Paul C. Martin
Wozu Investitionen? Die mystische Gestalt des US-Verbrauchers
Alan Greenspan hat in seiner jüngsten Rede auf die Investitionen als Grundelement jedes Auf- und Abschwungs hingewiesen. Dabei geruhte er zu nuscheln, dass „der Verlauf des aktuellen Zyklus bisher von der Entwicklung der Unternehmensgewinne und der Investitionen bestimmt wurde und auch weiterhin bestimmt sein wird.“
Die meisten Kommentatoren haben dies wohl überlesen. Im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen steht nur noch eine mystische Gestalt, von der alles Heil der amerikanischen und – mit dem üblichen time-lag – dann der restlichen Welt kommen solle:
Der amerikanische Verbraucher.
Es geht in aktuellen Konjunktur-, also Zyklus-Betrachtungen fast nur noch um „consumer spending“ und „consumer sentiments“. Gierig werden alle Zahlen, wie die der Einzelhandelsumsätze, aufgesogen, die eine „Besserung“ verheißen. Probleme, wie sie K-mart meldet, werden als Ausrutscher abgetan, schließlich gibt es noch jede Menge anderer Ketten und die Shopping Malls erwarten selbstbewusst die nächste Springflut von Kreditkarten, die heranrast.
Investitionen gelten nur noch als so etwas wie eine „Restgröße“. So what! Dass die externe Finanzierung von Investitionen nicht mehr mit dem Kostnix-Kapital der großen Bubble finanziert werden können, weil sich die Anleger geprellt fühlen, spielt keine Rolle mehr.
Dass die skandalösen Vorgänge bei Enron die Bereitschaft großer Investoren, in den USA mit fresh money zu erscheinen, gemindert haben – na und? Und die Tatsache, dass die Amerikaner offenbar ganz neue Formen der Buchhaltung und Bilanzierung applizieren und ihre Unternehmen jenseits aller Standards aufgepumpt haben, die etwa in Europa gelten – solches „creative accounting“ löst zwar bei notorisch vorsichtigen Fondsmanagern Stirnrunzeln aus, ist aber nicht so wichtig. Auch dass sich der firmeninterne cash-flow, um den es letztlich bei Investitionsentscheidungen geht, in Zeiten rezessionsbedingter harter Preiskämpfe (Autoindustrie!) nicht verbessern wird, macht nichts.
In seiner Rede wies Greenspan auch auf ein „auffälliges Merkmal der derzeitigen zyklischen Entwicklung gegenüber vielen früheren Zyklen“ hin, das er mit dem „faktischen Fehlen von Spielräumen für Preiserhöhungen in weiten Teilen der amerikanischen Wirtschaft\" beschreibt. Es müssten also erst die Kapazitätsüberhänge abgearbeitet werden (in der Autoindustrie ca. 30 Prozent) und dies in Form von Preisschlachten der Sonderklasse, bevor an neue Investitionen gedacht werden kann. Kurzum: Eine US-Investitionskonjunktur scheint doch weit entfernt zu sein („no recovery in sight“ - Intel). Doch damit lässt sich’s leben.
Es bleibt die mystische Gestalt des US-Verbrauchers. Dieser trägt – getrieben auch von einem All-America-Patriotismus als Ausfluss des 11. Septembers – tatsächlich jedes nur mögliche Scherflein bei, um die Konjunktur zu „beleben“.
Die Lage am Häusermarkt ist bombig. Der Zuwachs an Hypotheken und Käufen marschierte zuletzt bei Steigerungsraten von um die 30 Prozent (Jahresbasis). Und bei seinen sonstigen Ausgaben lässt sich der US-Verbraucher auch nicht lumpen. Die consumer credits sind zum Jahresschluss um fast 15 % über Vorjahr gemeldet worden, was den höchsten Zuwachs seit Bestehen der entsprechenden Statistik (1943) darstellt.
