Herlitz, Haffa & Co.
Bedeuteten früher Konkurse auch private Katastrophen, genießen die Pleitiers von heute häufig ein lockeres Dasein
Es ist das Jahr 1961, in dem das Unternehmertum der noch jungen Bundesrepublik Deutschland endgültig seine Unschuld verloren hat. Nicht, dass es vorher keine Pleiten gegeben hätte. Doch in diesem Jahr musste der renommierte Automobilhersteller Borgward in Bremen seinen Konkurs anmelden. Mit ihm verschwanden Marken wie Isabella und der geliebte Leukoplastbomber Lloyd.
Der "Volkswagen des kleinen Mannes" fuhr eine Delle in das deutsche Wirtschaftswunder. 20.000 Menschen verloren ihre Arbeit - und der Maschinenbauer Carl Friedrich Wilhelm Borgward sein Lebenswerk. Sein Scheitern hat er sich nie verziehen. Borgward starb am 28. Juli 1963 an Herzversagen.
"Borgward, ein Manager alten Stils, ist an der Pleite zu Grunde gegangen", sagt Erwin K. Scheuch, Direktor der Kölner Gesellschaft für Sozialforschung und Autor des Buches "Deutsche Pleiten - Manager im Größen-Wahn". In Zeiten des "Kasino-Kapitalismus", so Scheuch, ist das anders: "Heute macht ein Manager dies, morgen das. Wenn's schief geht, sagt er sich: ,Okay, dann kriege ich eben den golden handshake'." Die Bosse seien nicht mehr dem Unternehmen oder den Mitarbeitern verpflichtet, sondern "nur noch dem eigenen Ruhm".
Groß, größer, am größten. Geht das Spiel mit den hohen Einsätzen verloren, heißt es: Rette sich wer kann - und ab in die Sonne. So wie bei den Herlitz-Brüdern. Zu dritt fahren sie das einst hoch profitable Familienunternehmen an die Wand. Doch bevor es richtig kracht, springen sie ab. Heinz (59) ging nach einem Bruderzwist 1992, Peter (60) fünf Jahre später, Klaus (53) verließ Ende vergangenen Jahres den Aufsichtsrat. Die zuletzt 3.000 Mitarbeiter dagegen erleiden den harten Aufprall des 1904 von Carl Herlitz gegründeten Büroartikelherstellers voll. Schuld daran haben die "krassen Fehler" der Enkel, so Ex-Vorstand Werner Eisenhardt. Sie versenkten 100 Millionen Mark in einer "lukrativen" Papierfabrik im russischen Nischni Nowgorod, weitere 400 Millionen gingen für das viel zu große Vertriebszentrum in Berlin-Falkensee drauf.
Konsequenzen: keine. Heinz, der 1997 mit einem Möbelunternehmen erneut eine spektakuläre Pleite hinlegte, lebt laut Presseberichten heute auf einer Nobel-Yacht im mallorquinischen Port Andratx und lässt sich mit seinem Ferrari 355 regelmäßig vor einschlägigen Szene-Lokalen sehen. Peter frönt mit seinen geretteten Millionen ebenfalls dem süßen Leben: im sonnigen Marbella. Klaus, der Dritte im Bunde, ist Präsident eines elitären Golfklubs in Brandenburg.
Was die Brüder zu dritt geschafft haben, erledigte Friedrich Hennemann allein. Der Dr. rer. pol., von Weggefährten als kompetent, aber auch mit einem Hang zur Selbstüberschätzung beschrieben, übernahm 1987 das Steuer der Bremer Vulkan-Werft. Mit seiner Vision, aus dem Schiffsbauer einen modernen "Technologiekonzern mit maritimem Schwerpunkt" zu machen, scheiterte er gründlich. Nach einer groß angelegten Einkaufstour, bei der er unter anderem ein Softwarehaus, eine Maschinenfabrik und ein Dieselmotorwerk erwarb, hatte der Werftenverbund nicht den "Turn-around" geschafft, wie Hennemann beteuerte, sondern geriet erst recht in Schieflage. Kurz nach seinem erzwungenen Abgang ging das Unternehmen im Mai 1996 in Konkurs, 9.000 Mitarbeiter verloren ihren Job.
Doch anders als die Herlitz-Brüder nahm Hennemann nicht unbelastet Abschied: Von der Treuhand hatte die Vulkan-Werft 1,3 Milliarden Mark für die Modernisierung übernommener Ost-Werften erhalten. 854 Millionen davon waren versickert - in Hennemanns undurchsichtigem Firmengeflecht. Die Konsequenzen: Hausdurchsuchung, U-Haft, ein jahrelanger Prozess. Im Dezember 2001 verurteilte das Bremer Landgericht den "Traumtänzer in der Werftenlandschaft" ("Süddeutsche Zeitung") wegen vorsätzlicher Verletzung der "Vermögensbetreuungspflicht" zu zwei Jahren auf Bewährung. Gerade noch mal gut gegangen. So bleibt der vorbestrafte Mittsechziger Optimist: Er will weiter Top-Leute aus der maritimen Wirtschaft beraten.
