Wagniskapitalgeber und -Anleger sind heutzutage nicht mehr bereit, wackeligen, defizitären Internet-Klitschen ihr gutes Geld hinterherzuwerfen? Von wegen! In den USA findet derzeit eine bizarre Dot.com-Renaissance statt.
Time-Cover mit Amazon-Chef Jeff Bezos: Einer der wenigen Heroen von einst, die überlebt haben
Hamburg - Als Paypal.com Mitte Februar 2002 an die Börse ging, fühlte man sich an die guten alten Boom-Zeiten erinnert. Das amerikanische Internet-Unternehmen, das den Zahlungsverkehr auf Auktionsseiten wie eBay erleichtert, hatte im vierten Quartal 2001 bei einem Umsatz von 40,4 Millionen Dollar stolze 18,5 Millionen Verlust gemacht.
Statt Gewinnen bot Paypal.com potenziellen Anlegern gleich mehrere kaum bezifferbare geschäftliche Risiken. Zum Zeitpunkt des Börsengangs schwelte ein Rechtsstreit mit dem Konkurrenzunternehmen CertCo, der Paypal nach Meinung von Analysten vom Markt hätte fegen können. Zudem ist das Geschäftsmodell so schlicht, dass es inzwischen von mehreren Konkurrenten kopiert wird.
Die Anleger focht das nicht an - sie zeichneten en masse. Der Kurs sprang am Tag der Erstnotierung zeitweise um mehr als 50 Prozent in die Höhe. Paypals erfolgreiches Börsendebüt galt vielen Marktbeobachtern zunächst als Einzelfall. "Wer jetzt auf ein Revival des Dot.com-Booms hofft, wird enttäuscht werden", stelle das britische Wirtschaftsmagazin "Economist" nüchtern fest. Zwar rechnet kaum jemand ernsthaft mit einem neuen Dot.com-Boom, doch inzwischen ist spürbar: Es gibt ein Leben nach der Blase.
Party like it's 1999?
Indiz Nummer eins: Dot.com-Geschäftsmodelle, die noch vor kurzem als ausgemachter Blödsinn galten, sind plötzlich wieder en vogue. Am deutlichsten wird das beim Online-Einzelhandel, den so genannten Etailers. Die hatte die Finanzwelt eigentlich schon abgeschrieben - zu sehr hatten sich Millionenpleiten wie Webvan.com (Online-Gemüse) oder Pets.com (Online-Katzenstreu) ins kollektive Gedächtnis der Wall Street eingebrannt.
Inzwischen trauen sich einzelne Etailer sogar wieder, an die Börse zu gehen. Overstock.com aus Salt Lake City hat kürzlich bei der US-Börsenaufsicht SEC Unterlagen für sein IPO eingereicht. Das Geschäftsmodell ist nicht gerade aufregend: Overstock.com verkauft Restposten übers Internet. Der Netto-Verlust betrug 2001 bei 35,2 Millionen Dollar Umsatz satte 13,8 Millionen.
Manchmal kommen sie wieder
Aktie des Online-Supermarkts Webvan: Wer hätte gedacht, dass es einen Relaunch solch wahnwitziger Geschäftsmodelle gibt?
Indiz Nummer zwei: Wagniskapitalgeber sind wieder bereit, Dot.com-Start-ups zu finanzieren. "Jetzt ist ein großartiger Zeitpunkt, um neue Unternehmen zu gründen", schwärmt etwa Heidi Roizen von Mobius Venture Capital in "Newsweek". Nach einer Studie von PriceWaterhouseCoopers (PWC) hat die US-Wagniskapital-Branche im vierten Quartal des Jahres 2001 erstmals seit 15 Monaten wieder mehr Geld in junge Firmen investiert. "Der freie Fall ist vorüber", meint Tracy Lefteroff von PWC, "das ist jetzt wieder der Normalzustand."
Sogar bereits Verstorbene werden von den Venture Capitalists (VCs) reanimiert. Furniture.com war bereits im November 2000 auf spektakuläre Weise Pleite gegangen - der Möbelversand hatte 2,5 Millionen Dollar ausgegeben, bevor die Gründer endlich herausfanden, dass ihr avisierter Spediteur UPS gar nicht in der Lage war, Möbel auszuliefern. Macht nichts, auf ein Neues: Einige ehemalige Furniture.com-Mitarbeiter kauften den Markennamen und gründeten das Unternehmen neu - mit finanzieller Unterstützung eines offenbar sehr, sehr mutigen VCs.
Die üblichen Verdächtigen von der Street
Weitere Dot.com-Börsengänge sind in der Pipeline. Unter anderem plant das Unternehmen Netflix.com eine Erstnotierung an der Nasdaq. Das Geschäftsmodell der Kalifornier hätte vor kurzem noch für schallendes Gelächter gesorgt: Netflix.com verleiht DVD-Kassetten. Übers Internet.
