Die Weisheiten der Banken und der Wissenschaft
"Koan" ist ein Begriff aus der buddhistischen Lehre und bezeichnet eine Interaktion zwischen Meister und Schüler, bei der der Meister versucht, dem Schüler durch den Sprung auf eine andere Bedeutungsebene einen Erkenntnisgewinn zu verschaffen und etwas mit anderen Augen sehen zu können. Wofür die Buddhisten dann auch das schöne Wort "Erleuchtung" verwenden.
Der berühmte Koan ist wahrscheinlich Joshus Mu-Koan. Dieser ist in einer wichtigen Schrift des Zen-Buddhismus folgendermaßen überliefert: >>Ein Mönch fragte Meister Joshu: "Hat ein Hund die Buddha-Natur oder nicht?" Und Joshu antwortete: "Mu!" Da war der Mönch auf der Stelle erleuchtet ...<<
Daran mußte er, der Held unserer Geschichte, jetzt denken. Hätte man nämlich die Banken jetzt etwas gefragt, dann hätten diese wohl ähnlich geantwortet. Wobei das dann allerdings wohl eher nach "Muuh" geklungen hätte und niemand erleuchtet gewesen wäre. Er wollte daher auch weder bei den Muhs noch bei den Mähs zuhören. Eigentlich wollte er überhaupt nicht mehr zuhören. Zu gut hatte er nämlich noch die DAX-Prognosen der Banken für dieses Jahr (1998) im Ohr. Und wer schon am DAX derart vorbeischoß, dachte er sich, dem bot sich am Neuen Markt sicherlich nicht einmal eine Außenseiterchance.
Schon 1997 hatte der DAX einen Zuwachs von knapp 50 Prozent erzielt und das Jahr mit einem Wert von 4.250 Punkten abgeschlossen. Hatten damals bereits sämtliche Banken diese Entwicklung deutlich unterschätzt, so wurde nunmehr unisono die Parole ausgegeben: So etwas kann sich nicht noch einmal wiederholen. Und entsprechend sahen dann auch die Prognosen für 1998 aus: In der Jahreswechselnummer des Magazins Börse Online fand sich eine schöne Aufstellung der Bankprognosen für den Höchststand des DAX im Jahr 1998:
Bank Julius Baer 4.500
Bank Sarazin 4.600
Bankgesellschaft Berlin 4.300
Bayer. Hypo-Bank 4.750
Bayer. Landesbank 4.600
Bayer. Vereinsbank 4.600
Commerzbank 4.750
Deutsche Morgan Grenfell 4.500
DG-Bank 4.700
Goldman Sachs 4.400
Reuschel-Bank 4.700
Trinkaus-Capital 4.700
UBS 4.400
Zum Anfang des Jahres hatte das ja wirklich noch ein überzeugendes Bild abgegeben. Denn die weitgehende Übereinstimmung der Zahlen suggerierte die Tatsache, als ob die Banken tatsächlich im Besitz des Wissens um die weitere Zukunft des Aktienmarktes wären. Wenn derart viele Expertisen also unisono nahezu zum selben Ergebnis kommen, wer kann sich da schon aufschwingen und es anzweifeln?
Aus heutiger Sicht sah das jedoch völlig anders aus. Denn hier zeigte sich in völlig überzeugender Manier, daß die Banken zwar alle anscheinend über identische Berechnungsmodelle verfügten, leider jedoch über die falschen! Denn bereits zur Mitte des Jahres wurde die 6.000er Marke im DAX deutlich überschritten. Au weia. Das war also wirklich deutlich daneben.
Nun hatte er seinerseits jedoch bereits zum Jahreswechsel einen Spaß angezettelt und seine eigene Großmutter gegen die Großbanken angesetzt. Indem er ihr den Verlauf des Aktienmarktes im Jahr 1997 geschildert und sie schließlich um ihre eigene Prognose gebeten hatte. Worauf sie antwortete: "Weißt Du Junge, warum soll sich ein Anstieg um 50 Prozent nicht noch einmal wiederholen. Gerade dann, wenn alle anderen glauben, daß das nicht mehr geht. Wenn Du auch nur ahnen könntest, wieviel Wiederholungen ich in meinem Leben bereits erlebt habe. Und zwar Wiederholungen, von denen ich vorher selbst niemals gedacht hätte, daß es sie geben könnte."
Oma prognostizierte also einen erneuten DAX-Anstieg in 1998 von 50 Prozent, was einem Höchststand von 6.375 Punkten entsprochen hätte. Oma war damit mutiger als alle Bankanalysten zusammen. Und vor allem: Oma lag viel richtiger als alle Bankanalysten zusammen. Und das war, fand er, schon ein merkwürdiges Ergebnis. Wenn eine alte Dame alle Profis so leicht in den Sack stecken konnte. Na ja, vielleicht lag das ja auch an der langen Erfahrung im Umgang mit Menschen ...
