Rechtsprechung zur sog. Penny Stock- oder Delisting-Regel der Deutschen Börse
(Pressestelle für Zivilprozeß - 22.11.2001)
Das Landgericht Frankfurt am Main wird seit Sommer 2001 mit einer Vielzahl von Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung beschäftigt, in denen sich Aktiengesellschaften gegen die Änderung des "Regelwerks des Neuen Markts" der Deutschen Börse AG wenden. Die nachfolgende Tabelle unterrichtet auf vielfach geäußerten Wunsch über Anzahl und Stand der Verfahren sowie den Inhalt der Entscheidungen. Die vollständigen Texte der bisher vorliegenden Urteile sind auf der Homepage des Landgerichts Frankfurt am Main veröffentlicht, Links führen zu den jeweiligen Texten. Die in Form von Beschlüssen ergangenen einstweiligen Verfügungen enthalten entweder keine Begründung oder keine über den Inhalt der Urteile hinausgehende. Zum besseren Verständnis werden folgende Erläuterungen gegeben:
Seit dem 01.10.2001 werden aufgrund der Änderung des "Regelwerks des Neuen Markts" Unternehmen aus dem Neuen Markt ausgeschlossen, (1) über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgelehnt worden ist oder (2) deren Aktien an 30 aufeinanderfolgenden Börsentagen einen Tagesdurchschnittskurs von EUR 1 und eine Marktkapitalisierung von EUR 20 Mio. unterschreiten und beide Werte in den nächsten 90 Börsentagen nicht an mindestens 15 aufeinanderfolgenden Börsentagen übertroffen wird. Rechtlich problematisch ist dabei vor allem die Berechtigung der Deutschen Börse AG zur einseitigen Änderung des Regelwerks.
Beginnend mit der ersten einstweiligen Verfügung im Urteil vom 16.08.2001 (lfd.Nr. 01 - Penny Stock, später lfd. Nr. 15 - 18 – Penny Stock II), wurden die Regeln als zivilrechtlicher Beurteilung unterliegende Allgemeine Geschäftsbedingungen eingestuft, die einseitig nicht abänderbar sind. Soweit sich die am Neuen Markt gehandelten Aktiengesellschaften aber der "jeweils gültigen" Fassung dieses Regelwerks unterworfen hatten, wurde eine Änderung durch die Deutsche Börse AG für zulässig eingestuft, die sich jedoch daran messen lassen mußte, ob sie in ausreichender Weise auch auf die Belange der notierten Unternehmen Rücksicht genommen hatte. Das wurde in den nachstehend unter lfd. Nr. 01-04, 06-17, 19, 21 und 23 aufgeführten Verfahren verneint, weil es keine Übergangsfrist gab. Diese wurde deshalb von den verschiedenen zur Entscheidung berufenen Zivilkammern und Kammern für Handelssachen auf 6 Monate festgesetzt, obwohl in zahlreichen Anträgen eine Karenzfrist von 1 Jahr gefordert worden war. In diesen Fällen erhielten die Aktiengesellschaften also einen Aufschub von 6 Monaten; die geänderten Regeln dürfen erst ab dem 01.04.2001 auf sie angewandt werden.
In verschiedenen Einzelfällen (lfd. Nr. 18, 20 und 22) haben die Aktiengesellschaften aber anderslautende Erklärungen zur Geltung des "Regelwerks des Neuen Markts" gegenüber der Deutschen Börse abgegeben. Die Formulierung bezog sich in diesen Fällen allein auf die im Zeitpunkt der Zulassung geltende Fassung, so daß eine spätere einseitige Abänderung ganz ausgeschlossen ist. Auf diese Unternehmen dürfen die geänderten Regeln also gar nicht angewandt werden, bzw. – wegen der so lautenden Antragstellung im Fall lfd. Nr. 18 – Penny Stock III – erst nach Ablauf eines Jahres.
In einem Verfahren wurde außerdem der Ausschlußgrund "Insolvenz" angegriffen (lfd. Nr. 18 – Penny Stock III). Auch hierzu wurde entschieden, daß die Regeln aus dem eben erwähnten Grund nicht angewandt werden dürfen.
In einem Verfahren (lfd. Nr. 05 - Penny Stock IV") wurde die Zulässigkeit des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung verneint und der Antrag zurückgewiesen, weil die begehrte Entscheidung bereits zur Erfüllung des Anspruchs und nicht nur zu seiner Sicherung führte.
Im Verfahren lfd. Nr. 24 ist der Termin zur mündlichen Verhandlung am 26.11.2001 aufgehoben und die Sache antragsgemäß an eine Kammer für Handelssachen abgegeben worden; in den Verfahren lfd. Nr. 25-30 am 28.11.2001, 14.00 Uhr, Saal 122 B.
Liste der Verfahren zur Delisting-Regelung der Deutschen Börse
in zeitlicher Folge
(Stand: 22.11.2001)
Lfd.Nr
Unternehmen
Aktenzeichen
Entscheidung
(U = Urteil, eV =Beschluß)
Datum Inhalt
01
Foris AG
3-13 O 110/01
16.08.2001 (U)
Aufschub von 6 Monaten
02
Advanced Medien AG
2-31 O 309/01
31.08.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
03
Abacho AG
3-04 O 27/01
06.09.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
04
Heiler Software AG
3-02 O 149/01
27.09.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
05
Micrologica AG
2-22 O 332/01
27.09.2001 (U)
Antrag unzulässig
06
BinTec Communications AG
2-05 O 381/01
28.09.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
07
Poet Holdings Inc.
3-05 O 155/01
02.10.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
08
Telesens KSCL AG
3-05 O 154/01
02.10.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
09
tiscon AG
Infosystems
3-05 O 151/01
04.10.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
10
digital advertising AG
3-06 O 148/01
09.10.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
11
aeco N.V.
3-06 O 150/01
09.10.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
12
Blue C
Consulting AG
3-13 O 154/01
10.10.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
13
Kinowelt Medien AG
2-23 O 303/01
11.10.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
14
e.multi Digitale Dienste AG
3-01 O 153/01
15.10.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
15
CPU Softwarehouse
3-09 O 138/01
15.10.2001 (U)
Aufschub von 6 Monaten
16
Travel24.com AG
2-25 O 391/01
16.10.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
17
VI(Z)RT Ltd.
3-13 O 157/01
18.10.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
18
teamwork information management AG
3-09 O 137/01
24.10.2001 (U)
Aufschub von 1 Jahr
19
eJay AG
3-02 O 168/01
25.10.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
20
Prout AG
3-05 O 170/01
25.10.2001 (eV)
keine Anwendung der Delisting-Regeln
21
Brainpower N.V.
3-06 O 161/01
30.10.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
22
MME Me,
Myself, Eye
Entertainment AG
3-05 O 179/01
06.11.2001 (eV)
keine Anwendung der Delisting-Regeln
23
F.A.M.E. Film &
3-10 O 135/01
06.11.2001 (eV)
Aufschub von 6 Monaten
24
ems New Media AG
2-30 O 224/01
25
Brokat Technologies AG
3-03 O 143/01
26
Letsbuyit.com N
3-03 O 145/01
27
GfN Gesellschaft für Network Training AG
3-03 O 146/01
28
WizCom Technology Ltd.
3-03 O 147/01
29
NSE Software AG
3-03 O 148/01
30
InfoGenie Europe AG
3-03 O 149/01