Indiz Nummer drei: Auch die großen Wall-Street-Investmentbanken wittern Morgenluft. Merrill Lynch, unlängst wegen der Hip-Hip-Hurra-Analysen seines ehemaligen Internet-Papstes Henry Blodget ins Gerede gekommen, engagiert sich wieder im Dot.com-Sektor: Beim Netflix-IPO wird Merrill Konsortialführer sein.
Furniture.com wollte während des Internetbooms einen profitablen Online-Möbelhandel aufziehen. Weil das nicht geklappt hat, versuchen es einige Ex-Angestellte einfach noch einmal.
Furniture.com: Nur nicht aufgeben, wenn's nicht gleich klappt
Margaret Whelan, Möbelanalystin (so was gibt es) bei UBS, macht sehr deutlich, was sie von Online-Möbelhändlern hält: nichts. "Möbel sind ein Produkt, das der Konsument anfassen, fühlen und sehen muss", so Whelan gegenüber dem "Wall Street Journal".
In den Boom-Zeiten verhallten solche kleinlichen Einwände ungehört. Das 1998 gegründete Unternehmen Furniture.com schickte sich an, den amerikanischen Möbelmarkt von hinten aufzurollen. Nach zwei Jahren und größeren Anlaufschwierigkeiten machte das Unternehmen immerhin 80 Millionen Dollar Umsatz und war der nach eigenen Angaben "67.-größte Möbel-Einzelhändler" in den USA.
Im November 2000 war dennoch Schluss. Zum einen hatte das Unternehmen für den Bau von Lagerhallen und Infrastruktur viel zu hohe Summen ausgegeben. Zum anderen gab es massive Serviceprobleme. Kunden berichteten von Wartezeiten von bis zu sieben Monaten. In der Zeit können sogar viel beschäftigte Menschen zehnmal zum Möbelhaus am Stadtrand fahren.
· Homepage von Furniture.com
2001 gründeten mehrere Ex-Mitarbeiter das Unternehmen neu. Das Geschäftskonzept wurde überarbeitet. Die Webseite Furniture.com soll ab sofort als Informationsportal fungieren, über das klassische Möbelhändler ihre Waren feilbieten können. Ganze zwei Partner konnte das Dot.com bereits akquirieren. Findet der Kunde sein Traumsofa, kann er sich auf der Webseite auch gleich den Spediteur aussuchen, der es anliefert.
Vielleicht liegt Möbelanalystin Whelan ja falsch, und es klappt beim zweiten Anlauf. Laut Forrester Research sind in den USA Online-Verkäufe von Möbeln im vierten Quartal 2001 im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum um etwa 30 Prozent auf 211 Millionen Dollar angestiegen.
Netflix vermietet Videos über das Internet. Auf den ersten Blick wirkt diese Geschäftsidee reichlich gaga - dennoch scheint sie zu funktionieren.
CEO Reed Hastings: "Regelmäßige Lieferungen - wie Milch oder die Zeitung"
Netflix ist nicht das erste Unternehmen, das versucht, Videos über das Internet zu vermieten - und wäre auch nicht das erste, das damit in die Grütze geht. Ähnliche Projekte wie etwa Express.com kämpfen derzeit ums Überleben.
Netflix setzt nicht auf Breitbandtechnologie oder Stream-Formate. Die Videos kommen ganz schnöde als DVD per Post zum Kunden. Das klingt zunächst nicht sehr überzeugend: Wer will schon tagelang auf eine CD warten?
Eine ganze Menge Leute. Netflix hat nach eigenen Angaben bereits 300.000 Kunden in den USA und anderen Ländern, Tendenz rapide steigend. Der Clou des Konzepts: Mitglieder zahlen eine Pauschalgebühr von 20 Dollar pro Monat. Dafür dürfen sie eine unbegrenzte Anzahl an Filmen ausleihen und diese so lange behalten wie sie möchten.
· Homepage von Netflix
Einzige Beschränkung. Kein Kunde darf mehr als drei Filme auf einmal haben. Das Verfahren erinnert entfernt an einen Lesezirkel: Der Kunde trägt auf der Netflix-Webseite ein, welche Filme er gerne sehen möchte. Nachdem er eine der konsumierten DVDs per vorfrankiertem, mitgeliefertem Umschlag an Netflix zurückgeschickt hat, erhält er einen neuen Streifen aus seiner Wunschliste.
Ursprünglich glich Netflix einer normalen Videothek, es gab keine Pauschalpreise. Das alte Geschäftsmodell trieb das Unternehmen beinahe in den Ruin. "Uns war klar, dass es einer grundlegenden Änderung bedurfte", so CEO Reed Hastings. "Jetzt sind wir eher wie HBO als wie Amazon, mit einer Prise AOL."