Die Banken konnten sich jedoch immer wieder aus der Schlinge herauswinden. Den plötzlich redete niemand mehr über die alten Geschichten, sondern man prognostizierte einfach neu. Frei nach Adenauer-Motto: Was geht mich heute mein dummes Geschwätz von gestern an. So las er denn auch gerade vor kurzem in der Zeitung, daß das schweizer Bankhaus Sarazin, das sich vorher noch mit der tollen DAX-Prognose von 4.600 hervorgetan hatte, plötzlich bei einem DAX von fast 6.000 noch weiteren Spielraum nach oben sah.
Das konnte doch eigentlich gar nicht wahr sein, fand er. Wie kann man zum Jahresanfang sagen, daß der DAX bei 4.600 Punkten sein Top finden wird und nur ein par Monate später, nachdem die eigene Prognose um das Fünffache übertroffen wurde, behaupten, jetzt sei noch weiterer Raum nach oben vorhanden? Und das, obwohl sich fundamental überhaupt nichts geändert hatte.
Die Banken hängten also ihr Mäntelchen einfach in den Wind. Und anstatt den Trend vorauszusagen, folgten sie mit den Voraussagen dem Trend. Sie beschränkten sich auf das mehr (selten) oder weniger (meistens) erfolgreiche Extrapolieren der Vergangenheit. Und heraus kam dabei etwas, das aussah wie die deutsche Fußball Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft in Frankreich: Keine Ideen, sondern nur biedere Handwerkskunst, die jedoch nicht einmal propper ausgeführt wurde. Und Schuld waren natürlich immer die anderen.
Die meisten Banken hatten im übrigen, so hatte er herausgefunden, bereits eine lange Tradition in der Verläßlichkeit ihrer Fehlprognosen. So waren ihm gerade vor kurzem beim Stöbern im Zeitschriftenarchiv ein par interessante Unterlagen in die Hände gefallen. Diese stammten aus dem Jahr, in welchem es einzig in diesem Jahrhundert eine noch größere Hausse gegeben hatte, als man sie augenblicklich erleben konnte. Genau, das war 1929.
Und dort zitierte der "Berliner Börsen-Courier" am 31. Oktober 1929, kurz nach dem großen Crash an der Wall Street, auf seiner vordersten Wirtschaftsseite aus einem Bericht der Commerz- und Privatbank vom selben Tage: >>Commerz-Bank optimistisch.<< (Überschrift) Und dann konkret in Hinsicht auf die Wirtschaftslage: "Die verschiedenen Zusammenbrüche privater Unternehmungen, die zum Teil noch aus einer aus der Inflationszeit überkommenen expansiven Tätigkeit resultieren, vermögen nichts daran zu ändern, daß die deutsche Wirtschaft überwiegend gesund und entwicklungsfähig ist." Was dann in Hinsicht auf die Börse hieß: "Infolgedessen haben die Kurse nunmehr einen Stand erreicht, in dem eine ungünstige Entwicklung in weitem Maße eskomptiert zu sein scheint." Und: "Die mehrfach an den Börsen in letzter Zeit beobachtete Beunruhigung und Nervosität weiter Kreise der Anlagesuchenden dürfte wohl dann mit Leichtigkeit überwunden werden können ..."
Mit Leichtigkeit also? Das war wirklich ohne Übertreibung leicht daneben. Denn im Anschluß an den Crash von 1929 ging es nämlich erst richtig los und in den Folgejahren verlor der Dow Jones Index in den USA noch einmal 80 Prozent seines Wertes. Auch die deutschen Aktien entwickelten sich nicht viel besser. Da konnte man ja richtig froh sein, tröstete er sich, daß sie in 1998 wenigstens die Richtung richtig vorausgesehen hatten. Aber andererseits war das Jahr natürlich auch noch nicht zu Ende. Und wenn jetzt alle Banken ihre Mäntelchen ..., äh Prognosen noch oben revidierten, dann mußte das natürlich nicht unbedingt Gutes verheißen.
Aber auch die Wissenschaft hatte im Grunde genommen kaum bessere Erfolge zu bieten. Ist ja auch kein Wunder, dachte er sich, denn im Bereich der Wissenschaft werden ja gerade die ganzen Rechenknechte ausgebildet, die hinterher in die Banken stürmen. Und wie heißt es dort immer so schön: Nur ein mathematisch exaktes Wissen kann ein richtiges Wissen sein. Als ob sich die Wirklichkeit mit Mathematik erklären ließe! Denn die Mathematik, das hatte selbst schon Kant gesagt, ist letztlich nicht mehr als die Widerspiegelung unserer eigenen Denkformen. Mathematik wird benötigt, um komplexe Phänomene beschreiben und sicherstellen zu können, daß man sich hierbei nicht an einigen Stellen selbst widerspricht. Also, daß man nur Folgerungen zieht, die auch logisch stimmig sind. Doch logische Möglichkeit alleine hat noch überhaupt nichts mit der Wirklichkeit zu tun.