Unter Selbstüberschätzung und Unvermögen litt auch Thomas Haffa. Der Ziehsohn seines nun ebenfalls gescheiterten Mentors Leo Kirch mutete dem kometenhaft aufgestiegenen Filmrechtehandel EM.TV zu viel zu. Im Februar 2000 kaufte Haffa für 1,3 Milliarden Mark die Jim Henson Company ("Muppet-Show"), nur einen Monat später für schlappe 3,3 Milliarden 50 Prozent an der Formel-1-Holding SLEC.
Anfang 2001 platzte die Blase: Statt der angekündigten 600 Millionen Mark Gewinn "erwirtschaftete" EM.TV 2,8 Milliarden Miese. Wegen Insiderhandels und Veröffentlichung falscher Zahlen hat die Münchner Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen die gegangenen Ex-Vorstände Thomas und Florian Haffa eingeleitet. Tausende Kläger hoffen auf Schadenersatz.
Thomas Haffa jedenfalls scheint das nicht weiter zu stören. Er hat frühzeitig genug Aktien verkauft, um es kommende Woche bei seinem 50. Geburtstag in Kitzbühel richtig krachen zu lassen - so wie in alten Zeiten. Ansonsten sei er häufig auf seinem Segelboot und telefoniere viel, heißt es. Ob er bei seinem Neustart mit der Flugcharterfirma Air Independence genauso erfolgreich ist wie Heinz Herlitz mit seinem Möbelhaus "Joy", wird sich zeigen. "Ein Mann wie Haffa", glaubt Scheuch jedenfalls, "kriegt kein Geld mehr."
Für manchen Manager kommt es dagegen noch schlimmer - wenn kein süßes Leben, sondern die Vollpension im Knast wartet. So hält sich Manfred Schmider in der Gefängniszelle vor allem mit seinen Erinnerungen bei Laune. An das rauschende Fest zu seinem 50. Geburtstag im Herbst 1999 zum Beispiel, für das der damalige Chef des Bohrspezialisten Flowtex eine Million Mark auf den Tisch legte. 500 Gäste aus der Prominenz Baden-Württembergs durften sich an dem Büffet mit Gänsestopfleber, Hummer und Kaviar satt essen. Sie liebten die Großzügigkeit dieses Mannes. Auch erinnert er sich noch an den Jaguar E type, den Ferrari Daytona Spider und den Rolls-Royce im Fuhrpark. Und die kostbare Kunstsammlung in seiner Villa im Karlsruher Vorort Durlach, von der er gerne morgens mit dem Helikopter zum zehn Kilometer entfernten Firmensitz geflogen ist - wenn er sich nicht gerade auf der 55-Meter-Hochseeyacht oder auf einem der schmucken Anwesen in Südfrankreich, Florida, St. Moritz oder Montevideo vergnügte. Kurzum: ein Lebemann.
Nicht so gerne denkt Schmider an das Frühjahr 2000. Die Tage, an denen sein großer Schwindel auffliegt und der Insolvenzantrag gestellt wird. Mit Scheingeschäften hat das Unternehmen Banken und Leasing-Firmen geschädigt. Pech für die nach eigenen Angaben 4.000 Mitarbeiter, die in den rund 90 Firmen der Flowtex-Gruppe in 40 Ländern arbeiten. Flowtex wird zum "größten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte" ("Manager Magazin"). Strafrechtlicher Schaden: 2,2 Milliarden Euro. Zwischenzeitlich attestiert der Gerichtsgutachter dem Vorzeigeunternehmer Größenwahn. Konsequenz für Schmider: zwölf Jahre Haft.
Etwas besser erging es dem Baulöwen Jürgen Schneider. Die Strafe von sechs Jahren und neun Monaten wegen Betrugs und Urkundenfälschung musste er nur zu zwei Dritteln absitzen, der Rest wurde zur Bewährung ausgesetzt. Trotzdem "ist er kaputt", sagt Experte Scheuch. An einen Neustart sei nicht zu denken. Nach seiner Haftentlassung saß Schneider auf einem Schuldenberg von 2,6 Milliarden Mark.
Jetzt haben sogar Peanuts einen Wert für ihn: Das Ehepaar quartierte sich in eine 64-Quadratmeter-Wohnung ein. Schneider versucht dennoch eine zweite Karriere. Er schreibt Bücher mit Titeln wie "Alle meine Häuser" und "Top oder Flop. Was gute Geschäfte von schlechten unterscheidet".
Gruß
Happy End