Gruß
Happy End
Time-Cover mit Amazon-Chef Jeff Bezos: Einer der wenigen Heroen von einst, die überlebt haben
Hamburg - Als Paypal.com Mitte Februar 2002 an die Börse ging, fühlte man sich an die guten alten Boom-Zeiten erinnert. Das amerikanische Internet-Unternehmen, das den Zahlungsverkehr auf Auktionsseiten wie eBay erleichtert, hatte im vierten Quartal 2001 bei einem Umsatz von 40,4 Millionen Dollar stolze 18,5 Millionen Verlust gemacht.
Statt Gewinnen bot Paypal.com potenziellen Anlegern gleich mehrere kaum bezifferbare geschäftliche Risiken. Zum Zeitpunkt des Börsengangs schwelte ein Rechtsstreit mit dem Konkurrenzunternehmen CertCo, der Paypal nach Meinung von Analysten vom Markt hätte fegen können. Zudem ist das Geschäftsmodell so schlicht, dass es inzwischen von mehreren Konkurrenten kopiert wird.
Die Anleger focht das nicht an - sie zeichneten en masse. Der Kurs sprang am Tag der Erstnotierung zeitweise um mehr als 50 Prozent in die Höhe. Paypals erfolgreiches Börsendebüt galt vielen Marktbeobachtern zunächst als Einzelfall. "Wer jetzt auf ein Revival des Dot.com-Booms hofft, wird enttäuscht werden", stelle das britische Wirtschaftsmagazin "Economist" nüchtern fest. Zwar rechnet kaum jemand ernsthaft mit einem neuen Dot.com-Boom, doch inzwischen ist spürbar: Es gibt ein Leben nach der Blase.
Party like it's 1999?
Indiz Nummer eins: Dot.com-Geschäftsmodelle, die noch vor kurzem als ausgemachter Blödsinn galten, sind plötzlich wieder en vogue. Am deutlichsten wird das beim Online-Einzelhandel, den so genannten Etailers. Die hatte die Finanzwelt eigentlich schon abgeschrieben - zu sehr hatten sich Millionenpleiten wie Webvan.com (Online-Gemüse) oder Pets.com (Online-Katzenstreu) ins kollektive Gedächtnis der Wall Street eingebrannt.
Inzwischen trauen sich einzelne Etailer sogar wieder, an die Börse zu gehen. Overstock.com aus Salt Lake City hat kürzlich bei der US-Börsenaufsicht SEC Unterlagen für sein IPO eingereicht. Das Geschäftsmodell ist nicht gerade aufregend: Overstock.com verkauft Restposten übers Internet. Der Netto-Verlust betrug 2001 bei 35,2 Millionen Dollar Umsatz satte 13,8 Millionen.
Manchmal kommen sie wieder
Aktie des Online-Supermarkts Webvan: Wer hätte gedacht, dass es einen Relaunch solch wahnwitziger Geschäftsmodelle gibt?
Indiz Nummer zwei: Wagniskapitalgeber sind wieder bereit, Dot.com-Start-ups zu finanzieren. "Jetzt ist ein großartiger Zeitpunkt, um neue Unternehmen zu gründen", schwärmt etwa Heidi Roizen von Mobius Venture Capital in "Newsweek". Nach einer Studie von PriceWaterhouseCoopers (PWC) hat die US-Wagniskapital-Branche im vierten Quartal des Jahres 2001 erstmals seit 15 Monaten wieder mehr Geld in junge Firmen investiert. "Der freie Fall ist vorüber", meint Tracy Lefteroff von PWC, "das ist jetzt wieder der Normalzustand."
Sogar bereits Verstorbene werden von den Venture Capitalists (VCs) reanimiert. Furniture.com war bereits im November 2000 auf spektakuläre Weise Pleite gegangen - der Möbelversand hatte 2,5 Millionen Dollar ausgegeben, bevor die Gründer endlich herausfanden, dass ihr avisierter Spediteur UPS gar nicht in der Lage war, Möbel auszuliefern. Macht nichts, auf ein Neues: Einige ehemalige Furniture.com-Mitarbeiter kauften den Markennamen und gründeten das Unternehmen neu - mit finanzieller Unterstützung eines offenbar sehr, sehr mutigen VCs.
Die üblichen Verdächtigen von der Street
Weitere Dot.com-Börsengänge sind in der Pipeline. Unter anderem plant das Unternehmen Netflix.com eine Erstnotierung an der Nasdaq. Das Geschäftsmodell der Kalifornier hätte vor kurzem noch für schallendes Gelächter gesorgt: Netflix.com verleiht DVD-Kassetten. Übers Internet.