Diese fatale Mathematik-Orientierung sehen wir jedoch stets von neuem in den Ergebnissen der ökonomischen Konjunkturmodelle sowie den sonstigen Prognosemodellen. Hier wird nämlich so getan, als ob die Wirtschaftswirklichkeit nach bestimmten, feststehenden Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Und diese Gesetzmäßigkeiten werden schließlich zu einem mathematischen Modell zusammengefaßt, mit den entsprechenden Daten gefüllt, und los geht die Rechnerei. Trifft die Aussage des Modells dann jedoch nicht zu, gibt es prinzipiell zwei mögliche Gründe hierfür. Der erste lautet "Mist rein, Mist raus" und der zweite "Richtig rein, Mist raus". Der erste Fall bezieht sich auf den Input von falschen oder unvollständigen Daten und der zweite auf richtige Daten in Verbindung mit der unhaltbaren Annahme, es gäbe in der Wirklichkeit tatsächlich feste Gesetzmäßigkeiten der Art, wie sie im Modell verwendet wurden.
Zum Beispiel: Wenn die Zentralbank die Geldmenge ausweitet, sinken normalerweise die Zinsen. Und folglich nehmen die Investitionen zu. Das ist ein Beispiel für eine volkswirtschaftliche Gesetzmäßigkeit, wie sie in derartigen Modellen Standard sind. Was ist nun aber, wenn plötzlich durch die Geldmengenausweitung bei den Marktteilnehmern Inflationsängste aufkommen? Dann führt dies nämlich nicht zu sinkenden Zinsen und steigenden Investitionen, sondern vielmehr zum genauen Gegenteil davon, nämlich zu steigenden Zinsen und sinkenden Investitionen.
Und dies liegt daran, daß wir Menschen uns im Vergleich zur unbelebten Materie, für welche diese strengen mathematischen Gesetzmäßigkeiten ausschließlich Gültigkeit haben, stets selbst ein Bild der Welt machen können - und folglich von heute auf morgen unsere Einstellung zu vielen Dingen radikal verändern können. Das jedoch läßt sich prinzipiell in kein mathematisches Modell der Welt integrieren, weshalb diese auch zwangsläufig stets an der Grenze zur Falschheit operieren müssen.
Genau dieser Fakt war es schließlich auch, der George Soros dazu brachte, von dieser Art Wirtschaftswissenschaft Abstand zu nehmen, um endlich nicht mehr immer auf den selben Klippen aufzulaufen. Und vielleicht so auch ein bißchen Geld zu machen. In diesem Zusammenhang war er, der Held unserer Geschichte, sich auch ganz sicher und sagte: "Jeden Tag geschieht so viel Neues unter der Sonne, daß man es folglich nur mit Phantasie und Visionen, nie jedoch mit wissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten wird einfangen können. Darum laßt uns diese Möglichkeit schlichtweg vergessen, denn es gibt sie nicht. Rechnen kann schließlich jeder!"
Während diese Effekte des Versagens bei normalen Wirtschaftsmodellen wie zum Beispiel denen des Sachverständigenrates oder der Fünf Weisen jedoch nur relativ kleine Änderungen und Prognosefehler hervorriefen, stellten sie sich bei den Aktienmarktprognosen hingegen als absolut tödlich heraus. Ein gutes Beispiel mochte in diesem Zusammenhang Professor Irving Fisher abgeben, einer der exponiertesten Vertreter der mathematischen Wirtschaftswissenschaften. Fisher war nämlich nicht nur der Erfinder der nach ihm benannten Verkehrsgleichung, nach der das Sozialprodukt einer Volkswirtschaft immer gleich der Geldmenge, multipliziert mit ihrer Umlaufgeschwindigkeit ist. Nein, Professor Fisher war auch ein berühmter Aktienmarktprognostiker. Oder sollte man lieber sagen, ein berüchtigter? Denn kaum jemandem wurde zu seiner Zeit auf akademischer Seite derartige Kompetenz zugetraut. Und kaum jemand hat sich wohl dabei auch so stark aus dem Fenster gelehnt wie er. Auch Fisher sah 1929 keinen Anlaß zur Beunruhigung. So konnte man nämlich genau zwei Tage vor dem ersten großen Crash, am 22. Oktober 1929, in der New York Times lesen:
"Fisher sagt, Aktienkurse sind niedrig. Er sieht keinen Anlaß zur Beunruhigung. Der Markt ist nicht überbewertet, sondern wieder auf ein faires Niveau heruntergekommen."
Dabei waren das immerhin erst die Vorbeben der großen Crashs und des sich anschließenden vollständigen Untergangs des Aktienmarktes. Na gut, dachte er, das haben ja wirklich die wenigsten vorausgesehen. Trotzdem hätte er natürlich zu gerne gewußt, was Vater Fisher damals da so alles zusammengerechnet hatte.
