Die Gier der Glücksritter

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Die Gier der Glücksritter

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10.03.06 15:56

HANDELSBLATT, Freitag, 10. März 2006, 12:45 Uhr

Vor zehn Jahren startete der Neue Markt Die Gier der Glücksritter 2434040
Die Gier der GlücksritterDie Gier der Glücksritter 2434040
Von Michael Maisch, Christian Schnell Die Gier der Glücksritter 2434040
Am 10. März 1997 geht der Neue Markt an den Start. Die Wachstumsbörse verwandelt die Deutschen von Kapitalmarktboykotteuren zu euphorischen Aktienkäufern. Ein Rückblick.Die Gier der Glücksritter 2434040
Die Gier der Glücksritter 2434040bc22.vhb.de/pshb?fn=relhbi&sfn=cn_load_bin&id=295690" style="max-width:560px" align=left vspace=20 border=0>Die Gier der Glücksritter 2434040

FRANKFURT. Eltern halten ihre Kinder in die Höhe, damit der stattliche Mann im dunklen Anzug oben auf der Bühne den süßen Kleinen einmal über den Kopf streicheln kann. Rentner sind im Reisebus von weither angereist, jetzt recken sie wie verzückte Teenager ihre Arme nach oben, um einmal die Hand ihres Idols zu drücken. Auf der Bühne der Frankfurter Festhalle steht kein Motivationsguru, hier feiert auch kein Erweckungsprediger seinen Gottesdienst, eher schon handelt es sich um einen Götzendienst, um den großen Tanz ums goldene Kalb.

Es ist der 22. Juli 1999, der Tag der Hauptversammlung von EM.TV, und das Idol oben auf der Bühne heißt Thomas Haffa, Chef und Gründer des Münchener Medienunternehmens. Für die ungezügelte Heldenverehrung gibt es einen handfesten Grund: Wer 1997 beim Börsengang von EM.TV mit 6 000 Euro einstieg, der ist dank einem Kursplus von 16 600 Prozent im Sommer 1999 Millionär – auf dem Papier.

Absurde Zahlen, die aber vor noch nicht einmal einem Jahrzehnt ganz normal wirkten. Am 10. März 1997 startete die Deutsche Börse ein eigenes Segment für junge Wachstumsunternehmen, den Neuen Markt. Doch in Jahren lässt sich der Abstand zur heutigen Realität kaum messen. Keine Ära der jüngeren Wirtschaftsgeschichte wirkt im Rückblick so fremd, so unwirklich, so abwegig wie die Zeit des Technologiebooms.

Für eine kurze Zeit verwandelte der Neue Markt Deutschland in ein Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Aus einem Volk von Kleinsparern wurden risikofreudige Aktionäre, plötzlich schien es vor wagemutigen Unternehmensgründern mit innovativen Ideen nur so zu wimmeln. Aufbruchstimmung, Optimismus, Dynamik, alles war da, was im sklerotischen, reformmüden Deutschland des Winters 2006 noch immer viele vermissen.

Doch der Spuk war genau so schnell vorüber, wie er begonnen hatte. Der Neue Markt kannte immer nur eine Richtung – zuerst steil nach oben, dann steil abwärts. Als die große Technologieblase platzte, rissen die abstürzenden Kurse ganze Wirtschaftszweige mit in Depression und Rezession.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: Karl Fickel ist ein Überlebender.

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Karl Fickel ist ein Überlebender. Er war dabei in der Frankfurter Festhalle, als EM.TV Hauptversammlung feierte. Damals war der bodenständige Bayer mit der Vorliebe für quietschbunte Fliegen selbst ein Star, einer der großen „Reichmacher“, der auf der Straße von begeisterten Anlegern umarmt wurde und der Autogramme geben musste.

Für die Fondsgesellschaft Invesco hatte Fickel einen der ersten Neue-Markt-Fonds aufgelegt, den Invesco Neue Märkte. 2001 machte sich der heute 45-Jährige mit seiner eigenen Fondsgesellschaft Lupus Alpha selbstständig. Da war auch der Neue Markt schon auf dem Weg in die Versenkung. Mit Lupus Alpha setzt Fickel noch immer auf kleine und kleinste Werte und das nach einer Durststrecke ziemlich erfolgreich. Der Mann mit dem scharf geschnittenen Gesicht und dem kaum zu bändigenden Haarschopf gehört zu den wenigen Protagonisten, die die Boom-Ära ohne größere Blessuren überstanden haben, und er gehört zu denen, die sich noch immer fragen, was damals eigentlich genau passiert ist: „Das war wie auf der Autobahn. Wenn man drei Stunden mit 200 Kilometer dahinrast, merkt man in der Ausfahrt nicht mehr, dass man viel zu schnell fährt.“

Dabei begann alles ganz langsam. Der Neue Markt startete mit gerade einmal zwei Unternehmen, dem Ingenieurdienstleister Bertrandt und dem Telekommunikationsanbieter Mobilcom. Exakt drei Jahre nach der Gründung am 10. März 2000 erreichte die Wachstumsbörse mit einem Indexstand von 9 631 Punkten ihren Höhepunkt. Da waren mehr als 300 Unternehmen am Neuen Markt notiert. Tag für Tag pumpten die Anleger Millionen in Fickels Fonds – Geld, das angelegt werden wollte. In Neuemissionen zum Beispiel. Zehn Börsengänge in einer Woche waren 1999 keine Seltenheit, insgesamt waren es in diesem Jahr mehr als 140. „Man war völlig überarbeitet, man wollte ja jeden einzelnen Fall prüfen“, meint Fickel.

