Bringen Sie Geld, ich möchte zahlen

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das Zentrum d.:

Bringen Sie Geld, ich möchte zahlen

 
09.07.03 08:32
Zur Diskussion "Wie geht's in der Wirtschaft?" (nur ein Märchen): In der Gastwirtschaft "Zum deutschen Michel" ruft ein Gast, nachdem er gegessen und getrunken hat: "Herr Ober, bringen Sie Geld, ich möchte zahlen!" Der Ober geht darauf zu einem anderen Gast, von dem er weiß, daß er gesund und fleißig ist (nennen wir ihn kurzerhand besserverdienend), zieht ihm die Geldbörse aus der Tasche und entnimmt dieser einen Geldbetrag, den er dem zahlungswilligen Gast hinschiebt. Der zahlt und verschwindet. Wider Erwarten regt sich der um sein Geld erleichterte Gast kaum auf. Vielmehr bezahlt er seine eigene Rechnung wenig später ohne Murren, was die übrigen Gäste total verblüfft. Einige von ihnen probieren es nun ebenfalls. Und tatsächlich: Der Vorgang wiederholt sich, einmal, zweimal, immer wieder.

Das spricht sich schnell herum, und es kommen aus allen Richtungen viele neue Gäste. Die Zauberformel: "Herr Ober, bringen Sie Geld, ich möchte zahlen!" bringt den deutschen Michel zu wundersamer Blüte. Der Ober, dem die Eigentümer (übrigens sind das die Gäste selber, die das jedoch total verdrängen) freie Hand gegeben haben, stellt immer mehr Personal ein, nicht zuletzt neue Kellner, unter anderem um den Geldtransfer sozial gerecht abzuwickeln. Als ihnen immer weniger im Portemonnaie verbleibt, werden die Besserverdienenden unzufrieden. Einige von ihnen nehmen das Geschehen stillschweigend hin. Andere murren oder schimpfen, was aber ohne Wirkung bleibt. Wieder andere geben ihre Arbeit auf und speisen von nun an ebenfalls auf fremde Kosten. Schließlich gibt es Gäste, die schweren Herzens ihrer Stammwirtschaft den Rücken kehren, um ihr Essen anderswo einzunehmen, zum Beispiel im Nachbarort, weil sie wissen, daß man sie dort im Wirtshaus "Zum Zuger See" ganz anders behandelt.

Immer weniger Besserverdienende, aber immer mehr Freikostgänger beim deutschen Michel, das führt schließlich zu Problemen. Diese werden vom Ober und seinen Kellnern jedoch als unbedeutend abgetan. Sie setzen auf die Zufriedenheit der Mehrheit der Gäste, und das sind längst die "Umwegzahler", die den derzeitigen Zustand als selbstverständlich ansehen. Sie lehnen jede Änderung strikt ab, was übrigens ganz im Sinne der Kellner ist, die längst dazu übergegangen sind, von den Geldern vorab einen Teil für sich selbst abzuzweigen. Als es schließlich mit dem Geld ganz eng wird, kommt man auf die Idee, bei der örtlichen Sparkasse einen Kredit aufzunehmen. Das gelingt ohne Schwierigkeiten, denn der Ober und sein Team gelten längst als erfolgreiche Wirtschaftsexperten. Sie haben maßgeblichen Einfluß gewonnen, unter anderem auf die Sparkasse. Zwar bieten sie selbst keinerlei Sicherheiten, sie legen jedoch überzeugend dar, daß die Besserverdienenden sowie deren Kinder und Kindeskinder (über letzteres soll jedoch nicht geredet werden) für die Kreditrückzahlung geradestehen werden.

Den Besserverdienenden, von deren Einlagen und Ersparnissen die Sparkasse lebt, gefällt das wenig. Sie behaupten sogar, mit ihrem Geld nicht nur die ständig steigenden Rechnungen der Gastwirtschaft bezahlen, sondern nun auch noch den Kredit finanzieren zu müssen, den sie am Ende wiederum über noch höheren Rechnungen zurückzahlen müßten. Also würden sie doppelt und dreifach zur Kasse gebeten. Dieses Argument wird jedoch schnell aus Ausdruck eines unterentwickelten sozialen Gewissens erkannt, und es nutzt auch deswegen wenig, weil die Besserverdienenden in den Gremien der Sparkasse nur schwach vertreten sind. Und da kaum jemand die Zusammenhänge so recht durchschaut oder wahrhaben will, genügt es, die Arbeitslosigkeit und zahlreiche andere Nachteile, die bei Nichtgewährung des Kredits unausweichlich eintreten würden, um so stärker zu betonen. Die Geschichte der Gastwirtschaft geht natürlich weiter. Wie, das kann man getrost der Phantasie überlassen. Es ist ja nur ein Märchen. Der Oberkellner und sein Team hingegen, dafür gibt es untrügliche Anzeichen, haben längst den Weg in die große Politik gefunden.

Claus H. Baur, Bonn

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.07.2003, Nr. 156 / Seite 7




es grüßt

 € $ ¥  das Zentrum der Macht


Twinson_99:

Sehr guter Artikel!

 
09.07.03 09:06
Eaglemen:

Trifft den Nagel auf den Kopf!Super o. T.

 
09.07.03 09:23
dardanus:

Unvollständiger Text

 
09.07.03 09:36
Da fehlt die ökologische Komponente der Grünen!
Erst diese lässt alles logisch erscheinen.

dd  Bringen Sie Geld, ich möchte zahlen 1091002
Dixie:

einmal grün für diesen Artikel bitte :-) o. T.

 
09.07.03 10:05
NoTax:

..billigstes Stammtischgeschwaffel, wird auch

 
09.07.03 10:13
nicht besser wenn es in der FAZ steht, die übrigens auch mittlerweile zielstrebig eben dieses Niveau ansteuert.
Dixie:

Gehörst Du auch zu den Freikostgängern? o. T.

 
09.07.03 10:17
daxbunny:

1 x gut interpretiert o. T.

 
09.07.03 10:21
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