Aber gerade neulich, da war es dann wieder einmal so weit, denn da trat sogar ein Nobelpreisträger für Wirtschaft in der n-tv Telebörse auf: Franco Modigliani, seines Zeichens Ökonomie-Nobelpreisträger für seine Leistungen in Hinsicht auf die Theorie der Aktienbewertungen. Und der sagte, die US-Aktien seien bei einem Dow Jones von etwa 9.000 Punkten zu ungefähr 25 Prozent überbewertet. Weshalb er alle seine Aktien bereits verkauft hätte.
Nun war er zwar mittlerweile auch nicht mehr sehr optimistisch in Hinsicht auf den Aktienmarkt, aber das roch doch, ähnlich wie bei Fisher, eher nach einem Rechenfehler. Herr Modigliani fühlte sich also klüger als der Markt. Es konnte natürlich sein, daß er das war. Die Wahrscheinlichkeit sprach jedoch eher dafür, daß auch hier die Vorzeichen eher umgekehrt zu setzen waren. Denn einen besseren Kontraindikator als derart exponierte Aussagen von Wissenschaftsgrößen konnte man wirklich weltweit wohl kaum bekommen.
Es schien also immer irgendwas nicht hinzuhauen mit den wissenschaftlich-mathematischen Modellen. Sie waren zu starr und zu inflexibel gegenüber den spontanen Änderungen, denen das menschliche Verhalten immer und überall unterworfen ist. Die Wissenschaftler schienen jedoch diesen Punkt ganz hartnäckig leugnen zu wollen und erfanden einfach eine neue Disziplin, von der sie dann auch wahre Wunderdinge behaupteten. Sie nannten sie "Börsenpsychologie" oder neudeutsch auch Behavioral Finance.
Die Hauptthese dieser neuen Disziplin lautete: In Wirklichkeit sind Börsenmärkte gar nicht effizient, denn es gibt systematische Irrtümer und Fehlurteile. Welche jedoch die historisch einmalige Besonderheit haben, daß sie von den geschulten Börsenpsychologen erkannt werden können. Und so machten sie sich dann alle wie weiland Sigmund Freud auf die Suche, die Tiefenpsychologie des Marktes zu erkunden, und kamen auch schon recht bald zu einem sensationellen Ergebnis. Die erste Gesetzmäßigkeit der Börse, die diese neue Wissenschaft aufdeckte, lautete nämlich: Der Aufschwung läuft so lange - bis er aufhört. Nein das war natürlich ein Scherz, der jedoch bereits das grundlegende Denkmuster aufdeckte.
Denn ähnlich wie Jim Rogers, so gingen auch die Börsenpsychologen von einem idealtypischen Verlauf des Börsenzyklus aus: Unterbewertung, rationaler Anstieg, irrationale Gier, Überbewertung, Einbruch, Panik, Abwärtstrend, Unterbewertung. Und auch wenn das natürlich sehr plausibel klang, stellten sich hier doch zwei wichtige Fragen: Erstens, war das immer so? Und zweitens, wo befinden wir uns augenblicklich? Auf einem Seminar im Frühjahr 1996 hatte ihm ein Vertreter dieser Gruppe beide Fragen beantwortet und gesagt: Ja, es wäre immer so. Und der Umschwung stünde unmittelbar bevor. Zu dessen Ehrenrettung könnte man aus heutiger Sicht nur noch anfügen: Es handelt sich natürlich um einen extrem langen Umschwungprozeß ...
Aber mittlerweile war er es wirklich leid, diese Diskussionen zu führen. Dabei wußte er natürlich ebenso wenig wie die anderen, wie es nun weitergehen würde. Er versuchte aber auch nicht, so zu tun, als ob er es wissen würde. Und das war das Entscheidende! Denn der gemeinsame Fehler bei allen Versuchen, das Börsengeschehen derart modellhaft zu erfassen, war im Grunde genommen sehr einfach zu finden. Und er lautete: Es ist schlichtweg unmöglich, die Aktienmarktentwicklung vorauszusagen. Denn würde sie nach mathematischer Gesetzmäßigkeit ablaufen, dann gäbe es keine Entscheidungsfreiheit der Menschen. Gibt es diese aber, und davon wollen wir doch hoffentlich ausgehen, dann läßt sich nichts mehr berechnen.
Und während ihm das durch die ständige Auseinandersetzung immer klarer und immer klarer geworden war, konnte er plötzlich alles in den folgenden sehr einfachen Worten zusammenfassen: Zu einer Antwort, die es nicht gibt, kann man auch keine Frage stellen. Selbst wenn wir alles versuchen würden, merken wir, daß das entscheidende Problem dadurch nicht gelöst ist. Freilich bleibt dann keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.
Aber wer kann heute überhaupt noch schweigen, überlegte er sich daraufhin. Und ihm fiel niemand ein. Andererseits wußte er aber auch: Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.
