Chancen der Abgeltungssteuer nutzenDie Altersvorsorge über Fonds darf nicht beeinträchtigt werden.
Die Pläne des Bundesfinanzministers für eine Abgeltungssteuer auf Einkünfte aus
Kapitalvermögen sorgen schon jetzt für heftige Reaktionen, auch wenn eine mögliche
Reform nicht vor Anfang 2008 in Kraft treten soll. Noch besteht indes die Chance, die
Weichen richtig zu stellen, denn eine Abgeltungssteuer für Einkünfte aus
Kapitalvermögen kann große Vorteile bringen: Eine erhebliche Entlastung von
bürokratischem Aufwand für alle Beteiligten, also Bürger, Steuerverwaltung, Banken und
Fondsgesellschaften; mehr Steuergerechtigkeit durch lückenlose Erfassung der Erträge
an der Quelle; vor allem höhere Akzeptanz und damit insgesamt höhere
Steuereinnahmen für den Fiskus, denn Kapital ist mobil und bleibt nur in Deutschland,
wenn die Steuerbelastung als fair und im internationalen Vergleich als angemessen
empfunden wird.
Welcher Steuersatz aber wäre dafür angemessen? Die Verbände der Kreditwirtschaft
treten für einen Steuersatz von maximal 20 Prozent ein. Soweit bekannt, liegen die
aktuellen Vorstellungen des BMF mit 31,65 Prozent (inklusive Solidaritätszuschlag)
deutlich darüber. Klar ist, dass der Steuersatz einer Abgeltungssteuer erheblich unter
dem Spitzensteuersatz liegen muss, sollen die gewünschten Wirkungen erzielt werden.
Nach einer Untersuchung des BVI aus dem Jahr 2004 hatten von damals 15 EULändern
zehn eine Zinsabgeltungssteuer bei Steuersätzen zwischen 12,5 und 30
Prozent. Dieser Steuersatz lag im Durchschnitt bei 44,2 Prozent des jeweiligen
Spitzensteuersatzes. Wendet man diesen Durchschnitt auf den deutschen
Spitzensteuersatz an, ergibt sich ein Abgeltungssteuersatz von 19,59 Prozent. Durch
einen Steuersatz in dieser Größenordnung ließe sich der Kapitalflucht ins Ausland
wirksam entgegen wirken. Die gewünschten Vereinfachungen und Einsparungen ließen
sich tatsächlich erzielen, weil eine Veranlagungsoption entbehrlich wäre. Bei einem
Steuersatz von mehr als 30 Prozent dagegen wäre davon auszugehen, dass viele, wenn
nicht die Mehrzahl der Sparer sich zu viel gezahlte Abgeltungssteuer im Rahmen der
individuellen Veranlagung zurückholen würden.
Eine Abgeltungssteuer sollte zudem an die derzeitigen Steuertatbestände anknüpfen
und nicht neue schaffen. Derzeit werden Veräußerungsgewinne bei Wertpapieren nur
dann besteuert, wenn sie innerhalb eines Jahres anfallen. Eine fristenunabhängige
Besteuerung von Wertzuwächsen wäre nicht nur eine massive Steuererhöhung, sondern
brächte eine Vielzahl von Problemen mit sich, die der Gesetzgeber sich ersparte, wenn er es bei der Jahresfrist belassen würde. Beispielsweise könnte bei einer zeitlich
unbeschränkten Abgeltungssteuer auf Wertzuwächse von Investmentfonds die jährliche
Besteuerung von thesaurierten Erträgen nicht aufrechterhalten werden, denn diese
Erträge fließen dem Fonds zu und erhöhen so den Anteilwert. Würde diese
Wertsteigerung bei Veräußerung des Fondsanteils nochmals besteuert, führte dies zu
einer unzulässigen Doppelbesteuerung.
