Die Wall Street überstand den größten Kurzschluss der Geschichte zunächst ohne größere Blessuren. Doch Experten warnen: Die tatsächlichen Auswirkungen für Broker, Banker und Aktionäre beginnt erst heute.
New York - Das bei weitem größte Möbelstück in Dick Grassos Büro ist ein langes, luxuriöses Ledersofa. Dort hinein bugsiert New Yorks Börsenchef seine Besucher zum Gespräch; es ist tief und bequem und so positioniert, dass man den ganzen Raum überblickt: schwere Eichentüren, der Mahagoni-Schreibtisch, eine antike Standuhr, viele Erinnerungsfotos mit Prominenten und unter der Decke ein Leuchtband mit den aktuellen Aktienkursen.
Als dieses Leuchtband jetzt im Jahrhundert-Blackout der letzten Woche abrupt erlosch, fand Grassos Sofa, fünf Stockwerke über dem Börsenparkett, kurzfristig eine neue, unkonventionelle Funktion: Der Vorsitzende der Stock Exchange verbrachte darauf die kurze Nacht, von Kerzen umringt. Gemeinsam mit 300 Brokern und Technikern, die im Board Room und im Luncheon Club campierten, wachte er am nächsten Morgen darüber, dass das globale Finanzherz mit Notstromkraft aus dem Generator wieder zu schlagen begann.
Und so ging der folgenschwerste Kurzschluss in der Weltgeschichte an der weltgrößten Börse nahezu spurlos vorbei. Obwohl Banker, Händler und Abermillionen Anleger von der Außenwelt abgeschnitten waren, hielt sich der Dow wacker und schloss den Niedrigwatt-Tag sogar mit einem (eher symbolischen) Plus von 0,1 Prozent ab. Die Schlussglocke durften die Hauselektriker läuten. Für Grasso, der seit Monaten von schlechten Nachrichten verfolgt wird, war es eine Stunde des Aufatmens.
"Warum ist das passiert?"
Die wahren Folgen zeigen sich erst heute. "Die realen Konsequenzen des Blackouts auf Kurse und Daten werden wir erst ab Montag zu spüren bekommen", sagt Peter Cardillo, Chefstrategist von Global Partner Securities.
Und was da zu erwarten ist, darüber streiten sich die Experten. Wird der Blackout eine ähnliche Zäsur sein wie der 11. September 2001? Wird er, zur Freude der Bullen, endlich eine neue Zeitrechnung einläuten? Wird er der Börse neuen Drall geben, quasi wie der Neustart eines eingefrorenen Computers? Oder wird alles so lau weitergehen wie bisher?
Merrill Lynchs Chefstratege Richard Bernstein fürchtet negative Auswirkungen "auf die Verbraucherzuversicht, die schon vor diesem Ereignis nicht so besonders hoch war". Shelby Tucker von Banc of America Securities dagegen erwartet "an der Wirtschaftsfront generell keine größeren Konsequenzen". Wichtiger, sagt er, seien die politischen Folgen: "Warum ist das passiert und wie kann man es verhindern?"
Die neuen Öko-Energie-Börsenstars
Fragen, die diese Woche bestimmt auch zur Sprache kommen werden, wenn sich US-Energieexperten zu einer (lange vorab geplanten) Konferenz in Washington treffen. Denn schon schlägt der Blackout wirtschaftspolitische Wellen. Demokraten und Republikaner beschuldigen sich gegenseitig einer verfehlten, von Lobbygruppen manipulierten Energiepolitik. Die Regierungen von USA und Kanada haben eine gemeinsame Untersuchungskommission eingesetzt. Der US-Kongress plant Sonderanhörungen nach der Sommerpause.
Einer kann sich garantiert freuen: die Öko-Energie-Branche. Hier zeichneten sich schon am halbdunklen Freitag steile Kurszuwächse ab, die sich am Montag fortsetzen dürften. Die neuen Börsenstars sind den meisten Anlegern bisher unbekannte Firmen wie American Superconductor (plus 42,6 Prozent), Plug Power (plus 23,4 Prozent), Capstone Turbine (plus 22,5 Prozent), FuelCell Energy (plus 20,5 Prozent) und American Power Conversion (plus 11,3 Prozent).
Blessuren für den Mobilfunk
Schlecht sieht es hingegen indes für jene Stromriesen aus, die in den "Big Blackout" ("New York Times") verwickelt waren.
Die FirstEnergy Corporation, der die drei Hochspannungsleitungen im US-Bundesstaat Ohio gehören, wo das Unheil seinen Anfang nahm, verlor zum Wochenende 1,3 Prozent. "Wir werden alles tun, damit das nicht wieder vorkommt", versicherte Firmenchef Peter Burg den Investoren (und Stromkunden). Ebenfalls minus 1,3 Prozent vermeldete das Stromkonglomerat National Grid Transco, Eigner des inkriminierten Niagara-Mohawk-Leitungsnetzes rund um die Großen Seen zwischen den USA und Kanada. New Yorks Stromgigant Con Edison kam mit minus 0,5 Prozent vorerst mit einem blauen Auge davon.