Bernd Niquet: Die Generation X am Neuen Markt
Börsenbuch-Verlag, Kulmbach, 1998
gruß
proxi
"Koan" ist ein Begriff aus der buddhistischen Lehre und bezeichnet eine Interaktion zwischen Meister und Schüler, bei der der Meister versucht, dem Schüler durch den Sprung auf eine andere Bedeutungsebene einen Erkenntnisgewinn zu verschaffen und etwas mit anderen Augen sehen zu können. Wofür die Buddhisten dann auch das schöne Wort "Erleuchtung" verwenden.
Der berühmte Koan ist wahrscheinlich Joshus Mu-Koan. Dieser ist in einer wichtigen Schrift des Zen-Buddhismus folgendermaßen überliefert: >>Ein Mönch fragte Meister Joshu: "Hat ein Hund die Buddha-Natur oder nicht?" Und Joshu antwortete: "Mu!" Da war der Mönch auf der Stelle erleuchtet ...<<
Daran mußte er, der Held unserer Geschichte, jetzt denken. Hätte man nämlich die Banken jetzt etwas gefragt, dann hätten diese wohl ähnlich geantwortet. Wobei das dann allerdings wohl eher nach "Muuh" geklungen hätte und niemand erleuchtet gewesen wäre. Er wollte daher auch weder bei den Muhs noch bei den Mähs zuhören. Eigentlich wollte er überhaupt nicht mehr zuhören. Zu gut hatte er nämlich noch die DAX-Prognosen der Banken für dieses Jahr (1998) im Ohr. Und wer schon am DAX derart vorbeischoß, dachte er sich, dem bot sich am Neuen Markt sicherlich nicht einmal eine Außenseiterchance.
Schon 1997 hatte der DAX einen Zuwachs von knapp 50 Prozent erzielt und das Jahr mit einem Wert von 4.250 Punkten abgeschlossen. Hatten damals bereits sämtliche Banken diese Entwicklung deutlich unterschätzt, so wurde nunmehr unisono die Parole ausgegeben: So etwas kann sich nicht noch einmal wiederholen. Und entsprechend sahen dann auch die Prognosen für 1998 aus: In der Jahreswechselnummer des Magazins Börse Online fand sich eine schöne Aufstellung der Bankprognosen für den Höchststand des DAX im Jahr 1998:
Bank Julius Baer 4.500
Bank Sarazin 4.600
Bankgesellschaft Berlin 4.300
Bayer. Hypo-Bank 4.750
Bayer. Landesbank 4.600
Bayer. Vereinsbank 4.600
Commerzbank 4.750
Deutsche Morgan Grenfell 4.500
DG-Bank 4.700
Goldman Sachs 4.400
Reuschel-Bank 4.700
Trinkaus-Capital 4.700
UBS 4.400
Zum Anfang des Jahres hatte das ja wirklich noch ein überzeugendes Bild abgegeben. Denn die weitgehende Übereinstimmung der Zahlen suggerierte die Tatsache, als ob die Banken tatsächlich im Besitz des Wissens um die weitere Zukunft des Aktienmarktes wären. Wenn derart viele Expertisen also unisono nahezu zum selben Ergebnis kommen, wer kann sich da schon aufschwingen und es anzweifeln?
Aus heutiger Sicht sah das jedoch völlig anders aus. Denn hier zeigte sich in völlig überzeugender Manier, daß die Banken zwar alle anscheinend über identische Berechnungsmodelle verfügten, leider jedoch über die falschen! Denn bereits zur Mitte des Jahres wurde die 6.000er Marke im DAX deutlich überschritten. Au weia. Das war also wirklich deutlich daneben.
Nun hatte er seinerseits jedoch bereits zum Jahreswechsel einen Spaß angezettelt und seine eigene Großmutter gegen die Großbanken angesetzt. Indem er ihr den Verlauf des Aktienmarktes im Jahr 1997 geschildert und sie schließlich um ihre eigene Prognose gebeten hatte. Worauf sie antwortete: "Weißt Du Junge, warum soll sich ein Anstieg um 50 Prozent nicht noch einmal wiederholen. Gerade dann, wenn alle anderen glauben, daß das nicht mehr geht. Wenn Du auch nur ahnen könntest, wieviel Wiederholungen ich in meinem Leben bereits erlebt habe. Und zwar Wiederholungen, von denen ich vorher selbst niemals gedacht hätte, daß es sie geben könnte."
Oma prognostizierte also einen erneuten DAX-Anstieg in 1998 von 50 Prozent, was einem Höchststand von 6.375 Punkten entsprochen hätte. Oma war damit mutiger als alle Bankanalysten zusammen. Und vor allem: Oma lag viel richtiger als alle Bankanalysten zusammen. Und das war, fand er, schon ein merkwürdiges Ergebnis. Wenn eine alte Dame alle Profis so leicht in den Sack stecken konnte. Na ja, vielleicht lag das ja auch an der langen Erfahrung im Umgang mit Menschen ...
