EBay-Chefin Whitman über die Zukunft des E-Commerce
Meg Whitman, 44, Chefin des Online-Auktionshauses EBay, über die Schuldigen des Börsencrashs und die weltweite Expansion ihres Unternehmens, das als eines von ganz wenigen im Internet Geld verdient.
SPIEGEL: Frau Whitman, der wichtigste Glaubenssatz der New-Economy-Jünger lautete: Das Internet wird die ganze Welt verändern. Gilt das noch?
Whitman: Der Glaubenssatz hat doch längst begonnen, Realität zu werden. Wir befinden uns am Beginn der Internet-Revolution, die alles umkrempeln wird: unsere Art, Geschäfte zu machen, miteinander zu kommunizieren und auch den Umgang mit Behörden, Politikern und Freunden.
SPIEGEL: Der zweite Glaubenssatz lautete: Eine Firma muss so schnell wachsen wie möglich, Speed, Speed, Speed. Hat das auch noch Gültigkeit?
AP
EBay-Chefin Meg Whitman
Whitman: Dieser Glaubenssatz war falsch. Heute bezweifelt niemand mehr: Die Einnahmen müssen rascher steigen als die Kosten. An dieses Gesetz hat sich in den vergangenen zwei Jahren leider fast niemand gehalten.
SPIEGEL: Man muss keine Gewinne machen, war die dritte Botschaft im Evangelium der New Economy.
Auktionen im Internet
sind die Spezialität des 1995 von dem gebürtigen Franzosen Pierre Omidyar gegründeten Web-Dienstleisters EBay. Täglich kommen Produkte im Wert von gut 20 Millionen Dollar unter den virtuellen Hammer der aus dem kalifornischen Silicon Valley gesteuerten Firma. Dabei ist Deutschland nach den USA inzwischen der wichtigste Markt für EBay. Durch Verkaufsprovisionen und andere Gebühren, die EBay bei seinen fast 30 Millionen registrierten Nutzern kassiert, erzielte die Firma allein im ersten Quartal 2001 einen Umsatz von 154 Millionen Dollar. Und anders als die meisten Internet-Firmen macht das seit 1998 von der früheren Walt-Disney-Managerin Margaret ("Meg") Whitman, 44, geführte Unternehmen bislang kontinuierlich Gewinn.
Whitman: Auch falsch. Und es waren, daran darf ich Sie erinnern, nicht alle Firmen, die diesem Credo folgten. Wir bei EBay wollten von Anfang an profitabel arbeiten. Ich habe unseren Leuten immer gesagt: Ihr müsst mit dem Geld so umgehen, als wäre es euer eigenes.
SPIEGEL: Der elektronische Handel wird die traditionelle Geschäftswelt ersetzen oder doch zumindest im Kern beschädigen, glaubten viele.
Whitman: Der Satz stimmt nicht und stimmte nie. Läden und Versandhäuser wird es immer geben. Das Internet ist nur ein zusätzlicher Vertriebskanal.
SPIEGEL: Glaubenssatz Nummer fünf lautete: Die Angestellten brauchen weder ein hohes Gehalt noch Sozialleistungen. Stattdessen gibt es doch Aktien und Aktienoptionen.
Whitman: Für die Startphase einer Firma war das die richtige Methode, um hohe Kosten zu vermeiden und um die Leute zu motivieren. Aber spätestens nach dem Börsengang müssen Sie wie eine Traditionsfirma richtige Gehälter zahlen. Die Leute wollen vernünftig leben, und sie müssen ordentlich abgesichert sein gegen große Risiken wie zum Beispiel Krankheit.
SPIEGEL: Die schlichte Erkenntnis, dass die New Economy im Wesentlichen nach denselben Gesetzen funktioniert wie die so genannte Old Economy, hat lange gebraucht, um sich durchzusetzen. Viel Anlegergeld wurde zwischendurch vernichtet. Allein an der Nasdaq und am Neuen Markt sind die Aktionäre seit den Höchstständen um etwa 6,4 Billionen Mark erleichtert worden. Wer ist schuld an dieser Spekulationsblase?
