Das Reförmchen des Kapitalismus

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Das Reförmchen des Kapitalismus

 
25.07.02 14:58
Kurz vor der Sommerpause hat sich der US-Kongress auf schärfere Kontrollen und Strafen für Bilanzfälscher geeinigt. Es ist die größte Reform des amerikanischen Kapitalismus seit 1933. Doch Skandal-Manager werden wohl auch in Zukunft dem Gefängnis entgehen.
 
New York - Angesichts der dramatischen Börsenlage haben es selbst die Republikaner nach langem Zögern auf einmal sehr eilig: Um das Vertrauen der Anleger in die Märkte wieder herzustellen, soll der Reformentwurf noch im Juli von Senat und Repräsentantenhaus verabschiedet und von Präsident George W. Bush unterzeichnet werden, bevor er sich auf seine Ranch in Crawford zurückzieht.
Die Börsenkrise ist das Thema Nummer eins im Land - auch nach der Mittwochs-Rallye. Sie hat das Potenzial, die US-Wirtschaft abzuwürgen und die Kongress-Wahlen im November zu entscheiden. Nach der jüngsten NBC/Wall-Street-Journal-Umfrage glauben 42 Prozent der Amerikaner, dass das Land in die falsche Richtung geht. 70 Prozent trauen weder Brokern noch Unternehmen. Und 60 Prozent glauben, dass keine Reform weitreichend genug sein wird.

Kein Wunder also, dass die Politiker von rechts bis links hart durchgreifen wollen. Details der endgültigen Fassung wurden nicht bekannt gegeben, doch Verhandlungsteilnehmern zufolge enthält der Kompromiss die jeweils schärfsten Positionen aus den beiden ursprünglichen Vorlagen. Die Demokraten feierten dies als "Kapitulation der Republikaner".

Im Einzelnen sieht der Gesetzentwurf fünf wichtige Änderungen vor:

  • Der Gesetzentwurf erhöht die maximale Gefängnisstrafe für Wertpapierbetrug auf 25 Jahre. Unternehmenschefs, die die Börsenaufsicht SEC belügen, müssen mit einer Fünf-Millionen-Dollar-Strafe und bis zu zwanzig Jahren Gefängnis rechnen. Ebenso lange können Dokumente-Vernichter hinter Gitter wandern.


  • Unternehmenschefs und Finanzvorstände müssen ab sofort persönlich für ihre Zahlen bürgen.


  • Außerdem wird eine neue Behörde geschaffen, die die Wirtschaftsprüfer überwacht. Das Accounting Oversight Board ist zwar der SEC unterstellt, soll aber unabhängig sein.


  • Wirtschaftsprüfer dürfen bestimmte Beratungsleistungen nicht mehr anbieten, auch sollen sie alle fünf Jahre rotieren.


  • Der Etat der SEC wird um 66 Prozent erhöht. Gleichzeitig bekommt die Behörde neue Vollmachten bei der Strafverfolgung.


Präsident Bush, um seine Popularität besorgt, hat bereits signalisiert, jegliche Vorlage zu unterschreiben, die auf seinem Tisch landet. "Er freut sich auf ein hartes Gesetz", sagte Regierungssprecher Ari Fleischer.

Mit der Reform wollen die Politiker die Flucht inländischer und ausländischer Investoren von den amerikanischen Börsen stoppen. Doch ob sich die Anleger beruhigen lassen, ist mehr als zweifelhaft.

Zumindest im ersten Jahr könnte die Reform im Gegenteil sogar für noch mehr Unruhe an den Börsen sorgen. Das sei nur logisch, sagt Robert Litan von der Brookings Institution, einem "Think Tank" in Washington. "Die verschärfte Strafverfolgung wird zunächst neue Skandale ans Licht bringen." Das Vertrauen der Anleger werde hingegen erst im Laufe der Zeit zurückkehren.

Auch ist die Reform weit weniger radikal als dargestellt. Als politisch motivierte "Augenwischerei" bezeichnet sie Christian Weller vom Economic Policy Institute. Die wichtigste Neuerung sei die Etaterhöhung für die chronisch unterfinanzierte SEC. Doch dafür brauche man kein Extra-Gesetz.

Das am häufigsten genannte Ziel wird die Reform aller Voraussicht nach verfehlen: Die Bestrafung der Skandal-Manager. Zwar erklärte SEC-Chefverfolger Stephen Cutler am Mittwoch auf CNBC pflichtgemäß, dass die neuen Regeln seine Arbeit erheblich vereinfachen würden.