Scharf werden die Börsianer wohl auch jene Industrien im Auge halten, die von dem Mega-Stromausfall direkt betroffen waren. Sowohl American Airlines wie auch Delta und Continental, die hunderte Flüge streichen mussten und Millionenverluste verbuchten, beginnen die Woche wahrscheinlich im roten Bereich.
Blessuren erlitten auch die Mobilfunk-Konzerne. Hohes Anrufvolumen und lahm gelegte Sendestationen ließen die meisten Handy-Netze im dicht bevölkerten US-Nordosten während des Stromausfalls zusammenbrechen, ganz wie auch schon am 11. September 2001. Dass es keine Not-Netze für den Katastrophenfall gab, will nun sogar der Kongress in Anhörungen erörtern. Die Aktie von AT&T Wireless verlor zwei Prozent, die von Sprint PCS 1,7 Prozent.
Schadensansprüche in Milliardenhöhe
Der Einzelhandel dagegen, der allein in New York neunstellige Blackout-Verluste einfuhr, tritt dennoch optimistisch an. Die Kurse der landesweiten Großketten wie Kohl's, Wal-Mart und Sears bleiben unverdrossen im leichten Aufwind, ebenso der S&P-Einzelhandelsindex. Viele Anleger warten außerdem auf die Zwischenbilanzen dieser Woche (Lowe's, Toys R Us, Home Depot, Saks, Staples, Barnes & Noble, Borders, Williams-Sonoma, Gap).
Der Versicherungsbranche drohen Blackout-Schadensansprüche in Milliardenhöhe, hauptsächlich wegen Geschäftseinbußen im Handel. Wobei in vielen Fällen noch umstritten ist, ob dieser massive Stromausfall überhaupt gedeckt ist.
Warnung vor dem großen Krach
Auch die regulären Wirtschaftsdaten der nächsten Tage dürften in den Nachwehen des dunklen Donnerstags schnell verschütt gehen. Allzu spannend sind die aber sowieso nicht: wöchentlicher Arbeitsmarkt, Immobiliendaten, der so genannte Philly-Fed-Konjunkturreport. "Dies wird wieder mal ein Schläfer", fürchtet Analyst Hogan. "Nichts kann die Hundstage des Sommers aufhalten."
Nicht mal ein Blackout. Zumal der, so orakeln Fachleute, nur ein Vorgeschmack war, das Vorbeben zum großen Krach. "Es klingt fatalistisch", prophezeit der US-Physiker Phillip Schewe. "Aber allein schon wegen der Komplexität unseres Energiesystems wird es größere und größere Störungen geben."
www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,261660,00.html
New York - Das bei weitem größte Möbelstück in Dick Grassos Büro ist ein langes, luxuriöses Ledersofa. Dort hinein bugsiert New Yorks Börsenchef seine Besucher zum Gespräch; es ist tief und bequem und so positioniert, dass man den ganzen Raum überblickt: schwere Eichentüren, der Mahagoni-Schreibtisch, eine antike Standuhr, viele Erinnerungsfotos mit Prominenten und unter der Decke ein Leuchtband mit den aktuellen Aktienkursen.
Als dieses Leuchtband jetzt im Jahrhundert-Blackout der letzten Woche abrupt erlosch, fand Grassos Sofa, fünf Stockwerke über dem Börsenparkett, kurzfristig eine neue, unkonventionelle Funktion: Der Vorsitzende der Stock Exchange verbrachte darauf die kurze Nacht, von Kerzen umringt. Gemeinsam mit 300 Brokern und Technikern, die im Board Room und im Luncheon Club campierten, wachte er am nächsten Morgen darüber, dass das globale Finanzherz mit Notstromkraft aus dem Generator wieder zu schlagen begann.
Und so ging der folgenschwerste Kurzschluss in der Weltgeschichte an der weltgrößten Börse nahezu spurlos vorbei. Obwohl Banker, Händler und Abermillionen Anleger von der Außenwelt abgeschnitten waren, hielt sich der Dow wacker und schloss den Niedrigwatt-Tag sogar mit einem (eher symbolischen) Plus von 0,1 Prozent ab. Die Schlussglocke durften die Hauselektriker läuten. Für Grasso, der seit Monaten von schlechten Nachrichten verfolgt wird, war es eine Stunde des Aufatmens.
"Warum ist das passiert?"
Die wahren Folgen zeigen sich erst heute. "Die realen Konsequenzen des Blackouts auf Kurse und Daten werden wir erst ab Montag zu spüren bekommen", sagt Peter Cardillo, Chefstrategist von Global Partner Securities.
Und was da zu erwarten ist, darüber streiten sich die Experten. Wird der Blackout eine ähnliche Zäsur sein wie der 11. September 2001? Wird er, zur Freude der Bullen, endlich eine neue Zeitrechnung einläuten? Wird er der Börse neuen Drall geben, quasi wie der Neustart eines eingefrorenen Computers? Oder wird alles so lau weitergehen wie bisher?