Whitman: Die Anleger hatten einfach zu großen Appetit auf Technologiefirmen mit scheinbar wachstumsträchtigen Geschäftsmodellen und steigenden Umsätzen. Kein Wunder, sage ich zu ihrer Entschuldigung, denn selbst die Wagniskapitalgeber hatten ja ihre bewährten Finanzierungsmodelle ausgesetzt und kleinen Start-ups bereits am ersten Tag 20 bis 30 Millionen Dollar anvertraut.
SPIEGEL: Wann haben Sie eigentlich selbst erkannt, dass da irgendetwas nicht stimmen konnte?
DER SPIEGEL
Whitman: Als Palm, ein Hersteller von digitalen Notizbüchern, im März 2000 an die Börse ging und schon am ersten Tag mehr wert war als seine Muttergesellschaft 3Com. Ich habe an meinem Schreibtisch in San Jose gesessen und gedacht: So kann das nicht weitergehen. Das ist doch Irrsinn. Das widerspricht doch jeder ökonomischen Vernunft. Es war eine Euphorie, wie ich sie in 25 Berufsjahren nicht erlebt habe und die wir so nie wieder erleben werden. Der Schock sitzt bei allen Beteiligten tief, bei Anlegern, Firmenchefs und Bankern.
SPIEGEL: Sollte man jetzt nicht wenigstens über strengere Regeln an den Wachstumsbörsen nachdenken, damit sich ein solcher kollektiver Wahnsinn nicht wiederholen kann?
Whitman: Nein, das regelt der Markt von allein. Die Banken und die anderen Beteiligten haben ihre Lektion gelernt - schließlich hat jeder dabei extrem viel Geld verloren ...
SPIEGEL: ... außer den Online-Gurus von einst, die wie Amazon-Gründer Jeff Bezos im richtigen Moment Anteile verkauft haben.
Whitman: Jeff hat 20 Millionen Dollar aus der Firma genommen. Das mag zwar viel Geld sein, ist aber nur ein winziger Teil seines Aktienpakets, das auf dem Höhepunkt sieben Milliarden Dollar wert war.
SPIEGEL: Sie selbst haben ja auch nicht gerade gelitten. Vor wenigen Jahren noch Abteilungsleiterin beim Spielwarenproduzenten Hasbro und kurz darauf bei EBay reichste Managerin der Welt mit einem Vermögen ...
Whitman: ... aber nur auf dem Papier ...
SPIEGEL: ... im Gesamtwert von gut 1,2 Milliarden Dollar.
Whitman: Das war einmal. Auch für dieses Wahnsinnsgehalt gilt: Das kommt nicht mehr wieder.
SPIEGEL: Scheint Ihnen diese Form der Bezahlung mit Aktienoptionen, die Gehälter in Traumhöhen überhaupt erst ermöglicht, nicht selbst ein bisschen aberwitzig?
Whitman: Vergessen Sie nicht: EBay ist eines der wenigen reinen E-Commerce-Unternehmen weltweit, das wirklich profitabel ist. Unsere Gewinne steigen selbst jetzt in der Krise. Wir wollten nie schnell Kasse machen und unseren Laden verkaufen, wir wollten ihn langfristig aufstellen.
SPIEGEL: Die meisten Ihrer Mitstreiter dachten an das schnelle Geld. Ihr Kollege Jeff Dachis von der Internet-Agentur Razorfish hat die Stimmung vor zwei Jahren so beschrieben: "Es gibt Schafe, und es gibt Schäfer. Ich bevorzuge es, ein Schäfer zu sein."
Whitman: Die Internet-Manager waren damals ja so euphorisch, dass sie ihren eigenen Hype geglaubt haben.
SPIEGEL: Damals kaufte man im Silicon Valley Bücher mit so schönen Titeln wie "Gier ist gut".
