei-freund Bushs im Senat und Abgeordnetenhaus kalte Füße, weil die Bürger in den Wahlkreisen murren oder weil sie selbst unkontrollierbare Defizite fürchten. Notenbankchef Alan Greenspan, der in weiten Teilen des Finanzestablishments immer noch als Quasigott verehrt wird, verurteilte in der vergangenen Woche die Pläne des Präsidenten. Noch ein Ankurbelungsprogramm für die Wirtschaft sei „verfrüht“, sorgte sich der Notenbankchef in rarer Offenheit, es drohe eine Abwärtsspirale in immer neue Defizite. Andere Kritiker verweisen auf die möglichen hohen Kosten eines Irak-Krieges und darauf, dass gegen Ende des Jahrzehnts die Kohorte der Babyboomer in den Ruhestand tritt. Dafür müsse vorgesorgt werden. Doch Bush gibt erst mal den Reichen. „Allein die Steuerkürzungen im diesjährigen Budget sind schon größer als das Rentendefizit der kommenden 75 Jahre“, sagt William Gale von der Brookings-Institution in Washington.
Auf Dauer wird die Lage der amerikanischen Haushaltskassen davon abhängen, wie weit Bush seine Reform in den kommenden Jahren noch treibt. Will er mit dreistelligen Milliardendefiziten leben, zumindest für die Zeit der Wirtschaftsflaute? „Dieser zusätzliche Stimulus würde sogar Keynesianern gefallen“, sagt Willi Semmler, Ökonom an der New School University in New York, „auch wenn man dafür plädieren würde, das Geld zielgerichteter auszugeben.“ Oder will er einen anderen Trick aus der Ära Reagans wiederholen? Der hatte sich die wachsenden Defizite später zunutze gemacht, um massive Einsparungen bei den Ausgaben – vor allem in den Sozialetats – zu begründen.
Bush selbst hat sich bislang nicht gerade als Sparkünstler hervorgetan. Die Ausgaben für das Militär und die Innere Sicherheit sind nach oben geschnellt. Und Beobachter in Washington rechnen in den kommenden Monaten noch mit der Verteilung von reichlich pork – weiteren politischen Gefälligkeiten für Wahlkreisabgeordnete und Interessengruppen, die schon im Budget des vergangenen Jahres großzügig bedient wurden.
Derart funktioniert das politische Spiel in Washington: George W. Bush ist als ein harter Verhandlungsführer bekannt, der frei nach der Art arabischer Basare erst eine Maximalforderung vorlegt. Danach lässt er sich herunterhandeln. Diesmal rechnen Beobachter mit einem besonders harten Kampf – schon weil es Skepsis in den eigenen Reihen gibt. Außerdem muss der Präsident das Programm zügig durchpeitschen, wenn es noch vor den Präsidentschaftswahlen Erfolge zeigen soll.
So kommt es, dass Bushs Pläne schon jetzt etliche vorbeugende Zugeständnisse an die Demokraten enthalten, die sein Paket andernfalls blockieren könnten – mehr Geld für Schulen zum Beispiel, Hilfen für Arbeitslose, Mittel für die Aids-Forschung. Neue werden hinzukommen, mit anderen Worten: zusätzliche, direkte Staatsausgaben. Genau das also, was es sich Bushs Kritiker zum Ankurbeln der Wirtschaft wünschen. Das Schließen der Haushaltslöcher geschieht dann eben später. Vielleicht.
