Selbst alte Börsenhasen können sich nicht erinnern, so etwas je erlebt zu haben. Die Aktie von Thiel Logistik ist am Montag etwa mit 11 Euro in den Markt gekommen, dann bis 10.30 Uhr auf unter 7 Euro gefallen - um schließlich wieder auf 11 Euro zu steigen.
Alles binnen weniger Handelsstunden. Zwischen 10.30 Uhr und 15.30 Uhr hätte man eine typische Fünf-Jahres-Rendite erzielen können. Die Gerüchte um Thiel überschlagen sich - und viele sind so wild, dass man sie nicht erwähnen will. Ziemlich sicher ist, dass angelsächsische Adressen verkauft haben, die dem Neuen Markt per se den Rücken kehren - und keinen Unterschied machen. Aber das ist nicht alles. Zwischen 1997 und Ende 2002 wird sich der Umsatz vervierzehnfacht haben, zu einem guten Teil durch Übernahmen. Nach den Skandalen am Neuen Markt, aber auch bei Großen wie Tyco , sind die Anleger verständlicherweise skeptisch geworden. Wenn eine Firma derart schnell wächst, sind mögliche Integrationsrisiken grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen, von finanziellen Fallgruben ganz zu schweigen.
Zufall oder nicht: Der Absturz des Titels ist mit dem überraschenden Verkauf von fünf Millionen Aktien durch die Beteiligungsgesellschaft Lorenzo am 12. Dezember zusammengefallen, die jetzt noch rund 22 Prozent an der Firma hält. Dann kam die Übernahme von Birkart Globistics, die Thiel einen zusätzlichen Umsatz von 410 Mio. Euro bescheren wird. Die Vorbehalte waren groß. Tenor: Bei Birkart werden vor allem Kisten geschleppt. Die Post, die auch interessiert war, hat ihrerseits gestichelt, Thiel hätte zu viel bezahlt
Dann kam die unerwartete Kapitalerhöhung am 12. März, wobei die neuen Aktien mit einem Abschlag von 15 Prozent emittiert wurden. Das indes hat nur die institutionellen Neuaktionäre gefreut. Die Kapitalerhöhung wurde nicht überzeugend begründet. Vielleicht soll sie helfen, Großaufträge an Land zu ziehen, etwa von der Bundeswehr.
Wie auch immer: Es sieht so aus, als hätten die verunsicherten Anleger über das Ziel hinausgeschossen. Sicher, die Aktie war im Sektorenvergleich teuer. Aber das gilt jetzt nicht mehr. Harte Fakten, die die jüngsten Turbulenzen rechtfertigten, gibt es nicht. Das Management um Günter Thiel gilt als erstklassig und hat bisher immer geliefert. Die Firma hat netto fast keine Schulden. Das erste Quartal scheint unter Dach und Fach zu sein. Selbst wenn sich der Kapitalmarkt verweigerte, könnte Thiel nach eigener Auskunft für ein paar Jahre mit 25 Prozent wachsen, aus dem internen Cash-Flow. Für 2002 ist ein operativer Gewinn von 109 Mio. Euro geplant, was einer Marge von etwa 6,7 Prozent entspricht. Nach Zinsen, Steuern und Anteilen Dritter würden davon etwa 80 Mio. Euro übrig bleiben. Das KGV liegt danach bei unter 10. Ohne Risiko ist an der Börse nichts zu haben. Aber Thiel ist eine Überlegung wert.
Pinault-Printemps-Redoute
Ertragswachstum war mal die Kernkompetenz von Pinault-Printemps-Redoute (PPR). Von 1995 bis 2000 hatte der Einzelhändler Jahr für Jahr mehr als 20 Prozent geliefert, Das ist vorbei. Nach dem Katastrophenjahr 2001 will PPR keine Prognose wagen. Für Enttäuschungen ist der Gemischtwarenladen trotzdem noch immer zu haben. Beim Umsatz hatte man im ersten Quartal zumindest auf Nullwachstum gehofft. Geworden sind es minus 0,9 Prozent, bereinigt um Wechselkurse und Zukäufe gar minus drei Prozent. Das verheißt trotz der Sparbemühungen nichts Gutes für die Marge.
Der Zyklus ist dabei nur ein kleiner Teil des Problems. Im Nachhinein ist klar, dass ein Gutteil des Wachstums teuer erkauft wurde. CSFB schätzt das organische Umsatzwachstum seit 1995 auf gerade mal drei Prozent. Gleichzeitig sind die Nettoschulden auf 9,3 Mrd. Euro angeschwollen, inklusive Leasingverträgen und ohne das Geldpolster der Demnächst-Tochter Gucci. PPR hat sich verpflichtet, für die restlichen 46,8 Prozent der Luxusmarke 2004 ein Angebot zu machen. Das kostet mindestens 4,9 Mrd. Euro - falls sich Gucci weiter so prima entwickelt, sogar noch mehr. Kein Wunder, dass Standard & Poor’s das Rating auf BBB minus gekürzt hat.
Zwar liegt die Latte aus dem Vorjahr für die kommenden Quartale nicht besonders hoch. Aber mit einem laufenden KGV von 19 ist PPR kein Schnäppchen, auch wenn die Aktie ihren Aufschlag längst verloren hat und gemessen an der Ertragskraft um 20 günstiger notiert als der Sektor. Die Umsätze der wichtigsten Geldbringer schrumpfen kräftig, beim Elektrogroßhändler Rexel um 6,8 Prozent, bei den Conforama-Warenhäusern in Frankreich um 3,5 Prozent. In den USA hat sich der Umsatzschwund verlangsamt. Doch minus zehn Prozent war nur im Vergleich zum fürchterlichen Vorquartal ermutigend.
Und selbst wenn es wieder aufwärts geht, scheint die Konsensschätzung ziemlich hoffnungsfroh. Denn ohne Übernahmen gehen PPR langsam die Verlustvorträge aus, die den Franzosen eine sensationell niedrige Steuerquote von 19,1 Prozent gebracht haben. Die goldenen Zeiten sind für PPR längst vorüber.
Quelle:ftd