Merrill Lynchs Chefstratege Richard Bernstein fürchtet negative Auswirkungen "auf die Verbraucherzuversicht, die schon vor diesem Ereignis nicht so besonders hoch war". Shelby Tucker von Banc of America Securities dagegen erwartet "an der Wirtschaftsfront generell keine größeren Konsequenzen". Wichtiger, sagt er, seien die politischen Folgen: "Warum ist das passiert und wie kann man es verhindern?"
Die neuen Öko-Energie-Börsenstars
Fragen, die diese Woche bestimmt auch zur Sprache kommen werden, wenn sich US-Energieexperten zu einer (lange vorab geplanten) Konferenz in Washington treffen. Denn schon schlägt der Blackout wirtschaftspolitische Wellen. Demokraten und Republikaner beschuldigen sich gegenseitig einer verfehlten, von Lobbygruppen manipulierten Energiepolitik. Die Regierungen von USA und Kanada haben eine gemeinsame Untersuchungskommission eingesetzt. Der US-Kongress plant Sonderanhörungen nach der Sommerpause.
Einer kann sich garantiert freuen: die Öko-Energie-Branche. Hier zeichneten sich schon am halbdunklen Freitag steile Kurszuwächse ab, die sich am Montag fortsetzen dürften. Die neuen Börsenstars sind den meisten Anlegern bisher unbekannte Firmen wie American Superconductor (plus 42,6 Prozent), Plug Power (plus 23,4 Prozent), Capstone Turbine (plus 22,5 Prozent), FuelCell Energy (plus 20,5 Prozent) und American Power Conversion (plus 11,3 Prozent).
Blessuren für den Mobilfunk
Schlecht sieht es hingegen indes für jene Stromriesen aus, die in den "Big Blackout" ("New York Times") verwickelt waren.
Die FirstEnergy Corporation, der die drei Hochspannungsleitungen im US-Bundesstaat Ohio gehören, wo das Unheil seinen Anfang nahm, verlor zum Wochenende 1,3 Prozent. "Wir werden alles tun, damit das nicht wieder vorkommt", versicherte Firmenchef Peter Burg den Investoren (und Stromkunden). Ebenfalls minus 1,3 Prozent vermeldete das Stromkonglomerat National Grid Transco, Eigner des inkriminierten Niagara-Mohawk-Leitungsnetzes rund um die Großen Seen zwischen den USA und Kanada. New Yorks Stromgigant Con Edison kam mit minus 0,5 Prozent vorerst mit einem blauen Auge davon.
Scharf werden die Börsianer wohl auch jene Industrien im Auge halten, die von dem Mega-Stromausfall direkt betroffen waren. Sowohl American Airlines wie auch Delta und Continental, die hunderte Flüge streichen mussten und Millionenverluste verbuchten, beginnen die Woche wahrscheinlich im roten Bereich.
Blessuren erlitten auch die Mobilfunk-Konzerne. Hohes Anrufvolumen und lahm gelegte Sendestationen ließen die meisten Handy-Netze im dicht bevölkerten US-Nordosten während des Stromausfalls zusammenbrechen, ganz wie auch schon am 11. September 2001. Dass es keine Not-Netze für den Katastrophenfall gab, will nun sogar der Kongress in Anhörungen erörtern. Die Aktie von AT&T Wireless verlor zwei Prozent, die von Sprint PCS 1,7 Prozent.
Schadensansprüche in Milliardenhöhe
Der Einzelhandel dagegen, der allein in New York neunstellige Blackout-Verluste einfuhr, tritt dennoch optimistisch an. Die Kurse der landesweiten Großketten wie Kohl's, Wal-Mart und Sears bleiben unverdrossen im leichten Aufwind, ebenso der S&P-Einzelhandelsindex. Viele Anleger warten außerdem auf die Zwischenbilanzen dieser Woche (Lowe's, Toys R Us, Home Depot, Saks, Staples, Barnes & Noble, Borders, Williams-Sonoma, Gap).
Der Versicherungsbranche drohen Blackout-Schadensansprüche in Milliardenhöhe, hauptsächlich wegen Geschäftseinbußen im Handel. Wobei in vielen Fällen noch umstritten ist, ob dieser massive Stromausfall überhaupt gedeckt ist.
Warnung vor dem großen Krach
Auch die regulären Wirtschaftsdaten der nächsten Tage dürften in den Nachwehen des dunklen Donnerstags schnell verschütt gehen. Allzu spannend sind die aber sowieso nicht: wöchentlicher Arbeitsmarkt, Immobiliendaten, der so genannte Philly-Fed-Konjunkturreport. "Dies wird wieder mal ein Schläfer", fürchtet Analyst Hogan. "Nichts kann die Hundstage des Sommers aufhalten."
Nicht mal ein Blackout. Zumal der, so orakeln Fachleute, nur ein Vorgeschmack war, das Vorbeben zum großen Krach. "Es klingt fatalistisch", prophezeit der US-Physiker Phillip Schewe. "Aber allein schon wegen der Komplexität unseres Energiesystems wird es größere und größere Störungen geben."
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