DER SPIEGEL
Whitman: Sie haben ja Recht: Viele Leute haben geglaubt, sie seien so gut, wie ihre Firma einen kurzen Moment lang zu sein schien. Aber bitte werfen Sie nicht alle in einen Topf: EBay war und ist eine Firma, die auf solides Wachstum und auf Profitabilität programmiert ist. Wir waren in keiner Sekunde größenwahnsinnig. Im Gegensatz zu vielen anderen findet unser Geschäft ausschließlich im Netz statt: Unsere Kunden bringen ihr Produkt selbst mit, sie antworten selbst auf die Beschwerden ihrer Geschäftspartner, und sie verpacken und verschicken das Produkt selbst. Bei uns gilt die simple Regel: Wir fassen keine Ware an. EBay ist eine globale Kommunikationsplattform und eine weltweit bekannte Marke - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
SPIEGEL: Die Kunden machen also das, was normalerweise Ihr Job wäre: Waren einkaufen, Waren verpacken und verschicken. Selbst die Rechnung schreibt jeder selbst.
Whitman: Genau so funktioniert unser Geschäftsmodell. Wir brauchen weder Lager noch Versand, Lastwagen und auch keine Produktmanager. Wir stellen bloß die technologische Plattform zur Verfügung und bringen Käufer und Verkäufer zusammen.
SPIEGEL: Das klingt so, als sei Amazon dagegen eher ein Traditionskonzern der Old Economy.
Whitman: Genau so ist es. Amazon ist ein Versandhaus mit angeschlossener Website. Wir bei EBay haben ein Geschäftsmodell, das ohne das Internet überhaupt nicht funktionieren würde. Wir sind eine lupenreine Internet-Firma. Viele andere könnten ihr Business auch offline betreiben. Wenn Sie wie Amazon Bücher und Videos über das Web verkaufen, nutzen Sie im Grunde nur einen neuen Vertriebskanal.
SPIEGEL: Kann man damit Ihrer Meinung nach Geld verdienen?
Whitman: Amazon ist die weltweit bekannteste Marke im E-Commerce. Jetzt müssen sie dort hart arbeiten, um die Kosten in den Griff zu bekommen. Ich glaube, sie werden es schaffen, ich weiß nur nicht, wann.
SPIEGEL: Wenn nicht, wird Jeff Bezos seine Firma womöglich an einen klassischen Versandkonzern verkaufen müssen.
Whitman: Er ist der Boss, und er kennt sein Geschäft. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Er hat eine riesige Kraftanstrengung zu bewältigen.
SPIEGEL: Selbst die früher erfolgreiche Suchmaschine Yahoo macht inzwischen Verluste. Sehen wir hier den nächsten Übernahmekandidaten?
Whitman: Der neue Vorstandschef Terry Semel hat viel zu tun, um das Werbeaufkommen wieder zu steigern und neue Einnahmequellen zu erschließen. Ich bin sicher, in zwei Jahren sind sie noch auf dem Markt, wenn auch nicht mehr so stark wie früher.
SPIEGEL: Bücher, Staubsauger, Katzenfutter und Gebrauchtwagen - im Internet wurde alles zum Kauf angeboten, und fast alles ist gescheitert. Warum hat der E-Commerce nicht funktioniert?
Web-Auktion bei EBay: "Gewaltiges Potenzial"
Whitman: Einspruch! Unsere Kunden werden in diesem Jahr Autos im Wert von rund einer Milliarde Dollar über EBay versteigern. 50 Prozent von ihnen kaufen ihr gebrauchtes Auto sogar außerhalb ihrer Heimatregion. Ich selbst habe erst lernen müssen: Für einen New Yorker kann es sich durchaus lohnen, einen Toyota Corolla von 1986 in Kalifornien zu ersteigern - die Überführung kostet nur 500 Dollar.
SPIEGEL: Nichts ist unmöglich. Dennoch: Was bleibt übrig vom Internet?
Whitman: Das Internet ist dabei, eine Reihe von Branchen tief greifend zu verändern - Napster ist da ein gutes Beispiel. Der Austausch digitaler Musikdateien übers Netz ist ein geniales Konzept. Es funktioniert ähnlich wie unser Geschäftsmodell: Das Internet ist Kommunikationsplattform, die Firma produziert nicht, verpackt und verschickt nichts - nur digitale Dateien. Doch während wir schon von unserem ersten Tag an Gebühren kassiert haben, ist Napster immer noch umsonst. Die spannende Frage wird sein, ob es Bertelsmann mit Napster gelingt, von den Musik-Freaks auch Geld zu kassieren.
