Pekings Mega-Mall hat einen Makel
Von Markus Gärtner, Handelsblatt
Es kommt keiner - die „Goldquelle“ glänzt mit gähnender Leere. Chinas größter nach westlichem Vorbild errichteter Konsumtempel klotzt in Design und Farbe - doch die Kundschaft bleibt aus. Eine Handelsblatt-Reportage.
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§Der Handel findet in China immer noch am Straßenrand statt. Foto: dpa
PEKING. Das Monstrum hat die klotzige Form eines Flugzeug-Hangars und die farbliche Gestaltung eines Hundertwasser-Hauses. Chinas neustes Einkaufszentrum im Norden der Hauptstadt, am dicht befahrenen Dritten Ring, ist ein blau, gelb und orangefarben getäfelter Koloss, Hunderte von Metern lang und so hoch wie ein Riesenrad.
Dutzende von Baukränen umzingeln die Jin Yuan, die „Goldquelle“ genannte Shopping-Burg nach dem amerikanischen Mall-Prinzip. Mit 600 000 qm ist sie um die Hälfte größer als die „Mall of America“ in Minnesota, die sich bisher rühmte, das größte Einkaufszentrum der Welt zu sein.
Im Inneren der Goldquelle herrscht atemberaubende Glitzerstimmung: ein gigantisches Atrium, 230 Rolltreppen, 1 000 Geschäfte. Das Angebot reicht von Motorrad-Jacken aus Ziegenleder über italienische Designer-Badewannen, handgefertigte Violinen und Kuckucks-Uhren bis zu Jaguare und Windeln. Zwei Tage dauert es, diesen Tempel aus Stahl und Glas zu durchwandern.
Die Art-deco-Mall ist der jüngste Schrein, den sich Chinas Kommunisten geleistet haben. Sie untermauert, wohin die KP das Land mit seinen 1,3 Milliarden Bürgern steuern will: in eine „Xiaokang“-Gesellschaft, ein brummendes Schwellenland mit bescheidenem Wohlstand
Doch es scheint, als hätte die KP die Kaufkraft der Bevölkerung überschätzt. Denn in der „Mall, die Ihr Leben verändert“ (Eigenwerbung), sind kaum Menschen zu sehen. An einem beliebigen Wochentag übersteigt die Zahl der Verkäuferinnen leicht die der Besucher. Und die einsamsten Plätze in dieser Scheinwelt des chinesischen „Markt-Leninismus“ sind die Kassen: An einem Freitagnachmittag im November wurden hier in der Stunde 20 Käufer gezählt.
Die meisten, die sich in die Goldquelle verirren, kaufen nicht ein – sie gucken nur neugierig. „Ich kann mir das alles nicht leisten“, sagt ein gebeugt dahinschleichender älterer Mann aus Peking. In der linken Hand hält er ein Paar glänzende Angelinfantes-Schuhe aus Spanien für 1 400 Yuan (etwa 140 Euro) und bestaunt sie so ungläubig, als hätte ihm jemand die Mona Lisa überreicht. 1 400 Yuan sind in Peking ein Monatsgehalt. Schuhe aus lokaler Fertigung sind für höchstens ein Zehntel des Preises zu haben. Und nur jeder zehnte Chinese hat – selbst in den Boomstädten der Ostküste – das nötige Einkommen, um sich die westliche Image-Ware zu leisten. In der Nachbar-Boutique findet der Mann Fendi-Krawatten für 1 500 Yuan pro Stück, dahinter Schießer-Unterhosen für 480. Den Fendi-Schlips bekommt er als Raubkopie auf den Pekinger Märkten jedoch auch für einen Euro.
„Ich denke, es wird drei bis fünf Jahre dauern, bis wir Gewinne einfahren“, sagt mit zuversichtlicher Miene Fu Yuehong, die Geschäftsführerin der New Yansha Group, die gut die Hälfte der riesigen Mall betreibt. „Wir sind das bevölkerungsreichste Land auf der Welt, und wir haben die am schnellsten wachsende Wirtschaft“, schiebt sie trotzig nach: „Diese Mall zeigt unseren Fortschritt als Gesellschaft.“ Im Klartext: Anspruch und Propaganda bestimmen einen nicht unwesentlichen Teil der Bautätigkeit in China, das sich bis zu den Olympischen Sommerspielen 2008 als führendes Land präsentieren will.