Die Banken konnten sich jedoch immer wieder aus der Schlinge herauswinden. Den plötzlich redete niemand mehr über die alten Geschichten, sondern man prognostizierte einfach neu. Frei nach Adenauer-Motto: Was geht mich heute mein dummes Geschwätz von gestern an. So las er denn auch gerade vor kurzem in der Zeitung, daß das schweizer Bankhaus Sarazin, das sich vorher noch mit der tollen DAX-Prognose von 4.600 hervorgetan hatte, plötzlich bei einem DAX von fast 6.000 noch weiteren Spielraum nach oben sah.
Das konnte doch eigentlich gar nicht wahr sein, fand er. Wie kann man zum Jahresanfang sagen, daß der DAX bei 4.600 Punkten sein Top finden wird und nur ein par Monate später, nachdem die eigene Prognose um das Fünffache übertroffen wurde, behaupten, jetzt sei noch weiterer Raum nach oben vorhanden? Und das, obwohl sich fundamental überhaupt nichts geändert hatte.
Die Banken hängten also ihr Mäntelchen einfach in den Wind. Und anstatt den Trend vorauszusagen, folgten sie mit den Voraussagen dem Trend. Sie beschränkten sich auf das mehr (selten) oder weniger (meistens) erfolgreiche Extrapolieren der Vergangenheit. Und heraus kam dabei etwas, das aussah wie die deutsche Fußball Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft in Frankreich: Keine Ideen, sondern nur biedere Handwerkskunst, die jedoch nicht einmal propper ausgeführt wurde. Und Schuld waren natürlich immer die anderen.
Die meisten Banken hatten im übrigen, so hatte er herausgefunden, bereits eine lange Tradition in der Verläßlichkeit ihrer Fehlprognosen. So waren ihm gerade vor kurzem beim Stöbern im Zeitschriftenarchiv ein par interessante Unterlagen in die Hände gefallen. Diese stammten aus dem Jahr, in welchem es einzig in diesem Jahrhundert eine noch größere Hausse gegeben hatte, als man sie augenblicklich erleben konnte. Genau, das war 1929.
Und dort zitierte der "Berliner Börsen-Courier" am 31. Oktober 1929, kurz nach dem großen Crash an der Wall Street, auf seiner vordersten Wirtschaftsseite aus einem Bericht der Commerz- und Privatbank vom selben Tage: >>Commerz-Bank optimistisch.<< (Überschrift) Und dann konkret in Hinsicht auf die Wirtschaftslage: "Die verschiedenen Zusammenbrüche privater Unternehmungen, die zum Teil noch aus einer aus der Inflationszeit überkommenen expansiven Tätigkeit resultieren, vermögen nichts daran zu ändern, daß die deutsche Wirtschaft überwiegend gesund und entwicklungsfähig ist." Was dann in Hinsicht auf die Börse hieß: "Infolgedessen haben die Kurse nunmehr einen Stand erreicht, in dem eine ungünstige Entwicklung in weitem Maße eskomptiert zu sein scheint." Und: "Die mehrfach an den Börsen in letzter Zeit beobachtete Beunruhigung und Nervosität weiter Kreise der Anlagesuchenden dürfte wohl dann mit Leichtigkeit überwunden werden können ..."
Mit Leichtigkeit also? Das war wirklich ohne Übertreibung leicht daneben. Denn im Anschluß an den Crash von 1929 ging es nämlich erst richtig los und in den Folgejahren verlor der Dow Jones Index in den USA noch einmal 80 Prozent seines Wertes. Auch die deutschen Aktien entwickelten sich nicht viel besser. Da konnte man ja richtig froh sein, tröstete er sich, daß sie in 1998 wenigstens die Richtung richtig vorausgesehen hatten. Aber andererseits war das Jahr natürlich auch noch nicht zu Ende. Und wenn jetzt alle Banken ihre Mäntelchen ..., äh Prognosen noch oben revidierten, dann mußte das natürlich nicht unbedingt Gutes verheißen.
Aber auch die Wissenschaft hatte im Grunde genommen kaum bessere Erfolge zu bieten. Ist ja auch kein Wunder, dachte er sich, denn im Bereich der Wissenschaft werden ja gerade die ganzen Rechenknechte ausgebildet, die hinterher in die Banken stürmen. Und wie heißt es dort immer so schön: Nur ein mathematisch exaktes Wissen kann ein richtiges Wissen sein. Als ob sich die Wirklichkeit mit Mathematik erklären ließe! Denn die Mathematik, das hatte selbst schon Kant gesagt, ist letztlich nicht mehr als die Widerspiegelung unserer eigenen Denkformen. Mathematik wird benötigt, um komplexe Phänomene beschreiben und sicherstellen zu können, daß man sich hierbei nicht an einigen Stellen selbst widerspricht. Also, daß man nur Folgerungen zieht, die auch logisch stimmig sind. Doch logische Möglichkeit alleine hat noch überhaupt nichts mit der Wirklichkeit zu tun.