Von Thomas Fischermann
Endlich eine Hilfe für die Arbeitslosen in den USA: Die Bum Card ist da. Patrick Kuharic, 27 Jahre alt und Datenanalyst aus Cambridge/Massachusetts, hat im November seinen Job verloren. Seitdem unterbreitet er seinen Leidensgenossen ein ungewöhnliches Angebot im Internet. Unter www.bumcard.com verkauft er Ausweise, dass man arbeitslos und damit fortan zu den bums zu rechnen ist – den Nichtsnutzen in der amerikanischen Gesellschaft. Ladeninhaber mögen gegen Vorlage der Karte bitte einen Preisabschlag einräumen. „Tausende solcher Ausweise habe ich ausgestellt“, sagt Kuharic. „Jeder will plötzlich ein bum sein.“
Für Amerikas Präsidenten George W. Bush könnte die Flut der nicht ganz freiwilligen Taugenichtse zum größten Risiko seiner Karriere werden. Seit März 2002 pendelt die amerikanische Arbeitslosenquote zwischen 5,7 und 6 Prozent, obwohl sich die Konjunktur allmählich erholt. Zusätzlich verabschiedet sich eine unbekannte Zahl von Amerikanern ganz vom Arbeitsmarkt und damit aus der Statistik. Jared Bernstein vom Economic Policy Institute in Washington sieht für die kommenden Monate keine Besserung voraus: Jobless growth werde es geben, eine Art des Wirtschaftswachstums, die kaum Arbeitsplätze schafft.
Nach wie vor vergeht kaum eine Woche, in der nicht Konzerne neue Massenentlassungen melden. Etliche Unternehmen haben zum Jahresbeginn ihre Gewinnerwartungen zurückgeschraubt. Investitionen sind im ganzen Land für die Zeit nach einem möglichen Krieg am Golf zurückgestellt. Dean Baker und Mark Weisbrot vom Washingtoner Center for Economic and Policy Research haben sogar ausgerechnet, dass in einem Golfkrieg 1,6 Millionen weitere Jobs verschwinden könnten – wenn der Konflikt ungünstig verläuft und sich Monate hinzieht.
Die ganze Welt starrt auf die Konjunkturlokomotive Amerika, aber sie muss sich wohl auf weitere Verspätungen einstellen.
Für Bush selbst bleibt allerdings nicht mehr viel Zeit. Die nächste Präsidentschaftswahl ist auf November 2004 terminiert, und die meisten Amerikaner müssen die Wirtschaftsflaute deutlich ernster nehmen als der selbst ernannte Nichtsnutz Kuharic. „Die Krise hat eine gewaltige Abwärtsspirale in Gang gesetzt“, sagt Jonathan Rosen vom New York Unemployment Project, einer Hilfsorganisation für Arbeitslose. „Ganz normale Mittelklassefamilien lösen ihre Altersrücklagen auf, junge Arbeitslose ziehen zu den Eltern zurück, die Ehefrau wird zum Arbeiten zu Starbucks geschickt.“
Schon jetzt bekommt der Präsident in Umfragen immer schlechtere Noten für seine Wirtschaftspolitik. Selbst aus Unternehmerkreisen schallt ihm laute Kritik entgegen. „Die Arbeitslosenquote muss bei der Wahl nahe fünf Prozent liegen, sonst gerät Bushs Wiederwahl in Gefahr“, meint Roger Kubarych, Ökonom am Council on Foreign Relations in New York. „Dafür braucht er im kommenden Jahr vier Prozent Wirtschaftswachstum. Reichlich ehrgeizig.“
Ehrgeiz freilich hat Bush, nicht nur im Kampf gegen das Böse in der Welt. Nach zwei Stimulierungsprogrammen für die Wirtschaft und drei Budgetentwürfen seit seiner Wahl im Jahr 2000 sind klare Konturen von Bushonomics zu erkennen. Der Präsident will der schwachen Wirtschaft mit einer Radikalkur auf die Beine helfen und orientiert sich dazu an Rezepten aus der Ära Reagan. Damals hatten die so genannten supply side economics Konjunktur, und Bush folgt ihren Verschreibungen bis ins Detail. Im kommenden Jahrzehnt soll der Staat auf drei Billionen Dollar Steuereinnahmen verzichten, das wäre fast ein Drittel eines jährlichen amerikanischen Bruttoinlandsprodukts. Damit würde Bush Parteifreund Reagan übertrumpfen – und findet den Beifall konservativer Ökonomen. „Es ist sinnvoll, Reagans Erfolg zu wiederholen und unser Steuersystem freundlicher zu gestalten“, meint Robert Barro, Wirtschaftswissenschaftler an der Harvard-Universität.