Doch das Hauptproblem bleibt. Anlegerbetrug und Insidertrading lassen sich nur schwer nachweisen. Es ist kein Zufall, dass die Behörden bisher weder die Enron- noch die WorldCom-Chefs angeklagt haben. Es fehlen schlicht die Beweise. Daran ändern auch höhere Strafen nichts.

Umgekehrt gilt dasselbe. Wenn die Beweise da sind, reichen auch die aktuellen Regeln, um Manager zu verhaften. Das wurde gerade am Mittwoch eindrucksvoll vorgeführt, als fünf Manager des Skandalkonzerns Adelphia in Handschellen abgeführt wurden.

Selbst die neue Vorschrift, dass CEOs per Unterschrift für die Richtigkeit der Unternehmenszahlen persönlich bürgen müssen, wird durch den Zusatz "nach meinem besten Wissen" entwertet. Der Zusatz erlaubt jedem Manager weiterhin die "Ken-Lay-Verteidigung". Der ehemalige Enron-Chef behauptet bis heute, nicht im Bilde gewesen zu sein.

Dennoch handele es sich um ein wegweisendes Reformwerk, sagt Litan, "das größte seit 1933". Damals war die SEC gegründet worden. Die aktuelle Reform sei zusammen mit den neuen Standards der New York Stock Exchange und der SEC eine "Verfeinerung" jenes Systems, sagte Litan. Als besonders wirksam werde sich die Neuerung erweisen, dass Wirtschaftsprüfer in Zukunft nicht vom Vorstand, sondern vom Aufsichtsrat eines Unternehmens bestellt werden.

Weller räumt ein, dass die Reform einige der Interessenskonflikte beseitige. Doch das Verhalten der CEOs werde sich erst nachhaltig ändern, wenn Aktienoptionen als Kosten verbucht würden. Statt Kontrollen und Strafen müsse man die Wurzel des "Raubrittertums" beseitigen: den Anreiz, den Aktienkurs mittels Tricks nach oben zu treiben.

Auch nach der Verabschiedung der Reform wird das Thema noch auf der Tagesordnung bleiben. Nach Informationen der "Washington Post" will Bush den gesamten August dazu nutzen, sich bei den Wählern als guter Wirtschaftspolitiker zu profilieren. Er hat viel aufzuholen: Während er für den Krieg gegen den Terror gute Noten erhält, steht sein Wirtschaftsteam, vor allem Finanzminister Paul O'Neill und sein Wirtschaftsberater Lawrence Lindsey, seit Wochen unter Dauerbeschuss.

Doch es darf bezweifelt werden, dass der Präsident und sein Vize Dick Cheney, beide ehemalige CEOs mit fragwürdigen Bilanzen, jemals ihr Insider-Image los werden. Litan jedenfalls ist überzeugt: "Bush und Cheney werden dieses Thema niemals besetzen."  
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Starke Worte, milde Wirkung

 
29.07.02 06:18
Die amerikanischen Reformen zum Wiederaufbau des Anlegervertrauens klingen radikaler, als sie sind.

Vergangene Woche gab es in Washington eine Menge gegenseitiges Schulterklopfen. Kongress und Weißes Haus brüsten sich, in Rekordzeit und mit großer Entschlossenheit der Vertrauenskrise des amerikanischen Kapitalismus zu begegnen.

Mit zwei Gesetzesvorhaben wollen sie die grassierende Enronitis in den Griff bekommen. Erstens mit dem "Truth and Accountability in Accounting Act", einem Gesetz, das dem Berufsstand der Wirtschaftsprüfer die Selbstkontrolle aus den Händen nimmt und einem neuen Gremium - dem Independent National Board of Accountancy - unter dem Dach der Börsenaufsicht SEC überträgt. Künftig dürfen börsennotierte Unternehmen nur noch von Wirtschaftsprüfern untersucht werden, die beim Board registriert sind und dessen Regeln einhalten. Und zweitens mit dem "Corporate and Criminal Fraud Accountability Act", einem Gesetz, das Bilanz- und Wertpapierbetrug unter schwere Strafen stellt.

Beide Kammern des Kongresses haben diese Vorlagen am Donnerstag fast einstimmig angenommen. Präsident George W. Bush kündigte daraufhin an, die Gesetze zügig unterschreiben zu wollen - ein kühner Sinneswandel. Erst vor drei Wochen hatte er bei seiner Rede an der Wall Street zwar viele Moralappelle an Unternehmer ausgesprochen, den beiden konkreten Gesetzen, die seit dem Frühjahr im Kongress beraten werden, aber seine Zustimmung versagt.