SPIEGEL: Die Erfahrung zeigt aber: Die meisten Menschen gehen immer noch am liebsten zum Shoppen in die Stadt. In Europa, das deutlich dichter besiedelt ist als die USA, fehlen womöglich die Voraussetzungen für den elektronischen Handel. Selbst Firmen wie EBay haben auf dem alten Kontinent noch nie Gewinn gemacht.
Whitman: Abwarten. Wir stehen kurz davor. Deutschland ist unser wichtigster und erfolgreichster Markt außerhalb der USA und wird uns im nächsten Jahr Gewinne bringen. Als ich noch bei Disney gearbeitet habe, musste man in jedem Land eine eigene Marketing-, Finanz-, Rechts- und Personalabteilung aufbauen. Bei EBay können wir die gesamte Technik aus San Jose in Kalifornien erledigen, was uns auf der Kostenseite wirklich hilft.
SPIEGEL: Der Börsenabsturz hat den Expansionsdrang vieler Internet-Firmen etwas gedämpft. Pixelpark und Intershop zogen sich weitgehend aus Amerika zurück. Soll EBay nun langsamer wachsen?
Whitman: In den letzten sechs Monaten haben wir unser Geschäft von 6 auf 19 Staaten ausgeweitet; die müssen wir jetzt erst einmal integrieren. Wir sind inzwischen fast überall in Europa Marktführer. Allein in Deutschland klicken jeden Monat 2,5 Millionen Menschen unsere Seiten an.
SPIEGEL: Klicken ist nicht Kaufen. Gerade die Deutschen sind neugierig, schauen auf Ihrer Seite gern vorbei. Aber haben sie nicht am Ende eher Angst, ein Handy, ein Auto oder gar ein Haus im Internet zu ersteigern, ohne es je gesehen und geprüft zu haben?
Whitman: Da irren Sie sich gewaltig. Unser Konzept funktioniert in den USA und in Kanada, in Deutschland, Korea und Japan. Wahrscheinlich ist es genetisch bedingt, dass wir so gern handeln. Natürlich gibt es Unterschiede: Deutsche ersteigern gern Wein, Amerikaner lieber einen gebrauchten Jeep. Und es gibt noch ein gewaltiges Marktpotenzial. Münz- und Briefmarkensammler zum Beispiel kaufen noch zu 96 Prozent in den kleinen Geschäften an der Ecke und in Katalogen.
SPIEGEL: Und beim Auktionshaus soll es bleiben? Oder reizt es Sie, auch in das normale E-Commerce-Geschäft mit Festpreisen einzusteigen?
Whitman: Na klar. Wir lassen schon heute Partner mit ihren Online-Shops auf unsere Website. Aber mit dem Lagern, Vermarkten und dem Versenden von Waren werden wir uns nie abgeben. Meine Strategie ist klar: Auktionshaus plus Festpreisverkäufe, das ist die Zukunft, EBay soll zu einer führenden E-Commerce-Marke ausgebaut werden, die weltweit neue und gebrauchte Sachen handelt.
SPIEGEL: Das klingt nach einem Frontalangriff auf den Branchenführer Amazon.
Whitman: Nicht wirklich. Der Markt bietet genug Platz für mehrere Anbieter. Aber die Geschäftsmodelle sind unterschiedlich.
SPIEGEL: Und Sie selbst kaufen auch fleißig online ein?
Whitman: Fast die ganze Kleidung meiner Kinder, Bücher und CDs. Gerade habe ich Bettwäsche und Handtücher bestellt. Und natürlich die Ausrüstung fürs Skifahren, fürs Tennisspielen und alle Sachen für mein liebstes Hobby - das Fliegenfischen.