Dabei aber steigt die Zahl der Konsumtempel noch schneller an als die verfügbaren Einkommen. Und das, obwohl die Umsätze des Einzelhandels derzeit um 14 Prozent im Jahr wachsen. Kein Wunder, dass die Zentralregierung in Peking bei solcher Investitionswut in diesem Jahr mit dämpfenden Maßnahmen einschritt, um eine Blase zu vermeiden. Selbst Premier Wen Jiabao warnte im Sommer vor einem „Shopping-Mall-Wahn“. Und ein amerikanischer Geschäftsmann in Peking, der nicht genannt werden will, witzelt: „Westliche Markenhersteller betrachten Läden ohne Umsatz in China als Form der Werbung und der Positionierung für die Zukunft.“
Die Goldquelle wurde für 50 000 Besucher pro Tag ausgelegt. Doch trotz ihres Neuigkeitswertes klingelt kaum eine Kasse. Wal-Mart soll Gerüchten zufolge schon nach 30 Minuten die Verhandlungen über einen Auftritt in der Goldquelle abgebrochen haben.
Es ist die viel beschworene Mittelschicht der chinesischen Bevölkerung, angeblich rund 100 Millionen Menschen, die den Konsum-Dienst verweigert. Kein Wunder: Die Preise für Energie, Gesundheitsvorsorge und Schulen steigen ebenso wie die Hypothekenbelastung. Andy Xie, China-Experte bei Morgan Stanley in Hongkong, glaubt, dass Goldquellen-Gräber und westliche Konzerne eines nicht erkennen: „Der übliche Fehler ist, hohe Preise und hohes Wachstum auf 1,3 Milliarden Chinesen hochzurechnen und zu viel zu erwarten.“
HANDELSBLATT, Montag, 27. Dezember 2004, 12:44 Uhr
Von Markus Gärtner, Handelsblatt
Es kommt keiner - die „Goldquelle“ glänzt mit gähnender Leere. Chinas größter nach westlichem Vorbild errichteter Konsumtempel klotzt in Design und Farbe - doch die Kundschaft bleibt aus. Eine Handelsblatt-Reportage.
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§Der Handel findet in China immer noch am Straßenrand statt. Foto: dpa
PEKING. Das Monstrum hat die klotzige Form eines Flugzeug-Hangars und die farbliche Gestaltung eines Hundertwasser-Hauses. Chinas neustes Einkaufszentrum im Norden der Hauptstadt, am dicht befahrenen Dritten Ring, ist ein blau, gelb und orangefarben getäfelter Koloss, Hunderte von Metern lang und so hoch wie ein Riesenrad.
Dutzende von Baukränen umzingeln die Jin Yuan, die „Goldquelle“ genannte Shopping-Burg nach dem amerikanischen Mall-Prinzip. Mit 600 000 qm ist sie um die Hälfte größer als die „Mall of America“ in Minnesota, die sich bisher rühmte, das größte Einkaufszentrum der Welt zu sein.
Im Inneren der Goldquelle herrscht atemberaubende Glitzerstimmung: ein gigantisches Atrium, 230 Rolltreppen, 1 000 Geschäfte. Das Angebot reicht von Motorrad-Jacken aus Ziegenleder über italienische Designer-Badewannen, handgefertigte Violinen und Kuckucks-Uhren bis zu Jaguare und Windeln. Zwei Tage dauert es, diesen Tempel aus Stahl und Glas zu durchwandern.
