World Economic Forum
China ist der Maßstab
Trotz dramatisch gestiegener Ölpreise und erheblicher struktureller Ungleichgewichte steht die Weltkonjunktur nach wie vor unter Dampf. Doch gerade im Wirtschaftswunderland China könnte der Ofen ausgehen, wenn sich nicht einiges ändert.
DAVOS. Die Investmentbank Goldman Sachs rechnet mit einer Zunahme des globalen Bruttoinlandsprodukts um 4,2 Prozent. „Ich bin recht zuversichtlich“, sagte Chefvolkswirt Jim O’Neill in Davos am Rande des Weltwirtschaftsforums im Schweizer Skiort Davos.
Die wichtigsten Lokomotiven der globalen Wirtschaft sind China und die USA. Darüber waren sich auch andere Experten zum Auftakt des Forums in Davos einig. Die US-Bürger müssten allerdings mehr sparen und weniger ausgeben. In China sei es genau umgekehrt. Falls die „Selbstgefälligkeit der Märkte und Unternehmer“ anhalte, könnten sich die globalen Ungleichgewichte vergrößern, warnte Stephen Roach, Chefökonom der Investmentbank Morgan Stanley.
Die Volksrepublik ist mit fast zehn Prozent Wachstum in 2005 zwar eines der Zugpferde der Weltwirtschaft, leidet aber ebenso wie die USA unter einem gravierenden Strukturproblem. Zwar weist China nicht wie die USA ein Doppeldefizit in Haushalt und Leistungsbilanz auf. Doch in China wird das Wachstum fast ausschließlich durch Investitionen und Exporte erzeugt.
„Das Wachstumsmodell aus hoher Sparquote und Auslandsinvestitionen ist auf Dauer nicht tragbar“, warnt Zhu Min, Vizepräsident der Bank of China. „China muss den Konsum und die Binnennachfrage ankurbeln und den hohen Exportüberschuss abbauen.“ In China beträgt die Sparquote etwa 45 Prozent, in den USA wurde 2005 gar nicht gespart.
Schwächstes Glied in der globalen Wachstumskette sei derzeit der US-Konsum, sagte Roach. Nachdem amerikanische Verbraucher jahrelang kreditfinanzierte Investitionen in die Kapital- und Immobilienmärkte getätigt haben, geht ihnen nun langsam die Luft aus. Das macht sich auch beim Hauskauf bemerkbar. „Die Leute haben weniger Geld in der Tasche, die Verbrauchernachfrage ist in den USA gesunken“, sagte Roach. „Das kann sich zu einem ernsten Problem für die Weltwirtschaft entwickeln, wenn es China und anderen Ländern nicht gelingt, die Binnennachfrage erheblich anzukurbeln.“ Goldman-Sachs-Chefvolkswirt O’Neill rechnet trotz möglicher Turbulenzen auf dem US-Häusermarkt nicht mit einem Crash. „Es wird keine Tränen der Verzweiflung geben“, sagte er.
Die Top-Unternehmer der Welt sind offenbar ebenfalls überzeugt, dass die Weltwirtschaft günstige Perspektiven aufweist, vor allem in den Schwellenländern. Sie investieren dort in erster Line, weil sie von den Marktchancen überzeugt sind und neue Kunden erobern wollen, nicht um Kosten zu senken. Das geben über 1 400 Vorstandschefs aus der ganzen Welt in einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PWC) zu erkennen.