Märkte und Medien hatten Bush dafür hart abgestraft. Anders als der Präsident mochten sie nicht glauben, dass die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft reichen würden, diese Krise zu überwinden. Bush nahm das schockiert zur Kenntnis und änderte seinen Kurs. Daraufhin kletterte der Dow Jones-Index prompt um 489 Punkte an einem einzigen Tag. Repräsentantenhaus und Senat können einen Sieg über das Weiße Haus feiern - sie haben Bush in diese Richtung bugsiert.

Bilanzbetrug wie Mord bestraft

Mehr noch: Das neue Klima ließ es zu, die Gesetze kurz vor der Abstimmung mit extrem scharfen Details zu würzen. So wurde die Höchststrafe für vorsätzlichen Betrug an Aktionären öffentlich gehandelter Firmen von ursprünglich zehn Jahren auf zwanzig Jahre verdoppelt. Das entspricht etwa dem, was in Deutschland für Mord verhängt wird.

Washington kann natürlich Lob für beide Initiativen beanspruchen. Die USA haben schneller gehandelt als andere Staaten. Doch langsamere Länder wie Deutschland können nicht der Maßstab sein. Schon allein deswegen nicht, weil in Amerika wegen der höheren Aktienquote mehr auf dem Spiel steht. Einer ganzen Generation von Rentnern droht derzeit der Verlust ihrer privaten Altersversorgung, und die Wirtschaft ist auf den Zufluss frischen Geldes über die Börse stärker angewiesen als irgendwo sonst. Gemessen an der Bedeutung der Krise handelt Washington zu unentschlossen. Nur die strafrechtlichen Vorschriften sind ein mutiger Schritt, die neuen Wirtschaftsprüfer-Kontrollen sind es nicht. Sie sind Opfer eines politischen Kompromisses geworden, der die Umsetzung guter Ideen in der Praxis massiv erschwert.

Börsenaufsicht überfordert

Kongress und Weißes Haus haben es nicht gewagt, eine Aufsicht für Wirtschaftsprüfer jenseits der Börsenbehörde SEC zu schaffen. Im Gegenteil: Das National Board wird Teil der SEC und damit komplett von ihr abhängig. Die Behörde ernennt die fünf Mitglieder des Boards und genehmigt dessen Budget, das per Umlage von den Unternehmen finanziert wird. Alle Entscheidungen werden von der SEC abgesegnet, und sie bekommt das Recht, Strafen herabzusetzen oder zu erhöhen.

Der Erfolg des neuen Boards hängt damit ganz von der Börsenaufsicht und speziell von ihrem Vorsitzenden ab. Wie bei allen unabhängigen Bundesbehörden genießt der eine überragende Stellung - und genau darin liegt das Problem. SEC-Chef Harvey Pitt wird seit Beginn der Krise heftig kritisiert, weil er zu lasch gegen Bilanzfälscher vorgegangen ist. Die "New York Times" fällt ein verheerendes Urteil über ihn: "Pitt ist der falsche Mann für den falschen Job. Nun wird ihm auch noch aufgetragen, die delikate Aufgabe der Kontrolle von Wirtschaftsprüfern zu lösen. Das ist der falsche Weg." Zudem gilt Pitt als befangen, weil er früher als Anwalt und Lobbyist für Wirtschaftsprüfungs-Konzerne gearbeitet hat.

Statt einen harten, unabhängigen Kontrolleur mit dem Beheben der Vertrauenskrise zu beauftragen, stülpt Washington das Mandat einem SEC-Chef über, der schon seine jetzige Funktion mehr schlecht als recht ausfüllt und nun jene Leute kontrollieren soll, von denen er jahrzehntelang wirtschaftlich abhängig war. Das ist ein fauler Kompromiss, zu erklären nur mit Machtpolitik: Pitt hatte - die Gunst der Stunde nutzend - eine Aufwertung seines Amtes vorgeschlagen und gefordert, in den Kabinettsrang erhoben zu werden. Bush lehnte das ab, schusterte ihm aber zusammen mit dem Kongress zum Trost die Aufsicht über das neue Board zu.

Diese Konstruktion kann höchstens funktionieren, wenn Pitt gegen einen geeigneteren Aufseher ausgetauscht wird. Selbst dann ist es nicht sicher, ob ein Mann mit einer kleinen Behörde der Herkules-Aufgabe gerecht werden kann, die komplette Buchhaltung und alle Börsen der Vereinigen Staaten zu kontrollieren. Doch die Gelegenheit, diese Last auf mehrere Schultern zu verteilen, haben die Amerikaner versäumt.

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