SPIEGEL: Frau Whitman, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
(SPIEGEL ONLINE)
Meg Whitman, 44, Chefin des Online-Auktionshauses EBay, über die Schuldigen des Börsencrashs und die weltweite Expansion ihres Unternehmens, das als eines von ganz wenigen im Internet Geld verdient.
SPIEGEL: Frau Whitman, der wichtigste Glaubenssatz der New-Economy-Jünger lautete: Das Internet wird die ganze Welt verändern. Gilt das noch?
Whitman: Der Glaubenssatz hat doch längst begonnen, Realität zu werden. Wir befinden uns am Beginn der Internet-Revolution, die alles umkrempeln wird: unsere Art, Geschäfte zu machen, miteinander zu kommunizieren und auch den Umgang mit Behörden, Politikern und Freunden.
SPIEGEL: Der zweite Glaubenssatz lautete: Eine Firma muss so schnell wachsen wie möglich, Speed, Speed, Speed. Hat das auch noch Gültigkeit?
AP
EBay-Chefin Meg Whitman
Whitman: Dieser Glaubenssatz war falsch. Heute bezweifelt niemand mehr: Die Einnahmen müssen rascher steigen als die Kosten. An dieses Gesetz hat sich in den vergangenen zwei Jahren leider fast niemand gehalten.
SPIEGEL: Man muss keine Gewinne machen, war die dritte Botschaft im Evangelium der New Economy.
Auktionen im Internet
sind die Spezialität des 1995 von dem gebürtigen Franzosen Pierre Omidyar gegründeten Web-Dienstleisters EBay. Täglich kommen Produkte im Wert von gut 20 Millionen Dollar unter den virtuellen Hammer der aus dem kalifornischen Silicon Valley gesteuerten Firma. Dabei ist Deutschland nach den USA inzwischen der wichtigste Markt für EBay. Durch Verkaufsprovisionen und andere Gebühren, die EBay bei seinen fast 30 Millionen registrierten Nutzern kassiert, erzielte die Firma allein im ersten Quartal 2001 einen Umsatz von 154 Millionen Dollar. Und anders als die meisten Internet-Firmen macht das seit 1998 von der früheren Walt-Disney-Managerin Margaret ("Meg") Whitman, 44, geführte Unternehmen bislang kontinuierlich Gewinn.
Whitman: Auch falsch. Und es waren, daran darf ich Sie erinnern, nicht alle Firmen, die diesem Credo folgten. Wir bei EBay wollten von Anfang an profitabel arbeiten. Ich habe unseren Leuten immer gesagt: Ihr müsst mit dem Geld so umgehen, als wäre es euer eigenes.
SPIEGEL: Der elektronische Handel wird die traditionelle Geschäftswelt ersetzen oder doch zumindest im Kern beschädigen, glaubten viele.
Whitman: Der Satz stimmt nicht und stimmte nie. Läden und Versandhäuser wird es immer geben. Das Internet ist nur ein zusätzlicher Vertriebskanal.
SPIEGEL: Glaubenssatz Nummer fünf lautete: Die Angestellten brauchen weder ein hohes Gehalt noch Sozialleistungen. Stattdessen gibt es doch Aktien und Aktienoptionen.
Whitman: Für die Startphase einer Firma war das die richtige Methode, um hohe Kosten zu vermeiden und um die Leute zu motivieren. Aber spätestens nach dem Börsengang müssen Sie wie eine Traditionsfirma richtige Gehälter zahlen. Die Leute wollen vernünftig leben, und sie müssen ordentlich abgesichert sein gegen große Risiken wie zum Beispiel Krankheit.
SPIEGEL: Die schlichte Erkenntnis, dass die New Economy im Wesentlichen nach denselben Gesetzen funktioniert wie die so genannte Old Economy, hat lange gebraucht, um sich durchzusetzen. Viel Anlegergeld wurde zwischendurch vernichtet. Allein an der Nasdaq und am Neuen Markt sind die Aktionäre seit den Höchstständen um etwa 6,4 Billionen Mark erleichtert worden. Wer ist schuld an dieser Spekulationsblase?