Die schnell wachsenden Volkswirtschaften der Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China (bekannt unter der Abkürzung BRIC) seien in der Vergangenheit von den CEOs vornehmlich als verlängerte Werkbänke mit niedrigen Lohnkosten gesehen worden, sagte PWC-Chef Samuel Di Piazza bei der Vorstellung der Umfrage am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos. „Das ist jetzt anders“ sagte er. „Jetzt sehen über zwei Drittel der Unternehmensführer, dass es in diesen Ländern große Wachstumschancen für international tätige Unternehmen gibt.“
Die neunte PWC-Umfrage dieser Art fand im vierten Quartal 2005 statt. 463 der 1410 Interviews fanden in Europa statt, davon 75 in Deutschland. Rund 71 Prozent der Befragten sagten, sie wollten in den nächsten drei Jahren in mindestens einem der BRIC-Staaten investieren. Favorit ist China: 78 Prozent planen Engagements im Reich der Mitte. 64 Prozent zieht es nach Indien, 48 Prozent nach Russland und 46 Prozent nach Brasilien. Favorit der Deutschen ist aber Russland, 80 Prozent der in Deutschland Befragten planen dort Investitionen. Die BRIC-Schwellenländer werden nach einer Analyse von Goldman Sachs die führenden Wirtschaftsnationen der Welt im Jahr 2050 sein. China werde die Rangliste der größten Volkswirtschaften dann vor den USA, Indien, Japan und Brasilien anführen. Deutschland liegt in diesem Ranking hinter Russland auf dem siebten Platz.
Die Erwartungen der Unternehmer an gute Geschäfte in aufstrebenden Staaten werden auch nicht durch die Preisschocks auf den Energiemärkten und die dadurch entstehenden Inflationsrisiken eingetrübt. Jakob Frenkel, Vizepräsident der American International Group, geht davon aus, dass eine Rückkehr zu moderaten Ölpreisen 2006 nicht erfolgt. „Die Preise bleiben hoch, aber sie schlagen noch nicht auf die Inflation durch.“ Auch Goldman Sachs ist in Sorge über die Preisentwicklung am Ölmarkt. „Das steckt ein großes Gefährdungspotenzial drin“, sagt O’Neill. „Ab einer bestimmten Höhe wird es negative Effekte für die Weltwirtschaft geben.“ Doch dieser Punkt sei noch nicht erreicht. „Vielleicht bleibt er auch ganz aus.“
Quelle: HANDELSBLATT, Donnerstag, 26. Januar 2006, 08:11 Uhr
...be invested
Der Einsame Samariter
China ist der Maßstab
Trotz dramatisch gestiegener Ölpreise und erheblicher struktureller Ungleichgewichte steht die Weltkonjunktur nach wie vor unter Dampf. Doch gerade im Wirtschaftswunderland China könnte der Ofen ausgehen, wenn sich nicht einiges ändert.
DAVOS. Die Investmentbank Goldman Sachs rechnet mit einer Zunahme des globalen Bruttoinlandsprodukts um 4,2 Prozent. „Ich bin recht zuversichtlich“, sagte Chefvolkswirt Jim O’Neill in Davos am Rande des Weltwirtschaftsforums im Schweizer Skiort Davos.
Die wichtigsten Lokomotiven der globalen Wirtschaft sind China und die USA. Darüber waren sich auch andere Experten zum Auftakt des Forums in Davos einig. Die US-Bürger müssten allerdings mehr sparen und weniger ausgeben. In China sei es genau umgekehrt. Falls die „Selbstgefälligkeit der Märkte und Unternehmer“ anhalte, könnten sich die globalen Ungleichgewichte vergrößern, warnte Stephen Roach, Chefökonom der Investmentbank Morgan Stanley.
Die Volksrepublik ist mit fast zehn Prozent Wachstum in 2005 zwar eines der Zugpferde der Weltwirtschaft, leidet aber ebenso wie die USA unter einem gravierenden Strukturproblem. Zwar weist China nicht wie die USA ein Doppeldefizit in Haushalt und Leistungsbilanz auf. Doch in China wird das Wachstum fast ausschließlich durch Investitionen und Exporte erzeugt.
„Das Wachstumsmodell aus hoher Sparquote und Auslandsinvestitionen ist auf Dauer nicht tragbar“, warnt Zhu Min, Vizepräsident der Bank of China. „China muss den Konsum und die Binnennachfrage ankurbeln und den hohen Exportüberschuss abbauen.“ In China beträgt die Sparquote etwa 45 Prozent, in den USA wurde 2005 gar nicht gespart.