Aber lohnte sich das überhaupt? Die ersten 50 Neuemissionen legten allesamt am ersten Handelstag zu, bei vielen verdoppelte sich der Kurs binnen weniger Stunden, völlig egal, ob das Management genial oder kriminell, ob die Geschäftsidee brillant oder hahnebüchen war.

Wann kippte der Markt auf dem kurzen, steilen Weg Richtung 9 600 Punkte ins Ungesunde? Wann wurde aus Optimismus Euphorie, wann aus Euphorie Hysterie? Und warum wollte es kaum einer wahrhaben, bevor es zu spät war? Mit „irrationalem Überschwang“ beschreiben einige das Phänomen, für das Fickel diese Erklärung liefert: „Ein fatales Dreieck aus Opfern, Tätern und Getriebenen, und die meisten Marktakteure spielten alle drei Rollen gleichzeitig.“ Es gibt noch weitere Theorien und Erklärungsversuche. Doch am Ende bleibt stets ein Rest, der einfach nicht nachvollziehbar bleibt.

Lesen Sie weiter auf Seite 3: Aber das ein oder andere Warnzeichen gab es schon.

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„Eine spekulative Blase erkennt man eben immer erst, wenn sie geplatzt ist“, hat der Nobelpreisträger Milton Friedman einmal gesagt. Aber das ein oder andere Warnzeichen gab es schon. Da ist zum Beispiel der Mann, der eines Tages im Foyer von Fickels damaligem Arbeitgeber Invesco sitzt, mit einem großen Koffer voller Geld. Den will er nur dem Fondsmanager persönlich übergeben, um sicherzugehen, dass das Geld auch wirklich beim verehrten „Reichmacher“ ankommt. In Frankfurter U-Bahnen konnte man Obdachlose beim Lesen von Börsenmagazinen beobachten. Und wenn eine Branche „in“ war, dann kauften die Anleger alles, was auch nur so ähnlich aussah. Waren Telekom-Aktien angesagt, dann stand oft genug auch Teleplan auf dem Einkaufszettel – dass das Unternehmen sein Geld mit dem Reparieren von Computern verdiente, störte nur unverbesserliche Bedenkenträger.

An den Grundzutaten für eine Börsenblase hat sich seit vielen hundert Jahren nur wenig geändert – von der großen Tulpenspekulation im Holland des 17. Jahrhunderts bis zum Schwarzen Freitag 1929. Am Anfang steht meist eine umwälzende Idee, eine technische Innovation, die die bisher geltenden Gesetze des Wirtschaftens aufzuheben scheint. Im Fall des Neuen Marktes war das die Lehre von der New Economy, die ewig währendes, inflationsfreies Wachstum versprach. Die zweite Zutat ist ein Überschuss an Liquidität, das auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten über die Kapitalmärkte vagabundiert. Dann greift der psychologische Faktor. Die steigenden Kurse bescheren den Anlegern satte Gewinne, die wiederum neue Investoren anlocken. Ein Perpetuum mobile entsteht, die Glücksritter übernehmen das Ruder.

Am Neuen Markt waren das Menschen wie der Fondsmanager Kurt Ochner. Er verwaltete für die Privatbank Julius Bär zeitweise bis zu zwölf Milliarden Euro, mit denen er ein großes Rad drehte. Wie sein Perpetuum mobile funktionierte, zeigt die Beziehung zwischen Ochner und dem Musikproduzenten Jack White. Als White seine Entertainment-Firma an die Börse brachte, griff der Fondsmanager kräftig bei den neuen Aktien zu. Zeitweise kontrollierte Ochner bis zur Hälfte der frei handelbaren Anteile. Im Gegenzug investierte White einen erheblichen Teil der Mittel aus dem Börsengang in Ochner-Fonds. Geld, das der knorrige Vermögensverwalter aus dem Odenwald wieder in den Neuen Markt pumpte.

Solche Konstruktionen waren eindeutige Zeichen der Degeneration. Ende 2000 stand der Neue Markt nur noch bei 2 870 Punkten, und die Rutschpartie ging ungebremst weiter. Dem ehemaligen Schlagersänger Daniel David blieb es vorbehalten, die erste von vielen Pleiten des Neuen Marktes hinzulegen, am 17. September 2001 ging sein Internet-Dienstleister Gigabell in die Insolvenz. „Das ist die Sache nicht wert“, war der Titel einer seiner Songs.