Whitman: Die Anleger hatten einfach zu großen Appetit auf Technologiefirmen mit scheinbar wachstumsträchtigen Geschäftsmodellen und steigenden Umsätzen. Kein Wunder, sage ich zu ihrer Entschuldigung, denn selbst die Wagniskapitalgeber hatten ja ihre bewährten Finanzierungsmodelle ausgesetzt und kleinen Start-ups bereits am ersten Tag 20 bis 30 Millionen Dollar anvertraut.
SPIEGEL: Wann haben Sie eigentlich selbst erkannt, dass da irgendetwas nicht stimmen konnte?
DER SPIEGEL
Whitman: Als Palm, ein Hersteller von digitalen Notizbüchern, im März 2000 an die Börse ging und schon am ersten Tag mehr wert war als seine Muttergesellschaft 3Com. Ich habe an meinem Schreibtisch in San Jose gesessen und gedacht: So kann das nicht weitergehen. Das ist doch Irrsinn. Das widerspricht doch jeder ökonomischen Vernunft. Es war eine Euphorie, wie ich sie in 25 Berufsjahren nicht erlebt habe und die wir so nie wieder erleben werden. Der Schock sitzt bei allen Beteiligten tief, bei Anlegern, Firmenchefs und Bankern.
SPIEGEL: Sollte man jetzt nicht wenigstens über strengere Regeln an den Wachstumsbörsen nachdenken, damit sich ein solcher kollektiver Wahnsinn nicht wiederholen kann?
Whitman: Nein, das regelt der Markt von allein. Die Banken und die anderen Beteiligten haben ihre Lektion gelernt - schließlich hat jeder dabei extrem viel Geld verloren ...
SPIEGEL: ... außer den Online-Gurus von einst, die wie Amazon-Gründer Jeff Bezos im richtigen Moment Anteile verkauft haben.
Whitman: Jeff hat 20 Millionen Dollar aus der Firma genommen. Das mag zwar viel Geld sein, ist aber nur ein winziger Teil seines Aktienpakets, das auf dem Höhepunkt sieben Milliarden Dollar wert war.
SPIEGEL: Sie selbst haben ja auch nicht gerade gelitten. Vor wenigen Jahren noch Abteilungsleiterin beim Spielwarenproduzenten Hasbro und kurz darauf bei EBay reichste Managerin der Welt mit einem Vermögen ...
Whitman: ... aber nur auf dem Papier ...
SPIEGEL: ... im Gesamtwert von gut 1,2 Milliarden Dollar.
Whitman: Das war einmal. Auch für dieses Wahnsinnsgehalt gilt: Das kommt nicht mehr wieder.
SPIEGEL: Scheint Ihnen diese Form der Bezahlung mit Aktienoptionen, die Gehälter in Traumhöhen überhaupt erst ermöglicht, nicht selbst ein bisschen aberwitzig?
Whitman: Vergessen Sie nicht: EBay ist eines der wenigen reinen E-Commerce-Unternehmen weltweit, das wirklich profitabel ist. Unsere Gewinne steigen selbst jetzt in der Krise. Wir wollten nie schnell Kasse machen und unseren Laden verkaufen, wir wollten ihn langfristig aufstellen.
SPIEGEL: Die meisten Ihrer Mitstreiter dachten an das schnelle Geld. Ihr Kollege Jeff Dachis von der Internet-Agentur Razorfish hat die Stimmung vor zwei Jahren so beschrieben: "Es gibt Schafe, und es gibt Schäfer. Ich bevorzuge es, ein Schäfer zu sein."
Whitman: Die Internet-Manager waren damals ja so euphorisch, dass sie ihren eigenen Hype geglaubt haben.
SPIEGEL: Damals kaufte man im Silicon Valley Bücher mit so schönen Titeln wie "Gier ist gut".