Schwächstes Glied in der globalen Wachstumskette sei derzeit der US-Konsum, sagte Roach. Nachdem amerikanische Verbraucher jahrelang kreditfinanzierte Investitionen in die Kapital- und Immobilienmärkte getätigt haben, geht ihnen nun langsam die Luft aus. Das macht sich auch beim Hauskauf bemerkbar. „Die Leute haben weniger Geld in der Tasche, die Verbrauchernachfrage ist in den USA gesunken“, sagte Roach. „Das kann sich zu einem ernsten Problem für die Weltwirtschaft entwickeln, wenn es China und anderen Ländern nicht gelingt, die Binnennachfrage erheblich anzukurbeln.“ Goldman-Sachs-Chefvolkswirt O’Neill rechnet trotz möglicher Turbulenzen auf dem US-Häusermarkt nicht mit einem Crash. „Es wird keine Tränen der Verzweiflung geben“, sagte er.
Die Top-Unternehmer der Welt sind offenbar ebenfalls überzeugt, dass die Weltwirtschaft günstige Perspektiven aufweist, vor allem in den Schwellenländern. Sie investieren dort in erster Line, weil sie von den Marktchancen überzeugt sind und neue Kunden erobern wollen, nicht um Kosten zu senken. Das geben über 1 400 Vorstandschefs aus der ganzen Welt in einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers (PWC) zu erkennen.
Die schnell wachsenden Volkswirtschaften der Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China (bekannt unter der Abkürzung BRIC) seien in der Vergangenheit von den CEOs vornehmlich als verlängerte Werkbänke mit niedrigen Lohnkosten gesehen worden, sagte PWC-Chef Samuel Di Piazza bei der Vorstellung der Umfrage am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos. „Das ist jetzt anders“ sagte er. „Jetzt sehen über zwei Drittel der Unternehmensführer, dass es in diesen Ländern große Wachstumschancen für international tätige Unternehmen gibt.“
Die neunte PWC-Umfrage dieser Art fand im vierten Quartal 2005 statt. 463 der 1410 Interviews fanden in Europa statt, davon 75 in Deutschland. Rund 71 Prozent der Befragten sagten, sie wollten in den nächsten drei Jahren in mindestens einem der BRIC-Staaten investieren. Favorit ist China: 78 Prozent planen Engagements im Reich der Mitte. 64 Prozent zieht es nach Indien, 48 Prozent nach Russland und 46 Prozent nach Brasilien. Favorit der Deutschen ist aber Russland, 80 Prozent der in Deutschland Befragten planen dort Investitionen. Die BRIC-Schwellenländer werden nach einer Analyse von Goldman Sachs die führenden Wirtschaftsnationen der Welt im Jahr 2050 sein. China werde die Rangliste der größten Volkswirtschaften dann vor den USA, Indien, Japan und Brasilien anführen. Deutschland liegt in diesem Ranking hinter Russland auf dem siebten Platz.
Die Erwartungen der Unternehmer an gute Geschäfte in aufstrebenden Staaten werden auch nicht durch die Preisschocks auf den Energiemärkten und die dadurch entstehenden Inflationsrisiken eingetrübt. Jakob Frenkel, Vizepräsident der American International Group, geht davon aus, dass eine Rückkehr zu moderaten Ölpreisen 2006 nicht erfolgt. „Die Preise bleiben hoch, aber sie schlagen noch nicht auf die Inflation durch.“ Auch Goldman Sachs ist in Sorge über die Preisentwicklung am Ölmarkt. „Das steckt ein großes Gefährdungspotenzial drin“, sagt O’Neill. „Ab einer bestimmten Höhe wird es negative Effekte für die Weltwirtschaft geben.“ Doch dieser Punkt sei noch nicht erreicht. „Vielleicht bleibt er auch ganz aus.“
Quelle: HANDELSBLATT, Donnerstag, 26. Januar 2006, 08:11 Uhr
...be invested
Der Einsame Samariter