Diese fatale Mathematik-Orientierung sehen wir jedoch stets von neuem in den Ergebnissen der ökonomischen Konjunkturmodelle sowie den sonstigen Prognosemodellen. Hier wird nämlich so getan, als ob die Wirtschaftswirklichkeit nach bestimmten, feststehenden Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Und diese Gesetzmäßigkeiten werden schließlich zu einem mathematischen Modell zusammengefaßt, mit den entsprechenden Daten gefüllt, und los geht die Rechnerei. Trifft die Aussage des Modells dann jedoch nicht zu, gibt es prinzipiell zwei mögliche Gründe hierfür. Der erste lautet "Mist rein, Mist raus" und der zweite "Richtig rein, Mist raus". Der erste Fall bezieht sich auf den Input von falschen oder unvollständigen Daten und der zweite auf richtige Daten in Verbindung mit der unhaltbaren Annahme, es gäbe in der Wirklichkeit tatsächlich feste Gesetzmäßigkeiten der Art, wie sie im Modell verwendet wurden.
Zum Beispiel: Wenn die Zentralbank die Geldmenge ausweitet, sinken normalerweise die Zinsen. Und folglich nehmen die Investitionen zu. Das ist ein Beispiel für eine volkswirtschaftliche Gesetzmäßigkeit, wie sie in derartigen Modellen Standard sind. Was ist nun aber, wenn plötzlich durch die Geldmengenausweitung bei den Marktteilnehmern Inflationsängste aufkommen? Dann führt dies nämlich nicht zu sinkenden Zinsen und steigenden Investitionen, sondern vielmehr zum genauen Gegenteil davon, nämlich zu steigenden Zinsen und sinkenden Investitionen.
Und dies liegt daran, daß wir Menschen uns im Vergleich zur unbelebten Materie, für welche diese strengen mathematischen Gesetzmäßigkeiten ausschließlich Gültigkeit haben, stets selbst ein Bild der Welt machen können - und folglich von heute auf morgen unsere Einstellung zu vielen Dingen radikal verändern können. Das jedoch läßt sich prinzipiell in kein mathematisches Modell der Welt integrieren, weshalb diese auch zwangsläufig stets an der Grenze zur Falschheit operieren müssen.
Genau dieser Fakt war es schließlich auch, der George Soros dazu brachte, von dieser Art Wirtschaftswissenschaft Abstand zu nehmen, um endlich nicht mehr immer auf den selben Klippen aufzulaufen. Und vielleicht so auch ein bißchen Geld zu machen. In diesem Zusammenhang war er, der Held unserer Geschichte, sich auch ganz sicher und sagte: "Jeden Tag geschieht so viel Neues unter der Sonne, daß man es folglich nur mit Phantasie und Visionen, nie jedoch mit wissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten wird einfangen können. Darum laßt uns diese Möglichkeit schlichtweg vergessen, denn es gibt sie nicht. Rechnen kann schließlich jeder!"
Während diese Effekte des Versagens bei normalen Wirtschaftsmodellen wie zum Beispiel denen des Sachverständigenrates oder der Fünf Weisen jedoch nur relativ kleine Änderungen und Prognosefehler hervorriefen, stellten sie sich bei den Aktienmarktprognosen hingegen als absolut tödlich heraus. Ein gutes Beispiel mochte in diesem Zusammenhang Professor Irving Fisher abgeben, einer der exponiertesten Vertreter der mathematischen Wirtschaftswissenschaften. Fisher war nämlich nicht nur der Erfinder der nach ihm benannten Verkehrsgleichung, nach der das Sozialprodukt einer Volkswirtschaft immer gleich der Geldmenge, multipliziert mit ihrer Umlaufgeschwindigkeit ist. Nein, Professor Fisher war auch ein berühmter Aktienmarktprognostiker. Oder sollte man lieber sagen, ein berüchtigter? Denn kaum jemandem wurde zu seiner Zeit auf akademischer Seite derartige Kompetenz zugetraut. Und kaum jemand hat sich wohl dabei auch so stark aus dem Fenster gelehnt wie er. Auch Fisher sah 1929 keinen Anlaß zur Beunruhigung. So konnte man nämlich genau zwei Tage vor dem ersten großen Crash, am 22. Oktober 1929, in der New York Times lesen:
"Fisher sagt, Aktienkurse sind niedrig. Er sieht keinen Anlaß zur Beunruhigung. Der Markt ist nicht überbewertet, sondern wieder auf ein faires Niveau heruntergekommen."
Dabei waren das immerhin erst die Vorbeben der großen Crashs und des sich anschließenden vollständigen Untergangs des Aktienmarktes. Na gut, dachte er, das haben ja wirklich die wenigsten vorausgesehen. Trotzdem hätte er natürlich zu gerne gewußt, was Vater Fisher damals da so alles zusammengerechnet hatte.