Im Forum von elliott-waves.de werden diese (und andere) Zahlen in laufender Reihe von „Cosa“ aufbereitet und in höchst qualitätsvolle Optiken verwandelt, ein Service, den auch boerse.de-User nicht verschmähen sollten.
Die folgende „Cosa“-Optik ist besonders beeindruckend:
Sie zeigt einen völlig „untypischen“, jedenfalls den bisherigen Erfahrungen mit Zyklen widersprechenden Verlauf.
Die Verschuldung der Konsumenten (Ratio - Total Outstanding to Personal Income) zu den Investitionen (Fixed Investments) jeweils im prozentualen Jahresvergleich zeigt eine noch nie geschaute „Schere“! Ganz abgesehen davon, dass die Verbraucherverschuldung in dieser Konjunkturphase den Investitionen vorausläuft, während sie in der kleinen Rezession zu Beginn der 90er Jahre den Investitionen brav hinterher gedackelt ist – wie es sich auch „gehört“, jedenfalls nach allem, was Theorie und Praxis bisher gelehrt und gezeigt hatten.
Die ganze Sache könnte man damit abtun, dass man die Verbraucher blindlings in eine „Rezessionsfalle“ tapsen sieht und sich möglichst weit davon entfernt aufhält.
Es könnte aber auch sein, dass ein „this time it’s different“ zum Zuge käme. Das würde grob umrissen bedeuten:
In einer „überreifen“ Volkswirtschaft spielen die Unternehmer mit ihren Investitionen keine so wichtige Rolle mehr wie früher, weil die Konsumenten selbst zu Quasi-Unternehmern geworden sind. Entsprechend reizen sie ihre finanziellen Möglichkeiten aus wie dies von jedem Firmen-Boss auch verlangt wird. Nicht mehr die Phänomene „Betrieb“ oder „Fabrik“ stehen im Mittelpunkt, sondern die „privaten Haushalte“, die ihrerseits zu kleinen „Betrieben“ mutiert sind. Schließlich tragen sie ein fast identisches Konkursrisiko, auch wenn ihre Pleiten anders abgewickelt werden als jene nach chapter 11.
Damit wären sämtliche volkswirtschaftlichen Theorien, die zwischen „Investition“ und „Konsum“ eine klare Trennung ziehen, obsolet. Der Konsum würde selbst zur Investition. Investitionszweck wäre dann ein „Wellness“-Gefühl herzustellen, das den Betreiber eines Haushalts marktfähiger macht: Wer steigert nicht seine Produktivität freudig, wenn er endlich den Zweit-Ferrari in der Garage stehen hat?
Wer sucht nicht seinen „Umsatz“ (früher: Lohn und Gehalt) zu steigern, und sei’s mit Hilfe von Dritt- und Viertjobs, wenn er täglich in flotten Erinnerungen an seinen letzten Urlaub (fremdfinanziert natürlich) schwelgen kann?
Der weitere Verlauf der US-Konjunktur wird zeigen, ob es tatsächlich so etwas wie einen säkularen Paradigmenwechsel gibt und wir uns alle flugs umstellen müssen, als Anleger zumal.
Wenn es schon Staaten gibt, die mehr als einen „Jahresumsatz“ ihrer Volkswirtschaften (BIP) auf ihrer Passivseite haben, ohne unterzugehen, warum sollte nicht auch der US-Verbraucher, und in Folge dann die Konsumenten in anderen Ländern, ein Mehrfaches ihres Turnovers an Krediten haben, Hauptsache, sie werden irgendwie bedient? Von wem spielt keine Rolle. Zum Schluss wird’s eh wieder der Staat sein, der den zahlungsunfähigen Mister Miller so rauspaukt wie er schon ganz andere Kaliber rausgepaukt hat und das weltweit, von den Saving & Loan-Banken bis hin zu Holzmann und der LTU.
Alles also Mystik – oder was?