Ein weiteres Indiz für die neue, alte Zeit: Arthur Laffer ist wieder in Mode, der ehemalige Berater Reagans. Die Konservativen in Washington nutzen seine berühmte „Laffer-Kurve“ erneut als theoretische Unterfütterung: Steuersenkungen können die Wirtschaft so stark anfeuern, dass der Staat am Ende mehr Steuern einnimmt als zuvor. In den ökonomischen Lehrbüchern zählt die Kurve zu den Klassikern – allerdings als eine Theorie, die sich in der Praxis nicht bewiesen hat. In den Reagan-Jahren lebte Amerika in großem Stil auf Pump. Erst Mitte der Neunziger fegten der New-Economy-Boom und die Sparsamkeit der Clinton-Ära die gewaltigen Defizite weg, die sich zuvor aufgetürmt hatten.
Fürs Erste rechnet die Bush-Administration sogar selbst mit saftigen Defiziten. Allein im Jahr 2004 könnten die jüngsten Budgetvorschläge des Präsidenten ein Loch von 300 Milliarden Dollar in die Kassen reißen, also knapp drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts – europäische Verhältnisse in Amerika, wo man vor wenigen Jahren noch das Ende der Staatsverschuldung debattierte. Günstigere Projektionen der Regierung für die Jahre danach gelten als überoptimistisch, zumal noch niemand die Kosten eines Irak-Krieges einkalkuliert hat. „Binnen eines Jahrzehnts könnten die USA mit einer ähnlichen Haushaltslage dastehen wie Brasilien vor einem Jahr“, wettert der Ökonom Paul Krugman. Doch im Weißen Haus gelten rote Zahlen nicht mehr als Problem. Sogar Bushs neuer Finanzminister John Snow, der früher als scharfer Kritiker von Haushaltsdefiziten galt, erklärte gerade der Business Week: „Wir könnten ein Defizit von zwei Prozent (des Bruttoinlandsprodukts) in alle Ewigkeit laufen lassen und würden die Finanzmärkte damit nicht aus der Ruhe bringen.“
Muss Amerika – und der Rest der Welt – also den Atem anhalten, während die Bush-Regierung ein wirtschaftspolitisches Experiment aus der Reagan-Ära wiederholt? Einen Aufschwung auf Pump, mit gefährlichen Folgen für die amerikanische Staatsverschuldung, für Inflation und Zinsen? Eine Gruppe von 400 Ökonomen, darunter zehn Nobelpreisträger, glaubt das jedenfalls. Die Experten wandten sich vergangene Woche mit einem geharnischten Protestbrief an die amerikanische Presse. Bushs Pläne dienten einer „permanenten Veränderung der Steuerstruktur“, hieß es darin, „und nicht der kurzfristigen Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum“. Die Folge seien „chronische Defizite“.
Tatsächlich ist sich eine beachtliche Zahl von Ökonomen einig: Bushonomics sei ein besonders ineffizientes Rezept für die Rettung der amerikanischen Konjunktur. Krisenzeiten brauchten massive und schnell wirkende Konjunkturspritzen, am besten durch Ausgabenprogramme. Die auf lange Frist angelegte Senkung der Steuern hätte im Augenblick keine Priorität, auch wenn man sie aus anderen Gründen sinnvoll finden könne. Extrageld vom Staat solle vor allem ärmeren Amerikanern und Arbeitslosen vom Schlage Kuharics zugute kommen. Nicht wegen der Gerechtigkeit, sondern aus ökonomischen Gründen: Ärmere Leute stecken neues Geld größteneils in den Konsum und heizen ihrerseits die Wirtschaft an.