Aber gerade neulich, da war es dann wieder einmal so weit, denn da trat sogar ein Nobelpreisträger für Wirtschaft in der n-tv Telebörse auf: Franco Modigliani, seines Zeichens Ökonomie-Nobelpreisträger für seine Leistungen in Hinsicht auf die Theorie der Aktienbewertungen. Und der sagte, die US-Aktien seien bei einem Dow Jones von etwa 9.000 Punkten zu ungefähr 25 Prozent überbewertet. Weshalb er alle seine Aktien bereits verkauft hätte.
Nun war er zwar mittlerweile auch nicht mehr sehr optimistisch in Hinsicht auf den Aktienmarkt, aber das roch doch, ähnlich wie bei Fisher, eher nach einem Rechenfehler. Herr Modigliani fühlte sich also klüger als der Markt. Es konnte natürlich sein, daß er das war. Die Wahrscheinlichkeit sprach jedoch eher dafür, daß auch hier die Vorzeichen eher umgekehrt zu setzen waren. Denn einen besseren Kontraindikator als derart exponierte Aussagen von Wissenschaftsgrößen konnte man wirklich weltweit wohl kaum bekommen.
Es schien also immer irgendwas nicht hinzuhauen mit den wissenschaftlich-mathematischen Modellen. Sie waren zu starr und zu inflexibel gegenüber den spontanen Änderungen, denen das menschliche Verhalten immer und überall unterworfen ist. Die Wissenschaftler schienen jedoch diesen Punkt ganz hartnäckig leugnen zu wollen und erfanden einfach eine neue Disziplin, von der sie dann auch wahre Wunderdinge behaupteten. Sie nannten sie "Börsenpsychologie" oder neudeutsch auch Behavioral Finance.
Die Hauptthese dieser neuen Disziplin lautete: In Wirklichkeit sind Börsenmärkte gar nicht effizient, denn es gibt systematische Irrtümer und Fehlurteile. Welche jedoch die historisch einmalige Besonderheit haben, daß sie von den geschulten Börsenpsychologen erkannt werden können. Und so machten sie sich dann alle wie weiland Sigmund Freud auf die Suche, die Tiefenpsychologie des Marktes zu erkunden, und kamen auch schon recht bald zu einem sensationellen Ergebnis. Die erste Gesetzmäßigkeit der Börse, die diese neue Wissenschaft aufdeckte, lautete nämlich: Der Aufschwung läuft so lange - bis er aufhört. Nein das war natürlich ein Scherz, der jedoch bereits das grundlegende Denkmuster aufdeckte.
Denn ähnlich wie Jim Rogers, so gingen auch die Börsenpsychologen von einem idealtypischen Verlauf des Börsenzyklus aus: Unterbewertung, rationaler Anstieg, irrationale Gier, Überbewertung, Einbruch, Panik, Abwärtstrend, Unterbewertung. Und auch wenn das natürlich sehr plausibel klang, stellten sich hier doch zwei wichtige Fragen: Erstens, war das immer so? Und zweitens, wo befinden wir uns augenblicklich? Auf einem Seminar im Frühjahr 1996 hatte ihm ein Vertreter dieser Gruppe beide Fragen beantwortet und gesagt: Ja, es wäre immer so. Und der Umschwung stünde unmittelbar bevor. Zu dessen Ehrenrettung könnte man aus heutiger Sicht nur noch anfügen: Es handelt sich natürlich um einen extrem langen Umschwungprozeß ...
Aber mittlerweile war er es wirklich leid, diese Diskussionen zu führen. Dabei wußte er natürlich ebenso wenig wie die anderen, wie es nun weitergehen würde. Er versuchte aber auch nicht, so zu tun, als ob er es wissen würde. Und das war das Entscheidende! Denn der gemeinsame Fehler bei allen Versuchen, das Börsengeschehen derart modellhaft zu erfassen, war im Grunde genommen sehr einfach zu finden. Und er lautete: Es ist schlichtweg unmöglich, die Aktienmarktentwicklung vorauszusagen. Denn würde sie nach mathematischer Gesetzmäßigkeit ablaufen, dann gäbe es keine Entscheidungsfreiheit der Menschen. Gibt es diese aber, und davon wollen wir doch hoffentlich ausgehen, dann läßt sich nichts mehr berechnen.
Und während ihm das durch die ständige Auseinandersetzung immer klarer und immer klarer geworden war, konnte er plötzlich alles in den folgenden sehr einfachen Worten zusammenfassen: Zu einer Antwort, die es nicht gibt, kann man auch keine Frage stellen. Selbst wenn wir alles versuchen würden, merken wir, daß das entscheidende Problem dadurch nicht gelöst ist. Freilich bleibt dann keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort. Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.
Aber wer kann heute überhaupt noch schweigen, überlegte er sich daraufhin. Und ihm fiel niemand ein. Andererseits wußte er aber auch: Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.
Bernd Niquet: Die Generation X am Neuen Markt
Börsenbuch-Verlag, Kulmbach, 1998
gruß
proxi