Indiz Nummer drei: Auch die großen Wall-Street-Investmentbanken wittern Morgenluft. Merrill Lynch, unlängst wegen der Hip-Hip-Hurra-Analysen seines ehemaligen Internet-Papstes Henry Blodget ins Gerede gekommen, engagiert sich wieder im Dot.com-Sektor: Beim Netflix-IPO wird Merrill Konsortialführer sein.
Zweifelhafte Geschäftsidee, Version 2.0
Furniture.com wollte während des Internetbooms einen profitablen Online-Möbelhandel aufziehen. Weil das nicht geklappt hat, versuchen es einige Ex-Angestellte einfach noch einmal.
Furniture.com: Nur nicht aufgeben, wenn's nicht gleich klappt
Margaret Whelan, Möbelanalystin (so was gibt es) bei UBS, macht sehr deutlich, was sie von Online-Möbelhändlern hält: nichts. "Möbel sind ein Produkt, das der Konsument anfassen, fühlen und sehen muss", so Whelan gegenüber dem "Wall Street Journal".
In den Boom-Zeiten verhallten solche kleinlichen Einwände ungehört. Das 1998 gegründete Unternehmen Furniture.com schickte sich an, den amerikanischen Möbelmarkt von hinten aufzurollen. Nach zwei Jahren und größeren Anlaufschwierigkeiten machte das Unternehmen immerhin 80 Millionen Dollar Umsatz und war der nach eigenen Angaben "67.-größte Möbel-Einzelhändler" in den USA.
Im November 2000 war dennoch Schluss. Zum einen hatte das Unternehmen für den Bau von Lagerhallen und Infrastruktur viel zu hohe Summen ausgegeben. Zum anderen gab es massive Serviceprobleme. Kunden berichteten von Wartezeiten von bis zu sieben Monaten. In der Zeit können sogar viel beschäftigte Menschen zehnmal zum Möbelhaus am Stadtrand fahren.
· Homepage von Furniture.com
2001 gründeten mehrere Ex-Mitarbeiter das Unternehmen neu. Das Geschäftskonzept wurde überarbeitet. Die Webseite Furniture.com soll ab sofort als Informationsportal fungieren, über das klassische Möbelhändler ihre Waren feilbieten können. Ganze zwei Partner konnte das Dot.com bereits akquirieren. Findet der Kunde sein Traumsofa, kann er sich auf der Webseite auch gleich den Spediteur aussuchen, der es anliefert.
Vielleicht liegt Möbelanalystin Whelan ja falsch, und es klappt beim zweiten Anlauf. Laut Forrester Research sind in den USA Online-Verkäufe von Möbeln im vierten Quartal 2001 im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum um etwa 30 Prozent auf 211 Millionen Dollar angestiegen.
Der Video-Milchmann
Netflix vermietet Videos über das Internet. Auf den ersten Blick wirkt diese Geschäftsidee reichlich gaga - dennoch scheint sie zu funktionieren.
CEO Reed Hastings: "Regelmäßige Lieferungen - wie Milch oder die Zeitung"
Netflix ist nicht das erste Unternehmen, das versucht, Videos über das Internet zu vermieten - und wäre auch nicht das erste, das damit in die Grütze geht. Ähnliche Projekte wie etwa Express.com kämpfen derzeit ums Überleben.
Netflix setzt nicht auf Breitbandtechnologie oder Stream-Formate. Die Videos kommen ganz schnöde als DVD per Post zum Kunden. Das klingt zunächst nicht sehr überzeugend: Wer will schon tagelang auf eine CD warten?
Eine ganze Menge Leute. Netflix hat nach eigenen Angaben bereits 300.000 Kunden in den USA und anderen Ländern, Tendenz rapide steigend. Der Clou des Konzepts: Mitglieder zahlen eine Pauschalgebühr von 20 Dollar pro Monat. Dafür dürfen sie eine unbegrenzte Anzahl an Filmen ausleihen und diese so lange behalten wie sie möchten.
· Homepage von Netflix
Einzige Beschränkung. Kein Kunde darf mehr als drei Filme auf einmal haben. Das Verfahren erinnert entfernt an einen Lesezirkel: Der Kunde trägt auf der Netflix-Webseite ein, welche Filme er gerne sehen möchte. Nachdem er eine der konsumierten DVDs per vorfrankiertem, mitgeliefertem Umschlag an Netflix zurückgeschickt hat, erhält er einen neuen Streifen aus seiner Wunschliste.
Ursprünglich glich Netflix einer normalen Videothek, es gab keine Pauschalpreise. Das alte Geschäftsmodell trieb das Unternehmen beinahe in den Ruin. "Uns war klar, dass es einer grundlegenden Änderung bedurfte", so CEO Reed Hastings. "Jetzt sind wir eher wie HBO als wie Amazon, mit einer Prise AOL."
Gruß
Happy End