Die Art-deco-Mall ist der jüngste Schrein, den sich Chinas Kommunisten geleistet haben. Sie untermauert, wohin die KP das Land mit seinen 1,3 Milliarden Bürgern steuern will: in eine „Xiaokang“-Gesellschaft, ein brummendes Schwellenland mit bescheidenem Wohlstand
Doch es scheint, als hätte die KP die Kaufkraft der Bevölkerung überschätzt. Denn in der „Mall, die Ihr Leben verändert“ (Eigenwerbung), sind kaum Menschen zu sehen. An einem beliebigen Wochentag übersteigt die Zahl der Verkäuferinnen leicht die der Besucher. Und die einsamsten Plätze in dieser Scheinwelt des chinesischen „Markt-Leninismus“ sind die Kassen: An einem Freitagnachmittag im November wurden hier in der Stunde 20 Käufer gezählt.
Die meisten, die sich in die Goldquelle verirren, kaufen nicht ein – sie gucken nur neugierig. „Ich kann mir das alles nicht leisten“, sagt ein gebeugt dahinschleichender älterer Mann aus Peking. In der linken Hand hält er ein Paar glänzende Angelinfantes-Schuhe aus Spanien für 1 400 Yuan (etwa 140 Euro) und bestaunt sie so ungläubig, als hätte ihm jemand die Mona Lisa überreicht. 1 400 Yuan sind in Peking ein Monatsgehalt. Schuhe aus lokaler Fertigung sind für höchstens ein Zehntel des Preises zu haben. Und nur jeder zehnte Chinese hat – selbst in den Boomstädten der Ostküste – das nötige Einkommen, um sich die westliche Image-Ware zu leisten. In der Nachbar-Boutique findet der Mann Fendi-Krawatten für 1 500 Yuan pro Stück, dahinter Schießer-Unterhosen für 480. Den Fendi-Schlips bekommt er als Raubkopie auf den Pekinger Märkten jedoch auch für einen Euro.
„Ich denke, es wird drei bis fünf Jahre dauern, bis wir Gewinne einfahren“, sagt mit zuversichtlicher Miene Fu Yuehong, die Geschäftsführerin der New Yansha Group, die gut die Hälfte der riesigen Mall betreibt. „Wir sind das bevölkerungsreichste Land auf der Welt, und wir haben die am schnellsten wachsende Wirtschaft“, schiebt sie trotzig nach: „Diese Mall zeigt unseren Fortschritt als Gesellschaft.“ Im Klartext: Anspruch und Propaganda bestimmen einen nicht unwesentlichen Teil der Bautätigkeit in China, das sich bis zu den Olympischen Sommerspielen 2008 als führendes Land präsentieren will.
Dabei aber steigt die Zahl der Konsumtempel noch schneller an als die verfügbaren Einkommen. Und das, obwohl die Umsätze des Einzelhandels derzeit um 14 Prozent im Jahr wachsen. Kein Wunder, dass die Zentralregierung in Peking bei solcher Investitionswut in diesem Jahr mit dämpfenden Maßnahmen einschritt, um eine Blase zu vermeiden. Selbst Premier Wen Jiabao warnte im Sommer vor einem „Shopping-Mall-Wahn“. Und ein amerikanischer Geschäftsmann in Peking, der nicht genannt werden will, witzelt: „Westliche Markenhersteller betrachten Läden ohne Umsatz in China als Form der Werbung und der Positionierung für die Zukunft.“
Die Goldquelle wurde für 50 000 Besucher pro Tag ausgelegt. Doch trotz ihres Neuigkeitswertes klingelt kaum eine Kasse. Wal-Mart soll Gerüchten zufolge schon nach 30 Minuten die Verhandlungen über einen Auftritt in der Goldquelle abgebrochen haben.
Es ist die viel beschworene Mittelschicht der chinesischen Bevölkerung, angeblich rund 100 Millionen Menschen, die den Konsum-Dienst verweigert. Kein Wunder: Die Preise für Energie, Gesundheitsvorsorge und Schulen steigen ebenso wie die Hypothekenbelastung. Andy Xie, China-Experte bei Morgan Stanley in Hongkong, glaubt, dass Goldquellen-Gräber und westliche Konzerne eines nicht erkennen: „Der übliche Fehler ist, hohe Preise und hohes Wachstum auf 1,3 Milliarden Chinesen hochzurechnen und zu viel zu erwarten.“
HANDELSBLATT, Montag, 27. Dezember 2004, 12:44 Uhr