Von den Plänen des Präsidenten profitieren dagegen vor allem Großverdiener. Besonders entlasten sie diejenigen, die Bush zur „Investorenklasse“ zählt. Zu den Eckpunkten seiner Steuerpolitik gehören die Abschaffung der Dividendensteuer und großzügige Steuerbefreiungen für private Ersparnisse. Mittelfristig wollen manche Berater des Präsidenten sogar noch einen Schritt weiter gehen: hin zu einem Steuersystem, das nur noch Abgaben auf den Verbrauch erhebt und alles andere unbesteuert lässt.
Inzwischen bekommt sogar mancher Partei-freund Bushs im Senat und Abgeordnetenhaus kalte Füße, weil die Bürger in den Wahlkreisen murren oder weil sie selbst unkontrollierbare Defizite fürchten. Notenbankchef Alan Greenspan, der in weiten Teilen des Finanzestablishments immer noch als Quasigott verehrt wird, verurteilte in der vergangenen Woche die Pläne des Präsidenten. Noch ein Ankurbelungsprogramm für die Wirtschaft sei „verfrüht“, sorgte sich der Notenbankchef in rarer Offenheit, es drohe eine Abwärtsspirale in immer neue Defizite. Andere Kritiker verweisen auf die möglichen hohen Kosten eines Irak-Krieges und darauf, dass gegen Ende des Jahrzehnts die Kohorte der Babyboomer in den Ruhestand tritt. Dafür müsse vorgesorgt werden. Doch Bush gibt erst mal den Reichen. „Allein die Steuerkürzungen im diesjährigen Budget sind schon größer als das Rentendefizit der kommenden 75 Jahre“, sagt William Gale von der Brookings-Institution in Washington.
Auf Dauer wird die Lage der amerikanischen Haushaltskassen davon abhängen, wie weit Bush seine Reform in den kommenden Jahren noch treibt. Will er mit dreistelligen Milliardendefiziten leben, zumindest für die Zeit der Wirtschaftsflaute? „Dieser zusätzliche Stimulus würde sogar Keynesianern gefallen“, sagt Willi Semmler, Ökonom an der New School University in New York, „auch wenn man dafür plädieren würde, das Geld zielgerichteter auszugeben.“ Oder will er einen anderen Trick aus der Ära Reagans wiederholen? Der hatte sich die wachsenden Defizite später zunutze gemacht, um massive Einsparungen bei den Ausgaben – vor allem in den Sozialetats – zu begründen.
Bush selbst hat sich bislang nicht gerade als Sparkünstler hervorgetan. Die Ausgaben für das Militär und die Innere Sicherheit sind nach oben geschnellt. Und Beobachter in Washington rechnen in den kommenden Monaten noch mit der Verteilung von reichlich pork – weiteren politischen Gefälligkeiten für Wahlkreisabgeordnete und Interessengruppen, die schon im Budget des vergangenen Jahres großzügig bedient wurden.
Derart funktioniert das politische Spiel in Washington: George W. Bush ist als ein harter Verhandlungsführer bekannt, der frei nach der Art arabischer Basare erst eine Maximalforderung vorlegt. Danach lässt er sich herunterhandeln. Diesmal rechnen Beobachter mit einem besonders harten Kampf – schon weil es Skepsis in den eigenen Reihen gibt. Außerdem muss der Präsident das Programm zügig durchpeitschen, wenn es noch vor den Präsidentschaftswahlen Erfolge zeigen soll.
So kommt es, dass Bushs Pläne schon jetzt etliche vorbeugende Zugeständnisse an die Demokraten enthalten, die sein Paket andernfalls blockieren könnten – mehr Geld für Schulen zum Beispiel, Hilfen für Arbeitslose, Mittel für die Aids-Forschung. Neue werden hinzukommen, mit anderen Worten: zusätzliche, direkte Staatsausgaben. Genau das also, was es sich Bushs Kritiker zum Ankurbeln der Wirtschaft wünschen. Das Schließen der Haushaltslöcher geschieht dann eben später. Vielleicht.