DER SPIEGEL
Whitman: Sie haben ja Recht: Viele Leute haben geglaubt, sie seien so gut, wie ihre Firma einen kurzen Moment lang zu sein schien. Aber bitte werfen Sie nicht alle in einen Topf: EBay war und ist eine Firma, die auf solides Wachstum und auf Profitabilität programmiert ist. Wir waren in keiner Sekunde größenwahnsinnig. Im Gegensatz zu vielen anderen findet unser Geschäft ausschließlich im Netz statt: Unsere Kunden bringen ihr Produkt selbst mit, sie antworten selbst auf die Beschwerden ihrer Geschäftspartner, und sie verpacken und verschicken das Produkt selbst. Bei uns gilt die simple Regel: Wir fassen keine Ware an. EBay ist eine globale Kommunikationsplattform und eine weltweit bekannte Marke - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
SPIEGEL: Die Kunden machen also das, was normalerweise Ihr Job wäre: Waren einkaufen, Waren verpacken und verschicken. Selbst die Rechnung schreibt jeder selbst.
Whitman: Genau so funktioniert unser Geschäftsmodell. Wir brauchen weder Lager noch Versand, Lastwagen und auch keine Produktmanager. Wir stellen bloß die technologische Plattform zur Verfügung und bringen Käufer und Verkäufer zusammen.
SPIEGEL: Das klingt so, als sei Amazon dagegen eher ein Traditionskonzern der Old Economy.
Whitman: Genau so ist es. Amazon ist ein Versandhaus mit angeschlossener Website. Wir bei EBay haben ein Geschäftsmodell, das ohne das Internet überhaupt nicht funktionieren würde. Wir sind eine lupenreine Internet-Firma. Viele andere könnten ihr Business auch offline betreiben. Wenn Sie wie Amazon Bücher und Videos über das Web verkaufen, nutzen Sie im Grunde nur einen neuen Vertriebskanal.
SPIEGEL: Kann man damit Ihrer Meinung nach Geld verdienen?
Whitman: Amazon ist die weltweit bekannteste Marke im E-Commerce. Jetzt müssen sie dort hart arbeiten, um die Kosten in den Griff zu bekommen. Ich glaube, sie werden es schaffen, ich weiß nur nicht, wann.
SPIEGEL: Wenn nicht, wird Jeff Bezos seine Firma womöglich an einen klassischen Versandkonzern verkaufen müssen.
Whitman: Er ist der Boss, und er kennt sein Geschäft. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen. Er hat eine riesige Kraftanstrengung zu bewältigen.
SPIEGEL: Selbst die früher erfolgreiche Suchmaschine Yahoo macht inzwischen Verluste. Sehen wir hier den nächsten Übernahmekandidaten?
Whitman: Der neue Vorstandschef Terry Semel hat viel zu tun, um das Werbeaufkommen wieder zu steigern und neue Einnahmequellen zu erschließen. Ich bin sicher, in zwei Jahren sind sie noch auf dem Markt, wenn auch nicht mehr so stark wie früher.
SPIEGEL: Bücher, Staubsauger, Katzenfutter und Gebrauchtwagen - im Internet wurde alles zum Kauf angeboten, und fast alles ist gescheitert. Warum hat der E-Commerce nicht funktioniert?
Web-Auktion bei EBay: "Gewaltiges Potenzial"
Whitman: Einspruch! Unsere Kunden werden in diesem Jahr Autos im Wert von rund einer Milliarde Dollar über EBay versteigern. 50 Prozent von ihnen kaufen ihr gebrauchtes Auto sogar außerhalb ihrer Heimatregion. Ich selbst habe erst lernen müssen: Für einen New Yorker kann es sich durchaus lohnen, einen Toyota Corolla von 1986 in Kalifornien zu ersteigern - die Überführung kostet nur 500 Dollar.
SPIEGEL: Nichts ist unmöglich. Dennoch: Was bleibt übrig vom Internet?
Whitman: Das Internet ist dabei, eine Reihe von Branchen tief greifend zu verändern - Napster ist da ein gutes Beispiel. Der Austausch digitaler Musikdateien übers Netz ist ein geniales Konzept. Es funktioniert ähnlich wie unser Geschäftsmodell: Das Internet ist Kommunikationsplattform, die Firma produziert nicht, verpackt und verschickt nichts - nur digitale Dateien. Doch während wir schon von unserem ersten Tag an Gebühren kassiert haben, ist Napster immer noch umsonst. Die spannende Frage wird sein, ob es Bertelsmann mit Napster gelingt, von den Musik-Freaks auch Geld zu kassieren.