Gelegentlich wird sogar gefordert, Veräußerungsgewinne bei Investmentfonds nicht nur
beim Anleger, sondern bereits auf der Fondsebene zu besteuern. Die Folge davon wäre,
dass in Deutschland keine Aktienfonds mehr aufgelegt werden könnten. Allein diese
Konsequenz sollte genügen, jeden Gedanken an eine Besteuerung auf der Fondsebene
sofort wieder zu verwerfen. Unabhängig davon wäre dies aber auch inhaltlich unhaltbar.
Denn anders als der Direktanleger kann der Fondsanleger nicht über
Veräußerungserlöse verfügen, solange er sein Investment hält, und
Veräußerungsgewinne auf Fondsebene können sich bei fallenden Märkten schnell
verflüchtigen. Das Wertpapier, das der Anleger hat, ist der Fondsanteil, und nur
Ausschüttungen und realisierte Wertsteigerungen des Fondsanteils dürfen, wenn
überhaupt besteuert werden.
Außerdem muss sich der Gesetzgeber die Frage stellen, ob er eine gravierende
Beeinträchtigung der privaten Altersvorsorge in Kauf nehmen will. Die Attraktivität eines
Aktien- oder Aktienfondsinvestments würde durch eine Abgeltungssteuer auf langfristige
Wertzuwächse schwer getroffen: Auf Grundlage stabiler Ablaufergebnisse der
vergangenen Jahrzehnte kann bei einem durchschnittlichen Aktienfonds-Sparplan mit
100 Euro Monatseinzahlung nach 30 Jahren mit einem Endvermögen von rund 150.000
Euro gerechnet werden, das heute steuerfrei ist. Bei einer Abgeltungssteuer in Höhe von
31,65 Prozent auf den Wertzuwachs in Höhe von 114.000 Euro würde das
Durchhaltevermögen des Anlegers dagegen mit einem Steuerbescheid über etwa 36.000
Euro „belohnt“ werden. Dass dies der Bereitschaft der Bevölkerung zur eigenständigen
Altersvorsorge nachhaltig schaden würde, ist offensichtlich. Sollten
Veräußerungsgewinne nach Ablauf der Jahresfrist tatsächlich besteuert werden, müsste
langfristiges Sparen also zumindest begünstigt werden. Aus gutem Grund bleiben
langfristige Wertzuwächse in anderen Ländern entweder steuerfrei, wie z.B. in der
Schweiz oder in Österreich (deren Bankfilialen deutsche Anleger bekanntlich nicht nur im
Urlaub rege nutzen), oder sie unterliegen einem ermäßigten Steuersatz. Dieser liegt in
Frankreich nach zwei Jahren bei nur noch 16 Prozent, nach fünf Jahren sind Gewinne
auch dort steuerfrei. In den USA sinkt der Steuersatz nach einem Jahr auf 15 Prozent.
Keine Vereinfachung, sondern nichts anderes als eine massive Steuererhöhung wäre
auch die Abschaffung des Halbeinkünfteverfahrens. Es ist daran zu erinnern, dass das
Halbeinkünfteverfahren an die Stelle des früheren Anrechnungsverfahrens getreten ist
und zum Ziel hat, die Mehrfachbelastung von Unternehmensgewinnen zu vermeiden. Es
kann nicht einfach wegfallen, nur weil beabsichtigt ist, die Steuerbelastung auf der
Unternehmensebene bei gleichzeitig verbreiteter Bemessungsgrundlage nominal zu
senken.
Daher sollte sich die Diskussion über eine Abgeltungssteuer in den nächsten Monaten
wieder auf die eigentlichen Ziele konzentrieren: Die Steuergerechtigkeit verbessern, den
Kapitalabfluss ins Ausland zu stoppen und das Verfahren zu vereinfachen. Diese Ziele
können mit einem angemessenen Abgeltungssteuersatz erreicht werden.
Artikel von
Stefan Seip
Hauptgeschäftsführer
BVI Bundesverband Investment und Asset Management e.V.
in der FAZ, Standpunkte, Seite 21 vom 28. Juli 2006
www.bvi.de/export/sites/internet/de/...6_faz/seip_0706_faz.pdf