Dr. Paul C. Martin
18.01.2002
Wozu Investitionen? Die mystische Gestalt des US-Verbrauchers
Alan Greenspan hat in seiner jüngsten Rede auf die Investitionen als Grundelement jedes Auf- und Abschwungs hingewiesen. Dabei geruhte er zu nuscheln, dass „der Verlauf des aktuellen Zyklus bisher von der Entwicklung der Unternehmensgewinne und der Investitionen bestimmt wurde und auch weiterhin bestimmt sein wird.“
Die meisten Kommentatoren haben dies wohl überlesen. Im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen steht nur noch eine mystische Gestalt, von der alles Heil der amerikanischen und – mit dem üblichen time-lag – dann der restlichen Welt kommen solle:
Der amerikanische Verbraucher.
Es geht in aktuellen Konjunktur-, also Zyklus-Betrachtungen fast nur noch um „consumer spending“ und „consumer sentiments“. Gierig werden alle Zahlen, wie die der Einzelhandelsumsätze, aufgesogen, die eine „Besserung“ verheißen. Probleme, wie sie K-mart meldet, werden als Ausrutscher abgetan, schließlich gibt es noch jede Menge anderer Ketten und die Shopping Malls erwarten selbstbewusst die nächste Springflut von Kreditkarten, die heranrast.
Investitionen gelten nur noch als so etwas wie eine „Restgröße“. So what! Dass die externe Finanzierung von Investitionen nicht mehr mit dem Kostnix-Kapital der großen Bubble finanziert werden können, weil sich die Anleger geprellt fühlen, spielt keine Rolle mehr.
Dass die skandalösen Vorgänge bei Enron die Bereitschaft großer Investoren, in den USA mit fresh money zu erscheinen, gemindert haben – na und? Und die Tatsache, dass die Amerikaner offenbar ganz neue Formen der Buchhaltung und Bilanzierung applizieren und ihre Unternehmen jenseits aller Standards aufgepumpt haben, die etwa in Europa gelten – solches „creative accounting“ löst zwar bei notorisch vorsichtigen Fondsmanagern Stirnrunzeln aus, ist aber nicht so wichtig. Auch dass sich der firmeninterne cash-flow, um den es letztlich bei Investitionsentscheidungen geht, in Zeiten rezessionsbedingter harter Preiskämpfe (Autoindustrie!) nicht verbessern wird, macht nichts.
In seiner Rede wies Greenspan auch auf ein „auffälliges Merkmal der derzeitigen zyklischen Entwicklung gegenüber vielen früheren Zyklen“ hin, das er mit dem „faktischen Fehlen von Spielräumen für Preiserhöhungen in weiten Teilen der amerikanischen Wirtschaft\" beschreibt. Es müssten also erst die Kapazitätsüberhänge abgearbeitet werden (in der Autoindustrie ca. 30 Prozent) und dies in Form von Preisschlachten der Sonderklasse, bevor an neue Investitionen gedacht werden kann. Kurzum: Eine US-Investitionskonjunktur scheint doch weit entfernt zu sein („no recovery in sight“ - Intel). Doch damit lässt sich’s leben.
Es bleibt die mystische Gestalt des US-Verbrauchers. Dieser trägt – getrieben auch von einem All-America-Patriotismus als Ausfluss des 11. Septembers – tatsächlich jedes nur mögliche Scherflein bei, um die Konjunktur zu „beleben“.
Die Lage am Häusermarkt ist bombig. Der Zuwachs an Hypotheken und Käufen marschierte zuletzt bei Steigerungsraten von um die 30 Prozent (Jahresbasis). Und bei seinen sonstigen Ausgaben lässt sich der US-Verbraucher auch nicht lumpen. Die consumer credits sind zum Jahresschluss um fast 15 % über Vorjahr gemeldet worden, was den höchsten Zuwachs seit Bestehen der entsprechenden Statistik (1943) darstellt.