SPIEGEL: Die Erfahrung zeigt aber: Die meisten Menschen gehen immer noch am liebsten zum Shoppen in die Stadt. In Europa, das deutlich dichter besiedelt ist als die USA, fehlen womöglich die Voraussetzungen für den elektronischen Handel. Selbst Firmen wie EBay haben auf dem alten Kontinent noch nie Gewinn gemacht.
Whitman: Abwarten. Wir stehen kurz davor. Deutschland ist unser wichtigster und erfolgreichster Markt außerhalb der USA und wird uns im nächsten Jahr Gewinne bringen. Als ich noch bei Disney gearbeitet habe, musste man in jedem Land eine eigene Marketing-, Finanz-, Rechts- und Personalabteilung aufbauen. Bei EBay können wir die gesamte Technik aus San Jose in Kalifornien erledigen, was uns auf der Kostenseite wirklich hilft.
SPIEGEL: Der Börsenabsturz hat den Expansionsdrang vieler Internet-Firmen etwas gedämpft. Pixelpark und Intershop zogen sich weitgehend aus Amerika zurück. Soll EBay nun langsamer wachsen?
Whitman: In den letzten sechs Monaten haben wir unser Geschäft von 6 auf 19 Staaten ausgeweitet; die müssen wir jetzt erst einmal integrieren. Wir sind inzwischen fast überall in Europa Marktführer. Allein in Deutschland klicken jeden Monat 2,5 Millionen Menschen unsere Seiten an.
SPIEGEL: Klicken ist nicht Kaufen. Gerade die Deutschen sind neugierig, schauen auf Ihrer Seite gern vorbei. Aber haben sie nicht am Ende eher Angst, ein Handy, ein Auto oder gar ein Haus im Internet zu ersteigern, ohne es je gesehen und geprüft zu haben?
Whitman: Da irren Sie sich gewaltig. Unser Konzept funktioniert in den USA und in Kanada, in Deutschland, Korea und Japan. Wahrscheinlich ist es genetisch bedingt, dass wir so gern handeln. Natürlich gibt es Unterschiede: Deutsche ersteigern gern Wein, Amerikaner lieber einen gebrauchten Jeep. Und es gibt noch ein gewaltiges Marktpotenzial. Münz- und Briefmarkensammler zum Beispiel kaufen noch zu 96 Prozent in den kleinen Geschäften an der Ecke und in Katalogen.
SPIEGEL: Und beim Auktionshaus soll es bleiben? Oder reizt es Sie, auch in das normale E-Commerce-Geschäft mit Festpreisen einzusteigen?
Whitman: Na klar. Wir lassen schon heute Partner mit ihren Online-Shops auf unsere Website. Aber mit dem Lagern, Vermarkten und dem Versenden von Waren werden wir uns nie abgeben. Meine Strategie ist klar: Auktionshaus plus Festpreisverkäufe, das ist die Zukunft, EBay soll zu einer führenden E-Commerce-Marke ausgebaut werden, die weltweit neue und gebrauchte Sachen handelt.
SPIEGEL: Das klingt nach einem Frontalangriff auf den Branchenführer Amazon.
Whitman: Nicht wirklich. Der Markt bietet genug Platz für mehrere Anbieter. Aber die Geschäftsmodelle sind unterschiedlich.
SPIEGEL: Und Sie selbst kaufen auch fleißig online ein?
Whitman: Fast die ganze Kleidung meiner Kinder, Bücher und CDs. Gerade habe ich Bettwäsche und Handtücher bestellt. Und natürlich die Ausrüstung fürs Skifahren, fürs Tennisspielen und alle Sachen für mein liebstes Hobby - das Fliegenfischen.
SPIEGEL: Frau Whitman, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
(SPIEGEL ONLINE)