Nach den Glücksrittern kommen meist die Raubritter. Und so schrieb auch der Neue Markt seine ganz eigene Kriminalgeschichte. In Hamburg läuft der Betrugsprozess gegen den ehemaligen Internetunternehmer Alexander Falk noch immer. Gerade erst hat der Stadtplan-Erbe verkündet, dass er ein Stipendium von 200 000 Euro vergeben will, damit wissenschaftlich untersucht wird, ob die Justiz rechtsstaatliche Regeln verletzt hat. Lesen Sie weiter auf Seite 4: Völlig unstrittig ist der dreisteste Betrugsfall des Neuen Marktes.

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Völlig unstrittig ist der dreisteste Betrugsfall des Neuen Marktes. Bodo Schnabel, Chef des Verkehrstechnik-Unternehmens Comroad, meldete ständig neue Großaufträge aus Fernost. Einziger Haken: Die Kunden gab es genauso wenig wie die Aufträge. Für seine phantasievolle Bilanzgestaltung wurde der Manager zu sieben Jahren Haft verurteilt. Aber selbst Staatsanwalt Peter Noll attestierte dem Angeklagten: „Zu einem Clown gehört immer auch ein Zirkus, und dieser Zirkus heißt Neuer Markt.“

Am 21. März 2003 schloss die Deutsche Börse die Manege ein für alle Mal. Der Index stand bei 309 Punkten. Was bleibt von den sechs Jahren zwischen Rausch und Kater?

„Eigentlich hat der Neue Markt trotz aller Kapitalvernichtung mehr Positives als Negatives gebracht“, meint Fondsmanager Fickel. „Immerhin entstanden Tausende Arbeitsplätze, Hunderte innovativer Unternehmen wurden finanziert. Viele davon gibt es immer noch.“ Ganz zu schweigen vom Thema Aktienkultur in Deutschland. Das war bis Mitte der Neunziger nur ein Begriff, der sich erst mit der ersten Tranche der Telekom-Emission im Jahr 1996 und dem Beginn des Neuen Marktes ein Jahr später mit Leben füllte. Anfang 2006 sind wieder 10,8 Millionen Deutsche Aktienbesitzer, so viel wie in der absoluten Hochphase des Neuen Marktes im Jahr 2000.

Von den einst 300 Firmen existiert heute noch rund ein Drittel. Darunter auch einige Kandidaten wie Grenke Leasing „mit absolut lupenreiner Bilanz“, wie Fickel sagt. Seit dem Börsengang im April 2000 legte die Aktie des Unternehmens bis heute um 165 Prozent zu. Eigentlich sei es mit dem Neuen Markt so gewesen wie mit der Eroberung des amerikanischen Westens, meint der Fondsmanager. „Man schickt Tausende Planwagen auf den Weg ins gelobte Land, und wenn man ehrlich ist, wusste man von Anfang an, dass nicht alle ankommen werden.“

Lesen Sie weiter auf Seite 5: Die Themen der 10. Kalenderwoche 1997.

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Die Themen der 10. Kalenderwoche 1997

Bergbau

Bergleute an Ruhr und Saar protestieren gegen die geplante Kürzung der Kohlebeihilfen. Die Subventionen des Bundes sollen von neun auf 3,8 Milliarden D-Mark bis zum Jahr 2005 zurückgefahren werden. Auf Grund dieser Pläne kommt es zu einem Streit der Bundesregierung mit der SPD, der die Diskussionen über die geplante Steuerreform belastet.

Lufthansa

Hemjö Klein, Marketingvorstand der Lufthansa AG, klagt über harten Konkurrenzkampf auf dem deutschen Markt. Die Deutsche BA habe ihr Angebot ohne Rücksicht auf Kosten und Erträge aufgestockt. Auch KLM und Swissair forcierten „Absaug-Aktivitäten“. Zudem drängten viele neue Carrier auf den deutschen Markt.

Russland

Russlands Präsident Boris Jelzin hat seinen bisherigen Stabschef Anatolij Tschubais zum ersten Vizepremier ernannt. Damit ist der Wirtschaftsreformer hinter Ministerpräsident Wiktor Tschernomyrdin zum zweiten Mann in der Regierung aufgerückt.

Japan

Die japanische Regierung plant eine Reform der Bankenaufsicht und reagiert damit auf den Bankenskandal. Alles nur Kosmetik, meinen Kritiker.

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Millionär, steuerfrei

 
10.03.06 17:28

Wer 1997 beim Börsengang von EM.TV mit 6 000 Euro einstieg, der ist dank einem Kursplus von 16 600 Prozent im Sommer 1999 Millionär – auf dem Papier.

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