Im Forum von elliott-waves.de werden diese (und andere) Zahlen in laufender Reihe von „Cosa“ aufbereitet und in höchst qualitätsvolle Optiken verwandelt, ein Service, den auch boerse.de-User nicht verschmähen sollten.
Die folgende „Cosa“-Optik ist besonders beeindruckend:
Sie zeigt einen völlig „untypischen“, jedenfalls den bisherigen Erfahrungen mit Zyklen widersprechenden Verlauf.
Die Verschuldung der Konsumenten (Ratio - Total Outstanding to Personal Income) zu den Investitionen (Fixed Investments) jeweils im prozentualen Jahresvergleich zeigt eine noch nie geschaute „Schere“! Ganz abgesehen davon, dass die Verbraucherverschuldung in dieser Konjunkturphase den Investitionen vorausläuft, während sie in der kleinen Rezession zu Beginn der 90er Jahre den Investitionen brav hinterher gedackelt ist – wie es sich auch „gehört“, jedenfalls nach allem, was Theorie und Praxis bisher gelehrt und gezeigt hatten.
Die ganze Sache könnte man damit abtun, dass man die Verbraucher blindlings in eine „Rezessionsfalle“ tapsen sieht und sich möglichst weit davon entfernt aufhält.
Es könnte aber auch sein, dass ein „this time it’s different“ zum Zuge käme. Das würde grob umrissen bedeuten:
In einer „überreifen“ Volkswirtschaft spielen die Unternehmer mit ihren Investitionen keine so wichtige Rolle mehr wie früher, weil die Konsumenten selbst zu Quasi-Unternehmern geworden sind. Entsprechend reizen sie ihre finanziellen Möglichkeiten aus wie dies von jedem Firmen-Boss auch verlangt wird. Nicht mehr die Phänomene „Betrieb“ oder „Fabrik“ stehen im Mittelpunkt, sondern die „privaten Haushalte“, die ihrerseits zu kleinen „Betrieben“ mutiert sind. Schließlich tragen sie ein fast identisches Konkursrisiko, auch wenn ihre Pleiten anders abgewickelt werden als jene nach chapter 11.
Damit wären sämtliche volkswirtschaftlichen Theorien, die zwischen „Investition“ und „Konsum“ eine klare Trennung ziehen, obsolet. Der Konsum würde selbst zur Investition. Investitionszweck wäre dann ein „Wellness“-Gefühl herzustellen, das den Betreiber eines Haushalts marktfähiger macht: Wer steigert nicht seine Produktivität freudig, wenn er endlich den Zweit-Ferrari in der Garage stehen hat?
Wer sucht nicht seinen „Umsatz“ (früher: Lohn und Gehalt) zu steigern, und sei’s mit Hilfe von Dritt- und Viertjobs, wenn er täglich in flotten Erinnerungen an seinen letzten Urlaub (fremdfinanziert natürlich) schwelgen kann?
Der weitere Verlauf der US-Konjunktur wird zeigen, ob es tatsächlich so etwas wie einen säkularen Paradigmenwechsel gibt und wir uns alle flugs umstellen müssen, als Anleger zumal.
Wenn es schon Staaten gibt, die mehr als einen „Jahresumsatz“ ihrer Volkswirtschaften (BIP) auf ihrer Passivseite haben, ohne unterzugehen, warum sollte nicht auch der US-Verbraucher, und in Folge dann die Konsumenten in anderen Ländern, ein Mehrfaches ihres Turnovers an Krediten haben, Hauptsache, sie werden irgendwie bedient? Von wem spielt keine Rolle. Zum Schluss wird’s eh wieder der Staat sein, der den zahlungsunfähigen Mister Miller so rauspaukt wie er schon ganz andere Kaliber rausgepaukt hat und das weltweit, von den Saving & Loan-Banken bis hin zu Holzmann und der LTU.
Alles also Mystik – oder was?
Dr. Paul C. Martin
18.01.2002